Die Ressourcen schwinden, der Klimawandel scheint unaufhaltsam. Milliardäre wie Amazon-Gründer Jeff Bezos wollen die Erde aufgeben und ihr Heil in den Weiten des Weltalls suchen. Andere versuchen noch, die kommende Katastrophe abzuwenden. Auf Luxemburg bezogen heißt das „Space Mining“ versus Rifkin-Strategie. Ein Essay.
„Wenn wir die Erde so sehen, wie sie wirklich ist, wie sie klein und blau und schön durch die ewige Stille gleitet, dann erkennen wir, dass wir alle auf dieser strahlenden Schönheit durch die unendliche Kälte segeln – wie Brüder, denen jetzt endgültig klar ist, dass sie wahrhaft Brüder sind.“
Diese Zeilen schrieb der US-Schriftsteller Archibald MacLeish an Weihnachten 1968 in der „New York Times“. An Heiligabend waren die Astronauten der Apollo-8-Mission in die Umlaufbahn des Mondes eingetreten. Live im Fernsehen sahen die Menschen zum ersten Mal überhaupt den Planeten Erde aus dem All. Das Bild prägte eine ganze Generation.
Die kleine, blaue Kugel verloren im Tiefschwarz schuf auf einen Schlag ein Bewusstsein für die Begrenztheit der Erde. Das in einer Zeit, in der die reichen Nationen ein scheinbar unbegrenztes Wirtschaftswachstum kannten – die „Trente Glorieuses“. Die Erde wurde zur Nussschale, die die Menschheit durch das Weltall bugsiert. Der Begriff des „Raumschiff Erde“ stand am Beginn der Umweltbewegung, sagt die Historikerin Sabine Höhler im Gespräch mit REPORTER.
„Es gibt keinen Planeten B“
„Die Endlichkeit der Erde rückt wieder stärker ins Bewusstsein, heute allerdings aus anderen Gründen als in den Sechziger- und Siebzigerjahren“, so Sabine Höhler. Deutlich wurde das etwa Ende April, als der französische Präsident Emmanuel Macron vor dem US-Kongress die Evidenz zusammenfasste: „There is no Planet B“.
Als der US-Politikberater Jeremy Rifkin im November 2016 seinen Plan für Luxemburg vorstellte, begann er mit einer düsteren Zustandsbeschreibung: „Die Anhäufung der CO2-Emissionen in der Atmosphäre durch das Verbrennen enormer Mengen fossiler Energie brachten den Klimawandel mit sich, die umfassende Zerstörung der Biosphäre und das sechste Massensterben von Tierarten in der Geschichte unseres Planeten. Unser aktuelles Wirtschaftsmodell ist infrage gestellt.“ Ein wohliger Schauer jagte über den Rücken der versammelten Luxemburger Wirtschaftselite.
Das Wachstum steht nicht zur Diskussion
Ein Jahr davor – im Dezember 2016 – fand in Paris der Klimagipfel statt. Wenige Wochen zuvor inszenierte sich Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) als Zukunftsgestalter. Er hatte den SpaceX-Chef Elon Musk, den Entdecker Bernard Picard und eben Jeremy Rifkin zu einem informellen Treffen der EU-Energieminister eingeladen. „Sie sind der lebende Beweis, dass die Energiewende kein Hindernis für die ökonomische Entwicklung, sondern im Gegenteil ein Motor für die Wirtschaft ist“, sagte Schneider.
Wenn es um den Klimawandel geht, hoffen viele Wachstumsgläubige nicht einfach nur auf ein Wunder – sie gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass dieses Wunder geschehen wird.“Yuval Noah Harari
Doch der Wirtschaftsminister hört bei seinen Experten nur das, was er hören will. Rifkin ist seinem Buch über die „dritte industrielle Revolution“ klar: Er hält ein langfristiges Wirtschaftswachstum für unrealistisch und das falsche Ziel. Schon allein aus dem Grund, dass die Erdölvorräte zu Ende gehen. Als es aber darum ging, die Rifkin-Strategie zusammen mit Luxemburger Akteuren auszuarbeiten, stellte Schneider klar: Das Wachstumsziel von drei bis vier Prozent jährlich stehe nicht zur Diskussion.
Das Hoffen auf ein Wunder
„Die Wirtschafts- und Finanzkrisen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass ohne Wachstum die Arbeitslosigkeit ansteigt und die Staatsfinanzen ins Ungleichgewicht geraten. Das ist ein Fakt“, heißt es im LSAP-Wahlprogramm. Die Sozialisten wollen ein „qualitatives Wachstum“ und berufen sich auf Rifkin. Doch bereits wenn es um das vergleichsweise einfache Problem Tanktourismus geht, werden alle Prinzipien über Bord geworfen: Einerseits seien die CO2-Emissionen aus dem Transport Luxemburgs größtes Klimaproblem. Andererseits könne man da auch nichts dagegen tun.
„Zu viele Politiker und Wähler glauben, solange die Wirtschaft wachse, würden uns Wissenschaftler und Ingenieure schon vor dem Untergang bewahren. Wenn es um den Klimawandel geht, hoffen viele Wachstumsgläubige nicht einfach nur auf ein Wunder – sie gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass dieses Wunder geschehen wird“, schreibt der israelische Historiker Yuval Noah Harari in seinem Bestseller Homo Deus. Es ist die Geisteshaltung von Etienne Schneider – dem Spitzenkandidaten der selbsterklärten „Fortschrittspartei“ LSAP.
Erzählt werden muss das, was gerade nicht eintreten soll.“Literaturwissenschaftlerin Eva Horn
Statt sich den enormen Herausforderungen des Klimaschutzes zu stellen, liebäugeln immer mehr Menschen mit dem Warten auf das Wunder. Statt einer Rifkin-Strategie, die zumindest versucht, das Beste aus der aktuellen Situation zu machen, eröffnet das „Space Mining“ die Perspektive der sorglosen Technikgläubigkeit. Allerdings: Im LSAP-Wahlprogramm wird das „Space Mining“ lediglich in einem Nebensatz erwähnt.
Der verlorene Glaube und der Blick ins All
Doch der Glaube an dieses Wunder schwindet – ein Blick in die Popkultur reicht. 2008 kam der Film Wall-E in die Kinos. Es ist die Geschichte eines kleinen Roboters, der allein auf der von den Menschen verwüsteten Erde zurückblieb. Eine reiche Oberschicht flüchtete auf ein Raumschiff und gab sich weiter dem Konsum hin. Auch wenn die Geschichte hollywoodmäßig gut ausgeht, so ist es doch eine Parabel, die uns viel über unsere Zeit verrät.
2014 erschien Interstellar von Christopher Nolan – Katastrophenfilm und Weltraum-Epos in einem. Die Erde wird heimgesucht von einer Umweltkrise: Der Boden wird zu Staub, eine Getreideart nach der anderen stirbt, die Ernährungskrise steht kurz bevor. Verzweifelt versucht die NASA einen Ersatzplaneten zu finden. „Mankind was born on Earth. It was never meant to die here“, sagt der Held des Films, der Astronaut Cooper.
Wir müssen in den Weltraum, um die Erde zu retten. Wir müssen uns beeilen.“Jeff Bezos
„Warum schauen wir fünf vor zwölf so gerne Katastrophenfilme?“, fragt Viviane Thill im Magazin „Forum“. Die Antwort liefert die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn in ihrem Buch Zukunft als Katastrophe: „Erzählt werden muss das, was gerade nicht eintreten soll“. Und doch greifen zahlreiche aktuelle Filme Krisenwissen auf. „Die fiktiven Katastrophen sind Experimentalanordnungen“, schreibt Horn.
Wie Tech-Milliardäre sich für die Apokalypse rüsten
Doch nicht nur Filmemacher treibt die mögliche Katastrophe um. Im Silicon Valley bereiten sich die Tech-Milliardäre auf die kommende Apokalypse vor, obwohl sie gleichzeitig überzeugt sind, die Welt zum Besseren zu wenden. Das ist kein Widerspruch, schreibt „The New Yorker“. Technologie belohne denjenigen, der möglichst unterschiedliche Zukunftsszenarien in Betracht zieht.
Die einen kaufen Bunker, die anderen hektarweise Land in Neuseeland, um möglichst weit weg vom gesellschaftlichen Kollaps zu sein. Doch in diesem „Survival of the Richest“ gehen manche einen Schritt weiter. „Wir müssen in den Weltraum, um die Erde zu retten. Wir müssen uns beeilen“, sagte Amazon-Chef Jeff Bezos Ende 2017.
Bezos und Tesla-Gründer Elon Musk sind mit ihren Firmen Blue Origin und SpaceX unbestritten jene, die es mit der Kolonisierung des Weltraums ernst meinen. Plan A ist laut Bezos die Erde bewohnbar zu halten. Doch klar ist auch, dass er einen Plan(eten) B für sich selbst will.
Weltraumressourcen für die Reichen
Scheitert das Vabanquespiel des unbegrenzten Wachstums, dann hoffen die Milliardäre auf eine „Hightech-Arche für die Oberschicht“, schreibt Harari. Die SpaceX-Raketen von Elon Musk machen Weltraumflüge so billig wie noch nie. Doch um das Weltall zum Zufluchtsort zu machen, müssen Ressourcen wie Wasser und Mineralien dort nutzbar gemacht werden.
„Heute gleicht das Reisen im All einer Fahrt von New York nach Los Angeles mit einer einzigen Tankfüllung und 100 Prozent der nötigen Wegzehrung im Auto. Das muss nicht so sein“, erklärt das Unternehmen Planetary Resources. Dessen langfristiges Geschäftsmodell ist demnach, „Tankstellen“ im Weltraum zu finden. (Der Luxemburger Staat hält eine 10-prozentige Beteiligung an der US-Firma.)
Die Erde ist der einzige Planet, der für Menschen bewohnbar ist. Wir werden uns genau hier behaupten müssen.“Al Gore
Die gefrorenen Wasservorräte im All könnten zum wichtigsten Wirtschaftsgut werden, wenn Menschen weiter ins Unbekannte vordringen, heißt es bedeutungsschwer auf der Webseite der staatlichen „Space Resources“-Iniative. Unilateral versucht die Luxemburger Regierung, die Privatisierung von Weltraumressourcen durchzusetzen. Dabei heißt es im Mondabkommen von 1979, dass die Ressourcennutzung im Weltall allen Ländern zugutekommen sowie den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt fördern soll.
In einem zweiten Schritt, nach der Nutzung im All, könnten die Weltraumrohstoffe auch auf die Erde gebracht werden, steht auf Spaceresources.lu. Das Ziel: „Unser Leben“ auf dem Planeten aufrechtzuerhalten, denn die wachsende Weltbevölkerung setze die natürlichen Ressourcen bereits heute unter Druck.
Die Illusion einer Exit-Strategie
Raumfahrt galt vielen auch in der Vergangenheit bereits als eine mögliche Exit-Strategie. Sie wurde gesehen als ein Mittel zur Flucht aus einer Umwelt, die die Menschen bis zum Anschlag ausbeuteten, schreibt Sabine Höhler in ihrem Spaceship Earth in the Environmental Age. Es wäre das Ende von Raumschiff Erde. Der Planet gilt nicht mehr als die alternativlose Nussschale, sondern als vorübergehende Mitfahrgelegenheit für die Menschheit.
Das Bild aus dem All des blauen Planeten schuf auch eine radikal vereinfachte Sicht auf die Erde. Es gebe ein Gefühl der Kontrolle. Und alle Ungleichheiten zwischen den Menschen würden verwischt, betonen die Umwelthistoriker Christophe Bonneuil und Jean-Baptiste Fressoz in ihrem Buch L’Événement Anthropocène.
„Lasst euch von niemandem erzählen, wir könnten auf den Mars flüchten“, kritisierte schließlich der Klimawandelwarner Al Gore. Die US-Regierung habe es nicht geschafft, die Bevölkerung New Orleans zu evakuieren, bevor der Hurrikan Katrina die Stadt verwüstete. Es ist das Bild des blauen Planeten, verloren im dunkelen All mit dem Al Gore seine mit Nobelpreis und Oscar ausgezeichnete Slideshow Eine unbequeme Wahrheit über den Klimawandel beendet. „Da sind wir. Das ist unser Zuhause. Die Erde ist der einzige Planet, der für Menschen bewohnbar ist. Wir werden uns genau hier behaupten müssen.“