Das neue Viertel „Schonk“ in Beckerich wurde 2006 geplant. Knapp die Hälfte ist bebaut, doch bei der zweiten Phase hakt es. Die Regierung bezeichnet die jahrelange Verzögerung als „ungünstig“. Das Projekt verdeutlicht die Überforderung der Gemeinden im Wohnungsbau. 

Neben dem neuen Passivhaus lagert noch ein Rest der Steine, mit denen die Auffahrt gepflastert wurde. Nebenan im Garten trocknet Wäsche in der Herbstsonne. An vielen Ecken ist noch Unfertiges zu sehen. Es wirkt wie ein typisches Neubaugebiet.

Auf der anderen Seite der schmalen Straßen, die durch das „lotissement“ führen, sieht es anders aus. Wildes Gestrüpp wächst auf den ausgewiesenen Baugrundstücken, alle zehn Meter ragt ein Kabelrohr aus der Erde. Strom, Wasserleitung, Antenne: Alles ist bereit, damit hier gebaut werden kann und weitere Familien in ihr Eigenheim ziehen können. Doch genau das wird in den nächsten Jahren nicht passieren. Denn die Gemeinde Beckerich verweigert die Herausgabe von Baugenehmigungen.

Für die 2.700-Einwohner-Gemeinde ist das neue Viertel mit knapp 80 Wohneinheiten ein großer Brocken. Ein zu großer Brocken. Durch die erste Hälfte des Bauprojekts wuchs die Gemeinde um fast 200 Einwohner. Bei den knapp 40 Einheiten, die noch fehlen, rechnet die Gemeinde mit 50 bis 100 zusätzlichen Kindern. Das Problem: Für sie ist kein Platz – weder in der Schule noch in der „Maison Relais“.

Gebremstes Wachstum

Mehrere Familien warten seit Jahren darauf, ihr Eigenheim bauen zu dürfen. Die jahrzehntelange Verzögerung zeigt Gesetzeslücken auf und offenbart die Probleme, die die rasante Bevölkerungsentwicklung gerade kleinen Gemeinden bringt.

„Es wäre unverantwortlich, in dieser Situation Baugenehmigungen auszustellen“, sagt der Beckericher Bürgermeister Thierry Lagoda. Angesichts der Wohnungsnot sei die Haltung der Gemeinde „unverständlich“, meint dagegen John Schock, Geschäftsführer von Bati-Consult. Das Unternehmen ist einer der beiden Bauträger hinter dem Projekt. Die Firma Wickler Frères wollte sich als zweiter Bauträger nicht zu dem Projekt äußern.

Strom, Wasserleitung, Anschluss an die Fernsehantenne: Alles ist bereit, doch für einen Teil des neuen Viertels gibt die Gemeinde Beckerich keine Baugenehmigung. (Foto: Christian Peckels)

Als der Teilbebauungsplan („plan d’aménagement particulier“) 2006 beschlossen wurde, mahnten der Gemeinderat und das Innenministerium, das Projekt müsse in zwei Phasen eingeteilt werden. Nur so sei die demografische Entwicklung kontrollierbar. Doch in der Planung wurden die Phasen nur grob skizziert, ein klarer Ablauf, bis wann das neue Viertel fertig sein sollte, wurde nie definiert. Fast 15 Jahre später sind die Gemeindeinfrastrukturen dennoch nicht bereit.

Die halbgare Planung führte zu mehreren Gerichtsprozessen. Einerseits zwischen dem Bauträger Bati-Consult und der Gemeinde. Andererseits zwischen dem Bauträger und einem privaten Käufer. Letzterer glaubte, ein Grundstück erworben zu haben, auf das er unmittelbar bauen könne. Bauträger und Gemeinde schieben sich gegenseitig die Schuld für diese Versäumnisse zu.

Lokale Autonomie und vage Gesetze

Beckerich schöpfte die Möglichkeiten der Gesetze aus – damals noch unter dem Bürgermeister Camille Gira. Rechtlich gesehen hat die Gemeinde keinen Fehler gemacht. Das bestätigte ein Urteil des Verwaltungsgerichts im Mai 2017. Tatsächlich sieht das Gesetz vom 19. Juli 2004 zur Gemeindeplanung vor, dass ein Teilbebauungsplan in Phasen umgesetzt wird. Die Details werden über eine Konvention zwischen Gemeinde und Bauträger geregelt. Doch das Gesetz sieht vor, dass die Etappen und Fristen definiert werden.

Zumindest letzteres ist in Beckerich nicht der Fall. In der Konvention zum PAP „Schonk“ von 2011, die Reporter.lu vorliegt, steht lediglich: „La deuxième phase de réalisation ne pourra se faire qu’après demande, à adresser au conseil communal.“ Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man den Allgemeinen Bebauungsplan lesen: Ein PAP werde in Phasen eingeteilt, „suivant le développement démographique approprié de la commune“, die der Gemeinderat wünsche.

Die Pläne für das neue Viertel „Schonk“ gehen auf das Jahr 2004 zurück – damals noch unter Bürgermeister Camille Gira. (Foto: Christian Peckels)

Es sei unklar, unter welchen Bedingungen der Gemeinderat grünes Licht für die zweite Phase geben würde, merkten die Verwaltungsrichter 2017 an. Sie mahnten: „Le phasage doit garantir un étalement raisonnable dans le temps de la réalisation des constructions prévues par le PAP, une fois l’essentiel des éléments d’infrastructure afférents mis en place.“

Das Innenministerium sieht das anders: Das Gesetz von 2004 gebe keine Kriterien vor und lasse den Kommunen bewusst großen Spielraum. Denn beim Ausarbeiten der Konvention zwischen Bauträger und Gemeinde sei nicht immer abzusehen, wann die nötigen Infrastrukturen wie etwa Schulen oder Kläranlage gebaut werden könnten. Es liege im politischen Ermessen des Gemeinderats, wie schnell und intensiv Ortschaften wachsen, solange die landesplanerischen Vorgaben eingehalten würden.

Der getäuschte Käufer

Die Gemeinde Beckerich ließ jedoch 2015 die Möglichkeit durchblicken, dass der gesamte PAP Schonk bebaut werden könnte. Bati-Consult gab die Grundstücke zum Verkauf frei und fand einen Interessenten für eine Parzelle. Vor Erstellen des Verkaufsakts fragte der Notar bei der Gemeinde nach, ob diese Parzelle bebaubar sei. In einer Bescheinigung von Januar 2015, die Reporter.lu einsehen konnte, bestätigte der Bürgermeister, dass die Parzelle Teil eines beschlossenen PAP sei. Eine Baugenehmigung könne allerdings erst beantragt werden, sobald die Infrastrukturen im „lotissement“ abgeschlossen seien. Die ausstehende Phase 2 werde im Dokument nicht erwähnt.

2015 stritten die Gemeinde und der Bauträger über die Frage, ob alle Leitungen im Neubaugebiet verlegt seien. Im Juni 2016 fand dann die Endabnahme der Infrastrukturen statt. Damit war diese Bedingung erfüllt. Doch als der Käufer 2016 eine Baugenehmigung beantragte, lehnte die Gemeinde diese mit Verweis auf die zweite Phase ab. Bis heute verweigert die Gemeinde dieser Person die Genehmigung für ein Eigenheim, bestätigt der Bürgermeister Thierry Lagoda.

2011 als das Projekt in die Umsetzung ging, kostete ein Haus in Beckerich im Schnitt knapp 500.00 Euro. 2019 lag der Durchschnittspreis bei über 900.000 Euro, zeigen die Daten des „Observatoire de l’Habitat“. (Foto: Christian Peckels)

Der Gemeindeverantwortliche sieht den Bauträger Bati-Consult im Fehler. Die Firma hätte ihren Kunden über die Phasen des PAP aufklären müssen. Die Konvention hält fest, dass jedem Käufer eine Kopie ausgehändigt werden müsse. Das ist in diesem konkreten Fall nicht passiert. Bati-Consult argumentiert im laufenden Zivilverfahren vor dem Berufungsgericht, dass die Bescheinigung der Gemeinde klar zeige, dass das Grundstück sofort bebaut werden könne. Der Verweis auf die Konvention sei damit unnötig gewesen.

Auch der Anwalt des Käufers, Max Muller, verweist auf Nachfrage von Reporter.lu auf die Bescheinigung der Gemeinde, der sein Mandant vertraut habe.

Bau der Schule soll 2021 beginnen

Der Anwalt Georges Krieger wirft seinerseits der Gemeinde Beckerich vor, sowohl seinen Mandanten Bati-Consult als auch den Käufer der Parzelle getäuscht zu haben. Die Gemeinde handele willkürlich, schlussfolgert er. In erster Instanz annullierten die Richter den Verkauf der Parzelle.

Doch das Grundproblem bleibt. Vonseiten der Gemeinde heißt es, potenzielle Käufer würden seitdem über die Phasen aufgeklärt. Bati-Consult hat den Verkauf der Grundstücke gestoppt, betont der Geschäftsführer im Gespräch mit Reporter.lu.

Den Vorwurf, dass anderswo in der Gemeinde gebaut werden dürfe, nur nicht in „Schonk“, lässt der Bürgermeister nicht gelten. Die Gemeinde habe aufgrund der unzureichenden Schulinfrastrukturen ebenfalls eigene Baupläne auf Eis gelegt. Zwei Projekte des „Fonds du Logement“ seien kürzlich entstanden, aber deren Umfang sei deutlich kleiner.

Seit zwei Jahren sei eine neue zentrale Schule in Planung, 2021 könnten die Bauarbeiten voraussichtlich beginnen. Thierry Lagoda muss sich ebenfalls gegen den Vorwurf wehren, den Mangel an Schulinfrastrukturen nicht präventiv verhindert zu haben. Das sei allerdings nicht so einfach, meint der Bürgermeister. Die Gemeinde habe nicht wissen können, wie schnell die Bauträger das Projekt „Schonk“ umsetzen würden. Hier habe es anfangs Verzögerungen gegeben.

Baulandverträge und „Pacte Logement 2.0“ als Lösung

Allerdings ist Beckerich in landesplanerischer Sicht im Rückstand. Die Gemeinde gehört zur kleinen Gruppe, die noch keinen PAG „neuer Generation“ verabschiedet hat. Die allerletzte Frist des Innenministeriums ist vor einem Jahr abgelaufen. Man sei darauf nicht stolz, aber der PAG-Entwurf solle „noch diese Woche in die Prozedur gehen“, betont Thierry Lagoda.

Dass zwischen Erstellen des PAP und dem noch ausstehenden Abschluss des Projekts mittlerweile über 15 Jahre liegen, nennt das Wohnungsbauministerium auf Nachfrage „ungünstig“. Die Regierung glaubt aber, solche Verzögerungen mit neuen Instrumenten verhindern und das Angebot schneller erhöhen zu können. Mit dem „Pacte Logement 2.0“ erhalten Gemeinden finanzielle und logistische Hilfe, um das Bevölkerungswachstum vorausschauend zu begleiten.

Am vergangenen Freitag nahm die Regierung Änderungen an der Reform des Gemeindeplanungsgesetzes an. Damit sollen unter anderem sogenannte Baulandverträge eingeführt werden. Nächste Woche wird Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) dieses Projekt vorstellen. Das Instrument sieht klare Fristen vor, die im Vorfeld der Ausweisung neuer Wohnviertel festgelegt würden. Das Ziel sei eine schnellere Entwicklung von Neubaugebieten und eine größere Rechtssicherheit für alle Akteure, betont das Innenministerium.

Situationen wie in Beckerich will die Regierung damit in Zukunft verhindern. Für jene, die im Viertel „Schonk“ bauen wollen, kommt das zu spät. Frühestens in drei Jahren werden auf den brachliegenden Baulücken Häuser stehen und neues Leben wird einziehen.