Zu seinem Arzt hat man ein Vertrauensverhältnis. Der Patient macht, was der Profi empfiehlt. Das kann aber zu Überraschungen bei der Rechnung führen. Das Problem: Manche Mediziner berechnen Leistungen, ohne die Betroffenen darüber in Kenntnis zu setzen. Eine Praxis, die Fragen aufwirft.

„Es gibt Mediziner, die ihre Patienten nicht ausreichend informieren“, sagt Dr. Roger Heftrich. Nicht über medizinische oder therapeutische Aspekte, sondern über die Kosten einer Behandlung.

Roger Heftrich ist Sekretär des Collège Médical und kennt das Problem der unverständlichen Arztrechnungen nur allzu gut. Öfter habe es schon Schwierigkeiten bei Kollegen gegeben, die ihre Patienten nicht genügend über die anfallenden Behandlungskosten aufgeklärt hätten, sagt er.

Das Problem: Nicht alles, was ein Arzt berechnet, wird auch automatisch von der Gesundheitskasse CNS übernommen. Der Arzt hätte eigentlich die Pflicht, den Patienten darüber in Kenntnis zu setzen, welchen Kostenanteil einer Behandlung er selbst zahlen muss. Das macht aber längst nicht jeder. Dabei sei eine intransparente Kommunikation schädigend für das Arzt-Patient-Verhältnis, sagt Dr. Heftrich.

So sei es auch schon zu Klagen von Betroffenen gekommen, weil sie hohe Arztrechnungen nicht zahlen wollten. Ihr Argument: Sie sind im Vorfeld über die Kosten im Dunkeln gelassen worden. „Wer den Patienten aber richtig informiert, dem passiert so etwas nicht“, sagt Roger Heftrich.

Arzt-Patient-Beziehung gefährdet

Dass Patienten klagen, findet Georges Clees von der Patientenvertriedung nur gerechtfertigt: „Das ist so, als wenn Ihnen ein Handwerker eine Tür in Rechnung stellt, von der sie gar nicht wissen, dass sie die bestellt haben. Warum sollen Sie dann zahlen?“

Die Intransparenz wird durch das Luxemburger Rückzahlsystem nur zusätzlich verstärkt. Das Problem: Normalerweise streckt der Patient das Geld einer Behandlung vor und begleicht seine Rechnung noch in der Arztpraxis. In dem Glauben, dass er das Geld – oder zumindest einen Teil davon – von der Gesundheitskasse zurückerstattet bekommt. Hat der Arzt ihn im Vorfeld nicht über anfallende Kosten informiert, erfährt er erst durch die CNS, ob und wie viel Geld er zurückbekommt.

Viele Ärzte berechnen auch gerne mal eine „Convenance Personnelle“, ohne dass es einen Grund dafür gibt.“Georges Clees, Patientenvertriedung

Der Arzt entzieht sich so der Verantwortung. Einen Nutzen hat er dadurch nicht wirklich, denn seine Beziehung zum Patienten verfällt – das Vertrauen in seine Person nimmt ab.

Unwissenheit ausgenutzt

Der Leidtragende ist dabei der Patient selbst. Er bekommt eine Rechnung, auf der Codes aufgelistet sind. Der Arzt muss dabei nicht angeben, was diese Codes überhaupt bedeuten – und der Laie weiß gar nicht, was er eigentlich zahlt.

Diese Unwissenheit nutzen manche Mediziner aus. Sie stellen grundlos sogenannte CP-Codes in Rechnung. Für die muss der Patient dann selbst zahlen. Eine Rückerstattung von der CNS gibt es nicht.

Die Sondertarife CP1 bis CP7 kann jeder Arzt fordern – allerdings unter bestimmten Bedingungen. So steht CP1 dafür, wenn der Arzt einem Patienten einen bestimmten Wunschtermin zur Verfügung stellt und diesen auch zeitlich einhält; CP2 kann berechnet werden, wenn ein Patient an einem Samstag einen Arzttermin hat, obwohl der Mediziner normalerweise nur von montags bis freitags arbeitet. Die CPs sind demnach für spezielle Situationen vorgesehen. Es gibt für diese Codes Richtlinien – zumindest theoretisch. „Viele Ärzte berechnen aber auch gerne mal einen solchen Tarif, ohne dass es einen Grund dafür gibt“, sagt Georges Clees.

Die Ärzte argumentieren ihrerseits, dass es Zeit koste, sich um den Patienten zu kümmern und ihm alles zu erklären. Und Zeit kostet bekanntlich Geld. Diese Zeit kann dann auch in Rechnung gestellt werden. Anhand eines CP.

Beim Collège Médical nachgefragt, muss Dr. Heftrich kurz auflachen. Er drückt sich vorsichtig aus, kann oder will nicht viel zu den Tarifen sagen. Was seine Reaktion aber zeigt: Die Handhabung der CPs ist ein sensibles Thema. Auch unter Ärzten. Nur offiziell darüber reden will niemand.

Da die meisten Patienten aber nicht wissen, wofür die Tarife stehen, stellen sie die auch nicht infrage. Sie zahlen ihre Rechnung und der Arzt kommt damit durch. Auch vonseiten der CNS gibt es nicht viel Hilfe. Auf Nachfrage heißt es, dass der Versicherte, wenn er einen Code auf der Rechnung nicht versteht, „selbstverständlich seinen Arzt fragen“ kann. Oder im Dossier „Nomenclature – Tarifs en clair“ auf der Onlineseite der CNS nachschauen kann.

Problemfall CP8

Die „Convenance personnelle“ ist vor allem auch bei Zahnärzten ein großes Thema. Und noch vielmehr bei ihren Patienten. Praktisch jeder Zahnmediziner setzt den sogenannten CP8-Code auf seine Rechnung. Der Patient bekommt diesen Tarif nicht zurückerstattet.

Doch was wird mit einem CP8 eigentlich berechnet? Es handelt sich „um zahnärztliche Leistungen und Beihilfen, die mit dem Versicherten vereinbart wurden und die von der Krankenversicherung übernommenen Tarife überschreiten.“ Damit können auch Materialkosten oder Behandlungsmethoden berechnet werden. Soweit ist er also auch gerechtfertigt.

Ärzte können für neue Behandlungen berechnen, soviel sie wollen. Preise sind ja nirgendwo festgeschrieben.“Georges Clees, Patientenvertriedung

Das Problem ist aber – wie bei den anderen CPs – dass nirgendwo festgelegt ist, wie hoch ein CP8 ausfallen kann. Von der CNS heißt es lediglich, dass ein Arzt diesen Tarif „en tact et mesure“ berechnen soll. Wirkliche Regeln gibt es demnach keine und der Arzt hat freie Hand, wie viel er für die „Convenance personnelle“ verlangt.

Der Patient muss am Ende einen Teil der Zahnarzt-Rechnung selbst zahlen. Wenn er aber nicht über die Kosten informiert wird, ist der Arzt rechtlich gesehen im Fehler. „Deshalb raten wir den Ärzten immer, die Behandlung im Detail mit dem Patienten durchzugehen und den Kostenvoranschlag von ihm unterschreiben zu lassen“, so Dr. Heftrich. Dann sei der Patient über die anfallenden Kosten informiert und der Mediziner habe eine Bestätigung, dass er die Person über die Prozedur in Kenntnis gesetzt hat.

Eine veraltete Tariftabelle

Dass Zahnärzte den CP8-Code ganz nach ihrem Gusto berechnen können, liegt auch an einer veralteten Nomenklatur. Sie wurde vor gut 40 Jahren zwischen den Zahnmedizinern und der Gesundheitskasse festgelegt. In ihr ist aufgelistet, wie viel ein Arzt für eine bestimmte Behandlung berechnen darf – und wie viel der Patient zurückerstattet bekommt.

Weil die Vereinbarung seit Jahren nicht aktualisiert worden ist, sind neuere Behandlungsmethoden, bessere Materialien oder innovative Prozeduren gar nicht in der Nomenklatur aufgeführt. „All diese Behandlungen mögen vielleicht besser sein als traditionelle Verfahren, solange sie aber nicht in der Nomenklatur stehen, muss der Patient die Kosten dafür selbst übernehmen“, sagt Georges Clees. Das gilt auch für neue Therapien, die in anderen medizinischen Bereichen angeboten werden.

Er erkennt dabei auch einen Vorteil für die Ärzte. „Sie können für neue Behandlungen berechnen, soviel sie wollen. Preise sind ja nirgendwo festgeschrieben.“ Stehe der Akt aber erst einmal in einer Nomenklatur, würde der Arzt seinen finanziellen Spielraum verlieren.

Beispiel Zahnreinigung: Die CNS übernimmt zwei pro Jahr. Benutzt der Zahnarzt aber ein spezielles Produkt, um die Zähne am Ende der Behandlung zu polieren, kann er das unter einem CP8-Code in Rechnung stellen. „Und ob er den Patienten darüber in Kenntnis setzt, ist fraglich“, so Georges Clees.


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