Mit der Tötung von Irans oberstem General Ghassem Soleimani sahen manche schon einen dritten Weltkrieg heraufziehen. Bei allen politischen Reaktionen spielte in der westlichen Berichterstattung eine Frage kaum eine Rolle: Wie werden die Ereignisse eigentlich im Iran bewertet?
„Wenn jemand in der Welt die Ermordung von Soleimani rächen will, wen sollten wir dann ausschalten? Sollten wir Spider-Man oder Sponge Bob ausschalten? Sie besitzen keine Helden. Alle ihre Helden sind Zeichentrickfiguren — sie sind alle fiktiv“: Es war der wohl unterhaltsamste Kommentar im tosenden Gewitter um die sich überschlagenden Ereignisse zwischen den USA und Iran. Das Zitat stammt vom schiitischen Geistlichen Sahab Moradi. Der iranische Mullah hatte mit einer Mischung aus Wut und Sarkasmus auf die Tötung des obersten Generals seines Landes reagiert.
Andere Reaktionen aus dem Iran verdeutlichen vor allem die hohe Anerkennung und Symbolkraft des ermordeten Generals. Soleimani war auch vor seinem Tod laut Umfragen stets weitaus beliebter als die führenden Politiker der islamischen Republik.
„Ghassem Soleimani verband wie kein anderer in Iran die Menschen mit unterschiedlichsten politischen Präferenzen. Sein Ansehen umfasste Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten und Milieus. Der Terroranschlag auf Soleimani ist der 9/11 Moment Irans“, schrieb der iranisch-deutsche Politikwissenschaftler Shayan Arkian bei Facebook.
Trauer, Trotz und ungeahnte Einheit
Entsprechend groß war der Schock, mit dem Soleimanis Tötung im Iran aufgenommen wurde. An einem Trauerzug für den General nahmen auf einer Strecke von drei Kilometern im Zentrum Teherans Hunderttausende Menschen teil. Die Staatsmedien sprachen sogar von Millionen von Trauergästen. Wie Interviews mit Teilnehmern belegen, mobilisierte das Ereignis nicht nur die Kernklientel von Unterstützern der iranischen Führung, sondern auch jene, die sich sonst eher Veränderungen im politischen System wünschen.
Bei der Trauerveranstaltung trat neben dem politischen Führer der palästinensischen Hamas, Ismail Haniya, auch Zeinab Soleimani, die Tochter des getöteten Generals auf. „Die Amerikaner und die Zionisten sollten wissen, dass der Märtyrertod meines Vaters zu einem erhöhten Bewusstsein der Menschen für den Widerstand geführt hat und ihnen schwarze Tage bereiten wird.“
Ein Blick in die iranischen Zeitungen zeigt, dass alle Lager in der Verurteilung von Amerikas Angriff vereint waren. Die reformistische Zeitung „Sharq“ etwa stellte am Tag nach Soleimanis Tötung ihren Schriftzug vor einen schwarzen Hintergrund und titelte vor einem großen Foto von Soleimani „Iran in Trauer um den Kommandanten“, der bei einem „terroristischen Angriff Amerikas“ ums Leben gekommen sei.
Bei der staatlichen Nachrichtenagentur „Mehr News“ lautete ein Kommentar: „Trumps törichter Befehl für den Angriff auf General Soleimani und Abu Mahdi Al-Mohandes könnte das wahre Gesicht der derzeitigen US-Machthaber offenbaren und die Menschen im Nahen Osten dazu bringen, über jene alte Frage neu nachzudenken: Was zum Teufel machen die USA hier im Nahen Osten?“
Reaktion zwischen Stärke und Abwägung
Indes sind die Kanäle des iranischen Staatsfernsehens knapp eine Woche nach Soleimanis Tötung nach wie vor gefüllt von Live-Übertragungen groß angelegter Trauermärsche. Aus der Stadt Rasht in der nordiranischen Provinz Gilan werden in Dauerschleife die gleichen Bilder von Frauen im schwarzen Tschador übertragen, die Porträts von Soleimani hochhalten und gelbe Schilder mit dem obligatorischen „Down with USA“-Schriftzug.
Das kollektive Trauma um den Tod von Soleimani funktioniert nun wie ein Kitt, der das Volk zusammenhält und der iranischen Führung jene Unterstützung beschert, die ihr zuletzt bei den weitläufigen Protesten im Land abhanden kam.
In ihrer Reaktion auf den Mord an Soleimani jedoch musste die iranische Regierung einen sensiblen Balanceakt leisten: Auf der einen Seite galt es, durch einen Gegenschlag auf amerikanische Militäreinrichtungen im Irak Stärke zu demonstrieren. Andererseits vermied man mit aller Vorsicht amerikanische Opfer, um einen möglichen Krieg nicht noch weiter zu provozieren. Dies wurde weltweit von Militärexperten als geschickter realpolitischer Schachzug des Regimes aufgefasst.
Politische Einheitsfront wohl nicht dauerhaft
Die iranische „Kayhan International“ jedenfalls meldete mit der Schlagzeile „US-Militärbasen mit äußerster Präzision getroffen“ einen „Triumph“. Zum ersten Mal seit der Besetzung der US-Botschaft im Jahr 1979 habe die Islamische Republik eine direkte Aktion gegen den amerikanischen Feind unternommen, um die Ermordung des „charismatischen Anti-Terror-Kommandanten“ zu vergelten.
Auf der nächsten Seite behauptet ein Redakteur der „Kayhan“, der iranische Präzisionsschlag sei nur der Anfang und „der Verbrecher Donald Trump und sein Team von Terroristen in Washington zitterten in ihren Füßen angesichts der Bestrafung, die sie für ihr unverzeihliches Verbrechen erwartet“.
Wenn auch die Sprache der erzkonservativen „Kayhan“ überzogen scheinen mag, so reflektiert sie doch eine Überzeugung, die nun in der iranischen Gesellschaft im Ganzen wiedererwacht ist: Nämlich, dass der Iran das Recht und die Pflicht hat, sich zu verteidigen. Einmal mehr sieht man sich als Opfer von amerikanischer Aggression und Intervention, zumal von allen Seiten umzingelt durch US-Stützpunkte im Irak, den arabischen Golfstaaten, in der Türkei sowie in Zentral- und Südasien.
Das nun heraufbeschworene Ende der US-Präsenz in der Region Naher und Mittlerer Osten ist für die Islamische Republik also nicht nur ein Propaganda-Schlachtruf, sondern auch eine existenzielle Frage. Fraglich bleibt nur, wie lange die von den US-Angriffen ermöglichte, aber nach wie vor verletzliche politische Einheitsfront noch anhält.
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