Während sich die mediale Aufmerksamkeit den Personalfragen zuwendet, drängt sich bei den Gesprächen von DP, LSAP und Déi Gréng umso mehr die Frage der inhaltlichen Ausrichtung auf. Die Dreierkoalition könnte den großen Wurf wagen, wenn sie dafür den Mut aufbringt. Eine Analyse.
Seit bald einem Monat verhandeln DP, LSAP und Déi Gréng schon über die Fortführung ihrer Zusammenarbeit. In dieser Woche dürften die Koalitionsgespräche in die entscheidende Phase gehen. Dementsprechend wird in manchen Medien bereits kräftig über die Personalfragen spekuliert. Die inhaltliche Ausrichtung der kommenden Regierung scheint dagegen immer noch offen.
Vor den Wahlen waren sich viele Beobachter einig, dass die Verhandlungen zwischen den drei Parteien schwieriger werden könnten als beim ersten Mal. Nicht vergessen ist die Aussage von LSAP-Fraktionschef Alex Bodry, wonach es kein gemeinsames blau-rot-grünes Projekt mehr gebe.
Bodry sprach damals das aus, was auf der Hand lag: Nach fünf Jahren an der Regierung und sichtbaren Profilierungsversuchen der drei Parteien gegen Ende der vergangenen Legislaturperiode würde eine Fortführung der Koalition kein Selbstläufer werden.
Neue Regierung, neue Erwartungen
Jetzt zeigt sich in der Tat, dass sich kein gemeinsames Programm der drei Parteien aufdrängt. 2013 vereinte Liberale, Sozialisten und Grüne noch der unbedingte Wille zum Machtwechsel, zur Ablösung der CSV und zur Umsetzung einiger als längst überfällig empfundener Gesellschaftsreformen. 2018 bleibt von diesem blau-rot-grünen Gründungsmythos, außer dem Willen, an der Macht zu bleiben, nicht mehr viel übrig.
Spätestens jetzt ist die Frage nicht länger, ob es dem Land besser geht als vor 2013, sondern ob diese Regierung sich den Herausforderungen ihrer Zeit stellt.“
Demnach hat sich auch die Erwartungshaltung an die Regierung geändert. Dieses Mal reicht es nicht mehr, die eigene Bilanz mit jener der Vorgängerregierungen zu vergleichen. Das blau-rot-grüne Mantra im Wahlkampf („Unserem Land geht es besser als noch vor fünf Jahren“) eignet sich jedenfalls nicht als Motto der kommenden Legislaturperiode. Spätestens jetzt ist die Frage nicht länger, ob es dem Land besser geht als vor 2013, sondern ob diese Regierung sich den Herausforderungen ihrer Zeit stellt.
Wohnungsbau, Mobilität, Klimaschutz, sozialer Zusammenhalt, Verfassungsreform: Die Herausforderungen sind durchaus vorhanden. Sie sind aber zugleich eine Chance. Blau-Rot-Grün könnte ein wahrhaftiges politisches Projekt ausarbeiten, das die großen Reformbaustellen des Landes in Angriff nimmt. Dazu bedarf es jedoch nicht nur an Kompromissfähigkeit der Parteien, sondern vor allem an politischer Courage.
Politische Priorität: Wohnungsbau
Beispiel Wohnungsbau: Die Diagnose von Wohnungsmangel und steigenden Preisen ist altbekannt und wird von allen Parteien geteilt. Höchste Zeit eigentlich, die Schaffung von neuem, erschwinglichem Wohnungsraum im Rahmen eines durchdachten Gesamtkonzepts zur politischen Priorität zu erklären.
Auch die Lösungswege sind nicht neu, aber durchaus umstritten: Soll der Staat über die öffentlichen Baugesellschaften mehr und schneller Wohnungen schaffen bzw. den Bau von Mietwohnungen stärker bezuschussen? Dafür müsste der Staat aber eben wesentlich mehr Geld bereitstellen und die Bauträger effizienter gestalten.
Die politische Grundfrage der kommenden Jahre lautet also, ob und wie der Staat stärker und wirksamer in den Wohnungsmarkt eingreifen kann.“
An Grundstücken mangelt es dabei zumindest theoretisch nicht. Laut Schätzungen existieren landesweit innerhalb der ausgewiesenen Bauzonen um die 2.700 Hektar, die im Besitz von Privatpersonen sind und zügig bebaut werden könnten. Zehntausende Wohneinheiten könnten so in den nächsten Jahren entstehen.
Damit der Staat oder private Bauträger in den Besitz dieser Flächen kommt, braucht es aber neue Anreize. Steuerliche Maßnahmen – Reform der Grundsteuer, Besteuerung von Veräußerungsgewinnen und Leerständen – sind demnach unausweichlich. Stichwort: Eigentum verpflichtet.
Im Wahlkampf hörte man von LSAP- und Grünen-Politikern recht offen, dass vor allem die DP bei diesen Punkten bisher auf der Bremse stand. Die politische Grundfrage der kommenden Jahre lautet also, ob und wie der Staat stärker und wirksamer in den Markt eingreifen kann. Ein „Weiter so“ mit den alten Mitteln hat sich jedenfalls nicht als wirkungsvoll erwiesen.
Sozialer Zusammenhalt als Prüfstein
Auch bei der allgemeineren Frage der sozialen Gerechtigkeit gibt es bei DP, LSAP und Grünen unterschiedliche Auffassungen über den richtigen Weg. „La croissance était donc pro-riche“, lautet nicht nur die Analyse von Statec-Direktor Serge Allegrezza. Wie geht die Regierung mit den – je nach Statistiken – zunehmenden oder zumindest anhaltenden Ungleichheiten im Land um? Dies wird eine weitere Grundsatzfrage sein. Im Gegensatz zum Wohnungsbau sind sich die drei Parteien hier aber noch nicht einmal über die Diagnose einig.
Vor allem in der Steuerpolitik, also dem klassischen Schlachtfeld der Gerechtigkeitsdebatte, werden die Unterschiede zwischen den drei Partnern am deutlichsten.“
In der öffentlichen Debatte beschränkt sich die Frage dabei oft auf die LSAP-Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns. Doch vor allem in der Steuerpolitik, also dem klassischen Schlachtfeld der Gerechtigkeitsdebatte, werden die Unterschiede zwischen den drei Partnern am deutlichsten. „Wir sehen als LSAP die Steuerpolitik als Mittel zur Umverteilung und zur Herstellung von sozialer Gerechtigkeit. Die DP sieht das anders“, brachte es LSAP-Veteran Alex Bodry schon im Juni im Interview mit REPORTER auf den Punkt.
Große Sprünge sind hier also nicht zu erwarten. Eine neue blau-rot-grüne Steuerreform kann wie schon 2016 nur ein Kompromiss sein, bei dem quasi alle Einkommensschichten entlastet werden. Vorausgesetzt, die Konjunktur spielt noch eine Weile mit, könnte es auch ab 2020 wieder zu großzügigen Verteilungsrunden kommen.
Parallel wird die Koalition wohl die Individualisierung der Einkommensteuer weiter vorantreiben. Auch hier geht es im Ansatz um Gerechtigkeit, aber eben eher im liberalen Sinn einer Fortsetzung der Gesellschaftspolitik mit fiskalischen Mitteln.
Neuer Elan durch Mobilitätskonzept
Ein Thema, das sich durchaus dazu eignen könnte, einen neuen Elan der blau-rot-grünen Regierungspolitik zu entfachen, ist die Mobilität. Die Lösung der Verkehrsproblematiken durch ein intelligentes politisches Gesamtkonzept könnte das Herzstück eines neuen Koalitionsprogramms sein. Zumal dafür mit dem Wahlsieg der Grünen, die in diesem Politikfeld traditionell die klarsten Vorstellungen haben, die politischen Voraussetzungen gegeben wären.
Der Entwurf für ein gemeinsames Konzept ist mit dem „Modu 2.0“ auch ansatzweise schon vorhanden. Die Herausforderung besteht allerdings darin, die Mobilitätsplanung sowohl mit dem Ziel des anhaltenden Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums als auch mit anderen Regierungsprogrammen wie der „Rifkin-Strategie“ in Einklang zu bringen. Und schließlich wäre ein solches Konzept nur wenig wert, wenn es nicht auch mit messbaren Fortschritten beim Klimaschutz einhergeht.
Eine weitere Voraussetzung ist freilich die Fortführung der prozyklischen Haushaltspolitik der vergangenen Jahre, also der Ansatz, dass man auch in wirtschaftlich guten Zeiten die staatliche Investitionsquote auf einem hohen Niveau hält. Nur so ließen sich freilich die diversen Mehrausgaben aus den Wahlprogrammen für den Ausbau von Tram, Zugstrecken und Straßen finanzieren.
Die dringend nötige Demokratiereform
Ein weiterer Bereich, der sich als Priorität für die kommenden fünf Jahre eignen könnte, ist die Reform des überkommenen politischen Systems. Auch hier ist die Diagnose längst bekannt und wird von fast allen Parteien geteilt. Doch bisher fehlte schlicht der Mut, sich mit einer umfassenden Staats- und Demokratiereform zu befassen.
Beginnen könnte man mit der Einleitung eines Prozesses zur kritischen Betrachtung des Wahlsystems. Der Befund einer mangelnden Repräsentativität bei nationalen Wahlen ist dabei nämlich fast so alt wie das Wahlrecht selbst. Die Frage der Berechnungsmethode, mit der man bereits mehr Gerechtigkeit ins System bringen könnte, könnte etwa ohne Verfassungsreform geklärt werden.
Auch die Aufwertung des Parlaments als Kontrollorgan der Regierung durch mehr Personal und mehr Transparenz könnte die blau-rot-grüne Mehrheit schnell auf den Weg bringen. Die in diesen Punkten ziemlich deutlich formulierten Wahlprogramme von LSAP und Déi Gréng könnten als Grundlage einer Reform herhalten.
Die Wirkung des Referendums von 2015 wird wohl auch in der kommenden Amtszeit nicht nachlassen. Den Mut zu großen Reformen des Staatsgefüges wird diese Koalition wohl nicht mehr aufbringen.“
Andere Aspekte, wie die Einführung eines einheitlichen Wahlbezirks, die Abschaffung der Doppelmandate oder auch die Territorialreform bedürfen dagegen einer breiteren Mehrheit im Parlament bzw. einer offenen gesellschaftlichen Debatte. Wichtig wäre aber allein schon das Signal, dass die Regierung an diesen Stellen etwas bewegen will.
Dass es zu alldem kommt, ist jedoch recht unwahrscheinlich. Denn genau in diesem Feld der Erneuerung der Demokratie war die Bilanz von Blau-Rot-Grün in der ersten Amtsperiode objektiv am schlechtesten. Die Wirkung des Referendums von 2015 wird wohl auch in der kommenden Amtszeit nicht nachlassen. Den Mut zu großen Reformen des Staatsgefüges wird diese Koalition wohl nicht mehr aufbringen. Vor allem deshalb, weil mit der Vollendung der Verfassungsreform bereits das nächste Plebiszit vor der Tür steht.
Die Chance zur wahrhaftigen Erneuerung
Die Liste der Prioritäten ließe sich fortsetzen. Eines hat die Dreierkoalition aber jetzt schon geschafft: Sie hat bewiesen, dass politischer Wandel möglich ist. Und zwar nicht nur sporadisch, sondern dauerhaft. Damit hat sie das politische System nicht nur normalisiert, sondern letztlich die luxemburgische Demokratie um neue Gestaltungsmöglichkeiten bereichert.
Blau-Rot-Grün könnte mehr sein, als nur eine Fortsetzung des CSV-Staates mit anderen Mitteln.“
Doch die Dreierkoalition ist längst nicht mehr jene treibende Kraft für Veränderung, als die sie sich anfangs aufgedrängt und vermarktet hatte. Sie hat sich realpolitisch entzaubert und ist heute selbst ein Faktor der Kontinuität in der luxemburgischen Politik, der in manchen Bereichen einer mutigen Erneuerung im Weg steht. Ihre Politik unterscheidet sich denn auch in vielen Bereichen nicht grundsätzlich von der vor- bis kurzsichtigen Politik der CSV-geführten Vorgängerregierungen.
Darüber hinaus wäre allerdings noch viel mehr möglich. Blau-Rot-Grün könnte mehr sein, als nur eine Fortsetzung des CSV-Staates mit anderen Mitteln. Wenn es den drei Parteien gelingen sollte, in den besagten und weiteren reformpolitischen Kernbereichen auch gegen gesellschaftliche Widerstände Fortschritte zu erzielen, könnte sie tatsächlich als Kraft der Erneuerung in die Geschichte eingehen. Noch ist es dafür nicht zu spät.