Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Immer freitags blickt die REPORTER-Redaktion auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: Ein Interview und die Folgen.

Ja hat er nun oder hat er nicht? Das REPORTER-Interview mit Alex Bodry wurde nicht nur in politischen Kreisen heiß diskutiert. Auch in den Medien waren die Aussagen des LSAP-Fraktionsvorsitzenden ein Thema. Manche verstanden Bodrys Worte als „Distanzierung“ von der blau-rot-grünen Koalition (Tageblatt), andere als „erstaunlich“ bis „befremdlich“ (Journal), wiederum andere als „ehrlich“, aber „unsinnig“ (RTL) und mancher gar als „brachiales Solo“ und „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“.

Allen Berichten und Kommentaren in Luxemburgs Medien war dabei eine gewisse Reduzierung von Bodrys ursprünglich durchaus nuancierter Argumentation gemein. So musste sich der Interviewte bald nicht nur rechtfertigen, dass er immer noch hinter der Bilanz der Regierung stehe und es keinen „Bruch“ zwischen den Koalitionsparteien gebe. Er musste sich zudem gefallen lassen, dass sein Parteifreund und LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider ihm attestierte, sich „e bësse schlecht ausgedréckt“ zu haben. Keiner entkräftete schließlich anhand von konkreten Beispielen Bodrys Feststellung, dass die Koalition über die Verteidigung ihrer Regierungsbilanz hinaus über kein gemeinsames Projekt mehr verfüge. Obwohl… Lesen Sie zur Sicherheit weiter.

Es gibt da anscheinend doch ein „Projekt“…

Das Ganze führte gar dazu, dass Bodry sich jetzt genötigt sah, bei „Radio 100,7“ ein weiteres Interview zu geben, in dem er das gleiche nochmal sagte und betonte, wie im ersten. So etwa, dass die Bilanz dieser Koalition ziemliche Weltklasse sei, er eine Fortsetzung der Dreierkoalition so wie andere Konstellationen nicht ausschließe, die Parteien aber mit eigenen Programmen bei den Wahlen antreten und demnach aktuell kein gemeinsames Projekt von Blau-Rot-Grün, und auch sonst keines, erkennbar sei. Nach mehreren Tagen Zeit zum Nachdenken und womöglich als Folge des Ins-Gebet-Nehmens durch den einen oder anderen Partei- und Koalitionskollegen kam Bodry in dem besagten zweiten Interview jedoch doch noch ein Thema in den Sinn, bei dem ein gemeinsames Projekt der Regierungsparteien möglich wäre. Und zwar, Achtung, bitte anschnallen: die Digitalisierung.

Die ganze Aufregung zeigt vor allem eines. Nämlich, dass es wohl in der Tat nicht nur darauf ankommt, was man sagt, sondern auch wie und wann man es sagt. So kann in der knisternden Vor-Wahlkampf-Stimmung selbst der Ausspruch von ziemlichen Banalitäten eine große politische Wirkung entfachen.

Hoffnung und politisch-mediale Zuneigung

In den Medien wurde Bodrys Radikalrealismus aber vielleicht auch deshalb so einseitig kommentiert, weil besonders jene Publikationen, die ihre Sympathie mit dieser Regierung regelmäßig bekunden, in den vergangenen Wochen ihre Hoffnung auf einen „Lagerwahlkampf“ mit blau-rot-grünem Happy End offen bekundet hatten. „Was sollte also einer Neuauflage der Koalition im Wege stehen, wenn nicht die Koalition selbst?“, schrieb etwa Robert Schneider im „Tageblatt“. „Warum rücken die drei ihre gemeinsame Leistung nicht sichtbarer ins Licht, warum zeigen sie nicht, wenn die Koalitionsaussage denn nicht sein darf, mehr Zuneigung zueinander? Die gibt es doch, oder etwa nicht?“, fragte sich Alvin Sold ebenso im „Tageblatt“. „Blau-Rot-Grün sollte endlich wieder an sich glauben“, forderte schließlich Pascal Steinwachs im „Journal“.

Luxemburg ist allerdings durchaus ein Land des Medien- und politischen Meinungspluralismus. Denn im Gegensatz zu den genannten Leitartiklern gab es auch die Position, dass es nicht nur kein blau-rot-grünes Projekt mehr gibt, sondern, dass es so etwas eh noch nie gab und jegliche blau-rot-grün-schwarze Politik ohnehin nicht gewillt sei, den „entfesselten Kapitalismus“ zu bekämpfen, geschweige denn Cannabis zu legalisieren (woxx). Und schließlich das „Luxemburger Wort“, das es bisher – sei es aus Überzeugung oder aus bewährter langfristiger Leitartikel-Planung – nicht für nötig hielt, sich in die Bodry-Debatte einzuschalten.

In der Tat könnte man auch mit guten Gründen die Position vertreten, dass es in dieser Woche noch andere wichtige innenpolitische Themen gab – weltpolitische ohnehin. So verabschiedete das Parlament von Dienstag bis Donnerstag unter anderem die Reformen von Polizei, Universität, Scheidungsgesetz und Anti-Terror-Gesetzgebung. Und am Freitag verkündete der Premier dann auch noch die frohe Botschaft einer Abschaffung der 80-80-90-Regelung und einer erneuten Erhöhung der Essenszulage für Staatsbeamte im Rahmen eines neuen Abkommens mit der Beamtengewerkschaft CGFP. Es könnte sich also durchaus die Frage aufdrängen: Warum braucht man eigentlich ein gemeinsames Projekt für die Zukunft, wenn man bis auf Weiteres noch mit Regieren in der Gegenwart beschäftigt ist? Beides miteinander zu verbinden, wäre allerdings auch eine Option.

Xavier Bettel reagierte auf die Diskussion über die Zukunft des blau-rot-grünen Projekts übrigens am Freitag vor versammelter Presse mit den Worten: Er sei „Premier von Luxemburg“ und wolle das auch fünf weitere Jahre bleiben. Ansonsten beteilige er sich aber nicht an dieser Debatte.

Was, wenn in 17 Wochen Wahlen wären…

War sonst noch was? Ach ja, die „Sonndesfro“. Passend zu Bodrys Warnungen an die Adresse der eigenen Partei lieferten „RTL“ und „Luxemburger Wort“ mit den neuesten Umfragen das demoskopische Zahlenmaterial zur Untermauerung der laufenden politischen Debatte. Der LSAP wird darin nämlich eine schmerzhafte Wahlniederlage prophezeit: Wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären, würden die Sozialisten nur noch neun Abgeordnete, statt aktuell 13, ins Parlament schicken. Auch die DP würde im Vergleich zu 2013 drei Mandate verlieren. Déi Gréng könnten einen Sitz zulegen (von sechs auf sieben), ebenso wie Déi Lénk (von zwei auf drei). Die ADR darf dank rezenter rechter Einheitsliste gar von einem Plus von zwei Sitzen träumen.

Und die CSV? Die größte Oppositionspartei, die sich aus den meisten innenpolitischen Debatten mittlerweile tunlichst heraushält, könnte laut der Umfrage die Zeit zurückdrehen – zumindest arithmetisch. 26 vorausgesagte Sitze dürften angesichts der Unwägbarkeiten des luxemburgischen Wahlsystems allerdings noch kein Grund zur dauerhaften Vorfreude von Wiseler, Spautz und Co. sein. Zumal auch sie wissen, dass nicht am nächsten Sonntag, sondern erst am Sonntag in 17 Wochen Wahlen sind.

 

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