Die Luxemburger Politik meidet das Thema Vermögensteuer wie der Teufel das Weihwasser. Doch die weltweit aufkommende Debatte über Mittel gegen wachsende Ungleichheit und schwindende Einnahmequellen der Staaten zeigt, dass es ein Thema der Zukunft ist. Eine Analyse.

„Mir liewe zënter 30 Joer [vun] Auslänner, déi op Lëtzebuerg hir Sue bréngen, an duerfir konnte mer hei eng Sozialpolitik maachen an Infrastrukture bauen, déi keen annert Land fäerdeg bruecht huet“, fasste Luc Frieden als damaliger CSV-Budgetminister das Luxemburger Geschäftsmodell zusammen. Das war Ende 2005. Per Gesetz schaffte das Parlament die Vermögensteuer für Privatpersonen ab. Die Lobbyisten des Finanzplatzes erhofften sich damals, dass innerhalb von zehn Jahren bis zu 8.000 Superreiche ihren Wohnsitz nach Luxemburg verlagern würden.

Wer nach Argumenten für eine Vermögensteuer sucht, der findet reichlich Munition in der Debatte über deren Abschaffung. Es ist das perfekte Beispiel für das Luxemburger Steuerparadox. Die CSV-LSAP-Regierung setzte 2005 eine massive Steuersenkung durch, verbunden mit der Erwartung, dass andere Staaten die Zeche zahlen.

Neue Einnahmequellen müssen her

Doch in den vergangenen 13 Jahren hat sich das Blatt gewendet. Das Bankgeheimnis für Ausländer ist Geschichte, die Einnahmequelle Online-Handel versiegt, Luxleaks war der Anfang vom Ende einer exzessiven Steuervermeidungsindustrie. Allein der Tanktourismus bleibt erträglich – bis der „Dieselskandal“ und der vermehrte Umstieg auf Elektroautos auch dessen Ende besiegeln werden.

Eine weitere verlässliche Geldquelle war die Einkommensteuer auf Löhne und Renten. Zwischen 2000 und 2017 wuchsen die Einnahmen um 225 Prozent, deutlich schneller als die Wirtschaft insgesamt. Der Grund war die enorme Zunahme an Arbeitsplätzen, die im Land entstanden und von Grenzgängern besetzt wurden. Doch die Nachbarländer werden nicht ewig zuschauen, wie Grenzgänger nur in Luxemburg Lohnsteuer zahlen. Die OECD will über eine gerechtere Verteilung zwischen Wohn- und Arbeitsort diskutieren, berichtete jüngst „Le Quotidien“.

Ja, selbst beim Weltwirtschaftsforum in Davos waren Varianten einer Reichensteuer ein Thema – zum Entsetzen der anwesenden Milliardäre.“

Versiegen die sprudelnden Quellen, ist die Schlussfolgerung unausweichlich: In Zukunft muss das Steuersystem hierzulande neu gestaltet werden. Luxemburg wird nicht mehr so leicht Steuergelder bei anderen Ländern abzapfen können. Es braucht also neue Einnahmequellen, wenn der Staat langfristig das gleiche Niveau an Sozialleistungen, Investitionen und Beamtengehältern aufrechterhalten will. Das Vermögen der Ansässigen (wieder) angemessen zu besteuern, wäre dabei ein lohnender Ansatz.

Der weltweite Trend dreht

Vor 1990 war die Lage klar: Die vermögenden Bürger zahlten hohe Steuern auf ihrem Einkommen (etwa Löhne, Mieteinkommen, Dividenden, Gewinne aus ihren Unternehmen) aber auch ihrem dauerhaften Vermögen (etwa Aktien, Bankkonten, Luxusgüter, Häuser und Grundstücke usw.). In den letzten Jahrzehnten gab es aber unter den reichen Nationen einen eindeutigen Trend: Viele Länder schafften ihre Vermögensteuern ab. Das heißt grundsätzlich, dass nur noch das besteuert wird, was jedes Jahr zum Vermögen hinzukommt und nicht mehr der bestehende Besitz. 2017 gab es in der OECD nur noch vier Länder, die Reichtum direkt besteuerten: Frankreich, Norwegen, Spanien und die Schweiz. 1990 waren es noch zwölf.  Doch auch die Einkommen wurden weniger belastet. Zwischen 1981 und 2016 sank der durchschnittliche Spitzensteuersatz auf Einkommen in der OECD von knapp 66 auf 43 Prozent. In Luxemburg liegt das Maximum aktuell bei 42 Prozent.

Im luxemburgischen Wahlkampf 2018 waren weder der Spitzensteuersatz noch die Vermögensteuer ein Thema. Die CSV sprach sich gegen eine Besteuerung von Privatvermögen aus, Déi Lénk dafür und die anderen schwiegen dazu. Doch die Anzeichen mehren sich, dass sich der Trend weltweit wendet. Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) provozierte den Koalitionspartner CDU mit der Forderung, die Spitzensteuersatz von heute 42 Prozent auf 45 Prozent zu erhöhen.

In den USA setzt die demokratische Senatorin Elizabeth Warren sich für eine Vermögensteuer für Superreiche ein. Ihre Kollegin Alexandria Ocasio-Cortez plädiert für einen Spitzensteuersatz von 70 Prozent. Die oft als neoliberal gescholtene OECD schreibt indes Berichte über die beste Art und Weise, Vermögen zu besteuern. Ja, selbst beim Weltwirtschaftsforum in Davos waren Varianten einer Reichensteuer ein Thema – zum Entsetzen der anwesenden Milliardäre.

Steigende Ungleichheit

Die weltweite Debatte hat vor allem mit der steigenden Ungleichheit zu tun – vor allem in den USA. Doch auch Luxemburg ist von diesem Phänomen nicht verschont. Nach der Finanzkrise von 2008 nahmen die Einkommen der ärmeren Luxemburger deutlich ab, während die vermögenden Teile der Gesellschaft mehr verdienten. Die wirtschaftliche Erholung nach 2013 hat die Unterschiede wieder abgeschwächt, aber insgesamt ist die Ungleichheit gestiegen, wie Berichte und Zahlen des Statec belegen.

Das Vermögen der reichsten zehn Prozent besteht hierzulande zu knapp der Hälfte aus Immobilien – ohne die Hauptresidenz.“

Diese sehr ungleiche Aufteilung zeigt sich auch bei den Steuern. Fünf Prozent der Haushalte zahlten 2016 51 Prozent der Einkommensteuern. Das ist eine Schätzung, die der Wirtschafts- und Sozialrat veröffentlichte. Es handelt sich dabei um Haushalte mit einem jährlichen Einkommen von über 130.000 Euro. Das sind knapp 25.500 Haushalte.

Weniger Umwege möglich

Ist von Vermögensteuern die Rede, dann wenden Ökonomen und Lobbyisten gerne ein: Funktioniert nicht, denn das Kapital ist mobil. Sprich: Glaubt ein Millionär, dass er zu hohe Steuern zahlt, dann bringt er sein Geld in ein anderes Land. Dafür gab es in den letzten Jahrzehnten mehr als genug Beispiele. Spätestens ab den 1980er Jahren war Luxemburg ein sicherer Hafen für das Vermögen belgischer Zahnärzte und deutscher Metzgermeister.

Doch das Bankgeheimnis ist nicht mehr. Der Informationsaustausch über Bankkonten zwischen den Ländern lässt Steuerhinterzieher kaum eine Chance. Für in Luxemburg ansässige Bürger gilt formal zwar noch das Bankgeheimnis. Doch Banken fragen inzwischen nach der Steuererklärung, um sicher zu gehen, dass das angelegte Geld sauber ist. Ansonsten drohen sie sich der Geldwäsche schuldig zu machen – ein Risiko, das kaum ein Finanzinstitut eingehen möchte.

Gewissermaßen steigt damit die Ungleichheit zwischen Reichen. Nur jene mit Millionenvermögen können sich die aufwendigen Strukturen leisten, die es heute braucht, um Steuern zu hinterziehen. Und ihnen droht trotzdem schlechte Presse im Falle von Leaks wie den „Panama Papers“.

Effekt auf die Wirtschaft

Ein weiteres klassisches Gegenargument ist, dass es schädlich für die Wirtschaft ist, Vermögen höher zu besteuern. Davon gehen nicht nur Lobbyisten des Finanzplatzes, sondern etwa auch pauschal der Chefredakteur von „RTL Radio“ aus.

Die Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman spielen die Gegenargumente anhand des Vorschlags von Elizabeth Warren durch. Ihr Fazit: Dass eine Vermögensteuer schadet, ist nicht erwiesen. Dagegen könnte sie die Millionäre dazu bringen, ihr Vermögen tatsächlich zu investieren, statt es etwa in Immobilien zu binden.

Genau dieser Punkt ist in Luxemburg interessant. Das Vermögen der reichsten zehn Prozent besteht hierzulande zu knapp der Hälfte aus Immobilien – ohne die Hauptresidenz. Das ist der höchste Wert in der gesamten OECD. Dagegen ist der Anteil des Vermögens, der auf Bankkonten liegt, in Luxemburg am niedrigsten. Dabei ist dieser Teil der einzige, der derzeit über die Quellensteuer erfasst wird.

Plötzlich meldeten sich zahlreiche Bürger dieses Landes bei der „Administration des contributions directes“ und wollten wissen, wie sie denn ihr Geld von ihrem Schweizer Konto (oder anderswo) legal nach Luxemburg bringen konnten.“

Außerdem spielt bei Immobilien das Fairness-Argument. Die Besitzer haben in den vergangenen Jahren enorme Wertsteigerungen erlebt – mit eigener Leistung hat das nichts zu tun. Man spricht dabei von „wind fall“-Gewinne – die Profite passieren einfach so. Diese zu besteuern, gilt in der ökonomischen Literatur als besonders sinnvoll und gerecht.

Weitverbreitete Steuerhinterziehung

Das Gerechtigkeitsargument hat eine weitere Facette. 2005, als Luxemburg die Vermögensteuer abschaffte, war das noch anders. Die Einnahmen aus dieser Abgabe lagen damals bei 13 Millionen Euro – ein im Vergleich eher lächerlicher Betrag. Dazu bestand Konsens in der Politik. Der Grund war einfach: Das Bankgeheimnis machte die Steuerverwaltung blind gegenüber dem tatsächlichen Vermögen der Luxemburger. Nur Bürger mit besonderem Pflichtbewusstsein füllten ihre Steuererklärung korrekt aus, alle anderen machten es nicht und hatten trotzdem nichts zu befürchten.

Die Quellensteuer auf Zinserträgen galt deshalb als sinnvolle Alternative zur abgeschafften Vermögensteuer. Doch die damalige CSV-LSAP-Regierung legte einen Satz von zehn Prozent für die Quellensteuer fest, deutlich weniger als in anderen Ländern und ein Bruchteil des Spitzensteuersatzes. Heute sind es 20 Prozent.

Es geht darum, von vermögenden Bürgern einzufordern, ihren fairen Anteil an Steuern und damit den staatlichen Leistungen zu zahlen.“

Doch selbst die läppischen anfänglichen zehn Prozent waren vielen Vermögenden zu viel. Noch bevor die Quellensteuer offiziell galt, erfanden Berater diverse Methoden, um sie zu umgehen. Als die ausländischen Steuerbehörden anfingen, Informationen mit ihren Luxemburger Kollegen auszutauschen, geschah etwas Seltsames. Plötzlich meldeten sich zahlreiche Bürger dieses Landes bei der „Administration des contributions directes“ und wollten wissen, wie sie denn ihr Geld von ihrem Schweizer Konto (oder anderswo) legal nach Luxemburg bringen konnten. Das erwähnte der frühere Steuerdirektor Guy Heintz en passant während den Koalitionsverhandlungen 2013.

Eine faire Beteiligung einfordern

Es geht mit einer Vermögensteuer also auch darum, von vermögenden Bürgern einzufordern, ihren fairen Anteil an Steuern und damit den staatlichen Leistungen zu zahlen. Etwas, was viele von ihnen über Jahrzehnte entgegen der Gesetze nicht taten.

Die in den letzten Jahren etablierte Steuertransparenz ist nicht perfekt. Doch sie hat bewirkt, dass Vermögensteuern im Wesentlichen nur vermieden werden können, wenn ein Millionär seinen Wohnsitz in ein anderes Land verlegt. Manche sogenannte „ultra high net worth individuals“ könnten dann Luxemburg verlassen – etwa jene russischen Millionäre, die in den letzten Jahren ins Land kamen. Doch einen spürbaren Effekt auf die Wirtschaft hätte das kaum – angesichts der geringen Zahl. Die 2005 erhofften 8.000 Millionäre blieben nämlich eine Chimäre.