Spätestens seit dem Hochwasser von Mitte Juli ist klar: Die Erschließung von Bauland steht in Konkurrenz zum Hochwasserschutz. 2018 wurden die Richtlinien für Neubauten angepasst. Doch bereits jetzt werden sie den Herausforderungen des Klimawandels nicht gerecht.
Vielfach wurden die Bilder in den sozialen Medien geteilt. Fotos, wie jenes aus Reisdorf: Es zeigt einen Bauzaun mit Werbung für zwei Doppelhaushälften, die dort entstehen sollen – fast vollständig überflutet. Oder jenes Bild aus Steinsel, auf dem das zukünftige Areal des Neubaugebiets „Op den Aulen“ komplett unter Wasser liegt. Entlang der Alzette und der Sauer wiederholten sich solche Bilder beim Hochwasser Mitte Juli in fast jeder Ortschaft. So stand etwa auch in Bettendorf ein erst kürzlich fertiggestellter Wohnkomplex unter Wasser. Daneben entstehen bereits die nächsten Neubauten.
Vor allem eine Frage werfen die Bilder auf: Wieso wird in nachweislichen Überschwemmungsgebieten überhaupt gebaut? Eine Frage, die mit dem Anfang August vorgestellten IPCC-Bericht noch einmal an Dringlichkeit gewinnt. Denn in seinem Ausblick für Westeuropa ist der Klimabericht des UN-Gremiums eindeutig: Starkregenereignisse und Überschwemmungen werden zunehmen.
Die Erklärung hierfür ist physikalisch einfach nachvollziehbar. Mit jedem Grad mehr kann die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Dadurch werden natürliche Starkregenereignisse verstärkt. Eine Tendenz, die in Westeuropa bereits jetzt zu spüren ist, da die Region sich schneller erwärmt, als der globale Mittelwert steigt.
Genehmigung unter Vorbehalt
Es ist eine Entwicklung, die natürlich auch dem Wasserwirtschaftsamt bekannt ist. Der direkte Bezug zwischen einem Einzelereignis und dem Klimawandel sei zwar schwierig herzustellen, sagt Luc Zwank. „Dennoch ist eine Tendenz zu erkennen: Starkregenereignisse und extreme Niederschläge nehmen zu“, so der beigeordnete Direktor der Verwaltung weiter. In Folge des Klimawandels könne man etwa davon ausgehen, dass Hochwasserereignisse häufiger würden und die Zeitspanne zwischen den Ereignissen sich verkürze, erklärt der studierte Umweltwissenschaftler. Dieser Tendenz gelte es auch beim Bauen in Überschwemmungsgebieten Rechnung zu tragen.
Der Bau in einer Hochwassergefahrenzone folgt drei Prinzipien: Ausweichen, Anpassen, Widerstehen. Wobei Ausweichen die beste Lösung darstellt (…).“Luc Zwank, Wasserwirtschaftsamt
Denn generell verboten ist das Bauen in einem Hochwassergebiet in Luxemburg, wie auch in Teilen Deutschlands, nicht. Die Praxis wird über das Wassergesetz aus dem Jahr 2008 geregelt. Dieses hält in Artikel 39 fest, dass in einem Überschwemmungsgebiet gebaut werden darf. Allerdings nur, wenn einige Vorbedingungen erfüllt sind. So darf laut Gesetz etwa nur gebaut werden, wenn „(…) le volume de rétention perdu peut être compensé et s’il n’en résulte aucune augmentation du risque de dommages pour les personnes, les biens ou l’environnement liés à des inondations, ni à l’intérieur de la zone en question, ni dans des zones inondables situées en amont ou en aval.“
Die Hochwassergefährdung bestehender Gebäude darf in dem Gebiet demnach durch einen Neubau nicht erhöht werden. Zudem muss das durch den Neubau versiegelte Gebiet an anderer Stelle durch Renaturierung oder ähnliche Maßnahmen ausgeglichen werden.
Hochwasserrisiken sind bekannt
Außerdem unterliegen Bauvorhaben in Überschwemmungsgebieten der Genehmigungspflicht durch Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng). In der Praxis prüft das im Umweltministerium angesiedelte Wasserwirtschaftsamt die Bauvorhaben. Orientierung bieten bei dem Verfahren zwei Dokumente.
Einen Ausblick über die allgemeinen Hochwassergefahren in Luxemburg liefert der sogenannte Hochwasserrisikomanagement-Plan. Der Plan wird alle sechs Jahre überarbeitet. Aktuell liegt der Plan für den Zeitraum 2021-2027 zur öffentlichen Begutachtung aus. Er sieht unter anderem erstmals die Möglichkeit vor, staatliche Förderung für technischen Hochwasserschutz an Gebäuden zu beantragen.
Dem Dokument zugrunde liegen Hochwasser- und Starkregenmodellierungen durch das Wasserwirtschaftsamt. „Das Hochwasser aus dem Juli hat uns erlaubt, unsere Berechnungen mit der Realität abzugleichen. Und die ersten Ergebnisse zeigen, dass unsere Modelle relativ genau sind,“ erklärt in diesem Zusammenhang der beigeordnete Direktor der „Administration de la gestion de l’eau“, Luc Zwank.
„Ausweichen, anpassen, widerstehen“
Während der Hochwasserrisikomanagement-Plan Aufschluss über die Überschwemmungsgefahr im Land gibt, ist beim Bau in möglichen Flutgebieten ein weiteres Dokument relevant: Der Leitfaden für Bauvorhaben innerhalb von Überschwemmungsgebieten. „Der Bau in einer Hochwassergefahrenzone folgt drei Prinzipien: Ausweichen, Anpassen, Widerstehen. Wobei Ausweichen die beste Lösung darstellt, etwa durch eine Stelzenbauweise“, betont Luc Zwank. In der Praxis würden sich Bauherren aber vorrangig an den zwei anderen Prinzipien orientieren, so seine Beobachtung.
Gängig sind in diesem Zusammenhang etwa der Verzicht auf eine Unterkellerung und die Verwendung wasserbeständiger Materialien beim Bau. Vor Baubeginn muss der Bauträger ein Planungsbüro beauftragen, welches die Auswirkungen von verschiedenen Hochwasserszenarien auf das Bauvorhaben aufzeigt. Tut der verantwortliche Unternehmer dies nicht, riskiert er einen Baustopp.

„In der Vergangenheit haben wir bereits mehrmals einen Baustopp verhängt, wenn der Hochwasserschutz nicht angepasst war. Dies war besonders bei Tiefgaragen der Fall, die bei Hochwasser schnell zu einer Todesfalle werden können,“ berichtet Luc Zwank. Die Entscheidung, ob man überhaupt in einem Hochwassergebiet bauen sollte, müsse jedoch letztlich jeder Bauherr für sich treffen. „Ein Bau in einem Überschwemmungsgebiet birgt in jedem Fall ein höheres Schadenspotenzial, als wenn man in einem anderen Gebiet baut, dessen muss sich jeder bewusst sein.“
Viele Schäden in Millionenhöhe
Wie groß dieses Schadenspotenzial an den Flüssen des Landes ist, zeigen erste Berechnungen, die das Wasserwirtschaftsamt für die Aktualisierung des Hochwassermanagement-Plans erstellt hat. Bei einem „Jahrhundert-Hochwasser“ (HQ100), also einem Hochwasser, das statistisch gesehen alle hundert Jahre vorkommt, gehen die Berechnungen davon aus, dass an der Alzette Schäden in Höhe von 40 Millionen Euro entstehen könnten. An der Sauer geht man von 57 Millionen Euro aus, an der Mosel sogar von 84 Millionen Euro. Der Verband der luxemburgischen Versicherungsgesellschaften bilanziert das Hochwasser im Juli mit einer versicherten Schadenssumme von insgesamt 120 Millionen Euro. Allein für Gebäudeschäden gingen bei den Versicherungen 6.000 Anträge ein, weitere 1.000 für Schäden an Fahrzeugen.
Grundsätzlich versichern die Gesellschaften auch Gebäude, die in Überschwemmungsgebieten liegen. Laut Marc Hengen, Geschäftsführer der „Association des Compagnies d’Assurances et de Réassurances du Grand-Duché de Luxembourg“ (ACA), gibt es jedoch Unterschiede bei den Policen: „Seit 2017 haben sich alle Versicherungsgesellschaften dazu verpflichtet, für alle Haushalte eine Katastrophen- und Flutversicherung anzubieten. Liegt die Immobilie in einem Überschwemmungsgebiet, ist man bis zu einer Schadenssumme von 20.000 Euro versichert, tut sie das nicht, liegt die maximale Versicherungssumme bei 200.000 Euro.“
Zudem seien deutliche Preisunterschiede beim Abschluss der Versicherung üblich, wenn das Objekt in einem Überschwemmungsgebiet liege, erklärt Marc Hengen. Dies sei jedoch je nach Versicherung unterschiedlich.
Im Innenministerium ist man sich des Schadenspotenzials von Hochwasser ebenfalls bewusst. Das liegt allein schon daran, dass mit der Bewilligung der allgemeinen Bebauungspläne (PAG) der Gemeinden ein zentrales Steuerungselement beim Hochwasserschutz unter die Kompetenz des Ministeriums fällt. Denn das Innenministerium entscheidet darüber, ob neues Bauland in einem Überschwemmungsgebiet bewilligt wird.
Renaturierung als Kompensation
Auf Nachfrage von Reporter.lu betont das Ministerium, dass Neubaugebiete nur bewilligt würden, wenn sie aus landesplanerischer Sicht absolut notwendig seien. Zum Beispiel, wenn die betroffenen Flächen zentrumsnah liegen oder, wie im Fall der Nordstad, die Flächen gebraucht würden, um die zukünftige Stadt zu erschließen. „Bisher hat das Innenministerium jedoch noch keinen Bebauungsplan einer Gemeinde wegen Neubaugebieten in Überschwemmungsgebieten abgelehnt,“ erklärt eine Sprecherin des Ministeriums.
Beim Wasserwirtschaftsamt setzt man neben baulichen Vorgaben auch auf Renaturierungen und Kompensationsprogramme. So auch beim zukünftigen Neubaugebiet „Op den Aulen“ in Steinsel. Denn die Genehmigung für die Erschließung dieses Baulands geht mit einem Renaturierungsprojekt der Alzette zwischen der Hauptstadt und Mersch einher. Konkret erwähnt wird dieses Projekt der Gemeinde im Maßnahmenkatalog des neuen Hochwasserrisikomanagement-Plans, unter der Rubrik „Hochwasserkompensationskonzept Steinsel“.
Dort heißt es: „In diesem Projekt soll untersucht werden, wie Wohnungsbau in Überschwemmungsgebieten und die Renaturierung der Alzette verbunden werden können. Ziel ist hochwasserfreies Bauland zu schaffen. Dies soll zum einen durch die Renaturierung geschehen, von welcher sich eine Absenkung der Wasserstände erhofft wird.“ Zum anderen soll laut dem Konzept untersucht werden, „ob etwaige Erhöhungen des Geländes im Überschwemmungsgebiet anhand der Renaturierung und zusätzlichen Erdabtrag im Umland ausgeglichen werden können.“
Ob diese Konzepte und Maßnahmen am Ende ausreichen, darüber entscheidet spätestens das nächste Hochwasser an der Alzette. Und das kommt tendenziell eher früher als später.