Luxemburg will Vorreiter in Menschenrechtsfragen sein. Auch Unternehmen sollen ihrer Verantwortung gerecht werden. Doch die Arbeitgeber scheuen ein Gesetz. Und auch das hiesige Wirtschaftsmodell verhindert, dass aus den guten Absichten eine verbindliche Politik wird.

Wie sehr interessieren sich Luxemburger Unternehmen für Menschenrechte? Wie ernst nehmen sie ihre diesbezügliche Verantwortung? Misst man die Frage daran, wie viele Menschen jüngst einer Debatte zum Thema beiwohnten, zu der der Unternehmerverband UEL und das Wirtschaftsministerium geladen hatten, dürfte die Antwort lauten: sehr ernst.

Doch der Tenor war ein anderer. UEL-Präsident Nicolas Buck stellte gleich zu Beginn klar: Luxemburgs Unternehmen sind für eine Sorgfaltspflicht in puncto Menschenrechte – aber nur solange es bei einem freiwilligen Engagement bleibt. Verbindliche Vorgaben akzeptiere man nur auf europäischer oder internationaler Ebene. Alles andere schade Luxemburgs Wettbewerbsfähigkeit.

Dass die Aktivitäten von Unternehmen Menschenrechte verletzen können, ist längst bekannt. Mit der wachsenden Globalisierung werden auch Produktionswege und Lieferketten immer komplexer. Damit steigt die Gefahr, dass die Rechte des Einzelnen missachtet werden: etwa durch Landraub, unrechtmäßige Arbeitsverhältnisse, Kinderarbeit oder den Kauf von Konfliktmineralien. Dennoch geht Luxemburg diese Frage nur zögerlich an.

Konsens statt Gesetz

« Vor einigen Jahren war der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Menschenrechte kein Thema. Heute wird zumindest darüber geredet », lautete bei der besagten Debatte das Fazit. Luxemburg lobt sich, 2018 einen ersten Aktionsplan für Menschenrechte und Unternehmen aufgestellt zu haben. Die Prinzipien, die darin festgehalten werden, sind an die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte angelehnt, denen sich Luxemburg verschrieben hat.

Wir können nicht dauernd nur abwarten. Von schönen Worten können sich die Betroffenen nichts kaufen. »Stéphanie Empain, Déi Gréng

Luxemburgs Plan setzt vor allem auf Dialog und Sensibilisierung. Rechtlich bindende Maßnahmen und Pflichten gibt es für die hier ansässigen Betriebe nicht, wie die « Commission consultative des droits de l’homme » (CCDH) in einer rezenten Stellungnahme kritisiert.

Das liegt auch daran, dass der Aktionsplan auf den Konsens zwischen Vertretern von Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorganisationen sowie von Gewerkschaften und Unternehmen setzt. Die Liste an Punkten, über die man sich nicht einig wurde, zeigt, inwiefern sich die Akteure gegenseitig blockieren. Menschenrechtler und Gewerkschaften wollen ein Gesetz. Der Privatsektor nicht. Bisher führt kein Weg aus dieser Sackgasse.

Vorerst abwarten

Dabei wurde die Idee eines nationalen Gesetzes 2018 sogar in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Dort steht: « la possibilité de légiférer sur le devoir de diligence pour les entreprises domiciliées au Luxembourg sera étudiée. » Laut Informationen von REPORTER hat die Regierung inzwischen eine Studie in Auftrag gegeben. Sie schafft jedoch lediglich einen Überblick darüber, wie die Betriebe zu Menschenrechten stehen.

Ganz wie von der UEL gefordert, setzt Luxemburg vorerst auf eine länderübergreifende Lösung: Ein EU-Vorschlag ist nächstes Jahr zu erwarten. Die Vereinten Nationen arbeiten an einem Vertrag zu Wirtschaft und Menschenrechten. Luxemburg unterstütze diese Prozesse, betont das Außenministerium.

Dabei dürfte ein nationales Gesetz sogar bei den Abgeordneten auf Konsens stoßen. Anlässlich der Debatte zur Kooperationspolitik im vergangenen Mai sprachen sich sowohl die Regierungsparteien als auch die CSV für rechtlich verbindliche Regeln aus. « Wir können nicht dauernd nur abwarten. Von schönen Worten können sich die Betroffenen nichts kaufen », sagt etwa Stéphanie Empain (Déi Gréng) im Gespräch mit REPORTER.

Gesetz könnte auf Wettbewerbsfähigkeit eingehen

Andere Länder sind da schon weiter. In Frankreich gibt es seit 2017 ein Gesetz über die Sorgfaltspflicht von multinationalen Konzernen. Finnland arbeitet an einem ähnlichen Text. Und die Niederlande hat gerade erst ein Gesetz zum Kampf gegen Kinderarbeit erlassen.

Das Argument des « level playing field » der Behörden und Wirtschaftsakteure greift demnach nur bedingt. Es stimmt, dass Luxemburg viele Klein- und Mittelbetriebe hat, für die ein Gesetz eine Umstellung darstellt. Doch ähnlich wie in Frankreich, könnte ein nationales Gesetz zum Beispiel die Größe der Betriebe berücksichtigen oder sich auf Risikosektoren konzentrieren. « Man könnte positive Impulse setzen, etwa über Subventionen oder indem man die Sorgfaltspflicht als Kriterium bei öffentlichen Ausschreibungen einführt », schlägt etwa der OGBL-Zentralsekretär Jean-Claude Bernardini vor.

« Möglichkeiten gäbe es einige, sofern der politische Wille da ist », sagt auch Antonyia Argirova von  « Action Solidarité Tiers-Monde » (ASTM). Sie betreut die Luxemburger Plattform zur Sorgfaltspflicht, an der sich mehrere Luxemburger NGOs beteiligen.

Das Problem des Luxemburger Wirtschaftsmodells

Problematisch ist jedoch auch das luxemburgische Wirtschaftsmodell: Auch nach Luxleaks haben eine Vielzahl an Unternehmen und Holdings ihren Sitz im Großherzogtum. Wie viele von ihnen in Betriebe investieren oder Firmen kontrollieren, die direkt oder indirekt in Menschenrechtsverletzungen involviert sind, lässt sich kaum feststellen.

Zudem gelangen nur wenige Fälle überhaupt an die Öffentlichkeit. Darunter das Vorgehen des Palmölriesen « Socfin », der wegen Landraub und schlechten Arbeitsbedingungen regelmäßig in der Kritik steht. Oder die Firma « Q Cyber Technologies »: Deren israelische Filiale « NSO Group » entwickelte die Spionagesoftware, die zur systematischen Überwachung von Hunderten Aktivisten, Oppositionspolitiker und Journalisten genutzt wurde, darunter des ermordeten Journalisten Jamal Kashoggi.

Wie schwer sich solche Holdings und andere Firmenkonstrukte kontrollieren lassen, zeigt etwa die Arbeit der Luxemburger Kontaktstelle (PCN) der OECD. Sie vermittelt bei Beschwerden gegen multinationale Unternehmen, die im Verdacht stehen, die OECD-Leitsätze für eine verantwortungsvolle Firmenführung zu missachten. Sprich: Unternehmen, die ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigen. Die hiesige Kontaktstelle hat bisher eine Handvoll Fälle untersucht, darunter « Socfin ».

Keine Handhabe gegen Holdings

Gegen Holdings etwa könne man kaum vorgehen, sagte Tom Theves, Kabinettschef des Wirtschaftsministers Etienne Schneider, auf der UEL-Konferenz. Das Problem: Die Kontaktstelle kann lediglich bei Beschwerden eingreifen, die sich nach Luxemburg zurückverfolgen lassen. Die Unternehmen müssen also zumindest eine Betriebs- oder Entscheidungsstruktur in Luxemburg haben, die in Verbindung zu den Menschenrechtsverletzungen steht, die ihr vorgeworfen werden, erklärt das Wirtschaftsministerium auf Nachfrage.

Menschenrechtsorganisationen protestierten bei der Jahresversammlung des Palmölkonzerns Socfin in Luxemburg. (Foto: ASTM)

Kommt einmal ein Gesetz zur Sorgfaltspflicht, könnte sich Luxemburg an diesem Dilemma stoßen. « Man muss dort ansetzen, wo man etwas machen kann. Wieso sollte Luxemburg etwa intervenieren, wenn die Holding hier angesiedelt ist, der CEO aber in Frankreich sitzt? », heißt es aus von einem Beamten aus dem Außenministerium.

Angesichts der strengeren Steuerregeln, die nach Luxleaks in Kraft traten, ist unklar, wie lange Luxemburg dieses Argument geltend machen kann. Denn die Strukturen müssen, um gesetzlich konform zu sein, ein Minimum an Substanz und Entscheidungskompetenz im Land haben. Je nachdem, welche Aufgabe sie also übernehmen, um weiter von den Luxemburger Steuervorteilen zu profitieren, kann es schnell um Menschenrechte gehen.

Hinzu kommt ein moralisches Dilemma: Kann Luxemburg weiter Holdings und andere Strukturen anlocken und gleichzeitig auf Distanz gehen, wenn es um die Frage der Sorgfaltspflicht geht?

Einfaches Verschleiern

Die komplexen Firmenstrukturen und unübersichtlichen Verflechtungen machen es zudem vielfach unmöglich herauszufinden, welche Entscheidungen wo getroffen werden. Es besteht das Risiko, dass sich Holdings, Mutterfirmen, Filialen und Tochtergesellschaften einfach gegenseitig die Verantwortung zuschieben – und so jeglicher Sorgfaltspflicht entkommen.

Aktuelles Beispiel ist der bereits erwähnte Fall der Spionagefirma, die in den Mord Kashoggi’s verwickelt sein soll. So antwortet Jean Asselborn (LSAP) auf eine parlamentarische Anfrage von Déi Lénk: « Il n’est pas possible de déterminer si les activités de la filiale comportent un risque de violation de droits de l’homme en relation directe avec les activités, produits ou services d’une entreprise établie au Luxembourg. »

Aus diesem Grund warnen Menschenrechtsorganisationen vor Luxemburgs abwartender Haltung. « Verlässt sich Luxemburg auf ein europäisches Gesetz oder einen UN-Vertrag, wird dieses sehr allgemein gefasst sein. Es wird Luxemburgs Wirtschaftsmodell nicht Rechnung tragen », betont Antonyia Argirova von der ASTM.

Solange Luxemburg sich nicht an ein Gesetz wagt, könnte auch der nächste nationale Aktionsplan für Menschenrechte und Unternehmen nicht über den Minimalkonsens hinausgehen. Obwohl dieser bis Ende des Jahres fertig sein soll, steht zur Zeit nicht einmal ein erster Entwurf. Nichtregierungsorganisationen erhoffen sich konkretere Ziele und Engagements. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass auch dieser Plan nicht über freiwillige Engagements hinausgeht.


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