Premier Xavier Bettel und Finanzminister Pierre Gramegna empfingen den Stammeschef Raoni aus dem Amazonas und versprachen ihm 100.000 Euro. Doch die Gebaren seiner Begleiter ignorierten sie. Nun ist fraglich, ob das Geld überhaupt bei den Ureinwohnern in Brasilien ankommt.
Es ist ein Fototermin, wie Staatsminister Xavier Bettel ihn mag: Die Bilder zeigen den Premier, wie er mit dem Häuptling Raoni scherzt und dem Gast die Kunstsammlung in seinem Büro zeigt. „Ich habe persönlich sehr viel Sympathie für Ihren Kampf, das Gebiet Ihres Volkes und den Regenwald zu schützen“, sagte der Premier bei dieser Gelegenheit. Zusammen mit Finanzminister Pierre Gramegna versprach er, dass Luxemburgs Regierung dieses Anliegen mit 100.000 Euro unterstütze.
Gutes tun und darüber sprechen: Dass der Premier nach dem französischen Präsident Emmanuel Macron und vor Papst Franziskus den Führer des Volkes Kayapo empfing, war der Presseagentur AFP eine Meldung wert. Die Spende von 100.000 Euro fehlte darin genauso wenig, wie der Hinweis auf Luxemburg als Kompetenzzentrum für nachhaltige Finanzprodukte. Mehrere französische Medien übernahmen die Nachricht.
Der Fototermin am 20. Mai war zweifellos ein Erfolg der regierungspolitischen PR. Aber nur, weil die beiden Minister nicht infrage stellten, wen oder was sie mit dem Geld unterstützen werden. Gutgläubig förderten sie damit eine französische Vereinigung, die den Chef Raoni als Symbolfigur ausnutzt, um an Spenden zu kommen. Inzwischen ist zweifelhaft, ob sein Volk überhaupt Geld vom luxemburgischen Staat erhalten wird.
Der fragwürdige Begleiter
Als Raoni dem Regierungschef des Großherzogtums eine Keule – die traditionelle Waffe seines Volkes – überreichte, bat Bettel ihn, den Gebrauch vorzuführen. Und da holte der 87-jährige Stammesführer zum Hieb gegen seinen Begleiter aus – den belgischen Filmemacher Jean-Pierre Dutilleux. Doch die Szene, die die Anwesenden zum Lachen brachte, hat einen ernsten Hintergrund.

Beide Männer verbindet eine wechselhafte Geschichte von Freundschaft und Vertrauensbrüchen, die mittlerweile mehr als vier Jahrzehnte zurückreicht. Ende der 1970er Jahre drehte Dutilleux einen Dokumentarfilm über den Häuptling. 1989 organisierte er zusammen mit dem Musiker Sting eine Reise Raonis durch 17 Länder, um auf die Abholzung des Amazonas und das Schicksal der indigenen Völker aufmerksam zu machen. Er traf François Mitterrand, Jacques Chirac, den spanischen König Juan Carlos, Prince Charles und den damaligen Papst Johannes-Paul II.
Jean-Pierre [Dutilleux] wird das gesammelte Geld nicht anfassen dürfen.“Häuptling Raoni
Raoni wurde die Symbolfigur schlechthin für den Schutz der indigenen Amazonas-Völker und den Kampf gegen die Abholzung des Regenwaldes. Bei jeder Reise ging es darum, Spenden zu sammeln. Und jedes Mal gab es Berichte, dass das von Dutilleux gesammelte Geld nicht bei den indigenen Gemeinschaften ankam. 1989 sah sich Sting mit Vorwürfen konfrontiert, dass Dutilleux das Geld der gemeinsam gegründete „Rainforest Foundation“ verprasse. Der Stiftungsrat schmiss den Belgier anschließend hinaus, erzählte der Musiker kürzlich der Tageszeitung „Le Monde“.
Reise unter zweifelhaften Bedingungen
Jean-Pierre Dutilleux machte mit einer eigenen französischen Vereinigung weiter, der „Association pour la forêt vierge“. In einem Brief an „Le Monde“ bestritt er die Vorwürfe. Auf eine Anfrage von REPORTER antworteten weder Dutilleux noch sein Verein. Die Reise des Häuptlings durch Europa von Mitte Mai bis Mitte Juni organisierte Dutilleux. Er fehlte auf keinem Foto des Besuchs in Luxemburg. In letzter Minute wurden der Neffe und designierte Nachfolger von Raoni, Megaron Txucarramae, sowie der offizielle Übersetzer ausgeladen.
Der alte Häuptling, der nie lesen oder schreiben lernte, war somit auf sich allein gestellt, sagt Gert-Peter Bruch. Der Gründer des Vereins „Planète Amazone“ steht in Kontakt mit Raonis brasilianischem Umfeld und kritisiert offen das Vorgehen von Dutilleux. Beide überziehen sich gegenseitig mit Klagen.
Ein hastiges Versprechen
Es ist nicht das erste Mal, dass Dutilleux und sein Verein eigenmächtig handeln. 2010 ließ der Verein die Marke „Raoni“ schützen – ohne dass der Häuptling davon wusste. 2017 riss dem „Regenwald-Wächter“ offensichtlich der Geduldsfaden. In einem Video machte er dem Belgier schwere Vorwürfe.
Doch inzwischen ist die Lage für die indigenen Völker noch gefährlicher geworden. Und so stimmte Raoni einer weiteren Reise zu. Doch seine Warnung war klar: „Jean-Pierre wird das gesammelte Geld nicht anfassen dürfen“, sagte der Stammesführer den Journalisten von „Le Monde“. Diese deutlichen Worte erschienen in der französischen Tageszeitung anderthalb Wochen bevor Luxemburgs Premier Raoni und seine Begleiter im Staatsministerium empfing.
Doch offenbar beachteten weder die Minister noch ihre Beamte diese deutlichen Warnsignale, die ein simples Googeln hervorbringt. Denn Bettel und Gramegna versprachen beim Treffen einen Beitrag von 100.000 an die „Association Forêt Vierge“ zu zahlen, heißt es in der Pressemitteilung der Regierung. Also an eben jenen Verein, den Dutilleux immer wieder nutzte, um Geld zu sammeln, das er aber in der Vergangenheit nach Gutdünken ausgab.
Noch ist kein Geld geflossen.“André Weidenhaupt, Umweltministerium
Der Verein „Association Forêt Vierge“ wurde 2000 offiziell eingetragen, veröffentlicht keine Jahresberichte und ist in Frankreich auch nicht als „d’utilité publique“ anerkannt. Öffentlich sind keine Informationen über die Zusammensetzung des Verwaltungsrates verfügbar. Dutilleux gibt sich den Titel des „Ehrenpräsidenten“, kontrolliert aber de facto die Organisation.
„Prüfung nicht abgeschlossen“
Die 100.000 Euro aus Luxemburg sollen aus dem Klimafonds kommen, den das Umwelt- und das Finanzministerium gemeinsam verwalten. „Noch ist kein Geld geflossen“, betont André Weidenhaupt, Erster Regierungsrat im Umweltministerium, auf Nachfrage von REPORTER. Man sei noch in einer Phase der Prüfung und ein konkretes Dossier, über das man entscheiden könne, liege noch nicht vor. Auf Anfrage wollten sich Staats- und Finanzministerium nicht politisch zur Sache äußern.

Im Vorfeld des Besuchs hatten sich die beteiligten Ministerien darauf geeinigt, einen finanziellen Beitrag zu versprechen. „Ein sogenannter ‚Pledge‘ ist ein gängiges Vorgehen bei solchen Treffen“, erklärt Weidenhaupt. Es sei nicht immer Zeit, die Details im Voraus zu klären. Das Umweltministerium sei „relativ kurzfristig“ eingebunden wurden. Auch die Luxemburger NGOs wurden vom Besuch völlig überrascht, sagt Dietmar Mirkes. Er arbeitet für „Action Solidarité Tiers Monde“ (ASTM), eine NGO, die seit langer Zeit im Schutz des Amazonas engagiert ist.
Der Präsident Brasiliens hat die indigene Bevölkerung wortwörtlich zum Abschuss freigegeben.“Dietmar Mirkes, ASTM
Auffällig ist, dass zwar auch der französische Präsident Emmanuel Macron einen finanziellen Beitrag versprach, aber mitteilen ließ, die Details später zu klären. Der Unterschied zum Vorgehen der luxemburgischen Regierung scheint minimal, ist aber von Bedeutung. Denn die „Association Forêt Vierge“ erhielt während der Reise mit Raoni nicht nur von Institutionen Versprechen in Höhe von 325.000 Euro, sondern auch 90.000 Euro von privaten Spendern. Der elitäre Club „Cercle Munster“ organisierte ein „Dîner de Bienfaisance“ in Anwesenheit des Häuptlings, bei dem Spenden gesammelt wurden. Wer macht also etwas falsch, wenn er an einen Verein spendet, den auch die Regierung unterstützt?
Eine Grenze von 1.700 Kilometer absichern
Die Regierung verweist dagegen auf strenge Prozeduren. Bevor Geld fließe, werde das Dossier von einem externen Gutachter geprüft, heißt es. Anschließend müsse noch das Komitee des Klimafonds darüber beraten und am Schluss würden das Umwelt- und Finanzministerium entscheiden, so André Weidenhaupt. Es könne aber sein, dass am Ende nicht die „Association Forêt Vierge“ die Mittel erhalte, sondern das „Instituto Raoni“, das der Häuptling zusammen mit seinem Umfeld direkt kontrolliert. Es bleibt also unklar, was überhaupt mit den 100.000 Euro aus Luxemburg passieren soll.
Ursprünglich wollte der Kreis rund um Jean-Pierre Dutilleux eine Million Euro sammeln, um die Grenzen des Xingu-Reservates abzusichern. Einmal ist die Rede von einer Bambushecke, ein anderes Mal von Schildern und anderen Hinweisen. Der Perimeter des indigenen Reservates umfasst 1.700 Kilometer, erklärt der Verein. Dieses Vorhaben will die Luxemburger Regierung unterstützen, bestätigt das Umweltministerium.
Die Idee ist simpel: Schützt man das Territorium der Ureinwohner, bleibt der Amazonas erhalten. Und das ist von unschätzbarem Wert, um den Klimawandel zu begrenzen. Die Abholzung des Regenwaldes führt zu enormen Emissionen von klimaschädlichen Gasen. Das bestreitet niemand, doch Experten zweifeln am Wert und an der Durchführbarkeit einer Markierung der geschützten Territorien. Über eine solche „Grenze“ würden jene lachen, die illegal den Regenwald abholzen, meint Dietmar Mirkes von der ASTM. Er erinnert an den aktuellen politischen Kontext: „Der Präsident Brasiliens hat die indigene Bevölkerung wortwörtlich zum Abschuss freigegeben.“
Das Ziel weit verfehlt
Doch auch rein rechtlich ist das Projekt problematisch. „Die Region umfasst sieben unabhängige indigene Territorien. Wer ein solches Projekt durchführt, braucht die Zustimmung von 16 Völkern“, erklärt Gert-Peter Bruch. Es ist fraglich, ob „Association Forêt Vierge“ diese Unterstützung hat. Raoni engagiere sich für sein Volk, aber spreche für viele, heißt es ausweichend vom Umweltministerium.
Doch der Präsident von „Planète Amazone“ warnt vor einem anderen Szenario. Denn gegenüber „Le Monde“ gab Jean-Pierre Dutilleux an, in Europa 15 Millionen Euro für die Schaffung eines Instituts namens Xingu zu sammeln. Pläne, die die Führung von Raonis Volk klar ablehnt. Bruch befürchtet, dass Dutilleux die Indios vor vollendete Tatsachen stellen und ihnen diktieren wolle, wie das Geld ausgegeben werden soll.
Klar ist: Ihr Ziel von einer Million Euro hat die „Association Forêt Vierge“ klar verfehlt. Insgesamt gibt sie an, 416.000 Euro gesammelt zu haben, davon 325.000 Euro als Versprechen von staatlichen Institutionen. Die 100.000 Euro aus Luxemburg würden demnach fast ein Viertel aller Mittel ausmachen. Für den 87-jährigen Raoni war es die letzte Reise nach Europa, wie er selbst sagt. Ein Foto mit ihm zu ergattern, war also für Xavier Bettel und Pierre Gramegna eine einmalige Gelegenheit. Genauso wie zu beweisen, wie kompetent Luxemburg in der Finanzierung von Klimaschutz-Projekten ist.
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