Die Dreierkoalition hat ein neues Programm. Dabei fällt eine weiche, aber bestimmte Dominanz der Liberalen ins Auge. Doch auch die LSAP behält ihre Daseinsberechtigung. Ein gesteigerter politischer Einfluss der Grünen muss sich aber erst zeigen.
Etienne Schneider schaut grimmig, auch ein bisschen müde. Unmutig starrt er über die Köpfe der Journalisten hinweg und fixiert einen Punkt in der Ferne. Dann senkt er wieder resigniert den Kopf. Für den sonst so selbstbewussten LSAP-Spitzenkandidaten ist diese Attitüde recht ungewohnt.
Auch Felix Braz schaut sehr ernst. So als müsste der Verhandlungsführer von Déi Gréng gleich eine sehr schwere Nachricht überbringen. Eigentlich hätten beide aber eher Grund zur Freude: Beide Politiker werden als potenzielle nächste Vize-Premierminister gehandelt.
Selbst Xavier Bettels Gesichtsausdruck spiegelt nicht die von ihm ausgesprochenen Worte der „Freude und Ehre“ darüber wider, dass man die Verhandlungen rasch abgeschlossen und sich auf „ein ehrgeiziges Programm“ geeinigt hat. Friede-Freude-Eierkuchen-Schlagzeilen wollten die Koalitionspartner der drei zukünftigen Regierungsparteien bei der Neuauflage von Blau-Rot-Grün wohl vermeiden. Nach außen wollen sie zumindest den Anschein erwecken, dass hier hart oder zumindest konsequent in der Sache miteinander gerungen wurde.
Die liberale Dominanz kann kommen
Nur Corinne Cahen scheint in Feierlaune. Verständlich wird ihr breites Lächeln, als sie voller Elan das Wort ergreift. Eine Maßnahme nach der anderen, die es aus dem DP-Wahlprogramm in das Koalitionsabkommen schaffte, listet sie wie aus der Flinte geschossen auf. Ihr Resümee: „Die Kaufkraft der Menschen wird gestärkt, ohne dass die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe geschwächt wird.“
Dieses Mantra soll auch nicht von der Erhöhung des Mindestlohns um 100 Euro untergraben werden. Die Liberalen können sich jedenfalls mit der Ansicht von Etienne Schneider am Donnerstag nicht anfreunden, wonach es dem Mindestlohnempfänger egal sei, wer schlussendlich zahle. Die DP probt weiter den „sozial-liberalen“ Spagat, den sie schon in den vergangenen fünf Jahren mehr oder weniger hinkriegte.
Luxemburgs Betriebe sind also nicht wie erwartet die großen Verlierer des auf den ersten Blick sehr ehrgeizigen, und demnach auch ziemlich teuer wirkenden Umverteilungsplans der Koalition. Zwar werden die Unternehmen einen Teil der Kosten stemmen müssen, doch die meisten Mehrausgaben gehen auf das Konto des Staatsbudgets.
Und nicht zu vergessen: Als symbolische Wiedergutmachung fällt der Steuersatz für Firmen um einen weiteren Prozentpunkt. In den Genuss des Mindeststeuersatzes von 15 Prozent sollen zudem künftig alle kleinen und mittelständischen Betriebe kommen, deren Jahresgewinn maximal 175.000 Euro beträgt. Bisher gilt die 25.000-Euro-Marke.
Damit die DP auch ihre neue Zielgruppe an jungen Familien weiter an sich binden kann, wird die Entlastung derselben erneut großgeschrieben. Sie sollen wieder mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, indem ein Recht auf Teilzeitarbeit gesetzlich verankert wird und auch ein Wiedereinstieg als Vollzeitbeschäftigte möglich werden soll. Finanziell werden Familien entlastet, indem die Maisons-Relais für Grundschulen während der Schulwochen gratis und das Kindergeld am Ende der Legislaturperiode wieder an die Teuerungsrate angepasst und indexiert wird.
LSAP steht nicht mit leeren Händen da
Doch auch die LSAP hat das Koalitionsabkommen nicht schlecht verhandelt: Freuen können sich die Sozialisten über ihre zurückbehaltene Kernforderung der Erhöhung des Netto-Mindestlohns um 100 Euro. Bei der Arbeitszeit verbuchen Schneider und Co. zumindest einen Teilerfolg. Gefordert hatte man eine Senkung der Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden sowie eine zusätzliche Woche gesetzlichen Urlaub. Zumindest bei Letzterem kommt die Verhandlungsdelegation mit der Einführung von zwei zusätzlichen freien Tagen – ein neuer Feiertag (9. Mai) und ein Tag mehr Urlaub – nicht mit leeren Händen zu ihrer Basis.
Beim „Tiers payant généralisé“ kam es dagegen zu einem klassischen Kompromiss, der sich in der Praxis noch als gangbar erweisen muss. Das neu ausgearbeitete System soll für Patienten genauso praktisch sein – ohne dabei die streng dagegen eingestellten Ärzte gegen sich aufzubringen. Etienne Schneider beschreibt das noch auszuarbeitende Modell folgendermaßen: „Es soll ein elektronisches System eingeführt werden, das eine sofortige Kostenerstattung erlaubt, sobald die Rechnung bezahlt wurde.“
Ohne alle Einzelheiten anzukündigen, scheint das System jedenfalls durchdacht, dass Ärzte mit einer digitalen Karte ausgestattet werden sollen, dank der die Gesundheitskasse CNS die Bezahlungen unmittelbar mitverfolgen kann. Bis die diesbezüglichen technischen Anforderungen und die Ärzte mit der Maschine ausgestattet sind, soll der bisher nicht sehr effiziente „Tiers payant social“ erweitert werden.
Auf dem Weg zur Steuer-Revolution
Auch die steuerliche Mehrbelastung Alleinerziehender soll dank einer Steuerreform verschwinden und alle Steuerklassen abgeschafft werden. Diese bevorzugen gegenwärtig bekanntlich verheiratete Paare. Dies entspricht ohnehin der DP-Forderung einer zeitgemäßen Besteuerung, die künftig nicht länger vom Familienstand, sondern vielmehr von der Anzahl der Kinder im Haushalt abhängen soll.
Allerdings kommt die angestrebte Individualisierung der Einkommensteuer einer wahren Revolution gleich. Experten dämpfen demnach längst die Erwartungen bzw. weisen darauf hin, dass sich die Dreierkoalition an dieser Maßnahme wohl verheben wird.
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Grüne Erfolge bleiben noch zu klären
Wie gut oder schlecht Déi Gréng ihre zweite Regierungsbeteiligung als klarer Wahlgewinner verhandelt hat, wird derweil nicht aus den bisher vorgestellten Maßnahmen ersichtlich. Zumindest in den Kernfragen ihres Programms. Wähler, die ehrgeizigere Klima- und Umweltschutzziele als bisher erwarten, werden enttäuscht. Zumindest ein ein neues Klimagesetz soll kommen. Der mittelfristige Ausstieg aus dem Tanktourismus wurde nicht besiegelt – die Abhängigkeit von dieser Einkommensquelle soll aber durch einen graduellen Abbau derselben in die Wege geleitet werden.
Das angekündigte Ziel eines aus 100 Prozent erneuerbaren Energien bestehenden Energiemixes, geht jedoch weit über die nächste Mandatsperiode hinaus. Details zu Investitionen in Wasserschutz und Biodiversität wurden keine genannt – nur dass diese hoch angesetzt würden. Der nationale Ausstieg aus dem Glyphosat und das Ziel, die Biolandwirtschaft bis 2025 auf 20 Prozent zu erhöhen, bleiben bis auf weiteres die konkretesten angestrebten Maßnahmen aus dem grünen Wahlprogramm.
Die nächste Regierung plant weiterhin hohe Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Transports, der irgendwann für den Nutzer „kostenlos“ sein soll. Selbst die Grünen sehen das aber nicht als wahrhaftigen Anreiz für eine steigende Nutzung von Bussen, Zügen und Tram an, sondern ausdrücklich als „soziale Maßnahme“. Felix Braz wirkte sehr streng, als er Missverständnisse zur Kilometerpauschale aus dem Weg räumte. „Die eine Maßnahme hat mit der anderen nichts zu tun“, so der Justizminister. Wie REPORTER berichtete, wäre dies generell ungerecht und wenig wirksam gewesen.
Schlüsselressort Wohnungsbau in grüner Hand
Um jegliche Zweifel bezüglich der grünen Komponente des Programms aus dem Weg zu räumen, betonte Braz: „Ich denke, dass dieses Koalitionsabkommen besser als das vorherige ist.“ Dabei könnte aber auch eine Rolle spielen, dass mittlerweile feststeht, dass Déi Gréng neue Ressorts erhalten. Zusätzlich zu den bisherigen Verantwortungsbereichen soll die Partei, die bei den Wahlen drei Mandate hinzugewinnen konnte, auch die Ressorts Verteidigung, innere Sicherheit, Energie, Kultur und Wohnungsbau übernehmen.
Gerade im Wohnungsbau blieben die großen Ankündigungen bisher aus, obwohl die Reichweite einiger Maßnahmen nicht zu unterschätzen ist. Gerade die Schlüsselrolle der Gemeinden wurde erkannt – ihnen soll finanziell und administrativ unter die Arme gegriffen werden. Ein Bürgerfonds soll es Privatleuten ermöglichen, im Gegenzug zu einer bestimmten Rendite, Geld in den öffentlichen Wohnungsbau zu investieren.
Hinzu kommt die geplante Nutzung von unbebauten Grundstücken – diese sollen vom Staat für einen bestimmten Zeitraum gepachtet werden, um dort Mietwohnungen zu errichten. Denkbar ist der Bau von schnell zu errichtenden „modularen“ Wohnungen – ein Konzept das die Agence immobilière sociale (AIS) jüngst ausgearbeitet und vorgestellt hat. Die Rolle der öffentlichen Hand soll insgesamt auch durch das Zusammenspiel der Gemeinden gestärkt und Baulandverträge und eine Reform der Grundsteuer vorangetrieben werden. Insgesamt glaubt aber wohl niemand, dass die kommende Regierung die Wohnungskrise allein dadurch lösen wird.