Die Partei „Volt Europa“ will die EU revolutionieren. Europäische Lösungen sollen vor nationalen Interessen stehen. Darüber hinaus fehlt es jedoch an einem scharfen Profil. Auch in Luxemburg vereint die Kandidaten vor allem eine diffuse pro-europäische Haltung.

Europa befindet sich in einer Identitätskrise. Auf der Suche nach Erklärungen für die wachsende Euroskepsis und dem Erfolg populistischer Parteien, fällt dieser Satz immer wieder. Nationalistische Bewegungen zehren von dieser Diagnose. Sie bieten jenen Menschen, die in einer liberalen, globalisierten Welt keinen Halt finden, ein gemeinsames Identitätsgefühl an.

Pro-europäische Parteien haben dem oft wenig entgegenzusetzen. Es fehlt das Wir-Gefühl, die gemeinsame europäische Identität, das die Menschen an das Projekt der Europäischen Union glauben lässt. Die Entscheidungen, die in Brüssel fallen, sind für die meisten Bürger weit weg. Die Distanz zwischen ihnen und den EU-Institutionen könnte nicht größer sein.

Diese generelle Problemlage erklärt, wieso die pan-europäische Bewegung „Volt Europa“ so viel Aufmerksamkeit bekommt. Die Gründer sind jung, hip, gebildet und wollen Europa verändern. Ihr Wahlspruch: Wem die EU nicht gefällt, der soll sich daran beteiligen, sie besser zu machen.

Jung, hip, pro-europäisch

Andrea Venzon, der Präsident der pan-europäischen Partei ist gerade einmal 27 Jahre alt, Mitgründerin Colombe Cahen-Salvador 24. Zum Interview trifft man sich im Café, die Parteigründer tragen Sneakers und Shirt, statt schickem Anzug. Rein äußerlich wird bereits klar: Sie wollen anders sein, als jene Politiker und Bürokraten, die über die EU entscheiden.

In den Medien wird die Partei als neue Hoffnung Europas gehandelt. „Die Partei, die Europa retten will“, titelt etwa die „Welt“, „Energie für Europa“, die „Deutsche Welle“. Statt einer Abkehr von der EU und einem Rückzug ins Nationale wünschen sie sich mehr europäische Integration. In acht Mitgliedsstaaten tritt Volt bei den Europawahlen an, auch in Luxemburg. Ob die Bewegung eine wirksame Antwort auf Euroskepsis und Populismus sein kann, ist jedoch fraglich.

Die meisten Ideen im Programm gefallen mir. Doch manche Ideen sind einfach nicht realistisch.“Rolf Tarrach, ehemaliger Uni-Rektor und Volt-Kandidat

Andrea Venzon und Colombe Cahen-Salvador glauben an ein Europa der Bürger, in dem die Menschen aktiv in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Anstelle von nationalen Parteien, die sich selbst auf EU-Ebene nie gänzlich von nationalen Interessen lösen, will Volt „die erste, wirklich pan-europäische Partei Europas“ sein, betont Colombe Cahen-Salvador im Gespräch mit REPORTER.

Mehr Europa – jetzt erst recht

Das bedeutet konkret: In jedem Land, in dem Volt antritt, wählen die Wähler die gleiche Partei, mit dem gleichen Programm und der gleichen Vision für Europa. Die Kampagne bleibt dieselbe, auch wenn die Kandidaten andere sind. Auch in Luxemburg tritt Volt alleine mit dem gemeinsamen Programm, der „Amsterdamer Deklaration“ an.

Wo sich viele Parteien wieder nationalen Interessen zuwenden, wirbt Volt für eine pro-europäische Vision und mehr Integration. Ein föderales Europa mit einem vom Parlament gewählten Premierminister und einem von den Bürgern gewählten Präsidenten, lautet ein Programmpunkt. Ein Europa, in dem die Bürger Gesetzesvorschläge machen können, in dem Entscheidungen in aller Transparenz getroffen werden und dessen Vorteile allen zugute kommen.

Europäische Antworten auf nationale Probleme: Mit dieser Vision sollen sich auch jene Menschen identifizieren können, die den Glauben an eine EU, die ihre konkreten Probleme lösen kann, längst verloren haben.

Hoffnung auf ein „anderes Europa“

Der Glaube an ein Europa der Bürger ist jenes Element, welches auch die Luxemburger Volt-Kandidaten vereint. Für den Betzdorfer Gemeinderat Christopher Lilyblad, der erst vor wenigen Wochen von der CSV zu Volt gewechselt ist, geht es darum, „den Menschen wieder Hoffnung in ein anderes Europa, eine andere Form der Institutionalisierung“ zu geben.

Oder wie der Präsident von Volt Luxemburg, George Penn es ausdrückt: „Es hat mich begeistert, dass wir zusammen als Gemeinschaft etwas erreichen können, und wir eine europäische Perspektive teilen“. Volt vermittle jenes Gefühl einer gemeinsamen europäischen Identität, welches andere Parteien oft vermissen lassen würden.

Paradoxerweise lehnen die Parteigründer die Idee einer gemeinsamen europäischen Identität ab, die viele mit Volt verbinden. „Es geht nicht um eine Identität, es geht darum, dass die meisten Probleme in der EU – Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Migration – grenzüberschreitend sind und daher grenzüberschreitende Lösungen erfordern“, erklärt Colombe Cahen-Salvador. Man sei durchaus pragmatisch: „Pro-Europäer werben nicht mit Inhalten, sondern lediglich damit, dass sie die EU lieben. Oder dass sie gegen Populisten sind. Wir aber wollen mit Inhalten aufwarten und Alternativen bieten.“

Grün, sozial, liberal und noch mehr

Das Problem daran ist allerdings, dass sich Volt programmatisch wenig von anderen pro-europäischen Parteien unterscheidet. So liest sich die Amsterdamer Deklaration eher wie eine Mischung aus liberalen, sozialen und grünen Ideen. Die Vision eines föderalen Europas zum Beispiel, könnte genauso gut aus der Feder eines Martin Schulz oder gar Viviane Reding stammen. Ein Budget für die Eurozone, eine gemeinsame europäische Armee oder eine reformierte, solidarische Flüchtlingspolitik fordert auch Emmanuel Macron. Ein wirtschaftlich wettbewerbsfähiges und starkes Europa, mit flexiblen Arbeitsverhältnissen wünschen sich auch die Liberalen. Mehr Transparenz und einen besseren Umgang mit der Umwelt wollen auch die Grünen.

Wir sind anders als alle anderen. Weder links noch rechts, weder nur pro-europäisch noch lediglich anti-populistisch.“ Andrea Venzon, Volt Europa

Kaum ein Vorschlag wird beziffert, kaum ein Wort über die Umsetzung der Ideen verloren. So fordert Volt etwa „ehrgeizige“ Klimaziele und eine Förderung nachhaltiger Landwirtschaft. Wie diese aussehen sollen und wie hoch diese angesetzt sind, bleibt offen. Ähnlich verhält es sich auch mit den meisten anderen Punkten des Programms, von einem einheitlichen europäischen Asylsystem bis zum Aufbau einer sozialeren Gesellschaft: Es wird ein Sammelsurium an Problemen aufgegriffen, Ideen zu deren Lösung werden aber oft nicht zu Ende gedacht.

Ein scharfes inhaltliches Profil fehlt

„Die meisten Ideen im Programm gefallen mir. Doch manche Ideen sind einfach nicht realistisch“, sagt selbst der ehemalige Rektor der Uni Luxemburg, Rolf Tarrach, der in Luxemburg auf der Volt-Liste antritt. Etwa die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2015 auf vier Prozent des BIP zu verdoppeln. Und wenn der ehemalige CSV-Politiker und frischgebackene Volt-Kandidat Christopher Lilyblad von einem „enorm starken Programm“ spricht, so meint er damit vor allem die Forderung nach einer institutionellen Reform der EU „die viel weiter geht, als die Vorschläge anderer Parteien.“

Inhaltlich lässt sich aber schwer festmachen, wofür Volt – über die pan-europäische Idee hinaus – eigentlich steht. Man wolle sich ohnehin in kein klassisches politisches Schema einordnen lassen, betont Andrea Venzon: „Wir sind anders als alle anderen. Weder links noch rechts, weder nur pro-europäisch noch lediglich anti-populistisch.“

Colombe Cahen-Salvador legt nach: „Es ging uns nicht darum, neue Ideen zu erfinden. Es geht darum zu schauen, was in Europa Erfolg hat und diese Ideen aufzugreifen.“ Das Problem ist aber, dass es Volt dadurch an einem scharfen Profil fehlt, und sich durch nichts wirklich von anderen Programmen abheben kann. Dass etwa Lilyblad ohne Weiteres innerhalb von zwei Wochen von der CSV zu Volt konvertieren konnte, bestärkt diesen Eindruck.

„Zur Irrelevanz verdammt“

Gleiches wie für das Manifest gilt auch für die Luxemburger Kandidatenliste. Über die europäische Perspektive hinaus, ist kaum zu erkennen, für welche konkreten Ideen sie eigentlich eintreten, oder welche Wähler sie ansprechen wollen. Das liegt wohl auch daran, dass keiner der Kandidaten das Wahlmanifest der Partei mitbestimmten konnte. Als sich Tarrach, Lilyblad und Co. für eine Kandidatur entschieden, stand die Amsterdamer Deklaration längst. Ihre Handschrift sucht man in dem Schreiben vergebens.

Und da liegt wohl auch die Krux: Geht es bei der Wahl lediglich ums Manifest, wirken die Kandidaten zweitrangig und austauschbar. Die Gründer von „Volt Europa“, wissen nicht einmal, wer in Luxemburg für die Europawahlen kandidiert.

So hoch die pro-europäische Initiative von manchen Medien gejubelt wurde, so deutlich äußern sich denn auch schon Kritiker. Der bulgarische Politologe Ivan Krastev schreibt etwa in seinem Essay „Europadämmerung“, dass pan-europäische Parteien in der Regel nicht über die Identitätskrise Europas hinweghelfen können. Indem sie nämlich jede spezifische Ideologie ablehnen, seien solche Bewegungen zur Irrelevanz verdammt.

In genau diesem Dilemma scheint auch Volt zu stecken. Die Bewegung will sich dadurch hervortun, dass sie europäische Interessen vor nationale Interessen stellt. Doch in Ermangelung eines scharfen Profils in politischen Kernfragen, steht die progressive Vision eines besseren Europas ziemlich einsam da.

Angesichts dessen scheint es unwahrscheinlich, dass Volt wirklich jene Wähler erreichen kann, die Europa kritisch gegenüber stehen und als Alternative für jenes Identitätsgefühl herhalten kann, welches Euroskeptiker bei populistischen Parteien suchen. Und an programmatisch diffusen pro-europäischen Parteien mangelt es – besonders in Luxemburg – nicht.