In nur fünf Jahren musste der Krisenstab bereits vier Mal wegen einer Naturkatastrophe tagen. Die Verwaltungen und Ministerien wollen aus vergangenen Fehlern gelernt haben. Dennoch zeigen sich auch jetzt noch Schwächen in der Strategie.

Das Ausmaß war gewaltig. Binnen Stunden rissen am 15. Juli die braunen Wassermassen Wohnwagen, Bäume und Straßen mit. Innerhalb eines Tages wurden Bewohner, die sich sonst am Fluss erholten, durch diesen obdachlos. Erst dann wurde die Regierung sich des Ernstes der Lage bewusst. „Am 14. Juli war es ganz schwer, die Intensität vom Starkregen und das Steigen des Pegels vorauszusehen. Es war in diesem Maße nicht zu erwarten“, betonte Xavier Bettel (DP) vor den Abgeordneten im Parlament.

Fünf Jahre vorher: In nur vier Stunden flutete das Ernztal. Die Überschwemmung zerstörte Straßen und Existenzen. Die Regierung lobte den Einsatz der Sicherheitskräfte. Es sei „ein Wunder, wenn man die Zerstörung hier vor Ort sieht“, dass kein menschliches Leben zu Schaden gekommen sei, sagt der damalige Innenminister Dan Kersch (LSAP).

2018 musste der Krisenstab ebenfalls tagen. Wieder füllen sich Keller mit Schlamm und Wasser. Zwei Jahre benötigt ein Hotel im Müllerthal für die Renovierungsarbeiten. Todesopfer gibt es keine. Nach den Ereignissen im vergangenem Juli sprach auch Xavier Bettel im Parlament von einem „Wunder“. Luxemburg kommt erneut mit einem blauen Auge davon.

Kosten und Konsequenzen der Flut

Doch kann die Politik in der sich zuspitzenden Klimakrise nur auf Wunder hoffen? Fest steht: Die Naturkatastrophen nehmen zu und treiben somit die Modellrechnungen der Klimatologen an ihre Grenzen. Die Regierung setzt deshalb seit Jahren auf Vorbeugung. Eine Strategie, die nur bedingt aufgeht.

„Ein einziges Ereignis kann schlecht auf den Klimawandel zurückgeführt werden, die Häufung jedoch schon“, sagt Laurent Pfister. „Hochwasserereignisse, die statistisch nur alle 20 oder 50 Jahre vorkommen sollen, treten auf einmal binnen weniger Jahre mehrmals auf“, erklärt der Hydrologe des „Luxembourg Institute of Science and Technology“ (LIST), im Gespräch mit Reporter.lu. Es wird also kaum das letzte Mal sein, dass Sandsäcke Häusereingänge schützen und Keller ausgepumpt werden müssen.

Unsere Hochwassermodelle gehen noch von einer Welt ohne Klimawandel aus. Sie stoßen deshalb an ihre Grenzen.“Laurent Pfister, Hydrologe des LIST

Der Kostenpunkt ist derweil beträchtlich. Allein in den vergangenen sechs Jahren musste der Staat den Geschädigten mit rund 160 Millionen unter die Arme greifen. Die Versicherungen zahlten 362 Millionen Euro aus, wie aus dem Gutachten des Rechnungshofes zum Entwurf für den Staatshaushalt 2022 hervorgeht.

Für die Forscher bieten die Ereignisse jedoch in erster Linie wertvolle Daten. „Wir konnten so Hochwasserrisikokarten erstellen, die sich im letzten Juli bewährt haben“, erzählt Luc Zwank. Der beigeordnete Direktor der Wasserverwaltung spricht von einer „ganz starken Verbesserung“ des Hochwasserschutzes.

Das lässt sich auch an den Flüssen und Bächen beobachten. Die Regierung habe seit 2015 insgesamt 24 Kilometer von Flüssen renaturiert, sagte Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) noch kürzlich im Parlament. Weitere Projekte seien in Planung. Es sind diese Argumente, die die Regierung stets gebetsmühlenartig auf jede Kritik zu den Geschehnissen des 15. Juli 2021 wiederholt.

Renaturierungen reichen nicht aus

Tatsächlich konnten durch die Rückführung von Gewässern hin zu ihrem natürlichen Zustand noch größere Schäden verhindert werden. In Steinheim, in der Gemeinde Rosport-Mompach, wurde nach mehrjähriger Planung 2010 ein Renaturierungsprojekt umgesetzt. „Ohne diese Maßnahme hätte der Pegel 57 Zentimeter höher gestanden“, sagt Bruno Alves im Gespräch mit Reporter.lu. Der für die Klimaanpassungsmaßnahmen zuständige Beamte im Umweltministerium räumt allerdings ein, dass eigentlich mit einer Reduktion von 87 Zentimetern gerechnet worden sei.

„Da jedoch ein Grundstückbesitzer dem Projekt nicht zustimmte, konnte es nicht so umgesetzt werden wie geplant“, so der Beamte. Eine Verstaatlichung der Grünfläche wäre zwar möglich gewesen, wurde in Luxemburg jedoch noch nie für den Hochwasserschutz umgesetzt. Die Prozedur sei komplex und langwierig. Zudem könnte der Eigentümer auch mehrere Flächen besitzen. „Wenn dort ein anderes Projekt umgesetzt werden soll, kann man fast sicher sein, dass eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist“, so Bruno Alves.

Born im Juli 2021: Die Renaturierungsmaßnahmen konnten das Hochwasser an der Sauer nicht verhindern. (Foto: SIP/Jean-Christophe Verhaegen)

Doch dem Ministerium sind auch aus einem anderen Grund die Hände gebunden. Renaturierungsprojekte können nur in Zusammenarbeit mit den Gemeinden durchgeführt werden. In Mersch sprach die Gemeinde sich etwa gegen eine Renaturierung der Alzette aus. Diese würde den städtischen Park in zwei teilen, so der Bürgermeister von Mersch, Michel Malherbe (DP), im Sommer gegenüber „RTL“. Der zweite von insgesamt drei Flüssen, die durch die Gemeinde ziehen, die Mamer, sollte jedoch renaturiert werden. Doch die Arbeiten kommen nur schleppend voran.

Die Renaturierung ist jedenfalls kosten- und platzaufwendig. Sie ist demnach nicht überall umsetzbar. Andere Maßnahmen befinden sich jedoch noch in den Kinderschuhen. „Bei der Minderung des Abflusses von Wasser aus den Hängen sind wir noch am Punkt null“, sagte Jean-Paul Lickes, Direktor der Wasserverwaltung, dem „Lëtzebuerger Land“ kurz nach dem Hochwasser im Ernztal. Den „Punkt null“ habe man mittlerweile überschritten. Zumindest werde nun über pflanzliche Schutzstreifen, die einen Erdrutsch von Hängen verhindern sollen, nachgedacht. Diese würden in die neuen Landwirtschaftspläne integriert, so Luc Zwank heute.

Anpassung an den Klimawandel

Vor drei Jahren wurde zudem ein Klimaanpassungsplan verabschiedet. „Von den 42 Maßnahmen wurden 35 bereits zum Teil umgesetzt“, sagt Bruno Alves. Durch das Hochwasser könnten die Empfehlungen in diesem Bereich weiteren Aufwind bekommen, hofft der Beamte des Umweltministeriums. Dennoch können diese Maßnahmen nur bedingt gegen die Starkregenereignisse helfen.

„Der Hochwasserschutz ist stets auf ein bestimmtes Ereignis ausgelegt. Weitere Maßnahmen sind zwar möglich, doch die Kosten stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen“, sagt Luc Zwank. Dazu zählen etwa Schutzmauern oder Wasserrückhaltebecken. Diese technischen Lösungen sind nicht für Extremwetterlagen, wie im letzten Sommer, ausgelegt.

Wenn vor schweren Überschwemmungen überall rund um Luxemburg gewarnt wird, dann kann man schlecht davon ausgehen, dass sie nicht auch Luxemburg treffen.“Jeff Da Costa, Meteorologe

Umso wichtiger sind demnach eine korrekte Vorhersage und eine effiziente Krisenkommunikation, um die Schäden zu begrenzen. Doch hier gab es im Juli gleich mehrere Pannen. „Unsere Hochwassermodelle gehen noch von einer Welt ohne Klimawandel aus. Sie stoßen deshalb an ihre Grenzen“, sagt Laurent Pfister.

Die Ereignisse der letzten Jahre würden sich maßgeblich von früheren Überschwemmungen unterscheiden, so der Hydrologe weiter. „Im Ernztal konnte der Boden die Wassermassen in so kurzer Zeit nicht aufnehmen. So etwas erwartet man eher in der Mittelmeerregion.“ Zudem sei es selbst mit besseren Daten schwierig, eine Voraussage zu treffen, wo genau der Starkregen fällt. „Ein Wetterradar ist in einer solchen Situation kaum hilfreich, da der Starkregen wie eine Wand alles hinter sich verdeckt. Wir können dann nicht wissen, ob es hinter dieser Wand noch schlimmer wird“, erklärt Laurent Pfister.

Pepinster in der Nähe von Lüttich: Zwei Wochen nach den Überschwemmungen waren die enormen Schäden noch klar sichtbar. (Foto: Thierry Hebbelinck/Shutterstock.com)

Es ist eine Einschätzung, die allerdings nicht von allen Wissenschaftlern geteilt wird. „Die Europäische Flutwarnbehörde warnte die Behörden der Nachbarländer schon fünf Tage vor den Ereignissen. Wenn vor schweren Überschwemmungen überall rund um Luxemburg gewarnt wird, dann kann man schlecht davon ausgehen, dass sie nicht auch Luxemburg treffen“, sagt Jeff Da Costa im Gespräch mit Reporter.lu. Der Meteorologe forscht an der Universität Reading unter der Leitung von Hannah Cloke, einer der Gründerinnen der Europäischen Flutwarnbehörde.

Auch haben die Hochwasserrisikokarten nur bedingt ihren Nutzen. „Ich bezweifele, dass die meisten Menschen in den Hochwassergebieten überhaupt von den Karten wussten. Es ist nicht an ihnen, sich selbst über diese zu informieren, sondern die Pflicht der Regierung“, so Jeff Da Costa.

Unabhängige Untersuchung unerwünscht

Laut einem Bericht der Regierung hätten die nationalen Behörden jedoch erst am 14. Juli vor einer Überschwemmung der Mosel und der Sauer gewarnt. Zu dem Zeitpunkt habe die Wasserverwaltung bereits eine Warnung herausgegeben. Demnach sei es nicht möglich gewesen, früher auf die kommende Katastrophe aufmerksam zu machen. Im Bericht heißt es zudem, dass die Meldung „in keinem Fall auf die potenzielle Gefahr hinwies“.

Dieser Darstellung widerspricht Jeff Da Costa. „Wenn die Europäische Flutwarnbehörde eine Warnung der höchsten Kategorie sendet, heißt das, dass eine lebensbedrohliche Gefahr besteht“, so der Experte der Universität Reading.

Während in Deutschland und Belgien im Parlament Untersuchungsausschüsse eingerichtet werden, passiert in Luxemburg nichts.“Jeff Da Costa, Meteorologe

Die Regierung gesteht jedoch kaum Fehler ein. Die staatliche Warn-App habe etwa keine Meldung verschickt, hält der besagte Bericht fest. „Das Problem ist eher, dass Menschen, selbst wenn sie gewarnt wurden, nicht glaubten, dass es so schlimm sein könnte“, meint Bruno Alves aus dem Umweltministerium. Zukünftig wolle man jedoch die Kommunikation verbessern. Dies sei auch Teil der Klimaadaptationsstrategie. Dort redet das Ministerium von einer „Weiterentwicklung“ des Warnsystems und einer besseren Zusammenarbeit der Verwaltungen im Falle einer Krise.

Was tatsächlich an den besagten Tagen im Juli vor sich ging, soll nun das LIST aufarbeiten. Das Forschungsinstitut erstellte schon für frühere Hochwasser eine Analyse für das politisch zuständige Ministerium. Dabei stehen allerdings die meteorologischen Ereignisse im Vordergrund, eine kritische Analyse des Handelns der Regierung ist nicht Bestandteil der Untersuchung.

Dabei wäre eine solche Aufarbeitung der Fehler und Versäumnisse vonnöten, um bei kommenden Krisen daraus zu lernen. „Während in Deutschland und Belgien im Parlament Untersuchungsausschüsse eingerichtet werden, passiert in Luxemburg nichts“, kritisiert Jeff Da Costa. Ein entsprechender Antrag der Opposition, eine unabhängige Untersuchung durchzuführen, wurde von den Koalitionsparteien abgelehnt.

Somit schreitet die Anpassung an den Klimawandel und an dessen mitunter desaströse Folgen weiter langsam voran. Bei der nächsten Katastrophe braucht es dann allerdings wohl wieder ein Wunder.


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