Der Waringo-Bericht stürzt Luxemburgs Monarchie in eine tiefe Krise. Dafür trägt der großherzogliche Hof selbst die Verantwortung. An der von der Regierung seit Jahren angestrebten Modernisierung führt spätestens jetzt kein Weg mehr vorbei. Eine Analyse.
Seit vergangener Woche scheint das Land nur noch über ein Thema zu diskutieren: die Monarchie im Lichte des sogenannten Waringo-Berichts. Der Bericht des Sonderbeauftragten des Premiers ist eingeschlagen wie eine kleine Bombe. Medien und Politik befinden sich seitdem im Ausnahmezustand.
Die Brisanz des Berichts von Jeannot Waringo ist offensichtlich: In nüchterner, aber dennoch ungeahnt deutlicher Form trug der frühere hohe Beamte des Finanzministeriums Fakten und Belege über Missstände am großherzoglichen Hof zusammen. Die Erkenntnisse reichen von einer problematischen Personalpolitik über den fragwürdigen Umgang mit öffentlichen Geldern bis hin zur kritischen Rolle der Großherzogin in allen damit zusammenhängenden Fragen.
Die Vorgeschichte des Waringo-Berichts
Im August 2019 hatte REPORTER bereits exklusiv über die Ernennung eines Sonderbeauftragten von Premier Xavier Bettel (DP) und dessen heikle Mission berichtet. Schon damals war klar, dass besonders die Rolle der Großherzogin im Fokus der ganzen Untersuchung stehen würde.
Die Großherzogin solle künftig keine Kompetenzen mehr haben, die nicht ausdrücklich ihren eigenen Mitarbeiterstab betreffen, hielt das Staatsministerium schon vor Beginn der Waringo-Mission fest. Laut der vertraulichen Missionsbeschreibung, die REPORTER damals einsehen konnte, sollte die Großherzogin weder formell noch informell Teil des neuen, auf der Grundlage des Waringo-Berichts zu erstellenden Organigramms sein. Dies wurde im Staatsministerium wohlgemerkt festgehalten, bevor Jeannot Waringo überhaupt seine Kontrollmission begonnen hatte.
Spätestens mit dem Waringo-Bericht sollte klar sein: Die Missstände am großherzoglichen Hof sind keine Erfindung der Medien.“
Demnach waren der Regierung die kritischen Aspekte der Funktionsweise des Hofes also längst bekannt. Die Vorgeschichte des Berichts reicht denn auch mindestens vier Jahre zurück. Durch die sogenannte „Affäre Selva“ wurde die Regierung bereits auf das unkontrollierte Personal- und Finanzgebaren des Hofes aufmerksam. Infolgedessen erhöhte die Regierung die Kontrolle, doch die Situation verbesserte sich nicht. Die Fluktuation an Personal blieb weiter bemerkenswert hoch.
Der Weg zur offenen Konfrontation
Mehr noch: In seinem Bericht schildert Waringo, wie in den folgenden Jahren am Hof eine neue Governance umgesetzt wurde, an deren Spitze faktisch die Großherzogin in Finanz- und Personalfragen mitbestimmte. Die Verwaltung des Hofes widersetzte sich dem Willen der Regierung, mehr Kontrolle über das Personal- und Finanzmanagement im Palast zu erhalten. Auch dieses Scheitern der ersten Bemühungen um eine Modernisierung der Funktionsweise des Hofes belegte Waringo in seinem Bericht anhand von mehreren Beispielen. Damit war die nun ausgebrochene offene Konfrontation vorprogrammiert.
Im Rückblick war es auch kein Zufall dass bei der Ernennung des Sonderbeauftragten die Wahl auf Jeannot Waringo fiel. Dieser hatte bereits als langjähriger Direktor der „Inspection Générale des Finances“ mit den Budgets und der mitunter intransparenten Buchhaltung des Hofes zu tun. 2016, als die Affäre um die später entlassene Beraterin Chantal Selva hochkochte, war Waringo noch Direktor der Finanzinspektion. Laut gut unterrichteten Kreisen war der parteiübergreifend respektierte hohe Beamte an den folgenden Diskussionen über das weitere Vorgehen der Regierung beteiligt.
Diese Diskussionen führten Ende 2016 zu einer Vereinbarung zwischen dem Hofmarschall und der Regierung, wie es Waringo in seinem Bericht offen erläutert. Demnach sollte dem Staatsministerium fortan eine Kontrollfunktion bei Einstellungen von Personal zustehen, das aus Steuergeldern bezahlt wird. In den Augen des Staatsministers hielt sich die Verwaltung des Großherzogs aber nicht an die Abmachung. Erst im Zuge weiterer, zum Teil hochrangiger Personalwechsel Anfang 2019 entschied sich Premier Xavier Bettel schließlich dazu, per Kontrollmission eines Sonderbeauftragten die politische Gangart zu erhöhen.
Gebrochene Tabus und verzerrte Darstellungen
Seit der Ernennung von Waringo im vergangenen Juli drang von dessen Mission im großherzoglichen Palast wenig nach außen. Anfang dieses Jahres griff das „Lëtzebuerger Land“ dann das Thema in einem Artikel auf, der zum gleichen Schluss gelangte: Viele Probleme der Funktionsweise des großherzoglichen Hofes deuten auf Großherzogin Maria Teresa hin. „Die Großherzogin macht, was sie will“, so das „Land“, das in diesem Kontext auch abstrakt von „psychischer und physischer Gewalt“ schrieb. Die Staatsanwaltschaft teilte am Dienstag mit, das sie in dieser Sache eine Voruntersuchung eingeleitet habe.
Alle Medien berichten in etlichen Beiträgen über die Krise der Luxemburger Monarchie, die der Hof letztlich selbst erst so richtig heraufbeschworen hat.“
Dabei war Kritik an Luxemburgs Monarchie lange ein Tabu-Thema der Presse. Mit dem Waringo-Bericht wurde jetzt ein Ventil geöffnet, das zu Dutzenden Artikeln über Interna am großherzoglichen Hof führte. Das Tabu ist längst keines mehr, vielmehr ist die Berichterstattung mittlerweile in das andere Extrem ausgeartet. Alle Medien berichten über die Krise der Luxemburger Monarchie, die der Hof durch die offenbarten Missstände letztlich selbst heraufbeschworen hat.
Bei der Berichterstattung der vergangenen Wochen könnte man denn auch den Eindruck gewinnen, dass alle Probleme am Hof einzig und allein an der Großherzogin liegen. Das ist freilich eine verzerrte Darstellung. Zwar lässt sich die unkontrollierte und in Verfassung und Gesetzen nirgends vorgesehene operative Rolle der Gattin von Großherzog Henri an mehreren Beispielen belegen. Doch liegt die Verantwortung für die Missstände am Hof letztlich beim Großherzog und dem Hofmarschall als hierarchische Verantwortliche. Wenn die Großherzogin tatsächlich „macht, was sie will“, dann auch deshalb, weil sie bisher niemand davon abhielt.
Großherzog Henri und der „Streisand-Effekt“
In Erwartung der Veröffentlichung des weitgehend kritischen Waringo-Berichts entschied sich der Großherzog, auf die sich verstärkenden Medienberichte zu reagieren. In einer bemerkenswerten Pressemitteilung wehrte sich das Staatsoberhaupt am 26. Januar gegen Berichte in den Medien, die „vor und während“ der Waringo-Mission veröffentlicht wurden. Seine Ehefrau, „die Mutter von unseren fünf Kindern und eine sehr liebe Großmutter“ sei in diesen Medienberichten „ungerecht beschuldigt“ worden. „Firwat eng Fra attackéieren? Eng Fra déi aner Frae verdeedegt? Eng Fra déi net emol d’Recht kritt sech selwer ze verdeedegen?“, schrieb Großherzog Henri in einem nie dagewesenen, ebenso persönlichen wie anklagenden Ton.
Als seien die brisanten Interna des Waringo-Berichts noch nicht genug, lieferte der Hof mit seiner spontan anmutenden Reaktion auf Medienberichte eine neue Angriffsfläche.“
Die Mitteilung des Großherzogs ist jedoch nicht nur deshalb bemerkenswert. Anstatt sich konstruktiv und sachlich auf die Diskussionen um mittlerweile belegte Missstände in der eigenen Verwaltung einzulassen, emotionalisiert der Großherzog diese Debatte. Er, zur Erinnerung, das monarchische Oberhaupt des luxemburgischen Staates, betrieb eine diffuse Medienschelte und verwahrte sich gegen eine unterschwellig als solche angesehene Majestätsbeleidigung.
Als seien die brisanten Interna des Waringo-Berichts noch nicht genug, lieferte der Hof mit seiner spontan anmutenden Reaktion auf Medienberichte eine neue Angriffsfläche. Man könnte sogar so weit gehen und einen latenten sogenannten „Streisand-Effekt“ ausmachen, wonach der Großherzog mit seiner Reaktion die Medien erst so richtig herausgefordert hat. Durch die emotionale, faktisch fragwürdige Reaktion des Staatsoberhauptes wurde die ganze Kontroverse jedenfalls weiter verschärft. Dem Ansehen der Monarchie hat diese Pressemitteilung letztlich weiter geschadet.
Unprofessionelle Krisenkommunikation
Die in vier Sprachen verfasste Pressemitteilung, fünf Tage vor der Publikation des Waringo-Berichts, war indes nicht das erste Beispiel für eine unprofessionelle Krisenkommunikation des Hofes. Bereits in seiner Antwort auf die REPORTER-Recherche im vergangenen August, ließ sich der großherzogliche Hof zu äußerst fragwürdigen Äußerungen hinreißen. In der Hoffnung, den Eindruck eines „Personalkarussells“ am Hof zu widerlegen, bestätigte Hofmarschall Lucien Weiler letztlich den Kern der Recherche.
Nicht zuletzt hielt der Waringo-Bericht jetzt fest, dass seit 2014 insgesamt 35 Angestellte den Hof verlassen haben (Renteneintritte und Versetzungen nicht eingeschlossen). Im REPORTER-Artikel vom vergangenen August war von „mehr als 30“ seit 2015 die Rede. Der Hofmarschall behauptete in seiner damaligen Reaktion, es seien lediglich zwölf Abgänge gewesen, was also nachweislich falsch ist.

Ganz nebenbei war die Reaktion des Hofmarschalls an sich auch ein erster Beweis dafür, dass die Behauptung des Großherzogs, wonach seine Frau kein Recht erhalten habe, sich zu verteidigen, nachweislich falsch ist. Der Ton der damaligen Antwort des Hofmarschalls war indes der gleiche wie jener der jüngsten Pressemitteilung. Die Bezeichnung „Personalkarussell“ finde man „absolut irreführend und reputationsschädigend“, schrieb Lucien Weiler in seiner Antwort an REPORTER im August. „Vor diesem Hintergrund hoffen wir, dass diese Gerüchte und Unterstellungen nach Abschluss der Mission des Sonderberaters der Vergangenheit angehören.“ Diese „Hoffnung“ wurde bekanntlich enttäuscht.
Eine Roadmap zur Reform der Monarchie
Spätestens mit dem Waringo-Bericht sollte klar sein: Die Missstände am großherzoglichen Hof sind keine Erfindung der Medien. Im Fall des Finanz- und Personalmanagements sind sie bedeutend und in vielen Punkten anhand von Fakten zu belegen. Zudem liefert der Berichterstatter eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen mit, die sich wie eine Anleitung zur grundlegenden Reform der Luxemburger Monarchie lesen.
Angesichts der langen Vorgeschichte dürfte vor den Diskussionen im Parlament und der öffentlichen Stellungnahme des Premiers zum Bericht die Richtung der unausweichlichen „Modernisierung“ der Monarchie bereits klar sein. Nach der Trennung von Kirche und Staat erhält Blau-Rot-Grün hiermit eine weitere Gelegenheit, als weitsichtige Modernisierer in die Geschichte einzugehen.
Noch ist es dabei für den großherzoglichen Hof aber nicht zu spät, sich konstruktiv an diesem Prozess zu beteiligen. Letztlich liegt dies im eigenen Interesse der Luxemburger Monarchie. Denn die Zeit des Abwartens und des Aussitzens ist längst abgelaufen. Noch sind es zwar die üblichen Verdächtigen, die nach dem schreien, was der Monarchie am meisten Angst macht; nur „Déi Lénk“, die Jungsozialisten und Leitartikler im „Tageblatt“ machen sich Hoffnungen auf eine Abschaffung der Monarchie.
Sollten sich die Verantwortlichen am großherzoglichen Hof weiter gegen die überfällige Modernisierung sträuben, könnte sich der Wind in der Gesellschaft aber schnell drehen. Vor der republikanischen Revolution dürfte allerdings der Schritt der Abdankung von Großherzog Henri und der Übergang zur neuen Generation der Luxemburger Dynastie unter einem Großherzog Guillaume stehen.
Ein Ausweg aus der selbstverschuldeten Krise
Auch wenn die Regierung seit Jahren eine Modernisierung der Monarchie anstrebt, liegt eine weitere Eskalation der Debatte eigentlich nicht in ihrem Interesse. Die meisten Vertreter von Blau-Rot-Grün sind keine glühenden Anti-Monarchisten. Doch ihnen schwebt wie in anderen parlamentarischen Demokratien mit monarchischem Staatsoberhaupt letztlich eine Monarchie vor, die sich an die demokratischen und rechtsstaatlichen Spielregeln hält und nicht in eine dauerhafte skandalträchtige Veranstaltung ausartet. In diesem Punkt dürfte sich die Politik wohl auch der Unterstützung der großen Mehrheit des Volkes sicher sein.
Noch ist es dabei für den großherzoglichen Hof nicht zu spät, sich konstruktiv an seiner eigenen Modernisierung zu beteiligen.“
All das dürfte auch der Großherzog wissen, der am Tag der Veröffentlichung des Waringo-Berichts eine etwas kleinlautere und politisch korrektere Pressemitteilung herausgeben ließ als noch fünf Tage zuvor. In genau zwei Sätzen teilte der Hof mit, dass er sich in der „Besorgnis um eine größere Transparenz und Modernisierung“ auf eine „konstruktive Weise“ an der Umsetzung der vorgeschlagenen „Verbesserungen“ im Waringo-Bericht beteiligen wolle.
Diese Haltung passt denn auch schon viel besser zu jener Rolle, die die parlamentarische Demokratie einem Monarchen einräumt. Der Großherzog ist zugleich Symbol der Einheit und Garant der Unabhängigkeit des Landes, heißt es in der Verfassung. Das ist die Rolle, die ihm zusteht und deren Erfüllung auch im Jahre 2020 von keiner breiten gesellschaftlichen Bewegung in Frage gestellt wird. Sobald diese verfassungsmäßige Funktion jedoch nicht mehr erfüllt wird oder der Hof auch nur wie aktuell nach außen den Eindruck vermittelt, dass dies nicht seine oberste Priorität ist, wird aus den Missständen eine handfeste Krise der Monarchie – mit ungewissem Ausgang.
In diesem Sinn schadet und gefährdet Luxemburgs Monarchie sich selbst, wenn sie den Kern ihrer Existenzberechtigung aus den Augen verliert. Die „konstruktive“ Begleitung ihrer politisch forcierten Modernisierung ist demnach bereits aus Selbsterhaltungstrieb gegeben. Dabei hat sie es nach wie vor selbst in der Hand, ob ihre Existenz im parlamentarisch-demokratischen Gefüge des Luxemburger Staates von Dauer sein wird.
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