Die Debatte über die Rückgabe kolonialer Kulturgüter betrifft auch Luxemburg. Auch wenn das Großherzogtum keine Kolonien besaß, hat es eine koloniale Vergangenheit. Das Nationalmuseum will kritisch mit den Ursprüngen seiner afrikanischen Sammlungen umgehen.  

Auch wenn die Debatte um die Rückgabe von Kolonialgütern vor allem die großen Museen in Europa betrifft, so ist auch Luxemburg davon betroffen. Auch das Großherzogtum profitierte von den kolonialen Bestrebungen seiner Nachbarn.

So nahmen etwa der Offizier Nicolas Grang an den Expeditionen des Afrikaforschers Henry Morton Stanley Teil; und Nicolas Cito, der Onkel des Gëlle-Fra-Erschaffers Claus Cito, war maßgeblich am Bau der Eisenbahnstraßen durch den Kongofreistaat beteiligt. Dass sein Neffe überhaupt Kunst studieren konnte, verdankt er auch der Tatsache, dass sein Onkel sich im Kongo ein Vermögen erwarb. Der Historiker Régis Moes schreibt in der Zeitschrift „forum“: „Les Grand-Ducaux fussent les partenaires égaux des Belges à l’époque coloniale.“

Wir haben keine Reserven voll mit Schätzen, die wir niemandem zeigen. Bei den Sammlungen stellt sich das meiste bereits auf den ersten Blick als Krimskrams heraus.“Michel Polfer, MNHA

Insbesondere nachdem Luxemburg 1922 mit Belgien eine Wirtschaftsunion einging, zogen immer mehr Luxemburger in den Kongo. Viele wurden in den kolonialen Verwaltungsapparat Belgiens integriert. Wie weit das koloniale Interesse Luxemburgs reichte, zeigt etwa die Tatsache, dass Jugendliche in den hiesigen Schulen systematisch über ihre Karrierechancen in der zentralafrikanischen Kolonie aufgeklärt wurden.

1959, kurz bevor die Kolonie unabhängig wurde, lebten rund 600 Luxemburger im Kongo: „pour la plupart des coloniaux luxembourgeois, il était clair qu’ils partaient en Afrique avec le soutien de leur gouvernement“, schreibt Régis Moes.

Die Kollektionen des MNHA

Folglich müssen sich auch die hiesigen Museen mit der kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen. Sie haben dies auch vor, wie der Direktor des Nationalmuseums (MNHA), Michel Polfer, im Interview mit REPORTER bestätigt.

Im Rahmen der Restitutionsdebatte müssen sie sich dazu erst einmal mit jenen Objekten beschäftigen, die aus ehemaligen Kolonien stammen. Denn auch das MNHA hat solche Artefakte in seiner Kollektion: „Es sind eine Reihe an Sammlungen im Laufe der Jahre zu uns gekommen. Das sind vor allem Speere, Lanzen, Äxte, ein paar Statuetten und Trommeln“, erzählt der Kurator des Museums, Régis Moes, im Gespräch mit REPORTER. In seiner Masterarbeit hat sich der Historiker intensiv mit der luxemburgischen Gemeinschaft im Kongo beschäftigt.

Es handelt sich bei den Objekten um Schenkungen oder Ankäufe von Luxemburgern, die in den ehemaligen Kolonien unterwegs waren, erklärt Moes. Die Artefakte gehören allerdings nicht dem MNHA, sondern der „Section historique“ des „Institut Grand-Ducal“, das seine Sammlung seit knapp 100 Jahren beim MNHA aufbewahren lässt. Während die ältesten Artefakte im späten 19. Jahrhundert zur „Section historique“ kamen, stammen die jüngeren Objekte aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Nur wenige Kulturgüter

Von historischer Bedeutung seien die Sammlungen, die heute in den Museumsarchiven lagern, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht, beteuern Régis Moes und Michel Polfer. Insbesondere die späten Stücke seien eher Andenken, die „schiffweise nach Europa verfrachtet wurden.“ Michel Polfer betont: „Wir haben keine Reserven voll mit Schätzen, die wir niemandem zeigen. Bei den Sammlungen stellt sich das meiste bereits auf den ersten Blick als Krimskrams heraus. Es sind Sachen, bei denen können wir sofort sehen, dass es Schrott ist. Sie wurden für den Export auf den Exotikmarkt hergestellt.“

Wichtige Kulturgüter, die für afrikanischen Gemeinschaften von großem Wert sind, besitzt das Museum demnach laut eigenen Aussagen nicht. „Wir können mit gutem Gewissen sagen, dass in unseren afrikanischen Sammlungen kein Objekt von großer kultureller Bedeutung für irgendeine Gemeinschaft ist. Es ist nichts da“, betont Michel Polfer.

Dennoch muss sich auch das MNHA die Frage stellen, auf welchem Weg die Artefakte nach Luxemburg kamen. Denn auch wenn Michel Polfer betont, dass 99 Prozent der afrikanischen Sammlungen „marginal“ sei, gibt er zu, dass die Erforschung solcher Objekte kein Kerngebiet des Museums ist: „Wir haben keine Ahnung, ob etwa eine Maske wirklich von diesem und jenem Stamm kommt. Da müssen wir mit Experten aus dem Ausland arbeiten.“

Und es bleibt noch das „eine Prozent“, bei dem es gilt, Nachforschungen anzustellen. Dabei handelt es sich vor allem um Holzstatuetten, deren Wert zum jetzigen Zeitpunkt unklar ist. Doch man betreibe bereits Herkunftsforschung, versichert Régis Moes, der sich, wie er sagt, sporadisch mit den Objekten befasst.

Speer aus der Sammlung des Institut historique. Foto: MNHA / Albert Biwer

Kommende Ausstellung zum Kolonialismus

Doch wie finden die Kuratoren heraus, woher die Sammlungen eigentlich stammen? Régis Moes erklärt: Dazu gebe es die Erwerbsdokumente (documents d’acquisition) wie Schenkungsnachweise oder Rechnungen. „So wissen wir immerhin, wer dem Museum das Objekt gegeben hat.“ Dann gelte es, Nachforschungen anzustellen, um herauszufinden, in welcher Funktion diese Menschen zum Beispiel im Kongo waren.

„Wir müssen dann herausfinden, wie diese Leute an die Objekte kamen.“ In manchen Fällen sei es ein schwieriges Unterfangen, etwa wenn die Besitzer die Artefakte auf dem Kunstmarkt oder bei einem Antiquar erworben haben. „Provenienzforschung hat seine Grenzen“, so Moes. „Aber wir versuchen, so weit zu kommen, wie möglich.“

Eine Gelegenheit dazu, die Objekte ausführlicher zu untersuchen, soll eine zukünftige Ausstellung bieten: „Luxemburger im Kolonialismus. Kolonialismus in Luxemburg“, lautet der Arbeitstitel des Projektes. Die Ausstellung, die laut Polfer in drei bis vier Jahren öffnen wird, erlaube zudem, weitere Objekte zu finden und zu untersuchen – etwa solche, die einen Bezug zu Luxemburg haben, sich aber nicht im Besitz des Museums oder der Section historique befinden. Das sind zum Beispiel Sammlungen von Privatpersonen oder Objekte, die Luxemburger an andere Museen geschenkt oder verkauft haben. Als junges Museum ohne ethnographischen Fokus war die Section historique nämlich keineswegs ein passender Ort, um wertvolle Sammlungen auszustellen, erklärt Régis Moes. „Die wichtigen Sachen gingen nach Tervuren.“

Anstoß zur Debatte

Tatsächlich bestätigt das Tervurener „AfricaMuseum“ im Besitz solcher ethnografische Sammlungen zu sein. Doch um die Objekte zu identifizieren, bräuchte man genug Hintergrundwissen, erklärt der Archivar des Museums Tom Morren. Die Beschreibungen zu den Sammlungen enthalten nämlich keinesfalls die Nationalität der ehemaligen Besitzer. Man müsse also wissen, wer aus Luxemburg in die Kolonien zog.

Dennoch erinnert sich der Archivar an zwei Sammlungen, die von den Luxemburgern Gustave Gustin und Jean Rouling stammen. Gustin nahm Ende des 19. Jahrhunderts an belgischen Militärexpeditionen in Ägypten und Afrika teil. Jean Rouling diente im Kongo als Oberleutnant in der Force Publique. Angesichts ihrer militärischen Funktion scheint es zumindest wahrscheinlich, dass Teile ihrer Sammlungen aus Beutezügen stammen.

In diesem Sinne könnte die angedachte Ausstellung letztlich auch als Anstoß dienen, die Herkunft solcher Objekte zu hinterfragen. Und sie könnte auch in Luxemburg die Debatte über die koloniale Vergangenheit anstoßen und die Frage aufwerfen, inwiefern sich das Großherzogtum mit seiner „mémoire coloniale“ auseinandersetzen muss.


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