Das Panaschieren ist ein Luxemburger Volkssport. Das glauben zumindest die Parteien und bringen deshalb möglichst viele B-Promis auf ihren Listen unter. Doch die Wahlen seit 2013 stellen einen Bruch mit den vorigen Urnengängen dar.
2013 schwärzten die Wähler den Kreis über einer Liste so häufig wie seit 1999 nicht mehr. Die wichtigste Erkenntnis der letzten Parlamentswahlen ist das Einbrechen des Panachage, heißt es im Forschungsbericht „Elect“ im Auftrag des Parlaments. Der Anteil der persönlichen Stimmen sank von 48 Prozent 2009 auf 41 Prozent bei den letzten Wahlen. Nur 46 Prozent der Wähler panaschierten 2013.
Das Panaschieren – also das Verteilen von persönlichen Stimmen innerhalb einer Liste oder auf mehreren Listen – gilt als bestimmendes Merkmal des Luxemburger Wahlsystems. Entsprechend folgenreich ist es, wenn die Wähler in dieser Hinsicht andere Gewohnheiten annehmen. Mehr Listenstimmen bedeuten eine Stärkung der Rolle der Parteien und würden damit den Fokus von „bekannten Köpfen“ auf tatsächliche Inhalte verschieben. Und deshalb lohnt sich die Analyse der letzten Wahlresultate.
Das Ergebnis von 2013 war durchaus außergewöhnlich und kam etwas überraschend. „Der Anteil der Listenstimmen geht seit 1979 kontinuierlich zurück“, schrieb etwa der Soziologe Fernand Fehlen noch kurz vor den Parlamentswahlen in der Zeitschrift „Forum“. „Tatsächlich war das Wahlverhalten 2013 und 1974 atypisch“, kommentiert Fehlen heute auf Nachfrage die langfristige Entwicklung (siehe Grafik).
Eine Trendwende zeichnet sich ab
Doch auf die Frage, warum 2013 aus der Reihe fällt, gibt es keine einfache Antwort. Das Problem ist auch, dass es keine Studien gibt, die das Wahlverhalten vor 1974 untersuchen, betont Fehlen. Es fehlt demnach die langfristige Sicht. Und der Trend zum vermehrten Panaschieren erscheint recht kurz, denn der Anteil der Listenstimmen stagnierte zwischen 1989 und 1999 bei etwa 60 Prozent.
Das Resultat der Europawahlen 2014 bestätigte jedoch die These einer Trendwende. Bei dieser Abstimmung panaschierten 41,5 Prozent der Wähler – ein Rückgang von 7,3 Prozentpunkten gegenüber 2009. Das zeigt die Elect-Studie der „Chaire de recherche en études parlementaires“.
Auch die Kommunalwahlen von Oktober 2017 scheinen in die gleiche Richtung zu deuten. Scheinen, denn die Ergebnisse sind nicht unbedingt vergleichbar mit nationalen Wahlen. Trotzdem sind die Zahlen interessant: Bei den Lokalwahlen erhielten CSV, LSAP und DP etwa 46 Prozent an persönlichen Stimmen, Déi Gréng 40 Prozent. Für die anderen Parteien liefert die staatliche Wahlseite keine national zusammengefassten Zahlen, ebensowenig für frühere Kommunalwahlen.
Klar ist, dass das Phänomen Panachage damit im Oktober 2017 im Schnitt weniger ausgeprägt war als bei den Parlamentswahlen 2004 und 2009. Und das obwohl man bei Gemeindewahlen ein persönlicheres Verhältnis zwischen Wählern und Kandidaten annehmen kann.
Umwälzung bei den Parteien
Besonders interessant ist allerdings, dass sich im Vergleich 2009 gegenüber 2013 ein komplett neues Bild ergibt, welche Parteien vom Volkssport Panaschieren profitieren (siehe Grafik). Lange galt der Grundsatz, dass Mitte-links-Wähler ideologisch abstimmen und demnach „de Rondel schwäerzen“. Dagegen profitierte die Notabeln- und Klientelpartei DP lange von zahlreichen persönlichen Stimmen.
Doch diese Weisheiten gelten nicht mehr. Für die DP kippte das Verhältnis von Listen- und persönlichen Stimmen von 40-60 2004 zu 60-40 zwei Wahlen später, schreiben die Autoren der Elect-Studie Philippe Poirier, Raphaël Kies und Patrick Dumont. Und das trotz des spektakulären Ergebnisses von Xavier Bettel: Über die Hälfte der Wähler, die panaschierten, gaben ihm eine Stimme – ein Plus von 20 Prozentpunkten gegenüber 2009. Die CSV hatte den geringsten Anteil an persönlichen Stimmen unter den großen Parteien.
Die „Köpfe“ der Sozialisten und der Grünen punkten
Dagegen sind LSAP und Déi Gréng jene Parteien, die am meisten vom Panaschieren profitieren. Gerade die LSAP habe im Süden von ihrer lokalpolitischen Präsenz profitiert, erklärt Fernand Fehlen.
Das Abschneiden der Grünen ist angesichts ihrer basisdemokratischen Ideale nicht ohne Ironie. Doch die lokalpolitische Verankerung der Grünen verändert die Gleichung. 2013 verloren sie unter den vier wichtigsten Parteien am wenigsten an persönlichen Stimmen. Und Déi Gréng setzen weiterhin auf die lokale Bekanntheit, denn auf ihren Listen hat die Mehrheit der Kandidaten ein kommunales Mandat. Paradox ist, dass das leicht rückläufige Ergebnis der Grünen 2013 gegenüber 2009 auf einen Verlust von Listenstimmen zurückgeht.
Die Unwägbarkeiten des Wahlsystems
Allerdings ist das Verhältnis von persönlichen Stimmen und „Rondel schwäerzen“ sehr volatil, warnt Fernand Fehlen, der die Studien zu den Wahlen von 1999 und 2004 leitete. „Das klassische Beispiel ist der LSAP-Wähler, der Jean-Claude Juncker zwei Stimmen gibt“, so Fehlen. Den Sozialisten geht so eine Listenstimme verloren, aber das Resultat ändert sich dadurch nur wenig. „Mehrere populäre Kandidaten reichen, um den Anteil des Panachage zu erhöhen“, erklärt der Soziologe.
Und selbst ein Anteil von 41 Prozent an Panachage hat einen gehörigen Einfluss. Da die Umfragen diesen Faktor nicht berücksichtigen können, sind sie auch deshalb von zweifelhaftem Wert. Dazu kommt die Verteilung von vier Restsitzen (oder mehr), die Mehrheiten mit minimalen Stimmendifferenzen wesentlich verändern kann.
Was der Rückblick uns sagt
Welche Schlüsse sollte man aus diesem Wahlverhalten mit Blick auf Oktober 2018 ziehen? Auf der einen Seite könnte man sagen, dass die Parteien darauf achten müssen, ihre Kernwähler zu mobilisieren. Denn deren Listenstimmen könnten wichtiger werden als in der Vergangenheit. Entsprechend unnützer wären in dieser Perspektive die B-Promis und Journalisten auf den Listen. Denn setzt sich der Trend fort, dann verteilen weniger Wähler ihre Stimmen über mehrere Listen und sind demnach weniger geneigt, ein Kreuz neben bekannten Namen zu setzen.
Doch aus der Sicht eines einzelnen Kandidaten sieht es ganz anders aus: Zu den Merkwürdigkeiten des Luxemburger Wahlsystems zählt, dass die Panaschierer entscheiden, wer ins Parlament kommt. Ihre persönlichen Stimmen machen letztlich den Unterschied. Homestories auf Instagram oder der Einweihungsmarathon vor Wahlen sind deshalb in einer individuellen Strategie durchaus sinnvoll.
Aber auch das ist eben keine neue Erkenntnis. Als das heutige Wahlsystem 1919 entstand und das Panaschieren sich knapp durchsetzte, warnte der sozialistische Abgeordnete Jos Thorn: „Ceux qui ont le plus de chance d’être élus sont ceux qui ont le plus l’habitude de serrer la main, d’aller à chaque enterrement.“