Eigentlich können Gemeinden unbebaute Grundstücke stärker besteuern. Doch der Versuch der Stadt Diekirch, Bauland über die Grundsteuer zu mobilisieren, ist vorerst gescheitert. Denn das Verwaltungsgericht urteilte: Dieses Vorgehen ist unverhältnismäßig.
Es war eine kommunale Entscheidung, die es auf die Titelseiten der Zeitungen schaffen sollte. Anfang März 2020 stimmte der Gemeinderat in Diekirch einstimmig dafür, die Steuern auf unbebaute Grundstücke drastisch zu erhöhen. Der sogenannte Hebesatz B6 der Grundsteuer sollte binnen eines Jahres von 750 Prozent auf 15.000 Prozent ansteigen. Der Gedanke hinter der Erhöhung: Seit Jahren brachliegendes Bauland sollte endlich mobilisiert und bebaut werden. Die Gemeinde rechnete damals mit steuerlichen Mehreinnahmen von 215.000 Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Vor der Erhöhung nahm die Gemeinde jährlich lediglich 11.000 Euro über diesen Steuersatz ein.
Mit dem Schritt wurde die Gemeinde Diekirch gewissermaßen zu einem Pionier. Die Möglichkeit der Kommunen, unbebaute Grundstücke eigenständig zu besteuern, wurde bereits 2008 mit dem „Pacte Logement 1.0“ eingeführt. Und eigentlich war die Vorgehensweise des Diekircher Gemeinderats ganz im Sinne der Reform. Der „Pacte Logement“ sollte endlich den Spagat zwischen Staat und Gemeinden bei der Bodenbesteuerung schaffen. Dabei setzte der Staat die Grundwerte zur Berechnung der Steuern fest, aber über die Höhe sollten die Gemeinden selbst entscheiden. Die Messlatte lag hoch, dessen war sich auch der damalige Premierminister Jean-Claude Juncker (CSV) bewusst: „Wa mer nach eng Kéier scheiteren – Staat a Gemengen zesummen –, da weess ech menger Hänn kee Rot méi.“
Eine ernüchternde Bilanz
Doch gut 15 Jahre nach der Reform fällt die Bilanz mehr als ernüchternd aus. Die meisten der 102 Gemeinden im Land scheuten sich davor, das neue Steuerinstrument effektiv anzuwenden. 23 zumeist ländliche Gemeinden führten die Steuer erst gar nicht ein, andere beließen den Hebesatz auf einem sehr geringen Niveau. Auch nach der Diekircher Entscheidung übten sich die meisten Gemeinden in Zurückhaltung. Einzig in der Hauptstadt setzte die Opposition eine Erhöhung auf die Tagesordnung. Die Mehrheitsparteien DP und CSV verwarfen die Initiative jedoch als „populistisch“ und sprachen sich gegen eine Anpassung aus.
Ich finde unser Vorgehen in Zeiten einer massiven Wohnungskrise weiterhin richtig und halte auch daran fest.“Claude Thill, Bürgermeister von Diekirch
In Diekirch selbst blieb die Erhöhung bisher vor allem eins: medienwirksam. Einziehen konnte die Gemeinde die Steuer in den folgenden zwei Jahren nicht. Denn von den 42 Grundbesitzern, die von der Steuererhöhung betroffen waren, reichten 15 Klage gegen die Entscheidung der Gemeinde ein. Am 10. Februar dieses Jahres verkündete das Verwaltungsgericht sein Urteil in dem Rechtsstreit, wie zuerst „Radio 100,7“ meldete. Die Richter gaben den Klägern recht, wie auch das „Luxemburger Wort“ berichtete. Die Begründung des Gerichts: Die Entscheidung der Gemeinde verstoße gegen den in der Verfassung verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Die Richter erkennen in ihrem Urteil, das Reporter.lu vorliegt, zwar an, dass die alleinige Erhöhung der Steuer auf unbebaute Grundstücke nicht gegen das Gleichheitsprinzip verstößt. Auch weil der Hebesatz 2008 ausdrücklich mit dem Ziel eingeführt worden sei, eben jene Grundstücksbesitzer höher zu besteuern, die ihr Bauland unbebaut lassen, so das Gericht. Zudem falle die Erhebung der Steuer eindeutig unter die Gemeindeautonomie, auch in diesem Punkt geben die Richter der Gemeinde recht. Doch dies heiße nicht automatisch, dass eine Erhöhung um den Faktor 26 verhältnismäßig sei.
Die Wohnungskrise und Diekirch
Denn, so die Richter, die Stadt Diekirch könne nicht nachweisen, dass eine Anpassung der kommunalen Grundsteuer die alleinige Lösung für die Wohnungskrise in ihrer Gemeinde sei. In seiner Argumentation beruft sich das Gericht auch auf die Statistiken zu den Grundstückspreisen des Forschungsinstituts „Liser“. Diese hatte die Gemeinde angeführt, um zu beweisen, wie rasant die Preise sich in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hatten.
Zwar würden diese Statistiken Preisanstiege auf nationaler Ebene belegen. Doch dem Gericht fehlt der Bezug zur Wohnungssituation in Diekirch: Die Gemeinde könne schlicht nicht nachweisen, dass die unbebauten Grundstücke und der Umstand, dass deren Besitzer sie „horten“, allein für die Preissteigerungen vor Ort verantwortlich seien.
Dabei bemühen die Richter ein Argument, das im politischen Diskurs oft gegen eine Erhöhung der Grundbesteuerung ins Feld geführt wird. Die Erhöhung der Steuern auf unbebaute Grundstücke berücksichtige nicht, dass die Besitzer diese womöglich für ihre Kinder zurückhalten, so das Gericht. Zudem weisen die Richter zwischen den Zeilen auf eine andere Problematik hin, die ebenfalls aus dem Liser-Bericht hervorgeht: Die Gemeinde Diekirch verfügt im nationalen Vergleich über verhältnismäßig wenig bebaubare Flächen. Unterschwellig plädiert das Gericht demnach dafür, dass die Gemeinde mehr Land als bebaubar ausweisen sollte, bevor brachliegende Grundstücke höher besteuert werden – ein indirektes Plädoyer für die Erweiterung des Bauperimeters.
Gemeinde will Einspruch einlegen
Neben der Frage, wie zielgerichtet die Erhöhung des Hebesatzes B6 ist, stört sich das Gericht jedoch vor allem an der Höhe der Steuer. Denn, so die Richter, bereits vor der Erhöhung habe der Hebesatz B6 über den anderen Grundsteuersätzen gelegen. Dass die Steuer dabei dennoch nur 11.000 Euro im Jahr einbrachte, stört die Richter wenig. Fakt sei: „La décision d’augmenter la charge fiscale d’une seule catégorie de propriétaires ne saurait être considérée comme une réponse proportionnée et appropriée par rapport aux considérations avancées par la Ville de Diekirch liées au problème du logement.“ Deshalb sei die Entscheidung des Gemeinderats zu annullieren, so das Urteil der Richter.
Dieses Urteil bekräftigt, dass aktuell der beste Weg für die Gemeinden, Bauland schnell zu mobilisieren, nicht über den Hebesatz B6 führt.“Innenministerium
Dass die Gemeinde das Urteil des Verwaltungsgerichts akzeptieren wird, ist jedoch unwahrscheinlich, wie auch „RTL“ berichtete. Der aktuelle Bürgermeister Claude Thill (LSAP) steht weiterhin zur damaligen Entscheidung des Gemeinderats: „Ich finde unser Vorgehen in Zeiten einer massiven Wohnungskrise weiterhin richtig und halte auch daran fest.“ Deshalb werde er das Urteil dem Gemeinderat vorlegen und dafür plädieren, Einspruch gegen die Lesart der Richter einzulegen, so der Bürgermeister im Gespräch mit Reporter.lu.
Das Innenministerium hat hingegen eine andere Einschätzung. Auf Nachfrage von Reporter.lu erklärt die Behörde von Ministerin Taina Bofferding (LSAP), dass man von einem Einspruch gegen das Urteil absehe. Für das Ministerium scheint das Urteil ein weiterer Sargnagel für den „Pacte Logement 1.0“ zu sein. Denn, so das Ministerium: „Dieses Urteil bekräftigt, dass aktuell der beste Weg für die Gemeinden, Bauland schnell zu mobilisieren, nicht über den Hebesatz B6 führt.“
Das gilt umso mehr, als der Hebesatz B6 selbst bald Geschichte sein könnte. Denn die Reform der Grundsteuer, die die Regierung Ende 2022 auf den Instanzenweg gebracht hat, sieht nurmehr einen nationalen Ansatz vor. Das Innenministerium unterstreicht dabei besonders die Wichtigkeit der Mobilisierungssteuer, die zusätzlich zur reformierten Grundsteuer eingeführt werden soll.
Keine Folgen für Grundsteuerreform
Eine Auswirkung des aktuellen Urteils auf die Reformvorhaben der Regierung sieht das Innenministerium indes nicht. „Wir haben bei unserer Reform ausdrücklich darauf geachtet, den Eigentümern genügend Zeit zu lassen, ihre Grundstücke zu mobilisieren, bevor die Steuer wirksam wird,“ erklärt das Ministerium gegenüber Reporter.lu. Wann genau das sein wird, ist derzeit noch unklar. Ein Inkrafttreten noch in dieser Legislaturperiode hielt Ministerin Taina Bofferding bei der Vorstellung im Oktober 2022 für unwahrscheinlich.
Und selbst wenn die Reform zeitnah umgesetzt würde, sieht sie eine Übergangszeit von fünf Jahren vor. Erst danach würde ein brachliegendes Grundstück progressiv besteuert. Die Maximalbesteuerung wird dabei erst nach 20 Jahren erreicht. Zudem sollen Grundstücke, die für die eigenen Kinder zurückbehalten werden, für 25 Jahre von der Steuer befreit bleiben.
Die Grundbesitzer in Diekirch, die gegen die Gemeinde geklagt haben, dürften also beruhigt sein – vorausgesetzt, das Urteil hat auch nach einem wahrscheinlichen Einspruch noch Bestand. Sie können ihre Grundstücke über die nächsten Jahre wohl weiterhin brachliegen lassen, ohne steuerlich allzu sehr behelligt zu werden.


