Der Verein „Passerell“ steckt in finanziellen Schwierigkeiten, seinem Beratungsdienst für Geflüchtete droht das Aus. Mit ihrer konsequenten Haltung fordert die NGO die Regierung immer wieder heraus – und könnte nun auf staatliche Hilfe angewiesen sein.

Das kleine rosa Haus aus den 1950er Jahren, in der etwas versteckt liegenden Mathias-Hardt-Straße in Luxemburg-Stadt, sieht aus, als könnte es jeden Moment in die Baugrube direkt daneben rutschen. Trotzdem hält es sich wacker und beherbergt eine der Anlaufstellen für Asylsuchende in Luxemburg. Gleich zwei Nichtregierungsorganisationen (NGO) teilen sich die Räumlichkeiten: „Ryse“, die Geflüchtete und Mentoren zusammenbringt, und „Passerell asbl“.

Letztere geriet in den sechs Jahren seit ihrer Gründung öfter in die Schlagzeilen. So auch in den vergangenen Wochen: „Passerell“ verklagte nämlich die „Direction de l’Immigration“ wegen mutmaßlich ungerechtfertigter Praktiken bei der Behandlung von Asylanfragen. Zudem hat die NGO kürzlich einen Hilferuf ausgesendet, demzufolge ihr ohne weitere finanzielle Zuwendungen Ende August das Geld ausgehen werde, um ihre Beratungsstelle für Geflüchtete weiterhin finanzieren zu können.

Die Gründe für die finanziellen Schwierigkeiten sind vielfältig. Der Beitrag von „Passerell“ im Bereich der Flüchtlingshilfe ist dagegen unbestritten. Die Organisation steht jenen Menschen zur Seite, die in Luxemburg um Aufnahme und Schutz ersuchen. Oft ist die Organisation die letzte Hoffnung, um die Hürden der Luxemburger Bürokratie in Härtefällen zu überwinden.

Eine unbequeme Organisation

„Wenn schutzbedürftige Personen zum ersten Mal vor einem Beamten in der Immigrationsbehörde sitzen, kann das ein sehr einschüchternder Moment sein“, erzählt Ambre Schultz von „Passerell“ im Gespräch mit Reporter.lu. Sie spricht dabei von Menschen, die über Libyen nach Europa geflüchtet sind, von Milizen entführt und gefoltert wurden, ehe ihnen die Flucht über das Mittelmeer gelang. Oder Minderjährige, deren Alter von den Behörden angezweifelt wird, oder Frauen mit Genitalverstümmelungen.

Wer meint, dass diese Menschen in Luxemburg immer mit offenen Armen empfangen werden, irrt sich. „Passerell“, ebenso wie der „Lëtzebuerger Flüchtlingsrot“, die Dachorganisation der NGOs, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, machen regelmäßig auf Missstände aufmerksam.

Für uns ist das Gesetz ein Instrument, um jenen mehr Gerechtigkeit zu bringen, die ohnehin am Rande stehen.“Catherine Warin, „Passerell asbl“

„Da gibt es Familien, die ihr Dossier nicht abgeben können, weil die Behörden sie davon abhalten. Man sagt ihnen dann, sie hätten eh keine Chance, dass ihre Anfrage auf ein internationales Schutzstatut angenommen wird“, erklärt Catherine Warin im Gespräch mit Reporter.lu. „Wenn dies mit schutzbedürftigen, traumatisierten Personen passiert, dann ist das problematisch. Denn wer kein Dossier abgibt, kann auch keine Hilfeleistung in Anspruch nehmen. So sind ganze Familien mit Kindern auf der Straße gelandet“, so die Mitbegründerin und Präsidentin von „Passerell“.

Die Rechtsanwältin macht auch auf die verbale Gewalt aufmerksam, die von Luxemburger Gerichten ausgehen kann: „Einer Frau mit Genitalverstümmelung zu erklären, dass man sie abschieben werde, weil sie in ihrem körperlichen Zustand ja nichts mehr zu befürchten habe, ist unglaublich hart.“ Catherine Warin macht in dem Kontext auch auf die Istanbuler Konvention aufmerksam, die Gewalt gegen Frauen bekämpft und von Luxemburg ratifiziert wurde. „Es ist dann an uns, diesen Menschen die Gründe zu erklären, warum sie nicht bleiben können, wenn sämtliche Berufungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Deshalb versuchen wir auch solch schockierende Umstände an die Öffentlichkeit zu bringen“, erklärt Projektleiterin Ambre Schultz.

Konflikt mit den Behörden

Die Arbeit von „Passerell“ besteht hauptsächlich darin, jenen Menschen, die sich in ihrer Beratungsstelle einfinden – eigenen Angaben zufolge seit Anfang 2021 800 Personen – juristisch zur Seite zu stehen und zu versuchen, sie an einen Anwalt zu vermitteln. Zudem betreibt „Passerell“ Recherchen zu Präzedenzurteilen, um das Terrain vorzubereiten. Sie bieten auch Anwälten Weiterbildung in Sachen Asylrecht an. „Wir selbst vertreten aber niemanden vor Gericht“, betont Catherine Warin, „das ist Sache des juristischen Beistands, der Flüchtlingen kostenlos zur Verfügung steht.“

Dass die Arbeit der Organisation hin und wieder die politische Erzählung der Luxemburger Willkommenskultur infrage stellt, liegt wohl in der Natur der Sache. „Es kann keinen Konsens bei Menschenrechten geben“, sagt Catherine Warin. „Trotzdem sind wir immer konstruktiv und offen an die Behörden und Ministerien herangetreten und hatten viele Gespräche. Eben, um eine bestmögliche Garantie der Menschenrechte umzusetzen. Wir haben sogar angeboten, zusammen das Problem mit den Dossiers der Schutzsuchenden zu lösen, zumal für die Dublin-Fälle.“

Catherine Warin (r.) und Ambre Schultz kämpfen nicht nur für die Rechte von Asylsuchenden, sondern auch um das Überleben ihrer eigenen Organisation. (Foto: Mike Zenari)

Dass sich „Passerell“ in ihrer Rolle gefunden hat, bestätigt auch der Menschenrechtler Frank Wies, der als Anwalt oft mit Asylverfahren zu tun hat: „Sie haben anfänglich etwas angeeckt, aber sie sind inzwischen zu einer praktischen Anlaufstelle geworden, mit der ich oft in Kontakt stehe“, meint er gegenüber Reporter.lu. Er vertritt oft sogenannte Dublin-Fälle, bei denen Menschen in jene Länder – oft Griechenland, Italien oder osteuropäische Staaten – abgeschoben werden sollen, in denen sie als Erstes um Asyl gebeten haben. Dort sind die Lebensumstände aber oft inakzeptabel. Luxemburg setzt die Dublin-Konvention trotzdem oft strikt um, ohne einzelne Schicksale der Menschen in Betracht zu ziehen.

Nachdem sich die Fälle häuften, in denen die Behörden Anträge abwiesen und auch immer wieder abweisend auf „Passerell“-Interventionen reagierten, verklagte die NGO die Einwanderungsbehörde. Seitdem herrscht Funkstille zwischen der NGO und dem federführenden Ministerium für Immigration und Asyl. Ende Juni wurde die Angelegenheit ein erstes Mal vor dem Verwaltungsgericht verhandelt.

Knappe, auslaufende Mittel

Der Rechtsstreit droht die Beziehungen dauerhaft zu belasten. Inwiefern die Kontroverse auch zu den finanziellen Schwierigkeiten der NGO beiträgt, ist jedoch schwer zu ergründen. Den Großteil der Mittel erhielt „Passerell“ bisher über die „Oeuvre Grande-Duchesse Charlotte“, die ihrerseits aus Einnahmen der „Loterie Nationale“ gespeist wird. Deren Finanzierungen sind aber immer projektbezogen und zeitlich begrenzt. „Die maximale Laufzeit einer solchen Finanzierung liegt bei drei Jahren“, erklärt die Oeuvre auf Anfrage von Reporter.lu. Eine erste Unterstützung habe „Passerell“ vor sechs Jahren erhalten, seitdem habe die NGO insgesamt neun Dossiers eingereicht, von denen einige angenommen wurden – aktuell werde noch eines davon geprüft.

„Wir wussten, dass die Unterstützung der Oeuvre zeitlich begrenzt ist – deshalb haben wir unsere Finanzierung in den letzten Jahren diversifiziert und verstärkt auf eigene Einnahmen gesetzt, etwa Kursangebote für Angestellte des Roten Kreuzes oder Inter-Actions in Sachen Asylrecht“, erklärt Ambre Schultz.

Dabei liegt das Jahresbudget von „Passerell“, die drei festangestellte Mitarbeiterinnen beschäftigt, bei rund 170.000 Euro. Den veröffentlichten Bilanzen zufolge beläuft sich der Anteil der Gelder von der Oeuvre seit 2016 auf insgesamt  mehr als 180.000 Euro. Prozentual schwankte der Anteil an den jeweiligen Jahreseinnahmen zwischen 41 und 66 Prozent – wobei er in den letzten Jahren immer weiter zurückging. Dabei gab es jedoch keinen signifikanten Anstieg bei den sonstigen Spenden, über die sich die Vereinigung finanziert. Doch die NGO hatte mehr Ausgaben, da „Passerell“ über die Jahre mehr Personal eingestellt hat.

Finanzierung weiterhin offen

Eine naheliegende Lösung der Geldsorgen wäre eine Konvention mit dem Staat. Dass dies bisher an der NGO gescheitert sei, wie es aus politischen Kreisen heißt, dementiert Ambre Schultz. „Wir versuchen schon lange, eine dauerhafte Lösung mit dem Staat zu finden, und das ohne zu 100 Prozent von öffentlichen Zuwendungen abhängig zu werden“, so die Projektleiterin.

Für mich ist Passerell systemrelevant geworden und müsste deshalb mit öffentlichen Geldern unterstützt werden.“Paul Galles, Abgeordneter der CSV

Das Außenministerium will sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht zu diesen Fragen äußern. Ein Fragenkatalog, den Reporter.lu im Rahmen dieser Recherche an das Ministerium richtete, blieb unbeantwortet. Nur so viel: „Wir sind aktuell in Gesprächen mit den relevanten Akteuren“, sagte Außenminister Jean Asselborn (LSAP) im Gespräch mit Reporter.lu. Das Justizministerium verwies seinerseits auf punktuelle Subsidien, die „Passerell“ seit 2020 erhalten habe: einmal 1.500 und zweimal 5.000 Euro.

Eine Möglichkeit wäre auch der Rückgriff auf den europäischen „Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds“. Dieser ist mit einem Gesamtbudget von zehn Milliarden Euro ausgestattet und wird auch in Luxemburg genutzt. Allerdings, so zeigt es die Aufschlüsselung, finanziert das Großherzogtum mit diesen Geldern auch das teils umstrittene „Centre de rétention“ in Findel sowie die Rückführungen von abgewiesenen Asylsuchenden. „Passerell“ hat diesbezüglich auch Anfragen gestellt.

Opposition will pragmatische Lösung

Eine dauerhafte Lösung wünscht sich ebenfalls die politische Opposition. „Passerell macht eine extrem wichtige Arbeit in Luxemburg, komplementär zum gesetzlich verankerten juristischen Beistand“, meint der Abgeordnete Paul Galles (CSV) im Gespräch mit Reporter.lu. „Für mich ist Passerell systemrelevant geworden und müsste deshalb mit öffentlichen Geldern unterstützt werden“, so der Parlamentarier. Paul Galles fordert eine saubere Lösung, die es der NGO erlaube, ohne Geldsorgen weiter zu arbeiten.

Auch Nathalie Oberweis (Déi Lénk) sieht die NGO als „unersetzlich“ für Luxemburg an: „Auch wenn ihre Art von kritischem Engagement eher in Frankreich üblich ist, dürfen wir nicht in das Schema verfallen, dass Leute keine Unterstützung bekommen, wenn sie mal stören. Das ist eine Gefahr für unsere Demokratie.“ Anstatt eine parlamentarische Anfrage zu stellen, intervenierte Nathalie Oberweis direkt beim Außenminister und bei der Justizministerin: „Jean Asselborn meinte, dass sie sich mit ihrer Art nicht nur Freunde gemacht hätten“, berichtet die Politikerin, „Sam Tanson gab zu verstehen, dass ihr Ministerium sich nicht als zuständig sehe.“

Die Abgeordnete hofft nun auf ein öffentliches Entgegenkommen beim Budget für dieses Jahr und dann auf eine dauerhafte Lösung für das nächste Haushaltsjahr: „Bei anderen Dossiers hat das auch schon geklappt, wieso sollte es hier nicht funktionieren?“, so Nathalie Oberweis im Gespräch mit Reporter.lu.

Beraten, erklären, aber auch auf Missstände aufmerksam machen: Viele Geflüchtete sind in der asylpolitischen Praxis auf den Verein „Passerell“ angewiesen. (Foto: Mike Zenari)

Zumindest einen Lichtblick gibt es aber für die Organisation: Inzwischen habe „Passerell“ deutlich mehr private Spenden bekommen, sagen die Verantwortlichen. Um die nächsten Monate überstehen zu können, läuft noch eine Spendenaktion. Gleichzeitig hat man eine Unterschriftenaktion gestartet, um weiter Druck auf die Regierung auszuüben.

An Arbeit mangelt es „Passerell“ dabei weiter nicht. Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine hat der Andrang auf der Beratungsstelle sogar zugenommen: „Viele suchen Hilfe in Sachen Familiennachzug oder wollen wissen, was sie noch tun können, wenn ihr Schutzstatut nicht angenommen wurde, weil sie zwar aus der Ukraine geflüchtet sind, aber keinen ukrainischen Pass haben“, erklärt Projektleiterin Ambre Schultz.

„Es gibt eine Verbindung zwischen dem Gesetz und der Art, wie es angewendet wird“, bringt Präsidentin Catherine Warin die Daseinsberechtigung ihrer Organisation auf den Punkt. „Für uns ist das Gesetz ein Instrument, um jenen mehr Gerechtigkeit zu bringen, die ohnehin am Rand stehen.“