Viele Transgender-Personen fühlen sich von Ärzten schlecht behandelt. Vor allem beim Contrôle Médical kommt es regelmäßig zu unangenehmen Vorfällen. Die Folge: Viele scheuen die vorgeschriebene Prozedur – oder versuchen sie gleich ganz zu umgehen.

„Ich habe mein Auto verkauft, um mir die Operation leisten zu können“, sagt Maurice*. Er wurde als Mädchen geboren und ist heute ein Mann. Die Mastektomie, also die Operation, bei der die Brüste entfernt werden, war schon geplant – und sollte eigentlich von der Gesundheitskasse übernommen werden.

Alles, was Maurice dafür machen musste: Die nötigen Unterlagen bei der CNS einreichen. Als er das tat, wartete er nur noch darauf, dass er nach seinem Termin beim „Contrôle Médical“ grünes Licht von der CNS für den Eingriff bekommt.

Doch so weit kam es nicht. Maurice habe sich nicht lange genug von einem Psychiater betreuen lassen, deshalb könne ihm die Erstattung zu diesem Zeitpunkt nicht genehmigt werden, so die Erklärung. Er müsse zusätzliche Sitzungen absolvieren und ein weiteres Gutachten des Psychiaters einreichen.

Die Mastektomie sollte also verschoben werden. Weil Maurice sich darauf aber nicht mehr einlassen wollte, entschied er sich kurzerhand, seine Operation selbst zu zahlen.

„Wenn du dich nicht outest, wirst du mit einer Lüge leben“

Theoretisch übernimmt die CNS die Kosten für Behandlungen zur Geschlechtsanpassung. Allerdings unter Vorbehalt. Sie zahlt Hormonpräparate, Operationen und auch die finale Angleichung der primären Geschlechtsorgane – wenn der Patient ganz bestimmte Regeln einhält. Unter anderem braucht es eine detaillierte Bescheinigung eines Endokrinologen und eine einjährige Betreuung durch einen Psychiater. Der muss zudem ein ausführliches Gutachten erstellen.

Die Ärzte des Contrôle Médical halten sich strikt an die Statuten der CNS. Doch so klar, wie sich diese Regeln auf den ersten Blick anhören, sind sie nicht. Die Erlebnisse von Maurice sind kein Einzelfall. Viele Transgender-Personen haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Die Probleme reichen von kleinen Aufschüben der Patientenakten bis hin zu respektlosem Umgang mit den Betroffenen.

Es bräuchte andere Statuten, damit der Würde der Menschen Rechnung getragen wird.“Erik Schneider, „Intersex & Transgender Luxemburg asbl“

„Die Transgeschlechtlichkeit haben Sie sich nur eingebildet“, „Wissen Sie eigentlich, warum Sie heute hier sind?“ oder „Du musst dich bei deinen Mitschülern outen, weil du sonst ein Leben lang mit einer Lüge leben wirst“, sind nur einige Beispielsätze, die Ärzte zu den betroffenen Personen gesagt haben sollen. Belegen können wir diese Aussagen nicht. Doch sind die Emotionen so stark, dass sie auf glaubhafte Erfahrungen zurückzuführen scheinen.

„Es gibt so viele medizinische Anforderungen wie es Trans-Fälle gibt“, sagt Georges Weyer, Vater eines Trans-Mannes. Auch er hat seinem Sohn die Operation aus eigener Tasche gezahlt.

Innerhalb der Gesellschaft soll die Geschlechtsanpassung längst kein Tabu mehr sein. Der Umgang mancher Kontrollärzte spiegelt das allerdings nicht wider. Die Gespräche mit den betroffenen Personen erwecken den Anschein, als wären CNS und Contrôle Médical im Umgang mit ihnen immer wieder überfordert.

Politik erkennt Problem nicht

Die Betroffenen fühlen sich somit oft alleine gelassen. Zurecht, denn die Politik geht auf das Problem nur bedingt ein. Tatsächlich hat die Regierung einiges für die LGBTI-Gesellschaft in Luxemburg getan. Und dennoch herrscht auch unter Politikern Unwissen darüber, auf welche Probleme Transgender-Personen während ihrer Geschlechtsanpassung stoßen.

Das Positive: Auf Initiative von Justizminister Felix Braz (Déi Gréng) wurde im September 2018 ein Gesetz verabschiedet, das Änderungen des Geschlechts und des Namens für Trans- und Intersex-Personen zumindest im Personenstandsregister vereinfacht hat. Seitdem brauchen Trans- und Intersex-Menschen dafür kein ärztliches Attest oder psychiatrisches Gutachten mehr.

Wir nehmen uns viel Zeit für die Personen.“Dr. Gérard Holbach, Leiter des Contrôle Médical

„Es ist nun an der CNS, ihre Statuten anzupassen“, sagt Parlamentarier Marc Angel (LSAP) im Gespräch mit REPORTER. Er ging allerdings davon aus, dass das längst geschehen sei. „Das Gesetz wurde ausgearbeitet, damit die Menschen den Prozess der Namen- und Geschlechtsänderung schnell abschließen können“, so der Politiker. Dass man sich aber für eine Hormonbehandlung oder eine Operation weiterhin in eine psychiatrische Behandlung begeben muss, dessen war er sich nicht bewusst. „Das ist auch komplett veraltet“, sagt Marc Angel.

Bereits vor gut einem Jahr haben mehrere Betroffene ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Contrôle Médical auch Sozialversicherungsminister Romain Schneider (LSAP) offiziell unterbreitet. Er habe sich die Geschichten zwar angehört, so die Mutter eines Transgender-Kindes. Sie ist eine der fünf betroffenen Personen, die mit REPORTER gesprochen haben. Antworten auf die Fragen und Beschwerden der Menschen habe Schneider allerdings bis heute nicht geliefert.

Zusagen „à la tête du client“

Also beschäftigen sich vor allem Vereinigungen mit den Anliegen von Transgender-Personen. „Das, was die CNS sich vorstellt, ist sehr intransparent“, sagt Nathalie Morgenthaler vom „Centre pour l’égalité de traitement“ (CET). Die Ärzte würden gerne „à la tête du client“ entscheiden, ob sie Behandlungen bewilligen oder ablehnen.

Kritik geht auch aus dem CET-Jahresbericht von 2018 hervor. „Die Betroffenen beklagten mangelndes Feingefühl bezüglich ihrer spezifischen Situation“, heißt es dort. Außerdem würde die Kontrollinstanz „detaillierte“ Berichte von ihnen verlangen – niemand wisse aber, was „detailliert“ genau zu bedeuten habe.

Änderung der CNS-Statuten könnte Besserung bringen

Fest steht: Diejenigen, die keine vollständigen Gutachten beim Kontrollarzt abgeben, dürfen sich nicht operieren lassen – oder müssen die Kosten dafür selbst tragen.

Für Dr. Erik Schneider von der Vereinigung „Intersex & Transgender Luxemburg asbl“ liegt die Wurzel des Problems unter anderem in den Statuten der CNS. Der Text sei nicht an die Bedürfnisse der Menschen angepasst, so der Experte. „Es wird nicht danach geschaut, was die Menschen brauchen. Es wird nur kontrolliert, ob alle Punkte, die in den Statuen aufgelistet sind, erfüllt werden.“

Es ist nun an der CNS, ihre Statuten anzupassen.“Marc Angel, LSAP-Abgeordneter

Für Erik Schneider ist es auch schwierig nachzuvollziehen, warum Menschen, die sich anpassen wollen, zu einem Psychiater müssen. Ihre Betreuung könnte ebenso gut ein Psychotherapeut oder ein Psychologe übernehmen. „Formal wird aber in den Statuten der CNS ein Psychiater oder eine Psychiaterin gefordert. Das ist aber total absurd und fachlich nicht zu begründen“, kritisiert Erik Schneider. Erst 2018 hat die Weltgesundheitsorganisation Transsexualität von der Liste der psychischen Krankheiten gestrichen.

Psychiater sind in Luxemburg als Mediziner anerkannt. Psychotherapeuten mussten lange Zeit für die Anerkennung ihres Berufes kämpfen. Sie werden nicht als Ärzte angesehen und bis heute gibt es keine Einigung darüber, ob und wie die CNS ihre Leistungen erstatten wird.

Contrôle Médical weist Vorwürfe zurück

„Wir nehmen uns viel Zeit für die Personen“, sagt hingegen Dr. Gérard Holbach vom Contrôle Médical. Die Vorwürfe weist er vehement zurück. Man würde sich ausschließlich an die Vorgaben, also die Statuen der CNS halten.

Tatsächlich würden Menschen mit Gutachten zum Kontrollarzt kommen, die nicht ausführlich genug seien. Den Antrag würde man dann ablehnen, auch zum Schutz der Person selbst. Was dann konkret in diesen Gutachten drin stehen soll? „Das müsste der jeweilige Psychiater wissen. Der hat dafür lange genug eine Ausbildung gemacht“, so Gérard Holbach.

Es fehlt demnach auch ein Dialog zwischen der Instanz des Contrôle Médical und den behandelnden Ärzten. Dass sich diese Kommunikation bessern wird, scheint bei der Kritik allerdings nicht in Sicht zu sein. „Auch die behandelnden Ärzte sollten die Statuten der CNS lesen, dann wüssten sie, an welche Richtlinien sie sich halten müssten“, so Gérard Holbach.

Betroffene werden weiterhin stigmatisiert

Die Pflicht-Termine bei einem Psychiater können Betroffene allerdings stigmatisieren. Man geht implizit davon aus, dass ihre Situation so schlimm ist, dass der Besuch beim Psychiater ein Muss ist – und, dass nur er in der Lage ist zu erkennen, ob jemand transgender  ist oder nicht.

Die Wahl eines Psychiaters ist allerdings schwer. Nicht nur sind die Wartezeiten für einen Termin lang. Damit die Therapie gut verläuft, muss der Patient sich wohl fühlen und Vertrauen aufbauen, um sich zu öffnen. Eine solche Beziehung braucht Zeit, und man entwickelt sie nicht zu jedem. Weil die CNS aber ein Gutachten und eine einjährige Betreuung vorschreibt, fügen sich viele Betroffene.

„Die Leute sagen einfach das, was ihr Therapeut von ihnen hören will. Nur damit sie ihr Gutachten bekommen. Diese Formalität ist ein Systemfehler. Wie kommen wir aber aus diesem Systemfehler wieder heraus?“ fragt Erik Schneider.

Rigide Regeln drängen Menschen in die Illegalität

Das Verhalten der Kontrollärzte verleitet die Menschen aber auch dazu, sich ihre Medikamente und Behandlungen auf illegalem Weg zu beschaffen. Sei es im Internet oder im Ausland. Eben weil sie den Weg zum Arzt scheuen. „Ich habe so viele Horrorgeschichten gehört, dass ich mich gar nicht dorthin getraut habe“, sagt eine betroffene Person im Gespräch mit REPORTER.

Die Gemeinschaft von Trans-Personen ist klein. Man tauscht sich online darüber aus, welche Medikamente wie wirken und welcher Arzt wie behandelt. Und dann gibt es da noch die Geschichten rund um die CNS und den Contrôle Médical.

Ärzte argumentieren ihrerseits, dass viele Transpersonen ihre „Diagnose“ selbst stellen und die Ärzte dann nur noch pro Forma aufsuchen – um möglichst schnell zum Ziel zu kommen. Auf eine fachärztliche Beratung würden die meisten keinen Wert legen, weil sie sich vor allem auf die Berichte aus Online-Plattformen verlassen würden.

„Die Menschen müssen natürlich informiert werden“, sagt Erik Schneider. „Doch die berechtigte Sorgsamkeit der Ärzte erreicht man nicht durch ein rigides System.“ Der Präsident der Vereinigung Transgender&Intersex Luxembourg pocht nochmals auf eine Änderung der Statuten: „Es bräuchte andere Statuten, damit der Würde der Menschen Rechnung getragen wird.“ Eine Sensibilisierung der Ärzte sei zwar gut – sie bringe allerdings nichts, wenn sie nicht von strukturellen Veränderungen begleitet wird.

*Name von der Redaktion geändert


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