Das dreifache Nein beim Referendum 2015 änderte alles für Blau-Rot-Grün, analysierten die Journalisten Caroline Mart, Jean-Claude Franck und Christoph Bumb beim ersten „REPORTER Live“. Bildeten DP, LSAP und Déi Gréng dennoch eine historische Koalition? Und hat sie eine Zukunft?
„Es ist wie bei einer Ehe“, meinte die RTL-Journalistin Caroline Mart. „Nach fünf Jahren spürt man Abnutzungserscheinungen.“ Die Dreierkoalition hat sich programmatisch und auch menschlich auseinandergelebt. Der LSAP-Fraktionschef Alex Bodry habe im Interview mit REPORTER lediglich das ausgesprochen, was Beobachter längst gespürt hätten, so die Moderatorin des „Kloertext“.
Die „Ehekrise“ hat einen konkreten Auslöser: das Referendum von 2015. „Si kruten eng zimlech bei den Deckel“, sagte Jean-Claude Franck vom Radio 100,7. Danach gab es viele Selbstzweifel innerhalb der Koaltion, so der Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Senders. Auch Caroline Mart sieht eine Zäsur im desaströsen Resultat der Regierung bei dieser Abstimmung. „Das Schlimmste für Politiker ist, wenn sie feststellen, dass sie kein Gespür für die Gemütslage der Bürger haben“, sagte sie.
Caroline Mart und Jean-Claude Franck waren die Podiumsgäste der ersten Ausgabe von „REPORTER Live“. Der Auftakt der politischen Diskussionsreihe von REPORTER zum Thema „Was bleibt von Blau-Rot-Grün?“ fand am Montag in den „Rotondes“ statt. Moderiert wurde sie von REPORTER-Gründer Christoph Bumb.
Eine Rückkehr zum klassischen Politikstil
„2015/2016 war das ambitiöse Projekt der Koalition gestorben“, lautete die knappe Einschätzung von Jean-Claude Franck. „Zu Beginn herrschte in der Koalition eine Stimmung wie auf einer Klassenfahrt ohne Lehrer“, sagte Caroline Mart. „Sie hatten den Anspruch, Politik anders zu machen.“
Doch diese Erwartungshaltung der Wähler, dass Blau-Rot-Grün eine andere Art von Koalition sei, war von Anfang an nicht realistisch, sagte Christoph Bumb von REPORTER. Die Koalition selbst legte die Messlatte sehr hoch – etwa bei der Steuerreform. Sie wurde dann von Journalisten eben an diesen hohen Ansprüchen gemessen, sagte Jean-Claude Franck – oft sehr kritisch. „Anfangs stimmten sich die drei Partner im kleinen Kreis im Detail und mit Erfolg ab. Mittlerweile verfolgen sie jedoch jeder für sich eine eigene Agenda“, betonte Bumb.
„Keine programmatische Koalition“
Jean-Claude Franck über die Koalitionsverhandlungen und das abgegrenzte Projekt von Blau-Rot-Grün:
Doch der Wille, alles anders zu machen, versiegte in den letzten zwei Jahren, so die übereinstimmende Analyse. Wie ihre Vorgänger habe die Dreierkoalition Politik nun mit dem Scheckheft betrieben – etwa gegenüber den Staatsbeamten. „Sie hatten das wahnsinnige Glück, dass die Konjunktur sich verbesserte“, betonte Caroline Mart. Damit wurde ihr letztlich die Rückkehr zum klassischen Luxemburger Politikstil der Wahlgeschenke erlaubt.
Die Unwägbarkeiten von Schwarz-Grün
Ob die Kurskorrektur der Koalition Wählerstimmen bringt, müsse sich allerdings noch zeigen. Der Ausgang der Wahlen sei so offen wie selten zuvor, betonte Caroline Mart. „Es ist so ungewiss wie bei der WM: Da fliegen die Favoriten gerade raus“, so die Journalistin.
Apropos Favoritensterben: In den Analysen in der Presse gilt Schwarz-Grün bereits fast als ausgemacht. „Man hat den Eindruck, eine Koalition Wiseler-Braz oder Wiseler-Bausch könnte morgen mit der Arbeit anfangen. Zumindest wenn es nach den persönlichen Beziehungen geht“, so Christoph Bumb. Tatsächlich falle auf, dass schwarze und grüne Politiker sich in Fernsehdebatten gegenseitig schonen, meinte Franck. Allerdings habe die Ablehnung der grünen Staatsratskandidatin zu Unmut gegenüber allen etablierten Partein, also auch der CSV geführt, so der 100,7-Chefredakteur.
Wie positioniert sich die CSV?
Jean-Claude Franck und Caroline Mart über die Erneuerung in der CSV und die Frage, ob Spitzenkandidat Claude Wiseler aus der Deckung kommen muss:
Eine schwarz-grüne Koalition sei unwahrscheinlich, wenn beide Partner nicht zusammen auf 33 oder 34 Sitze kommen, so Franck weiter. Das bedeute aber auch, dass Déi Gréng von aktuell sechs auf im besten Fall acht Sitze zulegen müssen. Allerdings sei es für Blau-Rot-Grün ebenfalls sehr schwierig, nach den Wahlen erneut auf 32 Sitze zu kommen.
Es gebe aber einen pragmatischen Grund für Schwarz-Grün. Déi Gréng wollten ihre aktuellen Ressorts behalten, sagt Jean-Claude Franck. Die CSV könne dann deutlich mehr Ministerposten erhalten und darauf vertrauen, dass die Grünen sich inhaltlich in anderen Politikbereichen nicht einmischen.
Von Wachstum und Sprachen
Persönlich könne Claude Wiseler weniger gut mit den aktuellen LSAP- und DP-Spitzenleuten, so die einhellige Meinung. Doch Caroline Mart warnte davor, die DP abzschreiben. Die DP-CSV-Koalition in der Hauptstadt sei mehr als ein „Wénk mat der Scheierpaart“ seitens der DP gewesen. Mit ihrem Slogan „Zukunft op Lëtzebuergesch“ würden sich die Liberalen zudem in einem wertkonservativen Spektrum positionieren und auf Wechselwähler der CSV abzielen, meint sie.
Eine weitere Frage sei aber, wie sehr der Referendumsausgang und der damals geäußerte populäre Protest die kommenden Wahlen beeinflusse und rechts-konservative Strömungen stärke, sagte Christoph Bumb. Luxemburg kenne zwar keinen Rechtspopulismus wie in anderen Ländern, sei aber wohl auch nicht immun gegen Einflüsse von außen, meinte Jean-Claude Franck. Der EU-Gipfel vergangene Woche habe klar gezeigt, dass auch die Rhetorik von Parteien der Mitte deutlich nach rechts gerückt sei. Die Gefahr sei, dass dies auch in Luxemburg passiere. Es sei bereits zu beobachten, wie nicht nur konservative Parteien, sondern auch die DP und Déi Gréng mit Themen wie Sprache und Heimat kokettierten.
„In Luxemburg hat der Grenzgänger die Rolle der Migranten in anderen Ländern“, sagte Caroline Mart. „Das Substrat der Anti-Wachstums-Debatte ist einfach: Wir wollen nicht so viele Franzosen im Land“, spitzte sie zu. Gegen „ungebremstes Wachstum“ zu sein, komme gut an in einem Land, das sich rapide verändert, so Jean-Claude Franck.
Das Problem der Wachstumdebatte sei jedoch, dass keine konkreten Maßnahmen diskutiert würden, so Franck weiter. Es sei die Aufgabe der Medien nachzuhaken und nach tatsächlichen Vorschlägen zu fragen, betonte Christoph Bumb. Viele Politiker würden in Sachen Wachstum und Sprache jedoch rein emotional argumentieren und Fakten außen vor lassen, was für die Medien eine wesentliche Herausforderung sei, ergänzte Caroline Mart mit Verweis auf ihre Erfahrung.
Eine „historische“ Koalition
Was bleibt nun von Blau-Rot-Grün? „Der Vergleich mit der DP-LSAP-Koaliton der Siebzigerjahre ist falsch“, sagte Caroline Mart. Gesellschaftspolitisch gebe es den Graben zur CSV kaum noch. Viele der umgesetzten Reformen seien auch mit der CSV machbar gewesen – außer die Trennung von Kirche und Staat.
„Es ist vor allem der Beweis, dass eine Regierung ohne die CSV möglich ist und objektiv gute Resultate erzielen kann“, sagte Christoph Bumb. Sein Fazit: „Eine Regierung ohne die CSV ist kein Weltuntergang für das Land, wie es manche nach den letzten Wahlen glauben machen wollten, sondern im Grunde ganz gewöhnlich.“
Ähnlich lautete die Einschätzung des 100,7-Chefredakteurs: „Es ist eine historische Koalition, weil die CSV seit den Siebzigerjahren zum ersten Mal nicht in der Regierung war.“ Doch ihre Arbeit sei nicht außergewöhnlich gewesen: „Es ist eine gute geführte Regierung, aber auch nicht mehr.“