Luxemburg könnte neben anderen Ländern zu den Opfern des Cum-Ex-Skandals zählen. Doch die Behörden tun sich schwer, Licht in das Dickicht von problematischen Aktiendeals und Steuerhinterziehung zu bringen. Währenddessen laufen die Geschäfte auf Kosten der Staatskassen weiter.
So viel Konjunktiv war selten: „Das Luxemburger Finanzministerium erklärte, dass nicht auszuschließen sei, dass Luxemburg auch das Ziel solcher [Cum-Ex]-Schemata gewesen sein könnte.“ So steht es im Zwischenbericht der europäischen Finanzaufsicht ESMA zu Cum-Ex und ähnlichen Geschäften.
Das Finanzministerium legt sich demnach nicht fest. Doch es gibt klare Hinweise, dass der Luxemburger Finanzplatz ein Schauplatz des Cum-Ex-Skandals war (oder gar ist). Der Luxemburger Staat wurde laut Recherchen von REPORTER in einem Fall um mindestens zehn Millionen Euro betrogen. In weiteren Fällen liefen die Cum-Ex-Deals über Luxemburger Investmentfonds und Briefkastenfirmen. Dazu kommt, dass die Justizbehörden aus Deutschland, Österreich, Dänemark und Belgien Rechtshilfe in Luxemburg beantragten.
Das Europäische Parlament hatte ESMA im November 2018 mit einer Studie zu dieser Form des Steuerbetrugs beauftragt. Der Anlass war die investigative Recherche „CumEx-Files“. Journalisten hatten aufgedeckt, dass europaweit auf diese Weise mindestens 55,2 Milliarden Euro aus den Staatskassen entwendet wurden.
Der schmale Grat der Legalität
Das Finanzministerium könne nicht beurteilen, „ob und wie viel Steuergelder dem luxemburgischen Fiskus durch solche Praktiken verloren gingen“, antwortete der Minister auf eine parlamentarische Anfrage. Das ist erstaunlich, denn ihm untersteht die Steuerverwaltung, die eigentlich wissen sollte, wer Steuern hinterzieht oder lediglich „optimiert“.
Doch der ESMA-Bericht zeigt, dass nicht nur die luxemburgischen Behörden hilflos wirken. Das Problem: Es gibt unzählige Varianten von Aktiendeals, die entweder zum Ziel haben, weniger Steuern zu zahlen oder Steuern erstattet zu bekommen, die nie gezahlt wurden. Im Jargon sprechen die Experten von „steuergetriebenen“ Geschäften. Einige sind zwar fragwürdig, aber legal. Andere sind Straftaten – sei es Steuerhinterziehung oder Betrug. Dabei ist nicht immer klar, wo der schmale Grat der Legalität verläuft.
Es sind letztlich die Richter, die die Grenze zwischen legal und illegal ziehen müssen. Das ist allerdings bisher nicht passiert. Zwar haben die deutschen Finanzgerichte in letzter Instanz die Erstattung von Quellensteuern bei bestimmten Cum-Ex-Deals abgelehnt. Doch strafrechtlich gibt es bisher nur einige wenige Anklagen, aber kein einziges Urteil, wie die ESMA betont.
CSSF wartet auf Richter
Die größtenteils fehlende Bewertung der Cum-Ex-Geschäfte ist auch für Luxemburgs Finanzaufsicht eine Herausforderung. Obwohl der Verdacht besteht, dass mehrere Luxemburger Finanzinstitute an Cum-Ex-Geschäften beteiligt waren, blieben bisher die Folgen aus.
Solange keine Urteile vorliegen würden, sehe sich die „Commission de Surveillance du Secteur Financier“ (CSSF) außerstande, zu handeln. Soweit bekannt, hätten auch die Regulierungsbehörden in anderen Ländern keine Sanktionen ergriffen, erklärt die CSSF-Generalsekretärin Danièle Berna-Ost im Gespräch mit REPORTER. Es sei ebenfalls nicht klar, ob bei diesen Geschäften eine Gesetzeslücke genutzt wurde oder nicht. „Wir verfolgen das Dossier ganz genau“, betont Danièle Berna-Ost.
Ein ähnliches Bild schält sich aus dem ESMA-Bericht heraus: Cum-Ex-Geschäfte fallen den Aufsichtsbehörden nicht auf, weil sie die Finanzmarktregeln nicht verletzen. Sie haben deshalb auch keine Befugnisse zu ermitteln – etwa Untersuchungen vor Ort in den Finanzinstituten. Selbst wenn die Finanzaufsicht über Daten verfügt, die Cum-Ex-Geschäfte vermuten lassen, dürften Steuerbehörden diese Informationen nicht nutzen.
Die ESMA hat eine formelle Untersuchung eingeleitet, die in den nächsten Monaten klären soll, ob die Integrität der Finanzmärkte durch Cum-Ex-Deals gefährdet ist und welche Erfahrungen die nationalen Behörden gemacht haben.
Das Spiel geht weiter
Die ESMA geht davon aus, dass eine sehr begrenzte Zahl von Personen, den Überblick über die ausgeklügelten Cum-Ex-Deals hatte. Und diese Kreise scheinen die gleichen Geschäfte weiter zu betreiben. Dafür geben die von der Behörde ausgewerteten Marktdaten deutliche Anzeichen.
Damit die „steuergetriebenen“ Geschäfte ihren Zweck erfüllen, müssen die Aktien rund um das Datum der Dividendenausschüttung „verliehen“ werden. Die Marktdaten zeigen, dass Wertpapierleihen ein deutlich höheres Volumen in jenen Zeiträumen haben, in denen Dividenden ausgeschüttet werden. In der gesamten EU beträgt der Unterschied zwischen der Dividenden-Saison und dem Rest des Jahres zwischen 150 und 200 Milliarden Euro.
Ob es sich dabei um Steuervermeidung oder Betrug handelt, lässt sich natürlich nicht aus den Daten herauslesen. Doch auffällig ist, dass etwa in Deutschland die Peaks in den letzten Jahren verschwanden. Gesetzesänderungen und deutlich strengere Steuerämter machen die Deals offenbar uninteressant. Aber das Phänomen bleibt in Frankreich, Belgien, Dänemark und Schweden weiterhin sehr ausgeprägt.
Das deckt sich mit den Recherchen zu den „CumEx-Files“. Als die Journalisten sich als reiche Investoren ausgaben, bot ein Investmentbanker ihnen ein extrem profitables Geschäft an: Der Gewinn kommt aus der Staatskasse. Das Spiel geht weiter.
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