Zwischen Bestätigung und möglicher Amtsenthebung: Die Wahlen zum US-Kongress zur Halbzeit der Präsidentschaft von Donald Trump könnten zum Plebiszit des aktuellen Amtsinhabers werden. Ein Bericht von unserem Korrespondenten Max Tholl, der zurzeit durch die USA reist.
Das Welt- und Selbstbild von Donald Trump deckt sich, milde ausgedrückt, nicht immer mit der Realität. In den vergangenen zwei Jahren wurde die Diskrepanz zwischen den Aussagen des amerikanischen Präsidenten und der allgemeinen Faktenlage nur allzu offensichtlich – besonders, wenn es um den Zuspruch der eigenen Bevölkerung geht.
Sinkende Zustimmungswerte kontert Trump mit Hybris und selbstkonstruierten Fakten: Er ist der beliebteste Präsident aller Zeiten. Keine Regierung hat mehr erreicht als seine. Und er wird so erfolgreich sein, versprach er 2016, dass der Erfolg den Amerikanern zum Hals raushängen wird.
Bisher hat Trump es geschafft diese Scheinwelt für sich und seine Anhängerschaft aufrechtzuerhalten. Aber sie gerät zunehmend ins Wanken und droht bei den anstehenden Kongresswahlen zu platzen. Diese Herausforderung kann selbst die Fantasie des Präsidenten nicht verdrängen.
Eine Herausforderung für jeden Präsidenten
Am 6. November, also in weniger als drei Wochen, wird an den Wahlurnen über die Zusammensetzung des zukünftigen Kongresses entschieden. Der Kongress besteht aus dem Repräsentantenhaus und dem Senat. Während alle Sitze im Repräsentantenhaus zur Abstimmung stehen, werden nur 35 von 100 Senatsposten neu gewählt. In 36 von 50 Bundesstaaten wird über das Amt des Gouverneurs entschieden.
Bei aller Euphorie sollten die Demokraten sich nicht über die Fakten hinwegtäuschen lassen, und die sprechen derzeit nicht zwingend für die blaue Welle.“
Zusätzlich finden neben den nationalen Wahlen in vielen Bundesstaaten und Städten auch lokale Wahlen statt. Fast jeder Präsident der Nachkriegszeit musste bei den sogenannten „Midterms“ eine Niederlage einstecken. Trump soll jüngsten Umfragen zufolge keine Ausnahme bleiben.
In den vergangenen Monaten wurde immer wieder über eine blaue Welle spekuliert, die die Demokraten wieder an die Zügel der Macht schwemmen könnte. Die Überraschungserfolge im letzten Jahr im tiefroten Alabama und im Swing-Staat Virginia haben ihnen Hoffnung gemacht. Die guten Umfragewerte ihrer Kandidaten und die vergleichsweise niedrige Zustimmung für den Präsidenten lassen die Demokraten schon von einem Kantersieg träumen. Vielversprechende Kandidaten in republikanischen Hochburgen, etwa Beto O’Rourke in Texas oder Sharice Davids in Kansas, geben derzeit genügend Anlass dazu. Aber bei aller Euphorie sollten die Demokraten sich nicht über die Fakten hinwegtäuschen lassen, und die sprechen derzeit nicht zwingend für die blaue Welle.
Drohender Verlust des Repräsentantenhauses
Um die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu übernehmen, braucht eine Partei 218 Sitze. Die Demokraten haben derzeit 193 und können 183 davon als sicher betrachten. 11 weitere Sitze sind in greifbarer Nähe. Der „New York Times“ zufolge, müssen die Demokraten mindestens 23 Sitze der Republikaner erobern, um die Kontrolle über das Haus zu erlangen. Insgesamt gelten 69 Sitze derzeit als Kopf-an-Kopf-Rennen.
Die Republikaner haben den Nachteil, dass sie mehr Sitze zu verteidigen haben und als Regierungspartei traditionell eher abgestraft als gestärkt werden könnten. Gerade in den Vororten der Metropolen, etwa im kalifornischen Orange County oder in den Gegenden um Detroit, Philadelphia oder New Jersey, wird es für die Republikaner schwer werden, ihre Mandate zu halten. 2016 konnte Trump hier gewinnen, aber die Demokraten haben seitdem viel Boden gutgemacht und hoffen, abgewanderte Wähler zurückzugewinnen, gerade die Arbeiterklasse und Mittelschicht in urbanen Ballungsgebieten.
Referendum über zwei Jahre Donald Trump
Trump gibt sich zwar weiterhin siegessicher, aber seine apokalyptischen Warnrufe, die Demokraten würden das Land in ein zweites Venezuela, einen gescheiterten Staat also, verwandeln, sollten sie die Macht zurückerlangen, sind zumindest teilweise Zeugnis einer inneren Verunsicherung. Denn die Demokraten setzen bei diesen Wahlen gezielt auf Anti-Trump-Rhetorik. Punkten sie damit, dürfte der Mythos des starken Präsidenten mächtig ins Wanken geraten.
Was Trump dann übrig bliebe, wären Schuldzuweisungen an die Demokraten für die schleppende Politik und die Hoffnung, dass die Wähler sie 2020 dafür abstrafen.“
Im Gegensatz zu den Präsidentschaftswahlen, sind die „Midterms“ lokale Wahlen, bei denen oft regionaler Straßenausbau wichtiger als die nationale Wirtschaftspolitik ist. Doch Trump dominiert derzeit nicht nur den Wahlkampf der Demokraten, sondern stellt sich auch bei der eigenen Partei an vorderste Front. Unermüdlich reist er derzeit durchs Land, um die Werbetrommel für seine Kandidaten und sich selbst zu rühren. Denn, wie er selbst erklärt hat, ist die anstehende Wahl mehr als eine Abstimmung über den Kongress. Es ist ein Referendum zur Person und Politik des Präsidenten.
Mögliches Amtsenthebungsverfahren
Trumps ehemaliger Chefstratege Steve Bannon warnte jüngst in einem Fernsehinterview sogar, dass der Verlust des Repräsentantenhauses ein Impeachment, also ein Amtsenthebungsverfahren des Präsidenten durch die Demokraten, sehr wahrscheinlich machen würde.
So einfach ist es zwar nicht, doch Bannon legt mit seiner Prophezeiung den Finger in die Wunde. Denn ein Haus in Hand der Demokraten, da sind sich die Experten einig, würde die Politik des Präsidenten zum Stillstand bringen. Durch unzählige Untersuchungsausschüsse und Blockaden, wären Trump die Hände gebunden. Genau wie bei Obama, würden viele Gesetzesvorhaben des Präsidenten am Wiederstand des Repräsentantenhauses scheitern.
Was Trump dann übrig bliebe, wären Schuldzuweisungen an die Demokraten für die schleppende Politik und die Hoffnung, dass die Wähler sie 2020 dafür abstrafen. Der drohende Machtwechsel im Haus ist für Trump eine ernste Gefahr. Ein zusätzlicher Machtwechsel in der zweiten Kammer, dem Senat, wäre ein Desaster. Doch spätestens hier wird die blaue Welle wohl zum Halt kommen.
Die Grenzen für die „blaue Welle“
Im Gegensatz zum Repräsentantenhaus sind die Republikaner im Senat klar im Vorteil. Sie haben derzeit zwar nur einen Sitz Vorsprung (bei einer gleichen Sitzverteilung wird der Vizepräsident zum Zünglein an der Waage) aber sie müssen auch nur neun Sitze verteidigen, die Demokraten hingegen 26. 10 dieser 26 Sitze befinden sich zudem in Staaten, die Trump 2016 gewinnen konnte. Die Republikaner verteidigen nur einen Sitz in einem Staat, der an Clinton ging. Selbst wenn ein Hoffnungsträger wie Beto O’Rourke in Texas einen Überraschungserfolg für die Demokraten feiern könnte, bräuchte die Partei eine nahezu verlustfreie Wahl. Das gilt als äußerst unwahrscheinlich und könnte den Demokraten die Feierlaune verderben.
Als der damalige Präsident Bill Clinton 1994 eine krachende Niederlage bei den „Midterms“ hinnehmen musste, urteilte er anschließend, eine Mehrzahl der Amerikaner scheine zu glauben, dass eine geteilte Regierung besser funktioniere als eine geeinte. Die folgenden 24 Jahre scheinen ihn bestätigt zu haben. Die USA steuern erneut und zum wiederholten Male auf ein politisches Patt zu.
Sollten die Demokraten als Sieger der Wahlen hervorgehen, werden sie Trump mit allen Mitteln auszubremsen versuchen. Sollten sie scheitern, wird Trump am 6. November den ersten Schritt zu seiner Wiederwahl gemeistert haben. Der Erhalt politischer Scheinwelten wird in beiden Fällen schwierig.