Die Technologie bietet die nötigen Lösungen für die Klimakrise, davon ist Claude Turmes überzeugt. Im Gespräch mit REPORTER spricht der grüne Energieminister über das Problem Tanktourismus, die Wachstumsfrage und warum die blau-rot-grüne Koalition Kompromisse erfordert.

Interview: Laurent Schmit

Der Klimaplan mit 200 Seiten liegt nun vor – nach langen Diskussionen mit DP und LSAP. Wie schwierig war es, sich in der Koalition darauf zu einigen?

In der Koalition sind wir uns einig, was die Ziele betrifft. Wir haben Maßnahmen vorgestellt und jetzt geht es darum, sie umzusetzen. Es ist sehr dringend, dass wir beim Klimaschutz vorankommen. Deshalb braucht es eine Preiswahrheit und Maßnahmen, die tatsächlich etwas ändern – anders als in den letzten zehn bis 20 Jahren.

Die soziale Komponente des Klimaschutzes ist weiter ein Streitpunkt …

Mit Klimaschutz kann man keine Armut bekämpfen. In Luxemburg haben wir aufgrund der horrenden Wohnungspreise eine größere Kluft zwischen Arm und Reich. Das ist eine Frage der Umverteilung. Für uns Grüne ist das ein Punkt, den wir in der Steuerreform mit konkreten Maßnahmen angehen wollen.

Von außen betrachtet, scheint es, als ob DP und LSAP noch nicht ganz mit an Bord sind. Etwa wenn Liberale und Sozialisten einen „gestaffelten“ Dieselpreis vorschlagen, der Autofahrer verschonen soll. Trügt der Eindruck?

Der gestaffelte Dieselpreis ist eine Idee, die DP und LSAP intern in die Debatte eingebracht haben. Das hängt zusammen mit der CO2-Bepreisung, die 2021 kommt. In der Arbeitsgruppe zur Steuerreform diskutieren wir aktuell, ob dieser Vorschlag umsetzbar ist und ob er uns beim Klimaschutz weiterbringt. Es gehört aber zum normalen politischen Spiel, dass der eine oder andere seine Position vorstellt.

Der CO2-Preis war der Kompromiss, der aktuell in dieser Regierung möglich war.“

Experten kritisieren, der von der Regierung diskutierte CO2-Preis von 20 Euro pro Tonne sei zu niedrig, um wirkungsvoll zu sein. Warum liegt der Preis auf diesem Niveau?

In der Politik geht es auch darum, Kompromisse zu machen, um voranzukommen. Der CO2-Preis war der Kompromiss, der aktuell in dieser Regierung möglich war.

Dazu passt aber nicht, dass Sie etwa gegenüber RTL sagten, Autos in Luxemburg würden immer schlimmer für das Klima. Wollen Sie nicht gegensteuern?

Es ist ganz klar, dass sich der Luxemburger Automarkt seit 2016 in die gegenteilige Richtung wie der europäische entwickelt. Europaweit liegt der durchschnittliche CO2-Ausstoß von Neuwagen bei 95 Gramm pro Kilometer, in Luxemburg sind es sage und schreibe 134 Gramm. Da müssen wir gegensteuern.

Und wie?

Wir haben unter anderem die Förderung der Elektroautos. Das ist das Geniale: Zu einem Moment, wo fossile Autos frontal in die Klimamauer rasen, haben wir durch technologischen Fortschritt eine Alternative. Wo ist das Problem, mit einem Elektroauto zu fahren?

Oft ein praktisches …

Nicht ab dem Moment, wo wir unsere Hausaufgaben gemacht haben. Wir organisieren den Wandel von einer obsoleten zu einer innovativen Technologie.

Seit 2016 stieg der Verkauf um mehr als 300 Millionen Liter Diesel. Damit sind wir im frontalen Kollisionskurs mit unseren Klimazielen 2020.“

Inwieweit wollen Sie Einfluss über die Autosteuer nehmen?

Zur Steuerreform gehört auch eine Abänderung der Autosteuer. Der CO2-Ausstoß wird dann stärker gewichtet als heute.

Die Regierung kündigte eine Erhöhung der Akzisen auf Benzin und Diesel an, die zwischen Februar und April kommen soll. Wann kommt die Entscheidung?

Jetzt im März werden wir in der Arbeitsgruppe bestehend aus den Ministerien für Umwelt, Finanzen, Wirtschaft und Energie eine Entscheidung treffen. Die Sachlage ist klar: Seit 2016 stieg der Verkauf um mehr als 300 Millionen Liter Diesel. Damit sind wir im frontalen Kollisionskurs mit unseren Klimazielen 2020. Die leichte Erhöhung 2019 hat zu einer Stabilisierung geführt. Doch wir müssen den Verkauf um diese 300 Millionen Liter senken, damit wir EU-Richtlinien im Bereich Klimaschutz und Energieeffizienz einhalten.

Claude Turmes
Foto: Christian Peckels

Die Strategie der Regierung entspricht einem langsamen Ausstieg aus dem Tanktourismus. Wie realistisch ist das auf lange Sicht, gerade mit Blick auf einen europäischen Green New Deal?

Die Grundlage für die Besteuerung droht aus rein technologischen Gründen wegzufallen. Denn es wird eifrig an elektrischen Lkws geforscht. Transportunternehmen werden sofort auf Elektro umsteigen, sobald es billiger ist. Der zweite Faktor ist der Green New Deal: Darin ist eine Überarbeitung der Richtlinie zur Energiebesteuerung vorgesehen. Setzt sich diese Reform durch, dann würde Luxemburg von einem Tag auf den anderen gezwungen werden, den Dieselpreis an die Nachbarländer anzupassen. Deshalb gehen wir aktuell in langsamen Schritten auf dieses Ziel zu.

Sie wollen bald eine Renovierungsstragie vorstellen, die zum Ziel hat, den Energieverbrauch in alten Häusern zu senken. Was sind die Eckpunkte dieses Programms?

Es geht um die Weiterbildung der Handwerker. Ziel ist aber auch ein Bürokratieabbau, damit die existierenden Förderinstrumente und die Energieberatung mehr genutzt werden. Es gibt auch Pläne, um ganze Viertel energetisch zu sanieren. Das hilft mehr Menschen an Bord zu bekommen und auch die Preise zu drücken. Das sind die aktuellen Pisten, die wir mit den Experten und dem Handwerk diskutieren.

Mir ist es wichtig, dem Einzelnen keine Vorwürfe zu machen, sondern die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen.“

Ihnen wird besonders als grünem Minister oft vorgehalten, die Bürger zu einer Änderung ihres Lebensstils zwingen zu wollen. Wie gehen Sie mit dieser oft emotionalen Diskussion um?

Klimaschutz ist nicht nur etwas für eine Handvoll Müslis. Klimaschutz ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe und keine moralische. Es ist möglich, Häuser zu bauen, die quasi keine Energie brauchen, Solarenergie statt Kohle zu nutzen usw. Dahinter stehen auch Fragen des Lebensstils. Aber jeder Arzt sagt, dass es nicht gesund ist, jeden Tag Fleisch zu essen. Etwas weniger Fleisch essen – auch des Klimas willens: Ist das ein positiver Wandel des Lebensstils oder ein negativer? Mir ist es wichtig, dem Einzelnen keine Vorwürfe zu machen, sondern die politischen Rahmenbedingungen für die enorme Herausforderung zu schaffen.

Durch technologische Innovation gelingt es, den CO2-Ausstoß zu senken – auch in einem Land, das wächst.“

Der Mouvement écologique wirft der Regierung vor, beim Klimaschutz die Wachstumsfrage auszuklammern …

Es geht letztlich um die Frage, was soll wachsen und was schrumpfen. Schrumpfen sollen Diesel, Heizöl, Gas, Kohle. Wachsen sollen Solar- und Windenergie, die Energieeffizienz. Durch technologische Innovation gelingt es, den CO2-Ausstoß zu senken – auch in einem Land, das wächst. Die Wachstumsfrage hat mehr Einfluss auf Lebensqualität, sei es durch den Verkehr oder die Landesplanung. Die gestalterische Aufgabe der Politik ist es, das intelligent zu lösen.

Sie sind ja auch Minister für die Landesplanung …

Als Landesplanungsminister arbeite ich daran, dass das Bevölkerungswachstum dort stattfindet, wo eine gute Infrastruktur des öffentlichen Transports besteht. Das ist etwa der Fall beim Projekt in Düdelingen, das neben einem Bahnhof liegt. In Esch-Schifflingen entsteht ein neuer Bahnhof parallel zum Viertel.

Der Klimaplan umfasst ein reichhaltiges Maßnahmenpaket. Das Energieministerium ist eher klein, es gab mehrere Abgänge von Beamten. Haben Sie die nötigen Ressourcen, um alles umzusetzen?

Es sind inzwischen rund 30 Mitarbeiter, was einer Verdopplung entspricht im Vergleich zur Abteilung, die zuvor Teil des Wirtschaftsministeriums war. In der Regierung gibt es den Konsens, dass die Ministerien für Umwelt, Transport und Energie auch genügend Personal brauchen, um die Maßnahmen zum Klimaschutz umzusetzen. Wir sind mittlerweile besser aufgestellt.

Die Herausforderung ist trotzdem enorm. Wurde in den letzten Jahrzehnten zu viel Zeit verloren?

Ich bin ein positiver Mensch, aber auch ein realistischer. Ich weiß, dass wir während 25 Jahren nicht genug getan haben – nicht nur in Luxemburg, sondern in vielen Industrieländern. Jetzt reicht es nicht mehr zu sagen: „Ich bin für Klimaschutz, aber …“ Jetzt gilt: „Ich bin für Klimaschutz und ich setze mich für das Renovieren von Häusern ein, für die Elektromobilität usw. Ich bin froh, in einer Regierung zu sein, die Verantwortung übernimmt – quer durch alle Koalitionsparteien.


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