Der Machtkampf bei „Radio 100,7“ ist nicht ausgestanden. Nach dem Rücktritt von Verwaltungsratschef Laurent Loschetter fokussiert sich die interne Kritik auf den Führungsstil des Direktors Marc Gerges. Hinter den Kulissen haben sich die Fronten zwischen Redaktion und Direktion verhärtet.

Alles begann mit der Ernennung von Laurent Loschetter zum Vorsitzenden des Verwaltungsrats von „Radio 100,7“ im September 2017. Seitdem schwelt die Debatte um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Loschetter wurde intern und in anderen Medien vorgeworfen, der aktuellen Regierungspolitik zu nahe zu stehen. Der Präsident hatte sich selbst in einem Interview als Freund und Vertrauensperson von Premier Xavier Bettel bezeichnet.

Laurent Loschetter hat Anfang der Woche überraschend seinen Rücktritt als Verwaltungsratspräsident verkündet. Die bisher an seiner Person festgemachten Diskussionen über die politische Unabhängigkeit des Radiosenders haben sich aber längst verlagert. Intern steht seit Wochen der neue Direktor Marc Gerges in der Kritik, seinen Einfluss auf die redaktionelle Linie ausweiten zu wollen. Es habe bereits mehrere Vorfälle gegeben, in denen sich Gerges in die Berichterstattung eingemischt habe, heißt es von mehreren Quellen, die mit den internen Entwicklungen vertraut sind.

Ein Direktor, der sich stärker einmischt

So habe sich Marc Gerges etwa an der Berichterstattung des Radios über die „Nuit des Musées“ gestört. Konkret ging es um ein Interview mit der Mudam-Direktorin Suzanne Cotter, das der Direktor als „zu politisch“ und „zu kritisch“ bemängelt haben soll. In der Redaktion wurde dies als offensichtlicher Versuch der Einmischung aufgefasst. Zur Erinnerung: Der damals noch amtierende Verwaltungsratschef von „Radio 100,7“, Laurent Loschetter, ist ebenso Mitglied des Aufsichtsrates des Mudam.

Es habe weitere ähnliche Situationen gegeben, berichten mehrere Personen, die mit den Gesprächen vertraut sind. Der frühere Journalist Gerges, der erst seit dem 1. Juli Direktor von „Radio 100,7“ ist, habe die Redaktion wiederholt zu einer weniger kritischen Haltung in ihren Berichten angehalten. Zudem habe er gleich zu Beginn seiner Amtszeit grundlegende Veränderungen im Programm des Radios angekündigt und dies mit angeblich sinkenden Zuhörerzahlen begründet.

Der Direktor sei auch regelmäßig bei Redaktionskonferenzen anwesend und übernehme dort faktisch die Rolle des Chefredakteurs, so mehrere Quellen. Seit der Kontroverse um die Ernennung von Laurent Loschetter zum Vorsitzenden des Verwaltungsrats sind die Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besonders hellhörig bei jeglicher Einflussnahme im redaktionellen Alltag. Für Teile der Belegschaft gilt der neue Direktor ohnehin als verlängerter Arm des scheidenden Verwaltungsratschefs.

Offene Konfrontation mit der Direktion

In den vergangenen Tagen kam es dann zur offenen Konfrontation. In einem an Marc Gerges adressierten Brief von 30 Redaktionsmitgliedern von Ende Oktober ist von der Besorgnis („malaise“) die Rede, wonach die Werte und Prinzipien des Radiosenders in Gefahr seien. Die Unterzeichner baten um einen Termin, um ihre Sorgen mit dem Direktor zu diskutieren. Dabei berufen sie sich ausdrücklich auf die Unabhängigkeit und den öffentlich-rechtlichen Auftrag von „Radio 100,7“.

Bei der darauf folgenden Versammlung zwischen Redaktion und Direktion habe Marc Gerges sich gegen jegliche Kritik an seiner Person verwahrt. Er habe als Direktor das Recht, jederzeit seine Meinung zu äußern und die Qualität der journalistischen Arbeit zu bewerten. Das sei nicht als Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit zu verstehen. Mitglieder der Redaktion hätten ihm jedoch widersprochen, die Stimmung sei angespannt gewesen, heißt es von mehreren Beteiligten der Sitzung vom 5. November. Die Fronten sind seitdem verhärtet.

Daraufhin verfasste wiederum eine große Mehrheit der Belegschaft einen weiteren Brief, in dem sie dem Direktor mehrere Vorschläge für das künftige Verhältnis zwischen Redaktion und Direktion unterbreiteten. In seiner Reaktion auf das zweite Schreiben kündigt Marc Gerges denn auch eine Art Verhaltenskodex an, der die Beziehungen zwischen Verwaltungsrat, Direktion und Redaktion regeln soll. Insbesondere die Frage der „redaktionellen Freiheit“ soll dadurch geklärt werden.

Unabhängigkeit und andere Prioritäten

Der Direktor sei jedoch der letztliche „responsable éditorial“, so Gerges in seinem Schreiben, das REPORTER einsehen konnte. Laut Artikel 5 der betreffenden großherzoglichen Verordnung lautet die Kompetenzbeschreibung jedoch etwas anders: Der Direktor des „établissement de radiodiffusion socioculturelle“ sei „responsable de la programmation et de la réalisation des programmes“. Bezüglich der Rolle des Direktors im Verhältnis zum Verwaltungsrat heißt es zudem: „Il jouit d’une large autonomie dans l’exécution de ses fonctions.“

Unabhängig von der Auslegung seiner Kompetenzen wehrt sich der Direktor in seiner schriftlichen Antwort an die eigene Belegschaft gegen pauschale Vorwürfe gegen seine Person. Die Versammlung mit der Redaktion habe für ihn Züge eines „inquisitorischen Tribunals“ gehabt. Der Direktor könne bei jeder Sitzung aller Abteilungen dabei sein und brauche dafür auch „keine Einladung von wem auch immer“, so Marc Gerges in seinem Schreiben.

Letztlich will Marc Gerges laut dem Schreiben die Debatte über die Unabhängigkeit denn auch am liebsten hinter sich lassen. Man habe wichtigere Prioritäten als die „theoretische“ Sicherstellung der Unabhängigkeit der Redaktion, die faktisch nach wie vor gegeben sei. Man sollte sich demnach „endlich und definitiv“ darauf konzentrieren, „unser Radio besser zu machen“ und neue Zuhörer zu gewinnen. Denn: „Ohne Zuhörer ist die Diskussion um unsere Unabhängigkeit belanglos.“

Ein seit Langem schwelender Konflikt

Anders als es der Direktor wünscht, wird die Debatte um die Unabhängigkeit des „Radio 100,7“ aber zumindest die Politik weiter beschäftigen. Wie es Premier- und Medienminister Xavier Bettel kürzlich in der zuständigen parlamentarischen Kommission ankündigte, arbeite die Regierung an einer Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dabei geht es unter anderem um eine Anpassung der Führungs- und Entscheidungsstrukturen des „Établissement de Radiodiffusion Socioculturelle“.

Zur Erinnerung: Im September 2018 reichte der frühere Direktor Jean-Paul Hoffmann überraschend seine Kündigung ein. Als Grund nannte er das verlorene Vertrauen des Aktionärs, also des Staates. Medienminister Xavier Bettel erklärte dagegen in der zuständigen parlamentarischen Kommission im Januar: Hoffmann habe sich sicherlich übergangen gefühlt, als die Regierung Laurent Loschetter zum Präsidenten des Verwaltungsrates ernannt habe. Doch, so der Premier, brauche er vor einer solchen Entscheidung nicht die Meinung eines Direktors einzuholen.

Xavier Bettel widersprach vor dem Parlamentsausschuss auch dem Vorwurf, er habe die Arbeit des Radios über seinen persönlichen Freund Laurent Loschetter beeinflussen wollen. Die Fragen über die gefährdete Unabhängigkeit bezeichnete er als „Polemik“. Vor allem betonte der Minister, dass die Chefredaktion in einer Stellungnahme selbst festgestellt habe, dass es keine Einflussnahme auf die journalistische Arbeit gegeben habe.

Politische Unabhängigkeit „in Gefahr“

In der Tat hatten Chefredakteur Jean-Claude Franck und Stellvertreterin Pia Oppel im Oktober 2018 in einer „Chronik“ bekräftigt, dass es in den vergangenen Jahren keine unmittelbare politische Einflussnahme auf ihre Arbeit gegeben habe. Gleichzeitig wiesen sie aber auf diverse „problematische Entwicklungen“ und prozedurale Unregelmäßigkeiten hin.

Ihr Beitrag trug den Titel „Eng Gefor fir d’Onofhängegkeet“. Die Journalisten pochten auf klarere Regeln, die die politische Unabhängigkeit sowie die redaktionelle Eigenständigkeit garantieren sollen. Ebenso kritisierten sie „Interessenkonflikte“ von einzelnen Verantwortlichen in der Entscheidungsstruktur jenes Radiosenders, der laut einer Konvention mit dem Staat mit aktuell rund 6,3 Millionen Euro an Steuergeldern pro Jahr finanziert wird.

Namentlich genannt wurde in der Chronik etwa Paul Konsbruck. Dass der Kabinettschef des Premiers und Regierungskommissar beim RTL-Mutterhaus CLT-Ufa in den Verhandlungen über das Budget von „Radio 100,7“ vertreten war, werfe zumindest Fragen auf. Die Kritik richtete sich aber ebenso gegen die Rolle des Verwaltungsrats bzw. ausdrücklich des damaligen Präsidenten Laurent Loschetter. „Radio 100,7“ brauche „einen unabhängigen Präsidenten“, noch bevor ein neuer Direktor ernannt wird, so das unverhohlene Fazit von Jean-Claude Franck und Pia Oppel damals.

Loschetter nimmt sich aus der Schusslinie

Die Kritik am Verwaltungsratsvorsitzenden hat seit dem Rücktritt von Loschetter am vergangenen Montag sicher an Relevanz verloren. Allerdings wurde auch dem scheidenden Präsidenten intern immer wieder eine eigenwillige, sehr weitreichende Auslegung seiner Aufsichtsrolle attestiert. In seinem Antrittsinterview im September 2017 hatte Loschetter bereits nicht ausgeschlossen, sich als Verwaltungsratspräsident ins Tagesgeschäft der Redaktion einzumischen.

Der Konflikt um die Unabhängigkeit verlagerte sich jedoch schnell auf den vom Verwaltungsrat ausgesuchten neuen Direktor. Marc Gerges ließ am Mittwoch eine Interviewanfrage von REPORTER unbeantwortet. Eine weitere, für den 19. November geplante Versammlung zwischen der Redaktion und dem Direktor wurde übrigens wegen des kurzfristigen Rücktritts des Verwaltungsratsvorsitzenden auf unbestimmte Zeit verschoben.

Ein Ersatz für den Vorsitz im Verwaltungsrat solle schnellst möglich gefunden werden, heißt es indes aus dem Staatsministerium. Die Mitglieder des Verwaltungsrats von „Radio 100,7“ werden jeweils direkt von der Regierung ernannt. Zu den Gründen seines Rücktritts habe Laurent Loschetter in seiner Stellungnahme bereits alles gesagt, so das Staatsministerium weiter.

In der Tat hatte sich Loschetter zur Verabschiedung per Brief an den Verwaltungsrat und das gesamte Team des Radiosenders gewandt. Darin begründete er seinen sofortigen Rücktritt damit, dass er seine Mission, für die er Ende 2017 nominiert worden war, erfüllt habe. Zudem sprach er dem neuen Direktor nochmals sein uneingeschränktes Vertrauen aus. Marc Gerges sei „die ideale Person“, um das öffentlich-rechtliche Radio weiterzuentwickeln und „den Zusammenhalt der Belegschaft“ zu verbessern.


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