Wir verschwenden jeden Tag mindestens eine Stunde mit Nachrichten. Das ist die These des Schweizer Bestsellerautors Rolf Dobelli. Sein Rezept: Einfach aufhören damit und die Zeit besser nutzen. Seine nüchterne Diagnose überzeugt, seine radikalen Ratschläge nicht.

Stellen Sie sich vor: Sie sind beim Friseur und alle reden über einen Waringo-Bericht, eine übermächtige Großherzogin und mutmaßliche Gewalt am Hof. Sie haben keine Ahnung, um was es geht. Denn seit Jahresbeginn erhalten Sie keine Push-Nachrichten, lesen keine Zeitung und schauen kein RTL-Journal mehr.

Wie fühlen Sie sich jetzt? Peinlich berührt, weil Sie nicht an der politischen Diskussion teilnehmen können? Befreit, weil Sie keine Zeit mit einer Debatte verschwendet haben, die Sie nicht betrifft?

Ein kalter Entzug

Es ist dieser Zwiespalt, der im Zentrum des Buches von Rolf Dobelli „Stop Reading the News“ steht. Sein „Manifest für ein glücklicheres, ruhigeres und weiseres Leben“ ist die Geschichte über einen Selbstversuch: Seit 2010 liest der Autor keine News mehr. Für ihn hat sich die Entscheidung gelohnt: mehr Lebensqualität, bessere Konzentration und vor allem viel mehr Zeit.

Am Anfang standen für Rolf Dobelli zwei Fragen: Half ihm sein exzessiver News-Konsum, die Welt besser zu verstehen? Half er ihm dabei, bessere Entscheidungen zu treffen? Es war ein zweifaches Nein und der Beginn eines kalten Entzugs, den er auch seinen Lesern nahelegt.

„News sind für den Geist, was Zucker für den Körper ist“, so die Hauptthese. Sie schmecken gut, sie machen süchtig, aber sie sind nicht nahrhaft für das Denken. Im besten Fall sind Nachrichten überflüssig, im schlimmsten Fall schaden sie dem Wohlbefinden oder gar der Gesundheit.

Der kaputte Bullshit-Filter

Ein Beispiel, das Rolf Dobelli öfters nennt: Treffen sich zwei Staatsmänner, schütteln Hände, diskutieren die Weltlage. Das ist zwar eine klassische Nachricht, aber sie hilft nicht, die Hintergründe der Treffen zu verstehen, die viel zu selten in den „News“ auftauchen.

Gefährlich wird es, wenn es um politische Überzeugungen geht, schreibt Rolf Dobelli. Wir suchen uns die News aus, die unsere Meinung bestätigen. Ein Beispiel: Viele sind überzeugt, dass „Flüchtlinge“ krimineller sind als der Rest der Bevölkerung. Das ist falsch. Doch jede Nachricht über einen Flüchtling, der eines Verbrechens verdächtigt wird, bestätigt diese falsche Meinung.

Rolf Dobelli, Stop Reading the News, A Manifesto for a Happier, Calmer and Wiser Life, 2020. ISBN: 978-1-5293-4268-0

Vor allem würden Journalisten ihren Job nicht machen, so der Autor: „Man würde erwarten, dass die Medien als Bullshit-Filter für ihre Leser, Hörer und Zuschauer funktionieren.“ Doch das Gegenteil passiere: „Die Medienkonzerne und Redakteure wissen genau, was sie tun: Sie veröffentlichen Mist, weil ihre Konsumenten ihn aufsaugen.“ Gerade Gratis-Medien würden auf Klicks und Aufmerksamkeit setzen, die Qualität sei egal.

Richtige Diagnose, aber falsches Gegenmittel

Das 176-Seiten-Buch überzeugt besonders dann, wenn Rolf Dobelli die gefährliche Mischung aus halbgaren Infos, „sponsored content“ und irrelevanten News beschreibt. Das Buch ist aber selbst eine langatmige Fassung eines TED-Talks von 2013 und eines kürzeren Essays.

Es liest sich wie ein Ernährungs- oder Fitnessratgeber. Doch die Ratschläge überzeugen nicht: Steht etwa eine Wahl an, dann sollen Sie Wahlprogramme im Detail lesen, rät der Autor. Will jemand mit Ihnen über die Nachrichten des Tages diskutieren, dann wechseln Sie das Thema. Und die Zeit, die Sie sparen, können Sie investieren, um Experten zu treffen, um sich so über die wirklich wichtigen Entwicklungen in der Welt zu informieren.

Das Problem ist klar: Wir können individuell auf News verzichten, aber nicht als ganze Gesellschaft. Wenn es keine Nachrichten gibt, dann kann man nicht mal schnell etwas googeln oder einen fundierten Artikel zu einem Thema lesen. Denn Nachrichten sind der Stoff, aus dem gute Recherchen gemacht sind.

Lesen Sie richtige News

Was Rolf Dobelli als News beschreibt, ist größtenteils schlechter Journalismus. Eine Nachricht muss eine Information sein, die neu ist, in einem größeren Zusammenhang wichtig ist und relevant für die Zielgruppe ist. Allzu oft vergessen Journalisten diese Kriterien. Eine kopierte Pressemitteilung ist keine Nachricht.

Im besten Fall enthüllt eine Nachricht einen Zusammenhang, der relevant ist und noch nicht bekannt war. Das Motto für News-Junkies sollte also eher sein: Weniger, aber dafür besseren Stoff lesen. Aber: Qualität hat ihren Preis.


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