Der Kampf gegen Drogenkriminalität wirkt sich auch auf die Immigrationspolitik aus. Ein neues Gesetz soll Abschiebungen erleichtern und das Aufenthaltsrecht strenger regeln. Menschenrechtsorganisationen kritisieren eine einseitige und potenziell gefährliche Politik.

„Es geht darum, Leben zu retten im Mittelmeer, und den Menschen, die gerettet wurden, eine Chance zu geben. Das sind nur einige Tausende im Jahr“, meinte Außenminister Jean Asselborn (LSAP) beim EU-Ministertreffen in Luxemburg Anfang Oktober 2019. Luxemburgs Chefdiplomat sagte danach über die Vertreter der EU-Staaten, die sich nicht an der Solidarität mit den Flüchtenden beteiligen wollten: „Sie sollten sich schämen, Europäer zu sein.“

Ein Gesetzprojekt des Außenministeriums, das im vergangenen Sommer im Parlament eingereicht wurde, steht jedoch im Widerspruch zu den Werten, die der Minister öffentlich gerne hochhält. Der Text ist Teil eines größeren Maßnahmenpakets, das die Regierung im Oktober 2021 vorstellte. Das sogenannte „Paquet – problématique de la criminalité liée aux stupéfiants“ vereinigt die Ministerien für Justiz, Gesundheit, Inneres, Innere Sicherheit, Erziehung und Immigration. Das Paket soll eine Antwort im Kampf gegen die Drogenkriminalität darstellen. Nachdem die Opposition und die Gemeindeverantwortlichen der Hauptstadt einen immer größer werdenden Druck wegen der – ihrer Ansicht nach – unzumutbaren Zustände im Bahnhofsviertel ausgeübt hatten, stand die Regierung diesbezüglich unter Zugzwang.

Gesamtpaket gegen Polemiker

Das Rundumpaket sollte alle zufriedenstellen: Für die Befürworter einer liberaleren Drogenpolitik kam das Versprechen, dass es bald erlaubt werden sollte, bis zu vier Cannabis-Pflanzen im heimischen Garten zu züchten. Unterstützer eines präventiven Ansatzes sollten mit einem neuen Konzept zur Aufklärung in den Schulen, einem Jugendpakt und mehr niederschwelligen Auffangzentren für Süchtige beruhigt werden. Dass dieses Paket aber einher geht mit einer Verschärfung des Bleiberechts und der allgemeinen Bewegungsfreiheit von sogenannten „Drittstaatlern“ – sowie einer Ausweitung der Abschiebungsbefugnisse von Polizei und Justiz – blieb weitgehend unter dem Radar. 

„Das ist ein ‘Quartier Gare’-Gesetzestext“, kommentiert Frank Wies, Anwalt und Mitglied der konsultativen Menschenrechtskommission CCDH, den Entwurf im Gespräch mit Reporter.lu. Für ihn ist dieser Text klar „Asselborns Beitrag“ zum Paket: „Es liest sich wie eine Wunschliste der Verwaltung. Und da sich kein großer Widerstand zeigt, wird der Text wohl fast anstandslos durchgewunken werden.“ 

Als Erstes ist wichtig, zu betonen, dass dieses Gesetzprojekt kein Text gegen Ausländer als solche ist.Stellungnahme des Außenministeriums

So sollen in Zukunft Personen aus Drittstaaten nur noch eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, wenn sie von eigenen Ressourcen leben können, entweder durch Arbeit oder eine Rente. Eine großherzogliche Verordnung von 2008 bestimmt, ab welcher Summe pro Monat die Eigenmittel als genügend einzustufen sind. Die Verordnung ist nicht konkret, was die Details angeht. So müssen Bewerber alle möglichen Belege vorlegen, um ihre Liquidität – die am unqualifizierten Mindestlohn festgemacht wird – unter Beweis zu stellen, die Entscheidung geht aber letztlich aus einer „individuellen Untersuchung“ hervor.  

Besonders deutlich drückt es der Kommentar des Gesetzartikels zum Bleiberecht aus. Dieser sei nötig, um „die zunehmende Immigration von Angehörigen aus Drittstaaten zu bremsen, die einerseits keine Verbindung zu Luxemburg oder einem EU-Mitgliedstaat haben, andererseits nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, um ihre eigenen Bedürfnisse abzudecken“.

Der Grund: Sie würden „absolut keinen Mehrwert“ für die luxemburgische Wirtschaft darstellen. Das Außenministerium argumentiert sogar, dass durch diese Einwanderer aus Drittstaaten, die „strengen Auflagen“, die für eine Aufenthaltsgenehmigung für Investoren zu leisten sind, „umgangen werden“. Wer keine 500.000 Euro in eine lokale Firma bzw. drei Millionen in bestehende Fonds investiert oder gar 20 Millionen hier deponieren kann, bringt dem Großherzogtum also keinen Mehrwert. 

Bezahlschranke für Ausländer

Das Außenministerium versucht den Kommentar im Gesetzentwurf aber in ein anderes Licht zu stellen: „Es geht bei dieser Disposition im Gesetzestext um eine ganz bestimmte Kategorie von Personen, nämlich um Menschen mit viel Geld, die unter dem aktuellen Gesetz eine Aufenthaltsgenehmigung mit dem Titel ‘vie privée’ bekommen – in anderen Ländern spricht man von ‘Golden Visa’“, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber Reporter.lu. Außerdem sei es dem Ministerium „wichtig zu betonen, dass dieses Gesetzprojekt kein Text gegen Ausländer als solche ist.“ 

Es ist fraglich, zwei verschiedene Arten von Aufenthaltsgenehmigungen – die vie privée und investisseur – gegeneinander auszuspielen. Bei Ersterer musste bisher nur ein gewisser Vermögenswert nachgewiesen werden, um sich in Luxemburg niederlassen zu dürfen, bei der zweiten müssen Investitionen in die lokale Wirtschaft getätigt werden. Für das Außenministerium bedeutet das Abschaffen der vie privée-Genehmigung, dass Luxemburg sein Golden Visa »-Programm abgeschafft hätte.

Der Aufenthaltstitel als Investor ist demnach kein ‘Golden Visa’, das zu Recht umstritten ist, und gerade deshalb wollen wir das Gesetz in diesem Punkt ändern, heißt es in der Stellungnahme. Dies steht jedoch im Widerspruch zur gängigen Golden Visa-Praxis in anderen EU-Ländern, die solche Programme anbieten: Alle Aufenthaltstitel sind an die Bedingung geknüpft, in die Wirtschaft zu investieren. Firmen, die Pässe und Aufenthaltsgenehmigungen an reiche Investoren vermitteln, führen das Großherzogtum nach wie vor in ihrem Sortiment.

Immigration sollte nicht nur den wirtschaftlichen Interessen untergeordnet sein. »Sergio Ferreira, ASTI

Dass aber auch Schutzsuchende unter diese Bestimmung fallen würden, erwähnt der Sprecher von Jean Asselborn nicht. Die Ausländer-Organisation ASTI sieht das Gesetzprojekt kritisch: „Ich verspüre da ein gewisses Unbehagen“, so ihr politischer Direktor Sergio Ferreira im Gespräch mit Reporter.lu, „Immigration sollte nicht nur den wirtschaftlichen Interessen untergeordnet sein.“ Er bemängelt vor allem, dass die blau-rot-grüne Koalition es in fast zehn Jahren nicht geschafft hat, eine Vision für Migrationspolitik in Luxemburg zu entwerfen: „Wir sind immer noch bei der ‘Navigation à vue’“, meint Ferreira. 

Der Menschenrechtskommission CCDH bereitet der vorgeschlagene Text ebenfalls Unbehagen. „Es ist festzustellen, dass die Logik des Textes repressiv ist, und das bereitet mir große Sorgen. Von Bewegungsfreiheit im Titel zu sprechen, empfinde ich als Hypokrisie“, kommentiert Gilbert Pregno, Präsident der CCDH, den Vorschlag gegenüber Reporter.lu.

Kriminalisierung von Drittstaatlern

Für die CCDH sei ein „Vermischen von Mitgliedern der organisierten Kriminalität und Menschen, die schutzbedürftig sind, problematisch“. Gilbert Pregno weist auch auf die Problematik des Menschenhandels hin, bei dessen Bekämpfung Luxemburg nicht an der Spitze steht. Doch dieser wird im Text kein einziges Mal erwähnt. Die Kommission wurde auch nicht um eine Stellungnahme gebeten – obwohl das Gesetz grundsätzlich in die Menschenrechte in Luxemburg eingreift. Und die Menschenrechtskommission wird auch kein Gutachten abgeben – dafür sei sie zu überlastet. Man wolle lieber wenige ordentliche „Avis“ abgeben als zu viele schlechte, heißt es auf Nachfrage. Zahlen um die Korrelation zwischen Kriminalität und Migration zu untermalen, die im Text angedeutet werden, liefert das Ministerium auf Nachfrage nicht. 

Außenminister Jean Asselborns Pläne für das Bleiberecht und die Abschiebungen sind eine Abkehr von seiner bisherigen Politik. (Foto: Mike Zenari)

Die ASTI hingegen sei dabei, eine Stellungnahme vorzubereiten. Ob diese aber in die parlamentarischen Arbeiten einfließen wird, ist fraglich. Der schriftliche Bericht, mit den Stellungnahmen des Staatsrates und der Handelskammer, ist vergangene Woche im zuständigen parlamentarischen Ausschuss angenommen worden. „Falls aber noch ein Gutachten nachkommt, wird es im mündlichen Bericht erwähnt werden, oder, falls wirklich nötig, noch einmal in der Kommission besprochen”, versichert der Ausschussvorsitzende Yves Cruchten (LSAP) gegenüber Reporter.lu.

Kritik am Gesetzentwurf kommt auch von Catherine Warin von der Nichtregierungsorganisation „Passerell“, die sich dem Ministerium gegenüber bereits öfter kritisch äußerte. „Was uns beunruhigt, ist die Vermischung zwischen Menschen, die unter das Dublin-Verfahren fallen – also bereits in einem anderen Land Schutz beantragt haben und sich trotzdem in Luxemburg aufhalten – und Drogenkriminalität. Unsere Erfahrungen zeigen, dass diese Menschen oft hier sind, um den verheerenden Aufnahmebedingungen in verschiedenen EU-Staaten zu entkommen.“

Passerell macht sich auch Sorgen um andere Bestimmungen im Gesetz, wie etwa bezüglich der Bestrafung derjenigen, die sich nicht an ein ausgesprochenes Einreiseverbot halten. Der Einschätzung der NGO nach würde das Ministerium diese Maßnahmen nicht genügend begründen. Des Weiteren werde der verwendete Begriff von Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, um Abschiebungen und danach Einreiseverbote zu verhängen, zu nachlässig gehandhabt. 

Polizei auf Frontex-Standards

Für Frank Wies ist der Grund dieser härteren Bestimmungen dagegen klar: „Es geht um reine Abschreckung. Wenn die Polizei dich für gefährlich hält, kann sie dich stante pede über die Grenze setzen. Wenn du versuchst zurückzukommen, kommst du ins Gefängnis“, meint der Anwalt, in Bezug auf die neuen Befugnisse, die den Sicherheitsbehörden künftig zustehen sollen. Dazu gehört auch Gewaltanwendung.

Das Außenministerium versucht in diesem Punkt zu beschwichtigen: „Die Polizeibeamten, die Abschiebungen durchführen, werden speziell ausgebildet, vor allem durch Weiterbildungen auf EU-Niveau durch die Frontex. Auf gecharterten Abschiebeflügen besteht auch die Möglichkeit eines Monitorings durch das luxemburgische Rote Kreuz.“ Dieses Monitoring werde momentan auch für „normale Linienflüge“ ausgebaut. Dass der europäischen Grenzschutzagentur Frontex in den letzten Jahren immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen und illegale Pushbacks von Migranten nachgewiesen wurden – und ihr Exekutivdirektor sogar zurücktreten musste – lässt das Ministerium unerwähnt. 

Erweitert werden soll laut dem Entwurf auch, wer ins „Centre de Rétention“ in Findel kommt. Bislang konnten dort nur Menschen aus Drittstaaten mit ihren Familien und Kindern interniert werden, jetzt sollen auch EU-Bürger dort bis zu ihrer Abschiebung eingesperrt werden können. Dies, wenn sie eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit darstellen. Das Außenministerium relativiert: Der Text erlaube es nur, wenn ein EU-Bürger aus eben genannten Gründen ausgewiesen wird, diesen unter verschiedenen Bedingungen im Centre de Rétention zu platzieren, bis er in sein Land gebracht wird. Diese Fälle seien aber extrem selten und könnten auch vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden. Die meisten davon dürften Verurteilte betreffen, die ihre Strafe abgesessen haben, schätzt Frank Wies. 

Halboffene Strukturen sind Geschichte

Sergio Ferreira von der ASTI findet diese Entwicklung bedenklich: „Man sollte das Centre de Rétention nicht für die Drogenkriminalität instrumentalisieren“, mahnt er. Und erinnert an die nicht eingelösten Versprechen aus dem Koalitionsprogramm über die weitaus humaneren Abschiebemöglichkeiten, wie den sogenannten „Maisons de retour“ in Belgien. In ihrem Programm hatte sich die Regierung verpflichtet, Alternativen zum Einsperren zu suchen und halboffene Strukturen zu schaffen, die „besser an die Situation der verschiedenen betroffenen Gruppen adaptiert sind“. Stattdessen wird das Zentrum in Findel nun ausgebaut, um dort ebenfalls „Personen mit besonderen Bedürfnissen“ hinter Zäunen auf ihre Abschiebung warten zu lassen. 

Nach Informationen von Reporter.lu soll der Gesetzentwurf des Außenministers im März von der Abgeordnetenkammer verabschiedet werden. Im Februar gibt es nur eine Sitzungswoche im Parlament. Und genau dann sei Jean Asselborn nicht im Land.