Die Regierung soll künftig nicht mehr allein über die Zusammensetzung des Verwaltungsrats von „Radio 100,7“ bestimmen. Parlament und Zivilgesellschaft könnten dagegen mehr Verantwortung übernehmen. Eine entsprechende Reform befindet sich laut dem Premier „auf der Zielgeraden“.

„Eine Gefahr für die Unabhängigkeit“: So lautete der Titel eines Meinungsbeitrags der Chefredaktion von „Radio 100,7“ im Oktober 2018. Dabei gehen die Autoren auf rezente Diskussionen inner- und außerhalb des Radiosenders über dessen politische und redaktionelle Unabhängigkeit ein. Die Debatte über diese Frage schwelt bereits seit rund zwei Jahren und führte rezent zu verstärkten internen Auseinandersetzungen zwischen Redaktion und Direktion (REPORTER berichtete).

Mehrmals beziehen sich Jean-Claude Franck, Chefredakteur, und Pia Oppel, stellvertretende Chefredakteurin von „Radio 100,7“ in ihrer „Chronik“ auf ein Audit der „European Broadcasting Union“ (EBU). Diese sogenannte „Peer Review“ behandelt sowohl organisatorische und finanzielle als auch programmatische Aspekte des luxemburgischen Radiosenders. Das Gutachten wurde von Mitarbeitern der EBU sowie von Verantwortlichen anderer öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten im Januar 2018 durchgeführt.

Vor allem in einem Punkt, der Frage der Governance, ist die Diagnose der EBU ebenso klar wie bemerkenswert. Die aktuellen Führungs- und Entscheidungsstrukturen würden einem „Risiko der Politisierung“ unterliegen, das „eine Gefahr für die Unabhängigkeit“ des Radio 100,7 darstellen könnte, heißt es im Bericht. Dabei berufen sich die Experten besonders auf den Punkt der Nominierung der Mitglieder des Verwaltungsrats des „Etablissement de radiodiffusion socioculturelle“, wie Luxemburgs öffentlich-rechtlicher Rundfunk offiziell heißt.

Ein Risiko und ein Dauerverdacht

Konkret geht es um den Fakt, dass alle neun Mitglieder des Verwaltungsrats von „Radio 100,7“ von der Regierung ernannt werden. Zwar sollen vier der Mitglieder aus dem sozialen und kulturellen Bereich stammen – ernannt werden aber auch diese unmittelbar vom Kabinett. In der Theorie sei die Aufteilung zwischen Vertretern des Staates und der Gesellschaft zwar zu begrüßen, heißt es im Bericht. Doch die ausschließliche Nominierung durch die Regierung setze letztlich die gesamte Unabhängigkeit des Radiosenders aufs Spiel.

Ich kann keine akuten Probleme feststellen, aber man kann es noch besser machen.“Xavier Bettel, Staats- und Medienminister

Nicht nur für die Prüfer der EBU ist dies problematisch. Auch der „Media Pluralism Monitor“ des „Centre for Media Pluralism and Media Freedom“ hält 2018 zu diesem Punkt in Bezug auf Luxemburgs öffentlich-rechtlichen Radiosender fest: „Während die Verfahren zur Nominierung für Direktion und Verwaltungsrat transparent sind, garantieren sie nicht die Unabhängigkeit von politischen oder ökonomischen Einflüssen.“

Der Autor des Luxemburg-Kapitels des „Media Pluralism Monitor“, Raphaël Kies, spricht in diesem Zusammenhang von einem offensichtlichen „Risiko“. „Aufgrund des aktuellen Nominierungsverfahrens wird bei den Ernennungen des Medienministers immer ein Verdacht der Einflussnahme herrschen“, so der Politologe der Uni Luxemburg. Allerdings handele es sich eben um ein Risiko, was nicht zwangsläufig heiße, dass eine politische Einflussnahme stattfindet.

Laut Raphaël Kies würden die rezenten Ernennungen im Verwaltungsrat zeigen, dass der zuständige Minister Xavier Bettel (DP) mittlerweile „sehr behutsam“ vorgehe. Das reiche allerdings nicht aus. Die Regierung sollte das Nominierungsverfahren reformieren, denn sonst sei der Verdacht der politischen Einflussnahme unabhängig von der Bewertung einzelner Personalien immer präsent.

Eine neue Aufsichtsstruktur geplant

Das Problem wurde längst auch von der Politik erkannt. Staats- und Medienminister Xavier Bettel (DP) hat bereits eine Reform der Governance von „Radio 100,7“ angekündigt. Dabei werde man sich insbesondere mit den Fragen der Kompetenzen und der Nominierung des Verwaltungsrats beschäftigen, bestätigt das Staatsministerium auf Nachfrage von REPORTER.

Zwar sieht der Premier das öffentlich-rechtliche Radio in Luxemburg insgesamt gut aufgestellt. „Es gibt in den 25 Jahren seit Bestehen des Etablissement de radiodiffusion socioculturelle kein einziges Beispiel, wo es eine Einflussnahme gegeben hätte“, so Xavier Bettel. Dennoch wolle er aber in Zukunft die „rein theoretische Möglichkeit“ ausschließen. „Ich kann keine akuten Probleme feststellen, aber man kann es noch besser machen.“ Die Vorbereitungen für die im Regierungsprogramm angekündigte Reform des Radio 100,7 würden sich „auf der Zielgeraden“ befinden.

Der Verwaltungsrat sollte stärker mit Personen besetzt werden, die nachweisliche Fachkompetenzen vorweisen können und gleichzeitig die sozialen, politischen und sprachlichen Realitäten des Landes repräsentieren.“Raphaël Kies, Politologe an der Uni Luxemburg

Wie es aus Koalitionskreisen heißt, soll ein Kernpunkt dieser Reform in der Tat die Anpassung des Nominierungsverfahrens für den Verwaltungsrat sein. Dabei schwebt dem Staats- und Medienministerium eine „zweigeteilte“ Aufsichtsstruktur des Radiosenders vor: 1. Ein Verwaltungsrat, der sich nur noch um die Begutachtung der Finanzen und des Personalwesens kümmern soll. 2. Ein eher strategisch ausgerichteter Aufsichtsrat, dessen Mitglieder nicht mehr nur von der Regierung ernannt werden sollen.

Konkret brachte Xavier Bettel im September im zuständigen parlamentarischen Ausschuss ins Spiel, dass künftig die „Autorité luxembourgeoise indépendante de l’audiovisuel“ (ALIA) einen Sitz in diesem neuen Aufsichtsrat erhalten könnte. Zudem sollen das Parlament sowie bestimmte „Organe der Zivilgesellschaft“ in dem Gremium vertreten sein. Auf Nachfrage von REPORTER will der Premierminister jedoch nicht näher auf die konkreten Punkte der Reform eingehen.

Weniger Politik, mehr Kompetenz

Laut Raphaël Kies ist der Kernpunkt jedoch nicht die Zusammensetzung, sondern die Nominierung des Verwaltungsrats. „Die Ernennung der Mitglieder des Verwaltungsrats sollte nicht wie bisher nur von einer einzigen Institution, sondern von mehreren Behörden und Organisationen ausgehen.“ Dabei erscheint dem Politikwissenschaftler die Einbindung des Parlaments sowie von Journalistenverbänden und der akademischen Welt sinnvoll, um die Verantwortung für den „Service public“ des Radios auf die ganze Gesellschaft zu übertragen.

Die Regierung soll nicht einseitig den Verwaltungsrat besetzen und der Verwaltungsrat sich nicht in das redaktionelle Tagesgeschäft einmischen können.“Franz Fayot, LSAP-Parteivorsitzender

Ebenso sei ein stärker „meritokratischer“, also auf Kompetenzen im Medienbereich bezogener Ansatz wünschenswert: „Der Verwaltungsrat sollte stärker mit Personen besetzt werden, die nachweisliche Fachkompetenzen vorweisen können und gleichzeitig die sozialen, politischen und sprachlichen Realitäten des Landes repräsentieren“, so Raphaël Kies.

Der Medien- und Demokratieforscher bietet denn auch Unterstützung bei den Reformbemühungen an. Die Universität könnte etwa vergleichende Studien über andere öffentlich-rechtliche Medien im Ausland anfertigen. Zudem müsse man die Erwartungen und die Akzeptanz der luxemburgischen Bevölkerung an ein Medium mit öffentlich-rechtlichem Auftrag messbar machen. Bisher fehle es in Luxemburg nämlich an einer systematischen Erforschung der Medienlandschaft – dabei sei dies eigentlich eine unbedingte Voraussetzung für eine erfolgversprechende Reform.

Von der Regierung hin zum Parlament

Auch wenn die Richtung der Reform bereits Gestalt annimmt, befinden sich die politischen Debatten noch in einem frühen Stadium. Die Parteien warten etwa noch auf einen Termin für die schon vor den vergangenen Wahlen angekündigte Konsultationsdebatte im Parlament. Aktueller Stand sei nach wie vor, dass die Regierung einen Termin „nach der Sommerpause 2019“ ins Auge fasse, sagt Claude Wiseler. Man solle sich zwar die nötige Zeit nehmen, um „eine ordentliche Diskussion“ zu führen, so der CSV-Abgeordnete. Die Debatte im Parlament sei jedoch überfällig.

Die rezenten internen Diskussionen bei Radio 100,7 über den Grad der redaktionellen Unabhängigkeit sind ein weiterer Hinweis darauf, dass es hier Handlungsbedarf gibt.“
Claude Wiseler, Abgeordneter der CSV

Bei der Reform müsse man unbedingt externe Expertise, aber auch die Meinungen von Direktion und Redaktion des „Radio 100,7“ berücksichtigen, so Claude Wiseler weiter. Das Ziel einer Reform müsse sein, die politische „Neutralität“ der Entscheidungsgremien zu garantieren. Dazu gehöre das Nominierungsverfahren für den Verwaltungsrat. Hier könne sich die CSV vorstellen, dass fortan nicht mehr die Regierung, sondern das Parlament die Mitglieder des Aufsichtsgremiums ernennt.

Die politische Neutralität könne man laut Wiseler entweder durch die paritätische Vertretung von allen größeren Parteien, also auch der Opposition, erreichen. Oder das Parlament ernenne die Mitglieder des Verwaltungsrats mit einer Zweidrittelmehrheit, um eine einseitige Politisierung seitens der jeweils regierenden Parteien zu vermeiden.

Mehrere Baustellen mit Handlungsbedarf

Auch Franz Fayot kann sich mit den bisher bekannten Leitlinien einer Reform anfreunden. „Alles, was zu mehr Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Radios führt, ist zu begrüßen“, sagt der Parteichef der LSAP. Das Hauptziel der Reform sei klar: Der aktuell bestehende Verdacht auf politische Einflussnahme müsse ausgeräumt werden. „Die Regierung soll nicht einseitig den Verwaltungsrat besetzen und der Verwaltungsrat sich nicht in das redaktionelle Tagesgeschäft einmischen können“, so der Abgeordnete.

Um dies sicherzustellen, komme man laut Franz Fayot auch nicht an einem komplett neuen Gesetz vorbei. Dabei müsse neben der Governance auch die Mission des öffentlich-rechtlichen Radios klarer und zeitgemäßer definiert werden.

Es ist mir wichtig, dass die Angestellten und Verantwortlichen des Radio 100,7 sich bei ihrer Arbeit wohlfühlen und Wertschätzung erfahren.“Xavier Bettel, Staats- und Medienminister

Die Nominierung des Verwaltungsrats sei nicht die einzige Baustelle, sagt auch Claude Wiseler. Ebenso müsse man laut dem früheren CSV-Fraktionschef die internen Regeln des Radiosenders überdenken, damit ein Einfluss des Verwaltungsrats auf die alltägliche Arbeit der Journalisten ausgeschlossen werden kann. Nicht zuletzt müsse die Rollen- und Kompetenzverteilung zwischen Direktion und Redaktion unmissverständlich geregelt werden. „Die rezenten internen Diskussionen bei Radio 100,7 über den Grad der redaktionellen Unabhängigkeit sind ein weiterer Hinweis darauf, dass es hier Handlungsbedarf gibt.“

Xavier Bettel will jedoch beschwichtigen. Laut eigener Aussage sei ihm von den internen Spannungen zwischen Direktion und Redaktion berichtet worden, sagt der zuständige Minister. Sein Ministerium habe daraufhin auch „eine Schlichtung vorgeschlagen“. Ihm sei es wichtig, dass die Angestellten des Radio 100,7 „sich bei ihrer Arbeit wohlfühlen und Wertschätzung erfahren“ und „die Direktion in ihrem Bemühen respektiert wird“, so der Staatsminister.

Die seit über einem Jahr angekündigte Konsultierungsdebatte soll übrigens im „Januar/Februar“ stattfinden, verlautet es aus dem Staatsministerium.


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