Damentoiletten, falscher Rasen, Klappsitze, VIP-Bereich und mehr: REPORTER erklärt, welche Fehleinschätzungen den Preis des neuen Stadions in die Höhe schnellen ließen. Transparent ist längst nicht alles. Die Verantwortlichen versuchen zu beschwichtigen.
Nein, die Damentoiletten wurden nicht vergessen, unterstreicht Simone Beissel (DP). Im Gespräch mit REPORTER versucht die zuständige Sportschöffin der Hauptstadt das Unverständnis zu erklären, das einige Gemeinderäte vergangene Woche äußerten. Erfreut waren sie über eine Budgetüberschreitung von insgesamt 18,5 Millionen Euro für das neue Nationalstadion nicht.
Insgesamt seien 11,3 Millionen Euro auf Planungsfehler zurückzuführen, räumt Beissel ein. In einem Dokument der Gemeinde wird ausdrücklich auf eine mangelhafte und nicht ausreichende Planung und Kostenschätzung hingewiesen. Die Schuld für den Anstieg der Kosten wird dem Planungsbüro der Architekten zugeschoben.
Es ist die Suche nach einer Erklärung, warum das Stadion und das Gelände nebenan heute nicht 60 Millionen, sondern fast 80 Millionen Euro kosten sollen. Dazu gehört auch, dass die Gemeinde die Details im Kostenvoranschlag nicht ausreichend überprüft hat oder sich von den Extrawünschen des Fußballverbands FLF hat überzeugen lassen.
1. Die Damentoiletten
Einer der Planungsfehler betrifft tatsächlich die Damentoiletten. Natürlich hätten die initialen Pläne des Stadions auch Damentoiletten vorgesehen, so Simone Beissel. Nur habe man aufgrund von Schätzungen weniger Damen- als Männertoiletten im zukünftigen Fußball- und Rugbystadion eingeplant. Eine Entscheidung, die sich als strategisch falsch herausstellen sollte.
„Damals war noch nicht geplant, das Feld nebenan als Mehrzweckplatz zu nutzen“, erklärt Beissel. Open-Air-Konzerte und andere Veranstaltungen sollen nur wenige Meter vom Stadion entfernt abgehalten werden, die Besucher sollen dann die Toiletten aus dem Stadion nutzen. Die Schätzungen wurden also angepasst, es müssen nun genauso viele Damen- wie Männertoiletten her.
2. Derselbe Rasen wie der FC Bayern München
Kein natürlicher Rasen und kein Kunstrasen: Ein Mischrasen soll es sein. Bereits im November 2016 musste das Gesamtbudget im Vergleich zum Vorjahr von 58,2 Millionen auf 60,4 Millionen Euro erhöht werden. Einer der Gründe war der neue Rasen “de type Grassmaster“, der ursprünglich vorgesehen worden war.
Auf Anfrage der Fußball- und Rugbyverbände wurde von einem natürlichen Rasen abgesehen und sich auf einen Mischrasen geeinigt. Dieser solle ein größeres Gewicht tragen und wetterbedingte Abnutzungsprobleme vermeiden. Als unschlagbares Argument wurde den Gemeinderäten erklärt, dass die Stadien des FC Bayern München und des FC Arsenal über denselben Rasen verfügen.
3. Keine Konzerte im Stadion
Dennoch darf auf besagtem Rasen keine Open-Air-Veranstaltung abgehalten werden, wie dies etwa im Ausland der Fall ist. Konzerte werden auf den Mehrzweckplatz gleich nebenan verfrachtet. Nach letztem Stand kostet letzterer deshalb nicht mehr 791.827 Euro, sondern 2,7 Millionen Euro.
Die Gemeinde hatte vorgerechnet, dass bei einer parallelen Nutzung des Stadions für Konzerte, jede alternative Veranstaltung einer Instandsetzung des Rasens von 120.000 Euro bedürfe. Erstaunlich ist die Preiserhöhung vergangener Woche, da die Entstehung einer „place multifonctionnelle“ von 7.659 Quadratmetern für Konzerte oder „Public Viewing“ bereits im November 2016 entschieden wurde.
Den Sicherheitsaspekt hatte man damals offenbar nicht bedacht. Als Erklärung für die Preiserhöhung werden nun eine Anpassung an die Sicherheitsbestimmungen angeführt. So müssen die Treppen, die den Zugang zum Platz ermöglichen, verbreitet werden, um im Notfall eine problemlose Evakuierung der Besucher zu garantieren.
Für den Gegenwert der Mehrkosten hätte das Stadion während insgesamt 16 Open-Air-Events kostenneutral abgedeckt werden können. Doch ging der Schöffenrat bereits 2016 davon aus, dass die Planung von Konzerten im Stadion ohnehin mit der Planung von offiziellen Sportsveranstaltungen nur schwer vereinbar sei – das Datum der Spiele sei oft nicht lange genug im Voraus bekannt.
4. Das heimliche VIP-Parking
Als „Grundfunktion“ des Platzes wird in einem offiziellen Schreiben der Gemeinde ein „Parking für UEFA-Vertreter während der Veranstaltungen im Stadion“ angeführt. In den Kommissionssitzungen der Gemeinde wurde vermehrt darauf hingewiesen, dass der europäische Fußballverband diese Parkplätze gefordert hatte.
Insbesondere dürfte die UEFA aber eher auf die Notwendigkeit von Stellplätzen für Rettungsfahrzeuge hingewiesen haben, die auch auf diesem Grundstück stationiert sein werden. Im Volksmund wird der Mehrzweckplatz bereits als VIP-Parkplatz gehandelt – voraussichtlich werden einige der 500 VIPs aus dem Businessclub ihren Wagen auf den dort geplanten 200 Stellplätzen parken können.
5. Der großräumige VIP-Bereich
Der erwähnte „Businessclub“ mit 500 reservierten Sitzplätzen und direktem Zugang zur Tribüne befindet sich im ersten Stockwerk des Stadions. Im ursprünglichen Kostenvoranschlag ist zudem von einer „loge d’honneur“ für 27 Zuschauer auf einer separaten Tribüne die Rede. Dieser VIP-Bereich wird laut heutigem Stand 591.348 Euro teurer als geplant.
Das Planungsbüro habe in seinem ersten Kostenvoranschlag eine unzureichende Ausstattung vorgesehen, erklärt Simone Beissel. „Die VIPs sollen ordentlich bedient werden, die Möbel und das Geschirr mussten den Erwartungen angepasst werden“, sagt sie.
Fünf Prozent aller Zuschauer sollen in den Genuss dieser Ausstattung kommen. Zum Vergleich: Für alle anderen Zuschauer sind 8.680 Sitzplätze im Hauptbereich vorgesehen. Für Menschen mit eingeschränkter Gehfähigkeit und ihre Begleiter sind 50 Plätze geplant. „Es ist größenwahnsinnig, einen VIP-Bereich für 500 Menschen zu planen“, ärgert sich Gemeinderat David Wagner (Déi Lénk).
6. Die Hightech-Überwachung
Zur Sicherheit will die Polizei im Stadion Kameras für 823.914 Euro anbringen, die mit dem Überwachungssystem Visupol vereinbar sind. Die juristisch fragliche Videoüberwachung wurde insbesondere von Déi Lénk kritisiert, die ein gewisses Know-How der Polizei im Fall einer Ausschreitung als effizienter einschätzen als Kameras.
Auch einige andere Gemeinderäte sind davon nicht begeistert und fordern, dass der Staat die Kosten der von seinen Diensten verlangten Sicherheitsmaßnahmen stemmt. Anders als ursprünglich vorgesehen soll auch ein Polizei-Kommissariat vor Ort errichtet werden.
7. Die „gemütlicheren“ Klappsitze
Neben Auflagen des europäischen Fußballverbandes UEFA und der Polizei, zögerte auch der luxemburgische Fußballverband nicht, seine Wünsche zu äußern. So zum Beispiel bei den Sitzen. Für die nun erwünschten Klappsitze fallen 412.206 Euro an. Diese Sitze seien gemütlicher und würden einen besseren Durchgang der Zuschauer in den Tribünen und so im Notfall eine bessere Evakuierung bieten, so das Argument der FLF. Es handele sich nicht um eine initiale Vorgabe der UEFA, bestätigt die zuständige Schöffin Simone Beissel.
Es scheint erstaunlich, dass die Beschaffenheit der Sitze nicht früher besprochen wurde – zumal einige Gemeinderäte sich bereits 2016 ausführlich mit der Frage befassten, wie in einem großen Stadion denn Stimmung aufkomme, wenn bei kleineren Spielen nicht alle Sitze besetzt seien. Es wurde sich darauf geeinigt, Sitze von unterschiedlichen Farben zu bestellen, „qui produisent un effet trompe l’oeil créant une ambiance animée même si le stade n’est que partiellement rempli“, so der Auszug aus dem Bericht einer Gemeinderatssitzung.
Obwohl die Klappstühle offenbar als gemütlicher gelten, wird im VIP-Bereich auf Klappstühle verzichtet.
8. Die Kronen-Beleuchtung
843.104 Euro mussten vergangene Woche für die Beleuchtung der Fassade genehmigt werden. Dabei war bereits 2016 in einer Gemeinderatssitzung festgehalten worden: “Les éléments de façade métallique sont mis en scène par une illumination aux scénarios variés. (…) L’illumination du pourtour du terrain fixée en forme de couronne à la structure du toit annonce qu’un match a lieu dans l’enceinte du stade.” Und ferner: “L’intensité d’éclairement est conçue de façon à ne pas occasionner des éblouissements aux chauffeurs de voitures circulant aux alentours du stade.”
Die Beschallungstechnik wird im ursprünglichen Kostenvoranschlag ihrerseits für 2 Millionen Euro verrechnet.
9. Schöne, aber undichte Fassade
2016 wurden für die Metallkonstuktion bereits Kosten von 8,36 Millionen Euro festgehalten. Der Preis der gewählten Seilnetzfassade, eine Fassadenart mit filigranen Halterungen, die eine natürliche Beleuchtung ermöglicht, wurde allerdings um 1,4 Millionen Euro unterschätzt.
Auch ihre Abdichtung wurde scheinbar falsch berechnet. Hinter den Tribünen ist die Konstruktion aber ohnehin offen. „La façade métallique à l’arrière des tribunes n’est pas imperméable au vent“, so der Wortlaut 2016. Die gute Nachricht zuletzt: „Toutes les places sur la tribune sont couvertes. “ Während der Arbeiten wurde die Baustelle übrigens nicht immer ausreichend als solche ausgewiesen.
10. Blitzschnelles Internet
Für das 5G, das in Luxemburg bekanntlich noch nicht zugelassen ist und noch nicht einmal die für die Zulassung nötigen Testphasen durchlaufen hat, fallen insgesamt 1,3 Millionen Euro an. Eine Ausgabe, die einige Gemeinderäte als verfrüht ansehen. Carlo Back von „Déi Gréng“ bezeichnete das 5G zwar als „nice to have“, warnte aber davor, dieses Mobilfunknetz bereits vor jeglichen Erfahrungswerten einzuplanen. „Wir hätten uns diese Kosten sparen können“, betont seinerseits David Wagner.
Die Eröffnung des Stadions ist voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2020 geplant. Laut heutigem Stand ist es fraglich, ob das Projekt 5G bis dahin überhaupt schon gestartet sein wird.
11. Keine Leichtathletik
Auch die Laufbahnen, die im aktuellen Josy-Bathel-Stadion von Leichtathleten genutzt werden, konnte man im neuen Nationalstadion nicht unterbringen. In der Gemeinderatssitzung von April 2016 wurde festgehalten: „Les dimensions de la propriété ne permettent pas d’y prévoir également des infrastructures pour l’athlétisme.“ Dafür soll ein neues Stadion in Hamm her. Die diesbezüglichen Kosten sind noch nicht bekannt.
Die zusätzlichen Ausgaben, die vergangene Woche mit der Enthaltung der LSAP und Déi Lénk gestimmt wurden, sollen nicht alleine von der Gemeinde getragen werden. Die Beteiligung des Staates (70 Prozent der Gesamtkosten bis zu einem Maximalbetrag von 40 Millionen Euro) soll neu verhandelt werden. Die Gemeindeverantwortlichen betonen auch, Rechtsklauseln nutzen zu wollen, um die Planungsgemeinschaft der Architekten zur Rechenschaft zu ziehen. Immer wieder war in der Gemeinderatssitzung die Rede von den über 10 Millionen Euro, die auf Planungsfehler und falsche Prognosen der Planungsgemeinschaft zurückzuführen seien.
Der Gemeinderat Tom Krieps (LSAP) brachte die Verantwortung seinerseits folgendermaßen auf den Punkt: „Wir tragen wahrscheinlich alle hier ein bisschen Schuld, weil wir nicht streng genug waren.“ Man habe sich vom allgemeinen Enthusiasmus treiben lassen. Héloïse Bock (DP) betonte ihrerseits, dass die Gemeinderäte quasi keine Wahl hätten, gegen die Preiserhöhungen zu stimmen. „Stimmen wir dagegen, bekommen wir kein neues Stadion und kein zusätzliches Entertainment.“
Fest steht: Das Stadion wird nach den Vorgaben der FIFA/UEFA für ein Stadion der Kategorie 4 geplant – auch die Vorgaben des International Rugby Board werden eingehalten.
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