Die „Lunghi-Affäre“ dominierte die mediale Öffentlichkeit im Herbst 2016. Heute beschäftigt sie noch immer die Gerichte. Dabei ist bereits vor dem Urteil klar: Die Affäre um den ehemaligen Museumsdirektor und RTL kennt mittlerweile nur Verlierer. Eine Analyse.

Es sollte der größte Medienprozess des Jahres werden. Doch er endete bereits am ersten Prozesstag – mit einem Beinbruch. Mehr als sechs Jahre nach den eigentlichen Vorfällen hätte vergangene Woche das Gerichtsverfahren um die sogenannte „Lunghi-Affäre“ stattfinden sollen. Gaston Vogel, Rechtsbeistand der Ex-Journalistin Sophie Schram, aber hatte sich eigenen Aussagen zufolge auf dem Weg ins Gericht das Bein gebrochen. Ein durchaus passendes Intermezzo für eine Affäre, die immer wieder unerwartete Wendungen kannte.

Die Affäre selbst füllt mehr als 660 Seiten Gerichtsakten. Bei den Ermittlungen wurden zwölf unmittelbar beteiligte Personen verhört, es kam zu Hausdurchsuchungen beim Sender „RTL“ und im „Centre hospitalier de Luxembourg“ (CHL), zudem wurde nach einem internationalen Rechtshilfeersuchen in Rumänien ermittelt.

Im Zuge der Affäre verloren sowohl der RTL-Journalist Marc Thoma als auch die freie Mitarbeiterin Sophie Schram ihre Posten. Der langjährige RTL-Generaldirektor Alain Berwick ging in den Ruhestand. Enrico Lunghi, der im Zentrum der Affäre steht, trat seinerseits Ende 2016 als Direktor des „Musée d’Art moderne Grand-Duc Jean“ (Mudam) zurück.

Chronologie einer Affäre

Der Prozess, der jetzt in den April verschoben wurde, dreht sich dabei im Kern um folgende Frage: Erfüllt ein Beitrag, den RTL am 3. Oktober 2016 gesendet hatte, den Tatbestand der üblen Nachrede und des Rufmordes? Und sind die gesundheitlichen, psychischen Schäden, die der damalige Mudam-Direktor Enrico Lunghi vorgibt, nach der Ausstrahlung erlitten zu haben, als fahrlässige Körperverletzung zu werten und demnach eine unmittelbare Folge des Beitrags?

Wanns de dat dote bréngs, da schwätzen ech ni méi mat dir.“Enrico Lunghi im RTL-Beitrag vom 3. Oktober 2016

Am Anfang der Affäre stand dabei eine doch sehr banale Frage. Für einen Museumsdirektor und ausgebildeten Kunsthistoriker müsste die Beantwortung eigentlich zum täglichen Geschäft gehören. Die ästhetische Verortung und Bewertung bildet schließlich dessen Erwerbsgrundlage, könnte man meinen. Doch als die damalige RTL-Mitarbeiterin Sophie Schram am 13. September 2016 den Mudam-Direktor Enrico Lunghi wiederholt fragte: „Wat gefällt Iech dann nët un hire Biller?“, sollte alles anders kommen.

Gemeint waren die Bilder der freischaffenden Künstlerin Doris Drescher. In der Sendung „Den Nol op de Kapp“ sendete RTL am 19. September 2016 einen Beitrag von Marc Thoma. Darin stellte sich die Künstlerin als Opfer des Luxemburger Kunstbetriebs dar und erhob schwere Vorwürfe, vor allem gegen Enrico Lunghi. Der Tenor: Seit Lunghi Direkor des Mudam sei, werde sie vom Kunstbetrieb bewusst ignoriert. Die Künstlerin witterte eine Verschwörung gegen sich und ihre Karriere.

Eine einfache Frage mit Folgen

Sophie Schram sollte den Museumsdirektor mit eben diesen Vorwürfen konfrontieren. Deshalb die banale Frage. Der Beitrag mit dem Interview vom 13. September wurde einen Tag nach dem Beitrag von Marc Thoma gesendet, am 20. September 2016. Was im Nachhinein auffällt: In dem ersten Beitrag, den RTL zur Affäre sendete, kommen weder die Frage noch die Reaktion von Enrico Lunghi vor.

Was daraufhin im Detail folgte, beschäftigte seitdem den Kulturbetrieb, die Politik, den Presserat, die „Autorité luxembourgeoise indépendante de l’audiovisuel“ (ALIA), verschiedenste Verwaltungsräte und nicht zuletzt die Gerichte. Diese müssen sich im Kern damit befassen, was sich nach dem 13. September 2016, also nach dem Interview von Sophie Schram, in der Sendeanstalt abgespielt hat.

Der ehemalige RTL-Journalist Marc Thoma am ersten Prozesstag: Seine langjährige Sendung „Den Nol op de Kapp“ wurde im Zuge der Lunghi-Affäre eingestellt. (Foto: Mike Zenari)

Rund zwei Wochen nachdem der Sender das ursprüngliche Interview mit Enrico Lunghi gesendet hatte, folgte am 3. Oktober 2016 nämlich ein weiterer Beitrag. Dieser setzt ein bei eben jener Frage nach der ästhetischen Wirkung der Bilder auf Enrico Lunghi. Anstatt zu antworten, bricht der Direktor das Interview ab, stürmt zunächst erzürnt davon und spricht von einer „Sauerei“. Dann dreht er wieder um und bewegt sich zurück auf die Journalistin zu. In einer flüssigen Bewegung greift er nach deren Mikrofon und drückt es nach unten weg. Es folgt der Satz: „Wanns de dat dote bréngs, da schwätzen ech ni méi mat dir“ – und auch die späte Erkenntnis von Enrico Lunghi, dass die Kamera noch immer lief.

Der Beitrag wechselt dann zu einem Standbild. Darauf zu sehen: Der bandagierte Arm der RTL-Mitarbeiterin und ein Teil eines ärztlichen Attests. Die Kernaussage des Beitrags: Enrico Lunghi habe die Journalistin Sophie Schram während der Ausübung ihrer Arbeit tätlich angegriffen, woraufhin diese krankgeschrieben werden musste. Zudem werde RTL rechtliche Schritte gegen den Mudam-Direktor einleiten.

Zweifel nach der Ausstrahlung

Der Beitrag löste nach der Ausstrahlung einen Sturm der Entrüstung aus. Die Journalistengewerkschaft „Syndicat des Journalistes – Luxembourg“ schaltete sich ein und verurteilte die „Violence“, der die Journalistin bei ihrer Arbeit ausgesetzt gewesen sei. Bereits einen Tag nachdem der Beitrag gesendet wurde, mischte sich auch Premierminister Xavier Bettel (DP) in die Debatte ein und verkündete, dass er ein Disziplinarverfahren einleiten werde – Enrico Lunghi ist zum damaligen Zeitpunkt rechtlich noch Staatsbeamter. Zudem kam der Verwaltungsrat des Mudam zu einer Sondersitzung zusammen.

Vier Angeklagte

Wegen der Vorfälle aus dem Herbst 2016 müssen sich insgesamt vier Personen vor Gericht verantworten. Neben der ehemaligen freien RTL-Mitarbeiterin Sophie Schram und dem Ex-RTL-Journalisten Marc Thoma sind das der einstige CEO von „RTL Luxembourg“, Alain Berwick, sowie der damalige Programmchef und aktuelle „Deputy CEO“ des Senders, Steve Schmit. Ihnen werden Diffamierung, Verleumdung und fahrlässige Körperverletzung an der Person von Enrico Lunghi vorgeworfen. Der Ex-Mudam-Direktor selbst tritt in dem Verfahren als Nebenkläger auf. Der Prozess ist auf drei Verhandlungstage angesetzt und soll nun am 17. April wieder aufgenommen werden.

Doch bereits kurz nach der Ausstrahlung kamen Zweifel an der Authentizität des Beitrags auf. Wieso hatte RTL erst zwei Wochen nach dem ersten Bericht reagiert? Wieso hat es zehn Tage gedauert, bis die Journalistin ins Krankenhaus ging? Wie konnte es sein, dass der Premierminister sich der Vorverurteilung sofort angeschlossen hatte? War der Beitrag eine gezielte Kampagne gegen den damaligen Direktor des Mudam mit dem Ziel, diesen loszuwerden?

Zwischen Rüge und Lüge

In der Folge der Debatte geriet RTL zunehmend unter Druck. Nachdem das Rohmaterial des Beitrags bereits dem Verwaltungsrat des Mudam sowie dem für das Disziplinarverfahren gegen Enrico Lunghi zuständigen Regierungskommissar zur Verfügung gestellt wurde, entschied sich der Sender, das ganze, ungeschnittene Interview zu veröffentlichen.

Das Rohmaterial unterscheidet sich dabei in einigen wesentlichen Punkten von jenem Material, das am 3. Oktober 2016 gesendet worden war. So stellt die Medienaufsicht ALIA in einem eigenen Bericht fest, dass die Tonspur und die Videospur nicht mehr synchronisiert seien. Zudem fehlen in dem Beitrag rund 20 Sekunden des Interviews, also jene zwischen der Frage: „Wat gefällt Iech dann nët un hiere Biller?“ und der impulsiven Reaktion von Enrico Lunghi.

[L’ALIA] constate qu’il y a eu manipulation de l’image et du son avec pour résultat de créer l’apparence d’une réalité inexistante (…).“Auszug aus der Rüge der ALIA

Hinzu kommt: Das Interview läuft nach dem Zwischenfall noch etwa zehn Minuten weiter. In dieser Zeit entschuldigt sich Enrico Lunghi unter anderem für sein Verhalten, nachdem er zunächst nochmal nachfragt: „Wat ass dat, e Prozess oder wat?“. Die Journalistin Sophie Schram ihrerseits zeigt sich, von außen betrachtet, wenig beeindruckt von der Verhaltenseskalation des Museumsdirektors.

Nach Sichtung der Bilder spricht die ALIA eine Rüge gegen die Sendung „Den Nol op de Kapp“ aus. Der Beitrag weise klare Merkmale einer Manipulation auf und vermittele eine Realität, die so nie stattgefunden habe. Damit verstoße die Muttergesellschaft von RTL, „CLT-Ufa“, ausdrücklich gegen den mit dem Staat geschlossenen Konzessionsvertrag. Wer genau für die finale Version des RTL-Beitrags verantwortlich ist, wird der nun auf den 17. April angesetzte Prozess zutage fördern müssen.

Enrico Lunghi als Opfer

Eine weitere Frage wird das Gericht indes nicht beantworten können. Jene der medialen Reaktion auf die Affäre. Denn ebenso schnell, wie Enrico Lunghi damals sowohl von RTL und auch Teilen der Öffentlichkeit vorverurteilt wurde, so schnell verkehrte sich die Debatte danach in ihr komplettes Gegenteil. Die Frage, ob das Verhalten des damaligen Mudam-Direktors angemessen war, tritt dabei vollends in den Hintergrund. Ging es nach nahezu allen Medien des Landes, wurde aus der „Lunghi-Affäre“ eine reine „RTL-Affäre“.

Josée Hansen, bis zu dem Vorfall Mitglied des Verwaltungsrates des Mudam und Journalistin beim „Lëtzebuerger Land“, sprach lediglich von einer „Altercation“, einem heftigen Wortwechsel. Das Interview in seiner ganzen Länge belege hingegen glasklar, dass „Enrico Lunghi n’apparaît plus comme un agresseur mais comme une victime de harcèlement de la journaliste, qui insiste lourdement sur toujours les mêmes questions et devient, par moments, blessante et très personnelle“. Der Tenor: Die Journalistin sei selbst schuld an der Reaktion, hätte sie bloß nicht so penetrant nachgefragt.

Der Anwalt von Sophie Schram, Gaston Vogel, musste den Prozess frühzeitig verlassen. Auf dem Weg zum Gericht soll der Anwalt gestürzt sein und sich dabei das Bein gebrochen haben. (Foto: Mike Zenari)

In eine ähnliche Richtung ging ein Meinungsbeitrag des Kunsthistorikers und damaligen freien Mitarbeiters Christian Mosar bei „Radio 100,7“. Darin wird der Zwischenfall nicht einmal erwähnt, denn darum geht es in der öffentlichen Debatte längst nicht mehr. Denn, dass Enrico Lunghi seinen Posten niederlegt, sei lediglich „(…)en Zeeche vun engem ganz däitlechen Anti-Intellektualismus, deen sech am Moment hei zu Lëtzebuerg nees breet mécht“.

Ihren absurden Höhepunkt erreichte die Debatte dabei mit einem Interview des belgischen Künstlers Wim Delvoye, der eng mit Lunghi und dem Mudam verbunden ist. Im Gespräch mit dem „Lëtzebuerger Journal“ erklärte dieser, dass er zwar weder das Interview noch den Beitrag gesehen habe, also nicht konkret wisse, worum es überhaupt gehe. Aber: „Rico und aggressiv? Er, der immer so soft ist? Dass sich das alles so zugetragen haben soll, kann ich mir nicht vorstellen. Für mich wirkt das Ganze konstruiert“, so Wim Delvoye.

Die Vendetta der Frau Gaeng

Eines offenbart die öffentliche Debatte im Herbst 2016 im Nachhinein sehr deutlich: Der Diskurs in Luxemburg tut sich mit Grautönen schwer, im Zweifel gibt es nur schwarz und weiß. Dabei kann auch das Interview in seiner Rohfassung über eines nicht hinwegtäuschen: Enrico Lunghi ist nicht nur Opfer. Denn auch in der ungeschnittenen Version versuchte der damalige Direktor des Mudam, die Berichterstattung in dieser Form zu verhindern. Er sprach Drohungen gegen eine Journalistin während der Ausübung ihrer Arbeit aus. Und unabhängig davon, wie man die Verletzungen von Sophie Schram bewertet und ob einem das überhaupt zusteht, bleibt das damalige Verhalten von Enrico Lunghi übergriffig und eines Direktors einer öffentlichen Einrichtung unwürdig.

Hinzu kommt, dass sich der ehemalige Museumsdirektor im Zuge der Affäre auch nicht nur Gefallen getan hat. Das liegt vor allem an seiner Ehefrau Catherine Gaeng, die Enrico Lunghi auch am ersten Prozesstag begleitete. In zwei 2018 und 2021 im Selbstverlag erschienenen Büchern versuchte sie sich an einer Chronik der Affäre. Besonders der zweite Band „Donc, nous avons menti au public“ aus dem Jahre 2021 könnte noch juristische Folgen haben.

Denn darin zitiert Catherine Gaeng aus den Ermittlungsakten, zu denen sie wohl dadurch Zugang hatte, dass ihr Mann als Nebenkläger im aktuellen Prozess fungiert. Auf mehreren Seiten gibt sie dabei auch Einblicke in die Krankenakten von Sophie Schram. Akten, die nach einer Entscheidung der zuständigen richterlichen Ratskammer wieder aus den eigentlichen Prozessakten gestrichen wurden.

Es könnte eine Publikation mit Folgen sein. Denn wie ein Justizsprecher auf Nachfrage von Reporter.lu bestätigte, läuft aktuell ein Ermittlungsverfahren gegen Catherine Gaeng, wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das Untersuchungsgeheimnis.

Was vor dem erneuten Prozessbeginn Mitte April bleibt, ist eine Affäre, in der es schon jetzt nur Verlierer gibt. Eine Medienanstalt mit mittlerweile staatlichem Bildungsauftrag, die bewusst Bilder manipuliert und die Wahrheit verfälscht hat. Ein ehemaliger Museumsdirektor und seine Frau, die sich als Opfer einer Verschwörung gerieren und das eigene Fehlverhalten größtenteils ausblenden. Und eine publizistische Öffentlichkeit, die bei lauter Parteiergreifung vergisst, worum es eigentlich gehen sollte: Sagen, was ist.


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