Clearstream, Fonds, Banken, Investoren: Akteure am Luxemburger Finanzplatz sind tief in den milliardenschweren Cum-Ex-Skandal verstrickt. Der erste Strafprozess in Deutschland wird auch hierzulande ernste Folgen haben. Denn die Ausrede, dass alles legal war, steht auf der Kippe.
In Sachen Cum-Ex gibt es zwei Sichtweisen: Die einen sehen die dubiosen Aktiendeals als geniale Ausnutzung einer Gesetzeslücke. Die anderen sehen in diesen Geschäften ein „kriminelles Glanzstück“, wie es ein deutscher Richter ausdrückte. Das Resultat war das gleiche: Investmentfonds und Banken ließen sich von Staaten eine auf Dividenden erhobene Steuer mehrmals erstatten. Sie machten also Gewinn auf Kosten der Steuerzahler.
Über die Grenze zwischen Genialität und Kriminalität entscheidet aktuell das Landgericht Bonn. Angeklagt sind zwei Aktienhändler, die den deutschen Staat um 400 Millionen Euro betrogen haben sollen. Da sie umfangreich mit der Justiz kooperiert haben, dient dieser Prozess aber vor allem der Frage, ob die Cum-Ex-Geschäfte tatsächlich „nur“ eine Gesetzeslücke ausnutzten.
Finanzaufsicht CSSF wartet auf Richterspruch
Selbst anerkannte luxemburgische Anwälte sind überzeugt, dass die Cum-Ex-Geschäfte legal waren. Vieles deutet darauf hin, dass diese Ansicht das Ende des Bonner Musterprozesses nicht überleben wird. Bereits am ersten Verhandlungstag am Mittwoch ging es um Absprachen zwischen Banken und Händlern, berichtete das „Handelsblatt“. Doch diese hätte es bei „normalen“ Geschäften nie geben dürfen. Bei bewusstem Betrug mit sogenannten Aktienkreisgeschäften waren sie dagegen unerlässlich.
Obwohl zahlreiche Fälle mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen, blieben bisher Folgen für die beteiligten Finanzakteure in Luxemburg aus. Solange keine Urteile vorliegen würden, sehe sich die „Commission de Surveillance du Secteur Financier“ (CSSF) außerstande, zu handeln, hieß es noch im Juli auf Nachfrage von REPORTER.
Dabei gibt es vieles aufzuarbeiten. Es geht nicht nur um den Briten Sanjay Shah, der laut Recherchen von REPORTER mit vorgetäuschten Cum-Ex-Geschäften den luxemburgischen Staat um mehr als zehn Millionen Euro betrogen haben soll. In diesem Fall ermittelt Luxemburgs Justiz weiter. Mehrere Finanzakteure waren laut deutschen Ermittlungen direkt oder indirekt an den Steuerbetrügereien beteiligt.
Clearstream als „Spinne im Netz“
Letztes Beispiel ist die Razzia vergangene Woche bei Clearstream – nicht nur am deutschen Standort in Eschborn bei Frankfurt, sondern auch in Luxemburg, wie das „Handelsblatt“ berichtete. Die Nachfrage von REPORTER bei der Luxemburger Staatsanwaltschaft zu diesem Sachverhalt blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Die deutschen Ermittlungen gegen den Finanzdienstleister sind allerdings nicht neu. „Wie der Clearstream Banking AG und der Clearstream Banking S.A. im September 2017 bekannt wurde, führt die Staatsanwaltschaft Köln ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung“, heißt es im Geschäftsbericht 2018 des Mutterkonzerns Deutsche Börse. Es gehe um die Beteiligung eines Mitarbeiters an Cum-Ex-Transaktionen.
Laut dem „Handelsblatt“ handelt es sich um den deutschen Clearstream-Manager Thomas R. Er soll der britischen Großbank Barclays 2007 geraten haben, die Luxemburger Clearstream-Konten zu nutzen, um Cum-Ex-Geschäfte durchzuführen. So sollten neue deutsche Regeln einfacher umgangen werden. Diese aktive Beratung ist der deutschen Justiz offenbar ein Dorn im Auge. Unklar ist zudem, ob das der einzige Vorgang war. Insider sagten dem „Handelsblatt“, Clearstream sei eine „Spinne im Netz“, ohne die dubiose Aktiendeals gar nicht stattfinden könnten.
Ein doppeltes Spiel
Als Wertpapier-Sammelstelle ist Clearstream die Infrastruktur, die es für Aktientransaktionen braucht. Und bei Cum-Ex-Geschäften geht es um Deals in Milliardenhöhe. Diese zentrale Rolle ist der Grund, warum der Dienstleister ab 2002 mitdiskutierte, um das Problem Cum-Ex zu lösen. Der Hauptbeteiligte an diesen Arbeitsgruppen war Thomas R., wie er im Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags aussagte. Erweist sich der Verdacht der Kölner Ermittler als richtig, dann spielte er ein doppeltes Spiel.
Den deutschen Abgeordneten erzählte ein früherer Clearstream-Vorstand allerdings, dass das Unternehmen bis 2009 keine genaue Kenntnis des Cum-Ex-Problems gehabt habe. Eine Aussage, die dem Vorsitzenden des Ausschusses nicht schmeckte: Als die Geschäfte 2009 zunahmen und für Clearstream „unangenehm“ geworden seien, habe der Dienstleister eine Lösung „hervorgezaubert“, kritisierte der SPD-Politiker Hans-Ulrich Krüger.
Weitere Prozesse stehen bevor
Klar ist eins: Beim Bonner Cum-Ex-Prozess wird es nicht bleiben. Erzielt die zuständige Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker mit ihrer Anklage einen Durchbruch, dann dürfte es für den Luxemburger Finanzplatz brenzlig werden. Denn „Deutschlands härteste Cum-Ex-Ermittlerin“ („Handelsblatt“) untersucht neben Clearstream weitere Fälle, die nach Luxemburg führen. Dazu zählen etwa die Geschäfte der Kirchberg-Gruppe zusammen mit der niederländischen Bank ABN Amro. Der in Luxemburg angesiedelte Sheridan-Fonds, der mit Steuergeldern Gewinne erwirtschaften wollte, ist ebenfalls Gegenstand von Ermittlungen.
Spätestens wenn die deutschen Richter ihre Urteile fällen, wird sich die Frage der Verantwortung der luxemburgischen Unternehmen und Behörden – sowie nicht zuletzt der Politik – stellen.