Der Iran erlebte im November die größte Protestwelle seit der Islamischen Revolution von 1979. Der Auslöser war die beispiellose Misswirtschaft des iranischen Regimes. Die tieferen Ursachen dafür sind allerdings nicht nur die internen Probleme.
Am 15. November verkündete die iranische Regierung einen Anstieg der Benzinpreise um fünfzig Prozent. Darin spiegelte sich der allmähliche Abbau einer Subventionspolitik, die jahrelang die Kosten für Kraftstoff im Land niedrig hielt. Als offizielle Begründung hieß es unter anderem, man wolle die Folgen der US-Sanktionspolitik für die ärmsten Segmente der iranischen Bevölkerung verringern.
Denn infolge der lähmenden Wirtschaftssanktionen, die durch Donald Trumps überspitzte Anti-Iran-Politik stark zugenommen haben, fehlt es im Iran vielerorts am Nötigsten. Ein Beispiel: Wie das Magazin „Foreign Policy“ im August im Artikel „US Sanktionen töten Krebspatienten im Iran“ berichtete, kommen Todkranke zum Beispiel nicht mehr an lebenswichtige Medikamente.
Für die andauernde Wirtschaftskrise im Iran sind tatsächlich maßgeblich die US-Sanktionen verantwortlich, gepaart mit der chronischen Misswirtschaft iranischer Regierungen. So war die Entscheidung der Preiserhöhungen nur ein Auslöser, welcher die seit Jahren andauernde allgemeine Unzufriedenheit der iranischen Bevölkerung einmal mehr hochkochen ließ. Die Konsequenz waren landesweite Proteste, in deren Folge für eine Woche lang das Internet abgeschaltet wurde.
Eskalierende Protestbewegung
Die Proteste wurden von den iranischen Sicherheitskräften gewaltsam unterdrückt, wobei nach Angaben von Amnesty International rund 300 Menschen getötet wurden — nicht nur in den Großstädten, sondern auch viele in den Provinzen, etwa in der kurdischen Region im West-Iran, einem der Hotspots der Proteste. Die Zahlen dementierte ein Regierungssprecher als „unbegründete Behauptungen“. Verhaftet wurden im Laufe der Aufstände Tausende, darunter Journalisten und Studenten.
Die Demonstrationen wurden bereits als größte Protestwelle im Iran seit der Revolution von 1979 bezeichnet. Ihr Kennzeichen waren die starke Wut und Verzweiflung, die sich in Form von Brandstiftung und massiver Sachbeschädigung entlud — vor allem an abgefackelten Tankstellen und verwüsteten Regierungsbüros. Viele im Iran erlebten die Proteste als zerstörerisch, geradezu traumatisierend. „Es war Angst einflößend. Erst erschienen mir die Proteste friedlich. Nach einer Weile jedoch bestimmten Krawallmacher und gewalttätige Randalierer die Szene”, beschreibt die Teheranerin Maryam die Szenen, die sich in ihrer Stadt abspielten.
Eine klare Zukunftsvision fehlt
An den Protesten beteiligten sich auch Aktivisten der Volksmudschahedin (MEK), jener Guerillaorganisation, die im Iran als Terrornetzwerk eingestuft wird und den Amerikanern als Freiheits- und Demokratiebewegung gelten. Die Demos sind nicht nur zunehmend destruktiv, sondern auch auffallend unorganisiert. Der mangelhafte Zusammenhalt unter den Oppositionellen und das Fehlen einer klaren Zukunftsvision sind große Mankos, die man auch schon bei früheren Protesten beobachten konnte.
Bereits Ende 2017 waren in mehr als zehn iranischen Städten Menschen bei spontanen Protesten gegen die schlechte Wirtschaftslage auf die Straße gegangen. Anders ist das etwa im Libanon, wo Aktivistengruppen aus der Zivilbevölkerung über alle politischen und religiösen Lager hinweg mit einem langen Atem an gemeinsamen Forderungen gearbeitet hatten.
USA heizen innere Konflikte an
Laut einer Analyse des Investigativjournalisten Nafeez Ahmed belegen nun offizielle Dokumente des Forschungsdienstes des amerikanischen Kongress, dass Donald Trumps Führung wiederholt versucht hat, politische Unruhen im Iran gezielt anzuheizen. Nicht nur seien jährlich Millionen von US-Dollar an oppositionelle Aktivistengruppen geflossen, sondern die USA finanziert auch oppositionelle iranische Exilmedien, die heute einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die öffentliche Meinung im Iran haben.
Zwar sind persische Auslandsmedien im Iran offiziell verboten, faktisch können sie jedoch in jedes iranische Wohnzimmer reichen. Zum gängigen Programm dieser Rundfunksender wie „Radio Farda“ oder „Voice of America“ gehört neben pro-amerikanischer Berichterstattung eine Glorifizierung des Schah-Regimes von vor 1979. Von den Menschenrechtsverletzungen und der gängigen Repressionen unter der Schah-Diktatur wird dabei selbstverständlich kein Wort verloren.
Sich die Zeit des Schahs zurückzuwünschen gehört in manchen Kreisen, gerade in Teheran, inzwischen zum guten Image dazu. Tatsächlich wurde bei manchen der Proteste im November auch die Rückkehr von Reza Pahlavi, dem Sohn des letzten Schahs, gefordert. Kein Wunder, denn die persische Version von „Voice of America“ wird inzwischen wöchentlich von fast einem Viertel der iranischen Erwachsenen konsumiert.
US-Mission bleibt „regime change“
Die amerikanischen Investitionen fallen im Vokabular der US-Regierungen unter den Begriff Förderung der Demokratie („democracy promotion“), sind aber wohl treffender als Bemühungen zum „regime change“ zu bezeichnen. Der iranischen Regierung allerdings kann all dies nur recht sein: Die USA liefern mit ihrer Einmischung Teheran einen willkommenen Vorwand, jeglichen Widerstand im eigenen Land niederzuschlagen, dieser sei schließlich aus dem Ausland finanziert.
Prompt kam dann auch bei den Novemberprotesten aus dem US-Außenministerium der Online-Aufruf, die Demonstranten sollten sich doch mit den Vereinigten Staaten zusammentun. Dass sie dafür teuer bezahlen könnten, schien in der Trump-Administration kaum jemanden zu interessieren.
So überrascht es nicht, dass der bekannte Politologe und scharfzüngige Kritiker der US-Außenpolitik Hamad Dabashi neulich in einer Analyse schrieb, dass Schah-Verehrer und die Volksmudschahedin maßgeblich dafür verantwortlich seien, „die friedlichen Proteste gegen wirtschaftliche Inkompetenz und politische Tyrannei in gewaltvolle und blutige Unruhen zu verwandeln.“
Bedrohliche innen- und außenpolitische Lage
Die giftige Mischung aus US-Sanktionen, einer inkompetenten ökonomischen Führung und ökologischen Problemen dürfte im Iran in absehbarer Zeit zu weiteren Protesten führen. Besonders die Umweltkrise dürfte sich mit dem Klimawandel weiterhin zuspitzen: Bereits seit den 1990er Jahren wird der Iran von jährlichen Dürren heimgesucht, die verstärkt wurden durch ein mangelhaftes Wassermanagement. Dies hatte verheerende Auswirkungen auf den Lebensunterhalt von Landwirten in den ländlichen Gebieten und führte zu einem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit.
Was erwartet die Iraner also nun? Die Bürger werden sich wohl oder übel an die gestiegenen Benzinkosten gewöhnen müssen. Auch wenn diese immer noch weit unter dem internationalen Durchschnitt liegen und sogar für die Region des Mittleren Ostens ausgesprochen niedrig sind, erhöht sich der Druck auf die ohnehin wirtschaftlich leidende iranische Bevölkerung.
Ein Teil der möglichen Staatseinnahmen durch die Kraftstofferhöhung jedenfalls hat der Staat bereits durch die Kosten, die aus den Protesten entstanden, zunichte gemacht: Allein die eine Woche ohne Internet führte im Iran zu einem wirtschaftlichen Schaden von rund zwei Milliarden US-Dollar.
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