Die Europawahlen haben in Luxemburg so manchen nationalen Trend bestätigt und beschleunigt: Die CSV verliert ihre Vormachtstellung. Liberale und Grüne besetzen die neue Mitte. Die blau-rot-grüne Koalition kann ab sofort durchregieren. Eine Analyse.

Man stelle sich vor, die CSV wäre nicht mehr stärkste Partei im Land, sondern würde nahezu gleichauf mit DP und Déi Gréng liegen. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre, ist nun schnöde Realität. Auch wenn es sich um eine Wahl zum Europäischen Parlament gehandelt hat, stellt das Resultat vom vergangenen Sonntag in mehrerer Hinsicht eine Zäsur für die luxemburgische Politik dar.

Dazu zählt offensichtlich die Zersplitterung der Parteienlandschaft. Man könnte es auch positiver als fortschreitenden Pluralismus beschreiben. Bei den Nationalwahlen schafften es sieben Parteien ins Parlament. Dieser Trend bestätigte sich auch bei der Europawahl. Das lange, von drei, dann vier bis fünf Parteien geprägte politische System hat sich neu aufgestellt. Bis auf Weiteres haben wir es mit drei Parteien (CSV, DP, Déi Gréng) zu tun, die sich um die ersten Plätze streiten und einer LSAP, der längerfristig ein Abstiegskampf mit ADR, Piraten und Déi Lénk droht.

Zu den Lehren vom Sonntag gehört auch: Die CSV ist nicht nur als Regierungspartei erlässlich geworden. Sie hat zum zweiten Mal aus der Opposition heraus Wahlen haushoch verloren. Mehr noch: Sie ist erstmals aus nationalen Wahlen nicht als stärkste Partei hervorgegangen. Der freie Fall der CSV ist das stärkste, aber nicht das einzige Indiz dafür, dass das politische System Luxemburgs eine kleine Zeitenwende durchlebt.

CSV in einer « Lose-lose »-Situation

Der offensichtlichste Grund für die Schwäche der CSV ist die Tatsache, dass die ehemals mit Abstand stärkste politische Kraft mit relativ unbekannten Kandidaten angetreten ist. Außer Christophe Hansen, der erst seit rund einem Jahr im EU-Parlament sitzt, stellte sich kein profilierter CSV-Amtsträger zur Wahl. Das stark personalisierte luxemburgische Wahlsystem ist hier gnadenlos.

Die Parteistrategen hatten ein solches Ergebnis schon lange erwartet, ja quasi selbst herbeigeredet. Das Tiefstapeln der CSV-Führung wurde denn auch bis nach Bekanntgabe des Wahlresultats durchgezogen. Wenn man einem neuen Team die Chance gebe und gehe dann mit zwei Sitzen aus den Wahlen, « dann hat man nicht verloren », versuchte sich CSV-Präsident Frank Engel am Wahlabend in bewährter post-elektoraler Schönsprechkunst. Man habe bewusst auf diese Strategie gesetzt und stehe auch nach den Wahlen dazu, so Engel.

Doch das hieße ja: Die CSV hat eine historische Wahlniederlage bewusst in Kauf genommen. Doch Engels Dialektik ist bestenfalls nur die halbe Wahrheit. Denn die jetzt offenbarte Schwäche der CSV war nicht alternativlos und zum Teil hausgemacht. Mehrere Wochen lang suchte der Parteichef händeringend nach profilierteren Kandidaten und erhielt von den Abgeordneten der CSV nur Absagen. Die nun so gepriesene personelle Erneuerung war jedenfalls anfangs keine bewusste Entscheidung. Vielmehr machte die Parteiführung aus der Not eine Tugend.

Der « sichere Weg » in die Sackgasse

Die mangelnde Unterstützung des neuen Parteivorsitzenden durch die CSV-Fraktion gehört jedenfalls auch zu den Gründen für dieses Wahlresultat. Die internen Grabenkämpfe dürften sich indes noch intensivieren. Vor allem aber ist die Strategie nicht allzu Erfolg versprechend. Die CSV ist nämlich nicht nur innerhalb von acht Monaten in die zweite Pleite geschlittert. Damit verliert sie auch weitere Mandate, in denen man eine Erneuerung vornehmen könnte. Auch ist alles andere als sicher, dass die jetzt aufgebauten Kandidaten in einigen Jahren bessere Resultate einfahren werden. Man könnte von einer « Lose-lose-Situation » sprechen.

Der ‘sichere Weg’ zieht nicht mehr. Die glaubwürdige Verkörperung einer personell verlässlichen und programmatisch attraktiven politischen Kraft wird mittlerweile anderen Parteien eher zugetraut. »

Auch sonst steht die CSV vor einer großen Herausforderung. Der « sichere Weg » zieht nicht mehr. Die glaubwürdige Verkörperung einer personell verlässlichen und programmatisch attraktiven politischen Kraft wird mittlerweile anderen Parteien eher zugetraut. Diese Lage zeigt sich am besten daran, dass die früher so prägende Programmatik der Christsozialen mittlerweile wie ein Abklatsch der politischen Konkurrenz daherkommt. Um für ein starkes Europa und den Klimaschutz zu sein, braucht man heute nicht unbedingt die CSV zu wählen.

Der frühere Vorteil der Christsozialen, die inhaltlich breite Aufstellung als Volkspartei, gerät denn auch zunehmend zum Problem. Denn die klassische Erfolgsformel einer konservativen Partei mit ausgeprägten sozialen und liberalen Flügeln, wie sie einst von Jean-Claude Juncker verkörpert wurde, geht nicht mehr auf. Ihre Wähler scheint die CSV an allen Fronten zu verlieren. Ihr aktuelles Personal wirkt durchaus hilflos. Ein Ausweg aus dieser misslichen Lage scheint angesichts der zweiten historischen Wahlniederlage in Folge nicht in Sicht.

« Charel »-Faktor und Bettel-Bonus

So schwierig die Problemlösung der CSV heute scheint, so überraschend kam auch der Wahlsieg der DP. Sicher hat der ungeahnte Erfolg der Liberalen vor allem einen Namen, nämlich Charles Goerens. Mit dem erfahrenen und populären Europapolitiker hatte die DP eben jenes elektorale Zugpferd, das der CSV bei diesen Wahlen erstmals fehlte. Die fast 100.000 Stimmen des Europaabgeordneten aus dem Norden und dessen Aura im Wahlkampf zogen letztlich die ganze DP-Liste mit.

Doch der « Charel »-Faktor allein kann den Wahlerfolg in dieser Form nicht erklären. Ebenso können die Zugewinne nicht vorrangig an den inhaltlichen Forderungen der Liberalen liegen, denn das Europa-Wahlprogramm der DP hat sich im Vergleich zu 2014 nicht grundlegend gewandelt. Allzu konkret tauschten sich die Parteien im Wahlkampf ohnehin nicht über die besten europapolitischen Lösungswege aus. Man würde den Ausgang der Europawahlen zwar gerne an europäischen Themen festmachen, doch dafür verlief die Auseinandersetzung mit wenigen Ausnahmen dann doch zu sehr im Ungefähren.

Bisher dachte man, dass die Grünen auf dem Weg seien, die neue, bessere CSV zu werden. Die DP scheint hier aber auch ein Wörtchen mitreden zu wollen. »

Was sich in den vergangenen fünf Jahren allerdings geändert hat: Die DP wird heute vor allem als Regierungspartei wahrgenommen. Es ist nicht zuletzt die Partei des Premiers, der die Wähler eine solide Führung der Regierungsgeschäfte bescheinigen, wie es auch Xavier Bettel am Wahlabend mehrmals selbstbewusst bemerkte. Das zeigte sich bei der knappen Wiederwahl von Blau-Rot-Grün im Oktober und wurde am vergangenen Sonntag zumindest nicht widerlegt. Die neue Nuance nach diesen Wahlen ist aber: Bisher dachte man, dass die Grünen auf dem Weg seien, die neue, bessere CSV zu werden. Die DP scheint hier aber auch ein Wörtchen mitreden zu wollen.

Wie groß der Bettel-Bonus bei diesen Wahlen tatsächlich war, lässt sich zwar nicht belegen. Fest steht aber, dass die Zeiten, in denen die Liberalen sich mit ihrer konfrontativen Regierungspolitik angreifbar gemacht haben, vorerst vorbei sind. Die Europawahlen 2014 standen noch im Zeichen eines latenten Protestes gegen die erst neu ins Amt gewählte Dreierkoalition. 2019 stimmten die Wähler dagegen in einem politisch und wirtschaftlich viel positiveren Klima ab.

Blau-Rot-Grün droht wenig Gefahr

Was für die DP richtig ist, stimmt auch für die ganze Koalition. 2014 mussten Blau, Rot und Grün bei der Europawahl noch herbe Verluste hinnehmen und kamen gemeinsam auf weniger als 42 Prozent der Wählerstimmen. Dieses Mal vereinen DP, Déi Gréng und LSAP dank der Erfolge von Liberalen und Grünen ganze 52,5 Prozent auf sich – das sind knapp drei Prozent mehr als bei den Nationalwahlen im Oktober. Die Zugewinne von ADR und Piratenpartei gingen bei diesen Wahlen ausschließlich auf Kosten der CSV.

Dass eine frühere « linke Volkspartei » sich mittlerweile aber mit einem landesweiten Resultat von zwölf Prozent zufrieden gibt, verdeutlicht das fortgeschrittene Stadium der Krise der LSAP. »

Dabei bestätigt sich das bei den letzten Nationalwahlen festgelegte Machtverhältnis innerhalb der Dreierkoalition. Die DP wurde als maßgebliche politische Kraft im Land gestärkt, auch die Grünen bleiben mit ihrer ökologisch-linksliberalen Agenda weiter im Aufwind. Dagegen tritt die LSAP auf der Stelle, hat aber zumindest nicht noch weiter verloren, wie es innerhalb der Partei schon von manchem befürchtet wurde. Dass eine frühere « linke Volkspartei » sich mittlerweile aber mit einem landesweiten Resultat von zwölf Prozent zufrieden gibt, verdeutlicht das fortgeschrittene Stadium der Krise der LSAP.

Diese Krise eines Partners ist denn auch die einzige wirkliche Gefahr des Koalitionsfriedens. Wie es der neue Parteichef Franz Fayot schon mehrmals zaghaft praktizierte, wird sich die LSAP-Führung auf Dauer wohl nicht der strengen Koalitionsdisziplin verschreiben können. Dennoch ist das Votum vom Sonntag letztlich eine gute Nachricht für die Regierungsparteien. Zwei ihrer Partner wurden wesentlich durch die Wähler gestärkt. Die größte Oppositionspartei wird dagegen immer kleiner. Einem Durchregieren bis zu den nächsten Wahlen im Oktober 2023 steht demnach wenig im Weg.


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