Nicht 60 Millionen, sondern 80 Millionen Euro soll das neue Stadion kosten. Die Budgetüberschreitung ist auf Änderungswünsche, Planungsfehler, falsche Prognosen und Verzögerungen zurückzuführen. Doch selbst der neue Betrag beinhaltet noch nicht die volle Rechnung.
Die Verwunderung war groß, als die Gemeinderäte der Hauptstadt vergangene Woche einen Kostenanstieg von 16,5 Millionen Euro beschließen mussten, damit das neue nationale Fußball- und Rugbystadion Realität wird. Rund elf Millionen Euro der Mehrkosten seien auf Fehler des Planungsbüros zurückzuführen, das sich aus den Architektenbüros Gerkan Marg + Partner aus Hamburg und dem Büro Beng aus Esch-Alzette zusammensetzt und von Paul Wurth Geprolux S.A. überwacht wird.
Bei der Schuldzuweisung sind sich die Gemeindeverantwortlichen einig. „Das Planungsbüro hat auf ganzer Linie versagt“, beklagte Tom Krieps (LSAP). Neben Änderungswünschen des Bauherrn, „wurden einige Punkte offenbar falsch berechnet“, so der für die Finanzen zuständige Schöffe Laurent Mosar (CSV).
Hinzu kommen Wünsche der „Fédération luxembourgeoise de football“ (FLF), Auflagen des europäischen Fußballverbandes UEFA und der Polizei – und dies obwohl die Gemeinde diese Akteure bereits zu einem frühen Stadium in das Projekt mit eingebunden hatte. Ihre Vorstellungen waren bereits in den ursprünglichen Kostenvoranschlag vor drei Jahren eingeflossen.
Mehrkosten betreffen viele Bereiche des Neubaus
Ein Beispiel sind die nun plötzlich gewünschten aufklappbaren Sitze – sie seien gemütlicher und würden einen besseren Durchgang der Zuschauer in den Tribünen und so im Notfall eine bessere Evakuierung bieten, so das Argument der FLF.
Die Fehleinschätzungen betreffen nahezu alle Bereiche: Probleme bei der Planung der Fassade, der Beleuchtung, der Beschilderung der Baustelle, des Rasens, der Anzahl an Frauentoiletten und der Einrichtung des VIP-Bereichs.
Man hat uns ein Projekt von 60 Millionen Euro vorgetragen, dabei wussten alle von Anfang an, dass es mehr kosten würde.“Tom Krieps, Gemeinderatsmitglied (LSAP)
Es stellt sich die Frage: Wie konnten solche Fehler einem Architektenbüro, das bereits Stadien für die Fußball-Weltmeisterschaften in Deutschland, Südafrika und in Brasilien konzipierte, unterlaufen? Die Lokalpolitiker verstehen es jedenfalls nicht: „Die Expertise des Architektenbüros war über aller Zweifel erhaben“, betont Carlo Back (Déi Gréng).
Architekten des Berliner Pannen-Flughafens beteiligt
Dabei handelt es sich bei Gerkan Marg + Partner nicht um irgendeine Architektenfirma. Das Büro hatte bereits am Pannen-Airport Berlin Brandenburg unfreiwillig für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Nach Baumängeln, Kostenexplosionen und Terminüberschreitungen betitelte der „Spiegel“ das Projekt als „Deutschlands teuerste Baustelle“.
In Berlin führte das Debakel um die „Baustelle außer Kontrolle“ beim Architekten Meinhard von Gerkan sogar zu Hausdurchsuchungen. Der Bauherr des Flughafens kündigte der Planungsgemeinschaft, wertete die Kündigung später aber als Fehler und stellte die Mehrheit der Bauplaner des Architektenbüros wieder ein. Von einer Schadensersatzklage gegen die Architekten wurde abgesehen.
Ich glaube, dass sie mehrmals an den Preisen geschraubt haben, um unsere Budgetvorgaben einzuhalten.“Simone Beissel, Schöffin (DP)
Die Odyssee um den seit 2006 im Bau befindlichen Flughafen Berlin Brandenburg ist allerdings eine Ausnahme im Portfolio von Gerkan Marg + Partner. Weltweit genießt das Architektenbüro einen guten Ruf und baut etwa nachhaltige Büros in Vietnam und Hochhäuser in Shanghai. Für die Pannen am Berlin-Airport machte der Architekt die Großmannssucht der Politik und ein chaotisches Management seitens der Flughafengesellschaft verantwortlich.
Die für den Bau des Stadions zuständige Sportschöffin der Hauptstadt, Simone Beissel (DP), ließ sich ihrerseits nie von der Polemik rund um den Flughafen Berlin und der Verstrickung mit dem 2016 auserwählten Architektenbüro verunsichern. „Auf diesem Flughafen liegt ein Fluch“, sagt sie zur Erklärung.
Ein von Beginn an unrealistisches Budget?
Dennoch stellt sich die Frage, ob der anfängliche Preis überhaupt realistisch war. Für Simone Beissel liegt die Vermutung nahe, dass die Architektengemeinschaft den Preis von Anfang an drückte, um den Zuschlag zu erhalten. „Ich glaube, dass sie mehrmals an den Preisen geschraubt haben, um unsere Budgetvorgaben einzuhalten“, sagt sie im Gespräch mit REPORTER. Laut dem „Lëtzeburger Land“ hatte der Bauherr bei der öffentlichen Ausschreibung 2016 noch maximale Ausgaben von 30 bis 35 Millionen Euro für ein Stadion mit rund 10.000 Plätzen angepeilt.
„Man hat uns ein Projekt von 60 Millionen Euro vorgetragen, dabei wussten alle von Anfang an, dass es mehr kosten würde“, beklagt Gemeinderat Tom Krieps. Über die Preise von Stadien mit einer vergleichbaren Größe habe man sich im Vorfeld nicht informiert, gibt Simone Beissel zu.
In Brest werden für ein vergleichbar großes Stadion (13.500 Plätze) ein sehr ähnlicher Preis angeführt: zwischen 70 und 80 Millionen Euro. Ähnlich viel soll auch das neue Stadion in Gent (Belgien) kosten (85 Millionen Euro) – allerdings soll es dort fast doppelt so viele Sitzplätze geben (20.000). Im Fall des Stadions des FC Metz beläuft sich allein die Renovierung der Südtribüne für 8.000 Zuschauer auf 60 Millionen Euro. Der Bau des neuen Stadions des deutschen Bundesligisten SC Freiburg wird bei einem Fassungsvermögen von 35.000 mindestens 131 Millionen Euro veranschlagt.
Die Zusatzkosten im Überblick
Die Mehrkosten, die auf Planungsfehler zurückzuführen sind, belaufen sich auf über zehn Millionen Euro. Dazu kommen folgende Leistungen, die sich die Gemeinde, der Staat oder die UEFA wünschen:
– VIP-Bereich: 591.348 Euro
– Seilnetzfassade: 1,4 Millionen Euro
– Beleuchtung der Fassade: 843.104 Euro
– Visupol-vereinbare Kameras: 823.914 Euro
– Ausbau für Wifi und 5G: 1,3 Millionen Euro
– Gastronomieeinrichtung: 550.072 Euro
– Aufklappbare Sitze: 412.206 Euro
– Gestaltung des Mehrzweckplatzes: 1,89 Millionen Euro
Fest steht: Die Gesamtkosten des Stadions in Luxemburg-Kockelscheuer scheinen im Vergleich zum Parkhaus, das neben dem Stadion für 60 Millionen Euro errichtet werden soll, niedrig angesetzt.
Der Zuschlag ging an eine zumindest theoretisch unschlagbare Kombination: „Das ausgewählte Planungsbüro war das beste und das kostengünstigste“, so Laurent Mosar vergangene Woche in der Gemeinderatssitzung. Der Schöffenrat habe sich strikt an das Ausschreibungsgesetz gehalten und die Verfahrensweise genau befolgt, sagt auch Simone Beissel. Insgesamt waren damals 25 Projekte eingegangen.
Mehrzweckbereich und teure VIP-Parkplätze
Offiziell will die Stadt Luxemburg für das Stadion nicht von einem Gesamtbudget von 80 Millionen Euro sprechen. Diese Summe enthält nämlich die Gestaltung des Mehrzweckplatzes vor dem Stadion, dessen Preis vergangene Woche von 791.827 Euro auf 2,7 Millionen Euro revidiert wurde. Der angeführte Grund: Die „place multi-fonctionnelle“ soll auch unabhängig des Stadions funktionieren und für Open-Air-Konzerte und andere Kundgebungen für bis zu 12.500 Stehplätze genutzt werden.
Ob solche Veranstaltungen außerhalb des Stadions den Preis von fast drei Millionen Euro rechtfertigen, ist fraglich – Stadien im Ausland werden bekanntlich oft für Konzerte genutzt. Die Gemeinde hatte vorgerechnet, dass bei einer parallelen Nutzung des Stadions für Konzerte, jede alternative Veranstaltung eine Instandsetzung des Rasens von 120.000 Euro bedeuten würde. Zudem heißt es, die FLF habe den Rasen schonen wollen.

Im Volksmund dürfte der Mehrzweckplatz aber vielmehr als VIP-Parkplatz gehandelt werden. Als „Grundfunktion“ des Platzes wird in einem offiziellen Schreiben der Gemeinde nämlich ein „Parking für UEFA-Vertreter während der Veranstaltungen im Stadion“ angeführt. Bisher bleibt offen, wieso diese Stellplätze nicht in das gleich nebenan geplante Parkhaus eingegliedert werden konnten.
Neben den rund 80 Millionen Euro für das Stadion und den Mehrzweckplatz, investierte die Gemeinde REPORTER-Informationen zufolge bereits 6,1 Millionen Euro für die Erschließung der Flächen und Kompensierungsmaßnahmen.
Die Frage der politischen Verantwortung
Dass Bauprojekte dieser Größenordnung das zunächst veranschlagte Budget sprengen, ist sicherlich nicht ungewöhnlich. Angesichts einer unerwarteten Budgeterhöhung von 27,5 Prozent stellt sich aber unweigerlich die Frage der politischen Verantwortung. Jegliche Kritik gegen den Schöffenrat weist die Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) von sich. Parallel lobt sie die Arbeit der Gemeindemitarbeiter. Ihr Standpunkt: „Es ist eines jener Projekte, über die wir nicht glücklich sind, für die es aber Erklärungen gibt.“
„Wir tragen wahrscheinlich alle hier ein bisschen Schuld, weil wir nicht streng genug waren“, bringt es Gemeinderatsmitglied Tom Krieps (LSAP) auf den Punkt. Man habe sich vom allgemeinen Enthusiasmus treiben lassen. Selbst die Opposition in der Hauptstadt sieht die Schuld also nicht vorrangig beim Schöffenrat. „Ein Stadion baut man nicht jeden Tag, es ist ein Mangel an Erfahrung“, sagte Tom Krieps in der jüngsten Sitzung des Gemeinderats.
Hauptstadt will finanzielle Lasten verteilen
Die zusätzlichen Ausgaben sollen zudem nicht alleine von der Gemeinde getragen werden. Die Beteiligung des Staates (70 Prozent der Gesamtkosten bis zu einem Maximalbetrag von 40 Millionen Euro) soll neu verhandelt werden. Die zuständige Schöffin Simone Beissel sagte Anfang der Woche, dass sie noch keinen Antrag beim Sportministerium eingereicht habe.
Dennoch ist man optimistisch. Der Staat müsse zumindest den Anteil der von seinen Diensten gewünschten zusätzlichen Leistungen zahlen, darunter den Einbau von modernen Polizei-Kameras. Die Gemeindeverantwortlichen betonen jedoch auch, Rechtsklauseln nutzen zu wollen, um die Planungsgemeinschaft zur Rechenschaft zu ziehen.
Diese dürfte die Frage der Verantwortung aber anders beantworten. Zu den Vorwürfen des Gemeinderats wollten sich auf Anfrage von REPORTER weder die beiden Architekturbüros noch Paul Wurth Geprolux S.A. äußern. In einem Bericht für den Gemeinderat wird die Planungsgemeinschaft jedoch mit den Worten zitiert: „A priori le groupement voit ses omissions, mauvaises estimations, erreurs etc. moins graves que la Ville.“
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