Die Einkommensteuer der Grenzgänger fließt in die luxemburgische Staatskasse. Und obwohl die Grenzgebiete ihren Anteil einfordern, beharrt Luxemburg auf seinem Standpunkt. Dabei gäbe es gute Gründe, das System etwas gerechter zu gestalten.
„Die Mitglieder der Kommission des Europarats machen den Eindruck, als wollten sie den luxemburgischen Premierminister Bettel dazu zwingen, die Weihnachtsbeleuchtung in Villerupt zu bezahlen“, schreibt der Bürgermeister der Grenzstadt, Alain Casoni, in einer Pressemitteilung. „Plus sérieusement“ gehe es aber um einen unlustigen Sachverhalt, nämlich um die „Ungerechtigkeit“ in der Verteilung des Reichtums, der in Luxemburg nicht zuletzt durch die Arbeit von Grenzgängern erreicht wird.
Jetzt könnte man sich fragen: Warum will Xavier Bettel nicht für die Weihnachtsdekoration französischer Grenzortschaften zahlen? Er wolle das Geld lieber in die Verbesserung des Alltags der Grenzgänger investieren anstatt zur Finanzierung der Festdekoration beizutragen, sagte der Premier letztes Jahr während des Staatsbesuchs in Frankreich. Dass das Geld eher für den Ausbau von Straßen oder für die Errichtung von Kitas von Gemeinden genutzt würde, das verschwieg der Staatsminister lieber.
Ähnlich polemisch äußerte sich der Bürgermeister von Metz, Dominique Gros: Die Grenzgänger würden „mit dem Mercedes über Schlaglöcher“ fahren. Der Streitpunkt ist dagegen nicht neu: Luxemburg erhebt die Einkommensteuern der Grenzgänger und will davon nichts an die Gemeinden der Nachbarländer abgeben.
Grenzgemeinden wollen ein Stück vom Kuchen
Die Grenzgänger nutzen die öffentlichen Infrastrukturen und Dienstleistungen dort, wo sie wohnen – in Frankreich, Belgien oder Deutschland. Die Ungleichheiten in den unterschiedlichen Grenzgebieten der Großregion sind aber zum Teil groß. „Besonders in den Gemeinden, in denen der Grenzgänger-Anteil über 60 Prozent beträgt, wird es eng mit den Infrastrukturen“, sagt Estelle Evrard, Forscherin am „Institut für Geographie und Raumplanung“ der Uni Luxemburg.
Es scheint uns dringend, mit Luxemburg ein Abkommen über eine steuerliche Kompensation zugunsten der französischen und deutschen Gebiete zu finden.“Auszug aus einem Brief vom 20. Mai an Macron und Merkel
Dominique Gros, Bürgermeister von Metz hat es ausgerechnet: 200 Millionen Euro würden seiner Meinung nach jährlich den französischen Grenzgebieten zustehen. Er bezieht sich dabei auf das Schweizer Modell. Dort fließen 3,5 Prozent der Brutto-Lohnsumme aus dem Genfer Kanton nach Frankreich.
„Es scheint uns dringend, ein Abkommen über eine steuerliche Kompensation zugunsten der französischen und deutschen Gebiete zu finden“, schreiben der Metzer Bürgermeister, sein Trierer Kollege Wolfram Leibe sowie zwei deutsche Landräte in einem Brief vom 20. Mai 2019 an Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel. Sie appellieren an ihre Staats- bzw. Regierungschefs, gemeinsam zu intervenieren, um sich für die Belange der Grenzregionen einzusetzen.
Die Kaufkraft als Totschlagargument
Die Kaufkraft der Grenzgänger bringt dabei bereits einen Mehrwert in die Grenzregion. Unter anderem mit solchen Aussagen begründet die luxemburgische Seite die Wahrung des Status quo. Die Ministerin für die Großregion Corinne Cahen (DP) hat in diese Richtung argumentiert, Transportminister François Bausch (Déi Gréng) auch.
Die Unterzeichner des Briefes leugnen dies nicht: Die Grenzgänger geben den Großteil ihres Lohnes an ihrem Wohnort aus. Und bringen somit eine beachtliche Kaufkraft in die Region, die der lokalen Wirtschaft zu Gute kommt: Dieses Argument greift auch Vincent Hein von der „Fondation Idea“ auf. Anschaulich sei es am Beispiel der Gegend von Longwy: Zwei Drittel der gesamten Lohnsumme stamme aus Luxemburg. Damit wird aber auch deutlich, wie abhängig Teile des Grenzgebiets vom luxemburgischen Arbeitsmarkt sind.
Es ist offensichtlich, dass Menschen, die in einem Land leben und in einem anderen arbeiten, in beiden Ländern Kosten verursachen.“Claude Haegi, FEDRE
Als weiteres Argument gegen einen steuerlichen Ausgleich wurde von den Ministern Bausch und Cahen angeführt, dass das Geld nicht in der Region ankommen würde, sondern in Paris. Laut „Paperjam“ hatte die Ministerin noch am 22. Mai 2019, zwei Tage nach der Publikation des Briefes, eine solche Aussage gemacht. Und daraufhin verwiesen, dass gemeinsame Infrastrukturprojekte sinnvoller wären als pauschale Zahlungen. Auf Nachfrage von REPORTER wollte sich Corinne Cahen Anfang Juni nicht mehr zum Thema äußern. Die Frage des Steuerausgleichs falle nicht in den Kompetenzbereich des Ministeriums für die Großregion.
Doch auch wenn die Einkommenssteuer in Frankreich zentral und seit dem 1. Januar 2019 an der Quelle erhoben wird, könnte ein Ausgleichsabkommen durchaus anders ausgezahlt werden und somit direkt in die Kommunen fließen, je nach Anzahl von Grenzgängern.
Steueraufkommen der Gemeinden am Limit
Momentan fließen in die Gemeindekassen vor allem lokale Steuern und staatliche Zuwendungen. Diese Steuern werden als Argument gegen eine steuerliche Kompensation aufgeführt, zum Beispiel von Vincent Hein von der „Fondation Idea“. In Frankreich gehört die Wohnraum-, Gewerbe – und die Grundsteuer dazu. Zumindest erstere soll aber bald der Vergangenheit angehören: Der französische Präsident will die Wohnraumsteuer abschaffen. Damit würde das Gemeindebudget weiter schrumpfen.
In den deutschen Grenzkommunen muss die Grundsteuer die fehlenden Einkommenssteuer-Einnahmen kompensieren. Der Landrat Joachim Streit (Eifelkreis Bitburg-Prüm) hat den Brief an die Regierungschefs mit unterschrieben, vor allem weil er ein „Band der Armut“ entlang der Grenze feststellt. Mit der steigenden Bevölkerung werde es immer schwieriger, die Differenz an Einnahmen auszugleichen.
Es seien die kleinen Ortsgemeinden an der Grenze zu Luxemburg mit einer hohen Anzahl an Pendlern, die trotz gleich hoher Ausgaben, weniger finanzielle Mittel vom Bund und den Ländern erhalten würden, so der Landrat weiter. Der Grund sind die fehlenden Einkommenssteuern der Grenzgänger, die somit auch nicht an die Gemeinden verteilt werden können. Als naheliegende Lösung haben letztere die Grundsteuern erhöht.
Benachteiligt innerhalb einer entwickelten Region
In Lothringen hat die lokale Wirtschaft sich bis jetzt nicht wirklich von der Deindustrialisierung erholt und die Vergangenheit prägt bis heute die Region: Die Gegend gilt nach internationalen Maßstäben als benachteiligt innerhalb einer entwickelten Region. An privaten und öffentlichen Investitionen hat es seit dem Verschwinden der Industrie massiv gefehlt.

Heute zeigt sich die Ungleichheit vor allem im öffentlichen Gesundheitswesen und im öffentlichen Transport. Die in der Region ausbildeten Fachkräfte wechseln in luxemburgische Krankenhäuser und hinterlassen Lücken in Lothringen. Zudem kommen die öffentlichen Infrastrukturen wie Straßen, Wasserversorgung, Turnhallen und Abwasser in die Jahre. Die staatlichen Zuwendungen für die Gemeinden nehmen jedoch seit Jahren ab. Im Gegensatz dazu nimmt die Bevölkerung zu. Die Ortschaften drohen zu reinen Schlafstätten zu werden, da der Standort Luxemburg für Unternehmen nicht nur aus steuerlicher Hinsicht attraktiver ist, sondern auch aufgrund der Infrastrukturen.
Auch Pendler brauchen Kitas
In den kleinen Grenzdörfern arbeiten zwischen 50 und 100 Prozent der Einwohner im Nachbarland. Im Eifelkreis Bitburg-Prüm gibt es insgesamt 9.200 Pendler. Unter der Gesamtbevölkerung von fast 100.000 Menschen, befinden sich 27.000 Beschäftigte. Die Grenzgänger machen somit ein Drittel der Beschäftigten aus. Der Kreis erhält zwar nur einen Teil der Einnahmen aus der Einkommensteuer der Einwohner, aber der fehlende Anteil der Grenzpendler mache sich bemerkbar, so der Landrat Joachim Streit.
Die Belastung für die Gemeinden ist also hoch, hinzukommen die Zugezogenen aus Luxemburg und aus anderen Ländern. Im Eifelkreis Bitburg-Prüm leben etwa 1.000 Personen mit luxemburgischer Staatsbürgerschaft. Die meist jungen Familien beanspruchen die Infrastrukturen freilich genauso wie die restlichen Pendler: Kindergärten, Schulen, Kultur- und Sporteinrichtungen. Die Finanzierung von Kindertagesstätten gestaltet sich als besonders schwierig, weil die Gemeinden sie selbst übernehmen müssen.
Die Anzahl der Grenzgänger wächst weiter
Insgesamt kommen jeden Tag fast 200.000 Grenzgänger nach Luxemburg arbeiten. Je 45.000 fahren fast täglich aus Belgien und Deutschland ins Großherzogtum. Die meisten Grenzgänger kommen jedoch aus Frankreich: je nach Rechnung ist die 100.000 Marke bereits erreicht oder zumindest in Reichweite. Luxemburg ist nach der Schweiz das Land, das am meisten Grenzgänger empfängt. Die Pendler machen im Großherzogtum rund 46 Prozent der Beschäftigten aus.
Ausnahmeregeln für Grenzregionen
In der Regel hat die OECD festgehalten, dass Einkommensteuern dort zu zahlen sind, wo gearbeitet wird. An dieses Prinzip hält sich Luxemburg strikt: Das Einkommen der Grenzgänger wird weiterhin in Luxemburg besteuert, obwohl in den meisten europäischen Grenzregionen Ausnahmeregeln gelten. Die französischen Grenzgänger in Deutschland etwa zahlen ihre Einkommensteuer im Land ihres Wohnsitzes. 40 Prozent dieser Einnahmen gehen aber zurück an Deutschland. Diese Grundhaltung wünsche er sich für ganz Europa, sagt Claude Haegi, Präsident der „Fondation européenne pour le dévoloppement durable des régions“ (FEDRE).
EU-weit gibt es keine Steuerregelungen für Bürger, die ihren Wohnsitz und ihre Erwerbstätigkeit in zwei verschiedenen Ländern haben. Einzig mit Belgien hat Luxemburg einen Steuerausgleich vorgesehen. „Es ist offensichtlich, dass Menschen, die in einem Land leben und in einem anderen arbeiten, in beiden Ländern Kosten verursachen“, sagt Claude Haegi weiter.
Wenn Luxemburg so fair gewesen wäre wie die Schweiz, dann würde sich der Norden Lothringens nicht in solchen einem Zustand des Zerfalls befinden“Louis-François Reitz, Stadt Metz
In der Schweiz ist die Lage von Kanton zu Kanton verschieden. In Genf zahlen die Grenzgänger ihre Einkommenssteuer in der Schweiz. Aber 3,5 Prozent der Brutto-Lohnsumme kommen dem Departement und zu einem größeren Teil den Gemeinden in Frankreich zu Gute. Das Schweizer Beispiel dient auch den französischen Ausgleichsforderungen als Modell: „Wenn Luxemburg so fair gewesen wäre wie die Schweiz, dann würde sich der Norden Lothringens nicht in solchen einem Zustand des Zerfalls befinden“, sagte Louis-François Reitz, Verantwortlicher bei der Stadt Metz, gegenüber „swissinfo“.
Räumliche Gerechtigkeit
„Unter den lokalen Entscheidungsträgern gibt es ein geteiltes Ungerechtigkeitsgefühl, nicht Herr über das Schicksal der eignen Region zu sein“, sagt Estelle Evrard. Das hat die Forscherin in ihren zahlreichen Gesprächen für ihr Projekt „Relocal“ mit den Menschen aus Nord-Lothringen festgestellt.
Für Estelle Evrard spielt das Konzept der räumlichen Gerechtigkeit eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang verweist sie auf die Bedeutung einer koordinierten Entwicklung der Großregion. Dabei sei nicht nur die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ausschlaggebend, sondern auch die finanziellen Mittel der Gemeinden: „Der steuerliche Aspekt ist lediglich ein Bestandteil. Ein Ausgleich würde aber mit zu einer Umverteilung beitragen“, sagt die Forscherin.
Mit der Umsetzung einer steuerlichen Kompensation könnte es auch zur Wiederherstellung des Gleichgewichts in der Region kommen. Die französischen und deutschen Grenzgebiete verstehen nicht, warum die belgischen Grenzgemeinden jährlich Millionen an Einkommensteuern erhalten und sie nicht.
Der Sonderfall Belgien
Denn lediglich Belgien hat im bilateralen Abkommen einen steuerlichen Ausgleich vorgesehen: Die 30 Millionen Euro pro Jahr kommen über einen speziellen, im Jahr 2001 eingerichteten Fonds „Juncker-Reynders“ den grenznahen Gemeinden zugute. Belgien genießt aufgrund der gemeinsamen Geschichte in der wirtschaftlichen Union seit 1922 einen speziellen Status und seit 2002 sorgt der Fonds für einen steuerlichen Ausgleich.
Konkret heißt das, dass zum Beispiel die Gemeinde Arlon 14 Prozent ihres Gemeindehaushalts aus dem Fonds „Juncker-Reynders“ bezieht. Dennoch sei dieses Abkommen nicht einfach auf andere Länder übertragbar: „Die Zahlungen an Belgien sind ein Sonderfall und sollten auch als ein solcher vor seinem historischen Hintergrund verstanden werden“, sagte Christian Wille, Sozialwissenschaftler der Universität Luxemburg gegenüber dem „Trierischen Volksfreund“.
Angesichts der anderen Grenzregionen in Europa kann freilich auch anders argumentiert werden: Steuerausgleiche sollten in Grenzregionen die Regel sein. Sonderfälle wären damit die Beziehungen mit Deutschland und Frankreich, die keinen steuerlichen Ausgleich vorgesehen haben.
Luxemburgs Regierung schweigt
Vom jüngsten Brief fühlt sich die Regierung nicht angesprochen, schließlich ist dieser an die Staatschefs der Nachbarländer gerichtet und nicht an Luxemburg, heißt es. Aber der Druck wird in den kommenden Jahren wohl nicht abnehmen.
Eine parlamentarische Anfrage der LSAP-Abgeordneten Mars di Bartolomeo und Alex Bodry liegt vor. Darin wird die Regierung aufgefordert, ihren Standpunkt zu begründen. Auf internationaler Ebene fordert der Präsident des EU-Ausschusses der Regionen, Karl-Heintz Lambertz, eine bessere steuerliche Verteilung in den Grenzgebieten. Damit ist auch Luxemburg angesprochen.
Weitaus unpolemischer als Premierminister Xavier Bettel äußert sich dagegen das luxemburgische Finanzministerium. „Die Frage nach einem Steuerausgleich habe sich in der Form bisher nicht gestellt“, so ein Sprecher von Finanzminister Pierre Gramegna auf Nachfrage von REPORTER. Im Kern laufen alle Minister-Reaktionen aber auf das Gleiche hinaus: Die luxemburgische Seite sieht nach wie vor keinen akuten Handlungsbedarf.
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