Die CSV will für eine neue Familienpolitik stehen. Modern soll die neue Ausrichtung sein, aber ohne jene Elternteile zu vernachlässigen, die sich ganz der Kindererziehung widmen wollen. Ein Anspruch, dem die Oppositionspartei nur schwer gerecht werden kann.
Oberanven „A Schommesch“: Fast die ganze christlich-soziale Prominenz hat sich an einem Mittwochabend im Festsaal eingefunden, um sich über die Vorschläge der CSV im Bereich Familienpolitik auszutauschen. Der Zeitpunkt scheint etwas ungünstig gewählt so kurz vor den Europawahlen. Die Veranstaltung ist nicht gut besucht.
Junge Leute sind außer den eigenen aktiven Parteimitgliedern kaum anwesend, die Gäste sind eher im Rentenalter. Aber vielleicht sind sie ja genau deswegen gekommen. Die CSV spricht sich in einem Gesetzesvorschlag dafür aus, den Elternurlaub auf die Großeltern übertragbar zu machen.
„Das Konzept der Großelternzeit gefällt mir weniger. Eltern müssen die Chance bekommen, sich selbst um ihre Kinder zu kümmern“, sagte die ehemalige Familienministerin Marie-Josée Jacobs während der Informationsversammlung in Oberanven. Sie könne sich nicht zurückhalten, ihre Meinung zu äußern. In ihrer Amtszeit hatte sich Marie-Josée Jacobs für eine nichtübertragbare Elternzeit eingesetzt. Dass dieses Prinzip nun ausgeschaltet werden sollte, findet die CSV-Politikerin problematisch.
Die Bandbreite christlich-sozialer Alternativen
Jacobs muss wissen, wovon sie spricht. Sie war über drei Legislaturperioden Familienministerin und hat das sozialpolitische Programm ihrer Partei maßgeblich geprägt. 2006 hatte sie die Indexierung des Kindergeldes abgeschafft, die die CSV heute gerne wieder einführen will und die Regierung dafür kritisiert, dass diese erst am Ende der Legislaturperiode handeln will.
Zusätzlich zum besagten Gesetzesentwurf hat die CSV Anfang Mai weitere Alternativvorschläge zur Regierungspolitik im Parlament eingebracht. Dazu gehört die Einführung einer sozial gestaffelten Großfamilien-Zulage. Diese Familien hatten mit der blau-rot-grünen Kindergeldreform am meisten an Zuwendungen verloren. Außerdem will die CSV die Babyjahre verdoppeln, den Elternurlaub weiter flexibilisieren, die Telearbeit fördern und die Häufung von Elternzeit und Chèques-Services-Leistungen für Kitas unterbinden.
Uns wird ja oft vorgeworfen, dass wir die Rolle der Frau immer noch konservativ definieren würden. Das ist aber längst nicht mehr der Fall.“Martine Hansen, CSV-Fraktionsvorsitzende
Familienpolitik war oder ist noch eines der letzten Steckenpferde einer konservativen Politik und dort will die CSV in der Opposition wohl anknüpfen. Doch die Vorschläge entsprechen nur zum Teil dem Verständnis einer traditionellen, konservativen Familienpolitik. Teilweise kritisieren die Christsozialen die Regierungsparteien dafür, dass sie den Menschen ihr Verständnis einer „modernen“ Familienpolitik aufzwingen wollen. Andererseits will die CSV laut ihren Vorschlägen aber genau an dieser Modernisierung ansetzen und noch weiter gehen.
CSV will eine „warm-moderne“ Familienpolitik
Wo soll die Reise der CSV in der Familienpolitik hingehen? In einem Meinungsbeitrag im „Luxemburger Wort“ plädierte CSV-Fraktionschefin Martine Hansen für eine „neue Familienpolitik“, ohne staatliche Einmischung, eine „menschliche“, „warm-moderne“ Familienpolitik, im Gegensatz zu der aktuellen „kalt-modernen“ Politik von Blau-Rot-Grün. „Alle Familienmodelle sind gleich viel wert“, so Hansen weiter. Um diesen Anspruch in reale Politik umzusetzen, wolle man „neue Wege als konstruktiv-kritische Opposition“ beschreiten.
Wirklich neu ist das familienpolitische Konzept der CSV jedoch nicht. Einige Vorschläge aus früheren Wahlprogrammen wurden wieder aufgegriffen, andere fallen gelassen, aber wirklich innovative Maßnahmen sind Mangelware. Die Familienpolitik der Dreierkoalition wird zudem nur rhetorisch kritisiert, aber nicht im Grundsatz in Frage gestellt.
Auch die CSV weiß, dass die Familienpolitik der blau-rot-grünen Koalition von einem beträchtlichen Teil der Wählerschaft als Erfolgsgeschichte wahrgenommen wird: 20 Stunden Gratis-Kinderbetreuung, Reform der Elternzeit und Ausdehnung des Vaterschaftsurlaubs sind Maßnahmen, die der Lebenswirklichkeit vieler Menschen im Land entsprechen.
Kinder, Küche, Kirche – das war gestern
Zu dieser Gesellschaft gehört nicht zuletzt die heutige CSV selbst. Der Boom der Betreuungsstrukturen hat auch nicht erst mit Blau-Rot-Grün angefangen: Die CSV-Ministerin Marie-Josée Jacobs hatte etwa die Einführung der Chèques-Services-Accueil 2009 eingeführt. Und die Fremdbetreuung hat sich längst in CSV-Kreisen etabliert. Serge Wilmes etwa hat während des Informationsabends in Oberanven die eigenen Erfahrungen mit der „Crèche“ angesprochen und auf die Wichtigkeit der Qualität der Betreuung gepocht.
Nicht zuletzt Martine Hansen vertritt glaubwürdig die neue Generation von CSV-PolitikerInnen: Immer wieder betont sie in Interviews, dass sie ihre Tochter bereits mit drei Monaten in eine Kindertagesstätte gab, um selbst weiter zu arbeiten und Karriere zu machen. „Uns wird ja oft vorgeworfen, dass wir die Rolle der Frau immer noch konservativ definieren würden. Das ist aber längst nicht mehr der Fall“, so die CSV-Fraktionschefin im Gespräch mit REPORTER. Wenn es nach Hansen geht, soll das christlich-konservative Frauenbild der drei „K“ – Kinder, Küche, Kirche – definitiv der Vergangenheit angehören.
Das Ende des Konflikts um die Erziehungszulage
Allzu lange ist es jedoch nicht her, dass die CSV noch für eine klassisch konservative Familienpolitik stand. Die blau-rot-grüne Reform des Kindergeldes und die Abschaffung der Erziehungszulage waren den Christsozialen in den vergangenen Jahren ein Dorn im Auge. An dieser Stelle zog die CSV die Grenze einer prinzipiell befürworteten Modernisierung und Liberalisierung. Mittlerweile ist die Forderung nach einer Renaissance der Erziehungszulage aber zum rhetorischen Bekenntnis verkommen.
Die Erziehungsleistung der Eltern ist uns auch etwas wert.“Martine Hansen, CSV-Fraktionsvorsitzende
Die CSV wolle sich weiter für jene Elternteile einsetzen, die zu Hause bleiben wollen, lautet die offizielle Position. Wie genau, ist jedoch nicht ganz klar. „Die Regierung hat ein Modell vernachlässigt: Elternteile, die zu Hause bleiben und die Kindererziehung selbst übernehmen wollen“, sagt Martine Hansen. Von der noch im Wahlkampf vertretenen Wiedereinführung einer sozial gestaffelten Erziehungszulage ist jedoch keine Rede mehr.
Die „moderne“ Familienpolitik der CSV kommt ohne solche Forderungen aus. Konservativere CSV-Politiker wie Marc Spautz und Françoise Hetto vertreten in ihren Reden aber immer noch die fundamentale Regierungskritik in dieser Frage. Doch spätestens seit dem Aufstieg von Martine Hansen zur Fraktionsvorsitzenden ist der Einsatz für das Konzept des Betreuungsgeldes, von Kritikern abschätzig „Herdprämie“ genannt, keine Priorität mehr.
Nur noch ADR und Piraten für Betreuungsgeld
Laut Martine Hansen ist die Frage einer Wiedereinführung der Erziehungszulage für die CSV heute vom Tisch. Anlässlich einer Fraktionsklausur Anfang des Jahres sei das Konzept verworfen worden. „Die Option der Ausbezahlung der 20 Gratis-Betreuungsstunden wurde diskutiert, aber nicht zurückbehalten“, so die Fraktionschefin. Sie habe mit vielen Menschen geredet und die meisten hätten auf die Problematik der mangelnden sozialen Absicherung hingewiesen.
Gleichzeitig will sich Hansen aber von der traditionellen Rhetorik in dieser Frage nicht verabschieden. „Die Erziehungsleistung der Eltern ist uns auch etwas wert“, sagt sie. Die Familie dürfe nicht von einer „ideologischen Politik“ gesteuert werden. Diese Grundsatzkritik steht allerdings eben im Widerspruch zu den noch in Nuancen bestehenden Unterschieden der CSV-Programmatik zur Regierungspolitik.
In Luxemburg hatten die Piraten übrigens ein Betreuungsgeld in ihr Wahlprogramm aufgenommen: Sie schlugen vor, die Chèques-Service-Ansprüche sozial gestaffelt auszuzahlen – also genau jenes Konzept, von dem sich die CSV im Zuge ihrer „neuen“ Familienpolitik entfernt hat. Auch die ADR wollte laut ihrem Programm für die Parlamentswahlen 2018 Eltern, die ihre Kinder zu Hause versorgen wollen, unterstützen.
Die Elternzeit übertragen- ein Rückschritt?
Dass es bis heute genug Eltern gibt, die gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen würden, weiß auch die CSV. Die Lösung hierfür war im letzten Wahlprogramm eine Ausdehnung des Elternurlaubs. Aber diese Verlängerung des „Congé parental“ von sechs auf acht Monate in Vollzeit wird von der Partei bei ihren jüngsten Initiativen im Parlament nicht wieder aufgegriffen.
„Es ist nicht unbedingt die Länge der Elternzeit, die schwierig ist, es ist vielmehr deren Mangel an Flexibilität, die zu wünschen übrig lässt“, erklärt Martine Hansen. Daher schlägt die CSV mehr Flexibilität vor: Der Arbeitnehmer soll flexibel mit dem Arbeitgeber die Form der Arbeitszeitverringerung innerhalb des zeitlichen Rahmens verhandeln können. Gegen die Verlängerung der Elternzeit spreche auch die Kostenexplosion, die die Reform der Regierung mit sich brachte, so die CSV-Fraktionschefin.
Gegen ein modernes Familienbild mit einer gleichberechtigten Elternschaft spricht dabei die Tatsache, dass nach dem Wunsch der CSV der Elternurlaub übertragbar sein soll: Das heißt, dass entweder die Mutter oder der Vater die Ansprüche des anderen Elternteils übernehmen können. „L’organisation de la vie de famille est une affaire privée qui concerne les familles et, uniquement elles. Si un parent souhaite cumuler les congés parentaux, il ne devrait pas y avoir de freins législatifs“, heißt es im Gesetzesvorschlag der CSV.
Die meisten Eltern müssen arbeiten, aber …
Der Erfolg der geltenden Reform ist in diesem Punkt aber kaum zu widerlegen: 2018 wurden 49,2 Prozent der Elternurlaube von Männern beantragt. Warum also gerade hier ansetzen?
„Die große Mehrheit der Eltern muss heute arbeiten“, antwortet Martine Hansen auf die Frage, ob es sich Eltern heute noch erlauben können, zu Hause zu bleiben. Andererseits steht die CSV für eine Politik ein, die den Menschen die Wahl des Familienmodells überlässt und ohne staatliche Einmischung in die interne Organisation der Familie auskommt. Wie ist dies vereinbar mit der Realität, dass die meisten Eltern es sich nicht leisten können, zu Hause zu bleiben?
Der CSV-Abgeordnete Marc Spautz argumentiert in dieser Frage mit bestimmten Branchen, in denen es schwieriger sei, Elternzeit zu beantragen. Zum Wohle des Kindes sei es daher angebracht, die Elternzeit nicht verfallen zu lassen. Dass Eltern arbeiten müssen, weil die Lebenshaltungskosten, insbesondere die Wohnkosten hoch sind, bestreitet dabei auch die CSV nicht. Ohne zusätzlichen finanziellen Transfer können sich also nur einige wenige leisten, zu Hause zu bleiben.
Soziale Absicherung als Hauptproblem
Die neue Linie unter Martine Hansen hat die soziale Absicherung im Alter als größtes Problem ausgemacht. Der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Renten ist mit 38,5 Prozent immer noch groß. Das liegt aber auch daran, dass die Generation der heute Pensionierten geprägt war vom männlichen Alleinverdiener. Das ist heute nicht mehr in dem Maße der Fall, nicht zuletzt wegen diverser Reformen in der Familienpolitik.
Die CSV schlägt zudem vor, die Babyjahre, also die Jahre, in denen der Staat die Rentenbeiträge übernimmt, von zwei auf vier Jahre anzuheben. Bereits im Wahlprogramm wurde eine Erhöhung der Babyjahre versprochen. Die Babyjahre allein können das Problem aber nicht lösen, dass viele Eltern es sich nicht leisten können, ihre Erwerbstätigkeit aufzugeben oder zu reduzieren. Martine Hansen relativiert das Konzept der freien Wahl des Familienmodells: „Die Familie trifft eine Entscheidung und wir wollen sie darin unterstützen.“ Gleichzeitig sei ihr aber bewusst, dass nicht jeder und jede die Wahl habe.
Unabhängig von der Frage, wie modern ihre Politik ist, hatte die CSV wie erwartet wenig Erfolg mit ihren jüngsten Vorschlägen. Die im Parlament vorgelegten Motionen wurden, wie im parlamentarischen Alltag üblich, von der blau-rot-grünen Mehrheit abgelehnt. Die Gesetzesvorschläge, die jetzt dem Staatsrat zur Begutachtung vorliegen, werden wohl ein ähnliches Schicksal erfahren. Bis zu den kommenden Wahlen bleibt für die CSV jedoch noch etwas Zeit, um den Bürgern zu erklären, wie warm ihre Modernität denn nun wirklich ist.
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