Dass die CSV kein dauerhaftes Anrecht auf die Regierung hat, sollte jetzt auch dem letzten in der Partei einleuchten, sagt die neue Fraktionschefin Martine Hansen. Ein Gespräch über unscharfe Wahlprogramme, persönliche Macht und die Vorzüge einer Politik-Quereinsteigerin.

Interview: Christoph Bumb

Frau Hansen, zur Einstimmung eine einfache Frage: Warum hat die CSV die Wahlen verloren?

Eine ganz einfache Frage, ja. (lacht) Unsere Analyse ist noch nicht abgeschlossen. Wir warten noch auf die Auswertung der Daten zur Wählerwanderung. Manche stellen die ganze Kampagne in Frage, die man in der Tat noch im Detail untersuchen muss. Vielleicht war unser „Plang fir Lëtzebuerg“ auch zu umfangreich, aber nicht konkret genug. Aus dem Bauch heraus sage ich aber, dass wir insbesondere die jungen Wähler nicht genug angesprochen haben. Aus alldem gilt es, die richtigen Lehren zu ziehen.

Kann man es vielleicht auch so zusammenfassen, dass die CSV im Wahlkampf nicht glaubhaft vermitteln konnte, warum es unbedingt zu einem Regierungswechsel kommen musste?

Das meine ich mit dem Plan, der zwar viele Ideen behandelte, den wir aber als Ganzes nicht vermitteln konnten. Wir haben als Partei den Anspruch, zu allen Themen Lösungswege im Angebot zu haben. Doch im Wahlkampf kommt es darauf an, dass man diese Lösungen auf den Punkt bringen kann. Nur um ein Beispiel zu nennen: Wir haben zwar das Wachstumsproblem thematisiert, aber nicht deutlich genug gemacht, was denn konkret das Problem ist und was es dagegen im Einzelnen zu tun gilt.  Jetzt gilt es aber, unsere Aufgabe als Oppositionspartei ernst zu nehmen. Dazu gehört die Kontrolle der Regierung, aber auch die Schärfung und Konkretisierung unseres Programms.

Was hätten Sie als nationale Spitzenkandidatin anders gemacht?

Das wäre mir jetzt zu einfach. Ich habe zwar meinen Charakter und jeder hat eine andere Art, Politik zu machen. Ich war aber auch Spitzenkandidatin im Norden und habe wie alle unsere Kandidaten eine Verantwortung für das gesamte Resultat. Jeder muss sich in Frage stellen. Und im Nachhinein ist man immer schlauer.

Ich bin da selbst ein gutes Beispiel. Ich bin geschieden, war immer berufstätig und habe eine Tochter, die mit knapp zwei Monaten in die Kinderkrippe kam. Und es hat ihr nicht geschadet.“

Eine andere Analyse des Resultats liegt eher auf der inhaltlichen Ebene. Kann es sein, dass die CSV die wirklichen Zukunftsthemen wie Umweltpolitik, Klimaschutz oder auch eine moderne Familienpolitik schlicht verschlafen hat?

Ja, wir haben manche Themen zumindest nicht genug in den Vordergrund gestellt. Wir haben auch beim Umwelt- und Klimaschutz klare Auffassungen. Diese wurden aber in diesem Wahlkampf nicht genug thematisiert. Auch unsere Familienpolitik würde ich als modern bezeichnen. Allerdings ist in der Debatte oft hängen geblieben, dass wir es einem Elternteil ermöglichen wollen, bei seinen Kindern zu Hause zu bleiben. Das wollen wir zwar auch. Aber wir wissen ebenso, dass sich die meisten Haushalte das nicht leisten können oder es eben nicht wollen. Deshalb ist auch die CSV für eine umfassende, qualitativ hochwertige Kinderbetreuung. Wir sind zwar für die Wahlfreiheit. Das heißt aber, dass wir auch die Wahl der Mehrheit der Menschen, die Familie und Beruf in Einklang bringen möchten, unterstützen. Auch das sollten wir in Zukunft klarer so nach außen sagen. Ich bin da selbst ein gutes Beispiel. Ich bin geschieden, war immer berufstätig und habe eine Tochter, die mit knapp zwei Monaten in die Kinderkrippe kam. Und es hat ihr nicht geschadet.

Martine Hansen, Jahrgang 1965, ist studierte Agronomin und frühere Direktorin des „Lycée technique agricole“ in Ettelbrück. Von April bis Dezember 2013 war sie Ministerin für Hochschule und Forschung im Kabinett Juncker-Asselborn II. Im vergangenen Dezember trat die Mutter einer Tochter die Nachfolge von Claude Wiseler als Vorsitzende der CSV-Fraktion an. (Foto: Matic Zorman)

Bei manchen Themen war die CSV vielleicht schlecht aufgestellt. Bei anderen Themen hat man dagegen den Eindruck, dass DP, LSAP und Déi Gréng im Grunde CSV-Politik betreiben. Auch die CSV hat vor Wahlen reichlich Geld in die Hand genommen und es an ihre Klientel verteilt. Ist Opposition nicht einfach schwerer in wirtschaftlich guten Zeiten?

Dass diese Regierung eine 100-prozentige CSV-Politik betreibt, würde ich jetzt mal bezweifeln. Es stimmt aber schon, dass die drei Koalitionsparteien zusammen ähnlich breite Schichten der Bevölkerung abdecken wie wir als traditionelle Volkspartei. Das ist sicher eine Herausforderung. Wir haben es zwar immer noch selbst in der Hand, programmatisch so attraktiv zu sein, dass wir wieder Wahlen gewinnen. Doch es wird sicher erst einmal nicht einfacher für uns.

Wir sind zwar die größte Partei im Land. Das geht allerdings nicht mit einem Automatismus einher, wonach wir allein deswegen in die Regierung gehören. Spätestens jetzt sollte das allen klar sein.“

Liegt das nicht auch daran, dass die CSV Oppositionsarbeit auch nach fünf Jahren immer noch lernen muss? Sie werden in den Medien oft als eine der wenigen in der Partei beschrieben, die da weniger Zeit zur Eingewöhnung brauchte …

Das ist für mich persönlich in der Tat schwieriger zu beantworten, weil ich weitaus länger in der Opposition war als in der Regierung. Ich denke deshalb schon, dass ich mich recht schnell in dieser Rolle zurechtgefunden habe. Es stimmt aber: Wir müssen uns alle stärker in die Dossiers einarbeiten. Wir müssen jede Maßnahme der Regierung kritisch hinterfragen. Das bedeutet für jeden einzelnen erst einmal Arbeit. Wir haben keine Ministerien im Rücken, die uns zuarbeiten und die inhaltliche Linie vorgeben. Das ist einerseits ein Nachteil, weil wir weniger Personal als die Regierungsparteien haben. Andererseits ist es aber auch eine Chance, wenn wir denn bei aller Opposition nicht vergessen, unser Profil zu schärfen, um gestärkt aus den kommenden fünf Jahren hervor zu gehen.

Sie persönlich sind bisher vor allem als Landwirtschafts- und Bildungspolitikerin in Erscheinung getreten. Wie groß ist eigentlich die Herausforderung, sich in Ihrer neuen Rolle in alle Themen einzuarbeiten und zur Generalistin zu werden?

Es ist definitiv eine Herausforderung. Ich bin aber wie gesagt auch ein Teamplayer. Das bedeutet, dass ich nicht unbedingt jederzeit und zu allem selbst sprechen muss. Wir haben hervorragende Fachpolitiker in unseren Reihen, die sich nicht hinter der Fraktionschefin verstecken sollen. Darin unterscheide ich mich vielleicht von manch einem meiner Vorgänger. Aber so sehe ich das. Das heißt natürlich nicht, dass ich mich verstecken werde. Ich werde unsere Positionen zu allen Themen vertreten. Ich sehe das als eine Herausforderung im positiven Sinn.

Sie sind 2013 als Quereinsteigerin in die Politik gekommen. Wie nehmen Sie Ihre Partei wahr, die ja lange daran gewöhnt war, zu regieren?

Wir sind eine Partei wie alle anderen auch. Ich denke, dass das langsam, aber sicher bei allen in der Partei in den Köpfen angekommen ist. Wir haben zwar unsere Ideale. Wir sind zwar die größte Partei im Land. Das geht allerdings nicht mit einem Automatismus einher, wonach wir allein deswegen in die Regierung gehören. Spätestens jetzt sollte das allen klar sein.

Wenn wir genau so weitermachen wie bisher, wird es bei den nächsten Wahlen wohl nicht besser ausgehen.“

Können Sie mit Ihrer Erfahrung Ihrer Partei dabei behilflich sein?

Ich denke schon. Wir dürfen nicht vergessen, dass Wahlen nicht nur im sogenannten Wahlkampf und aufgrund eines Programms entschieden werden. Wir werden auch an unserer Arbeit in den kommenden fünf Jahren gemessen. Ich will nicht sagen, ob wir die Oppositionsrolle in der vergangenen Legislaturperiode gut oder schlecht ausgefüllt haben. Was aber offensichtlich ist: Wenn wir genau so weitermachen wie bisher, wird es bei den nächsten Wahlen wohl nicht besser ausgehen. Das Risiko, im Volk an Zuspruch zu verlieren, wird nach zehn Jahren in der Opposition noch größer sein. Wir müssen sowohl stärker als kritische Opposition auftreten als auch durch unsere sachliche Arbeit an Sichtbarkeit gewinnen. Dazu werde ich mein Bestes beitragen.

Über Ihren Einstieg in die Politik wird erzählt, dass der damalige Premier Jean-Claude Juncker Sie Anfang 2013 ohne Vorwarnung angerufen hat und Sie als Ministerin verpflichten wollte …

Ja, das stimmt so …

Welche Gründe haben Sie dazu bewogen, das Angebot anzunehmen?

Ich war ehrlich gesagt nicht sofort überzeugt. Ich bin eigentlich nicht so ein Karrieremensch. So habe ich zunächst überlegt, wie ich ihm zu verstehen gebe, dass ich das Angebot nicht annehme. Meine Tochter ging noch in die Schule. Mein Leben spielte sich im Norden des Landes ab. Dazu kommt, dass ich meinen damaligen Job als Schuldirektorin wirklich gerne gemacht habe. Meine Einstellung hat sich aber erst geändert durch ein Gespräch mit meinen Eltern, als mein Vater mir sagte: „Martine, iwwerlee dir dat nach eng Kéier. Du gëss jo net méi domm dovunner…“ (lacht)

Andere hätten jetzt wohl gesagt, Sie hätten zugestimmt, weil Sie immer schon etwas bewegen wollten …

Das ist ja klar. Natürlich war das eine interessante Perspektive. Hochschule und Forschung lagen mir natürlich als Ressorts sehr nahe. Als Ministerin wollte ich schon etwas bewegen und dabei vor allem meine Erfahrungen aus dem Beruf einbringen.

„Jeder muss sich in Frage stellen“: Martine Hansen ist eine der wenigen Spitzenpolitiker ihrer Partei, welche die CSV vor allem aus der Sicht einer Oppositionspartei kennen. (Foto: Matic Zorman)

Würden Sie anderen Menschen in Ihrer früheren Position dazu raten, den Weg in die Politik zu beschreiten? Ist das etwas, was Sie in Ihrer neuen Position aktiv fördern wollen?

Wir brauchen eine gesunde Mischung. Dazu gehören sicher auch Leute von außen, die einen anderen Blick mitbringen. Mein Nachteil ist: Ich kenne die Geschichte der Partei nicht so gut wie andere. Das kann aber manchmal auch ein Vorteil sein. Weil man dann einfach mal eingefahrene Dinge verändern kann, ohne sich zu fragen, wie das denn in der Vergangenheit gehandhabt wurde. Ich will auch Menschen außerhalb der CSV dazu motivieren, sich politisch zu engagieren. Egal ob das in der Partei ist oder auf anderen Ebenen.

Bei Ihrer Wahl zur Fraktionsvorsitzenden haben nicht alle CSV-Abgeordneten für Sie gestimmt. Wissen Sie persönlich, wer Ihnen nicht das Vertrauen ausgesprochen hat?

Ich habe auf einer geheimer Abstimmung bestanden. Sonst hätten vielleicht manche gegen ihre Überzeugung für mich gestimmt. Dass nicht jeder zufrieden mit meiner Wahl ist oder manche sich vielleicht selbst gerne auf dem Posten gesehen hätten, ist doch normal. Das war früher auch schon so. Deshalb habe ich auch nicht vor, nachzuforschen, wer wie abgestimmt hat.

Sie werden ja aber schon eine Idee haben, um wen es sich handelt …

Ja, ich kann mir natürlich den einen oder anderen vorstellen. Das sollte aber kein Problem für unsere Zusammenarbeit sein. Auch mein Vorgänger Claude Wiseler wurde übrigens nicht einstimmig gewählt und doch haben in der Fraktion alle solidarisch und loyal zusammengearbeitet.

Ich habe aber sicher nicht diesen wichtigen Posten übernommen, um später einen anderen bestimmten Posten zu bekommen.“

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu politischer Macht beschreiben?

Ich bin kein verbissener Machtmensch. Ich will meinen Job wie bei früheren Jobs so gut wie möglich machen. Natürlich geht es in der Politik immer um Macht. Das sollte man als Politiker zugeben können. Unser Ziel ist es, wieder in die Regierung zu kommen, um unsere Vorstellung von einer verantwortungsvollen Politik umzusetzen.

Welche Macht streben Sie persönlich an?

Als ich den Posten der Fraktionspräsidentin übernommen habe, wusste ich, dass das eine der ersten Fragen der Medien sein würde. Ich habe aber sicher nicht diesen wichtigen Posten übernommen, um später einen anderen bestimmten Posten zu bekommen. Das war auch schon früher so. Ich hatte nie das Ziel, eines Tages Direktorin zu werden, und wurde es dann doch. Ich sehe meine Aufgabe jetzt darin, die Fraktion zu führen und uns alle an die Arbeit zu machen.

Es soll auch Premiers geben, die laut eigener Aussage vorher eigentlich nie Premier werden wollten …

Ich weiß ja nicht, was alles noch kommt.