Die „schwarze Null“ ist spätestens seit der Finanzkrise Sinnbild und Leitfaden der deutschen Finanzpolitik. Sie soll Stabilität garantieren, aber riskiert längerfristig genau diese zu gefährden. Eine Analyse.

Die Deutschen und das liebe Geld, damit ist es so eine Sache. Wer derzeit das Deutsche Historische Museum in Berlin besichtigt, kriegt einen tiefen Einblick in dieses schwierige Verhältnis. Die Ausstellung „Sparen – Geschichte einer Deutschen Tugend“ zeigt wie Sparsamkeit zu einem charakteristischen Wesensmerkmal der Nation wurde und bis heute die Geschicke der deutschen Politik und Wirtschaft beeinflusst.

Mit der Gründung der ersten Sparkassen um 1778, wurde das Zurücklegen von Geldreserven zum Volksport. Sparen galt als Ausdruck von Fleiß und Eigenverantwortung und wurde zu einer Erziehungsmaßnahme für die Massen. Auch Hyperinflation und andere Wirtschaftsschocks konnten den Glauben an das Sparen nicht abschwächen. Zweimal, 1923 und 1945, verloren die Spareinlagen der Deutschen ihren kompletten Wert, der Sparwille blieb trotzdem ungebrochen.

Die schwarze Null ist zu einem Glaubenssatz der deutschen Politik geworden, aber es finden sich immer weniger Gläubige.“

Ob Olaf Scholz bereits Zeit hatte sich die Ausstellung anzusehen, ist fraglich. Seine Politik steht jedoch ganz in ihrem Zeichen. Der Finanzminister der SPD macht da weiter, wo sein Vorgänger Wolfgang Schäuble aufgehört hat: bei der eisernen Verteidigung der „schwarzen Null“. Kein anderes deutsches Polit-Diktum hat in den vergangenen Jahren für mehr Diskussion gesorgt, als das zähe Festhalten an einem ausgeglichenen öffentlichem Haushalt – bloß keine roten Zahlen! Wie Schäuble, will auch Scholz die Finanzen der Volkswirtschaft so leiten, wie die oft zitierte schwäbische Hausfrau ihren Haushalt führt: mit rigider Spardisziplin. Kann das gutgehen?

Der Glaubenssatz deutscher Finanzpolitik

„Wir haben uns alle gemeinsam die schwarze Null vorgenommen. Das ist schon etwas, das wir in Deutschland gemeinsam richtig finden“, betonte Scholz im März nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags. Schließlich sei sie in Form der Schuldenbremse 2009 auch ins Grundgesetz übertragen worden.

Der Finanzminister der SPD macht da weiter, wo sein Vorgänger aufgehört hat: Olaf Scholz (l.) und der heutige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. (Foto: Deutscher Bundestag/Achim Melde)

Die schwarze Null ist zu einem Glaubenssatz der deutschen Politik geworden, aber es finden sich immer weniger Gläubige. In einem Thesenpapier junger SPD-Bundestagsabgeordneten wurde jüngst kritisiert, dass es „kein Dogma der schwarzen Null geben darf“, da sie kein finanzpolitisches Programm und kein eigenständiges Ziel sei.

Die Abgeordneten reihen sich in eine lange Liste von Kritikern ein, die mehr Investitionsfreudigkeit von Scholz fordern. Gerade im Ausland wird die schwarze Null als „Kaputt-Spar-Politik“ Deutschlands begriffen, der man das europäische Wachstum opfert. Als er vor wenigen Wochen in Aachen mit dem Karlspreis ausgezeichnet wurde, wiederholte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch einmal eindringlich seinen Appell an die deutsche Kanzlerin: „Warten wir nicht länger. Lassen Sie uns handeln!“ Macron braucht Deutschlands Unterstützung für seine Reformpläne, aber bisher war alle Buhlerei vergebene Liebesmüh.

Blühende Wirtschaft, poröses Fundament

Scholz’ SPD-Kollege Martin Schulz hatte im Wahlkampf eine „Mindestdrehzahl für Investitionen“ gefordert, auch über die deutschen Grenzen hinaus. Die Voraussetzungen für diese könnten nicht besser sein: Die Wirtschaft boomt, Wachstumsprognosen liegen bei 2,4 Prozent und die Arbeitslosigkeit sinkt auf ein Allzeit-Tief. Die deutsche Industrie schlägt alle Rekorde und fährt Jahr für Jahr Handelsüberschüsse ein.

Die Angst, dass wirtschaftliche Krisen die geliebten Spareinlagen gefährden könnten, sitzt tief bei den Deutschen.“

Doch anstatt die Gewinne zu investieren und vom günstigen Geld der EZB zu profitieren, tut Deutschland das, was es am besten kann: sparen. Damit erweist Scholz dem Land einen Bärendienst, denn so rosig die Wirtschaft auch blüht, so porös wird das Fundament unter ihr. Schleppender Kitaausbau, akute Not an sozialem Wohnungsbau und marode Verkehrsinfrastrukturen sind nur einige Baustellen, denen sich die Große Koalition annehmen muss, um auch zukünftiges Wachstum zu garantieren.

Substantielle Verbesserungen können durch Flickschusterei aber nicht erzielt werden. Dazu muss schon die schwarze Null geopfert werden. Gleiches gilt für die Zukunft Europas. Dass sich Deutschland hier mit Investitionszusagen derart schwer tut, reicht aber noch tiefer in die deutsche Psyche.

Deutsche Angst und massiver Widerstand

Die schwarze Null entspringt allein der Logik der Binnenkonjunktur, schreibt „Spiegel“-Journalist Henrik Müller. Würde das Finanzministerium einer außenpolitischen Logik folgen, wären europäische Investitionen Pflicht. Nicht nur weil die enormen Handelsüberschüsse Deutschlands sich negativ auf die Handelsbilanzen der Partner auswirken, sondern auch, weil Deutschland als stärkste Wirtschaft Europas seine Führungsrolle ernst nehmen muss.

An der schwarzen Null als Glaubenssatz hält die deutsche Politik auch nach der Neuauflage der Großen Koalition fest. (Foto: Deutscher Bundestag/Achim Melde)

Doch mit dieser Rolle tut sich das Land schwer, denn Führung ist in Deutschland gleichbedeutend mit der Angst vor wirtschaftlichen Verlusten. Die alte Sorge: Deutschland als Zahlmeister Europas. Macron will für die Reform Europas einen eigenen Haushalt für die Eurozone, um die Konvergenz zu steigern und ein erhöhtes Budget zur Abfederung zukünftiger wirtschaftlicher Krisen in den Mitgliedsstaaten.

Im Bundestag stoßen solche Vorschläge auf wenig Gegenliebe. Mit der AfD, der Linken und weiten Teilen der FDP und Union, ist der parlamentarische Widerstand massiv. Es bräuchte schon einen enormen Kraftaufwand von Merkel und Scholz, um gegenzusteuern. Darauf sollte Macron sich nicht verlassen.

Eine Utopie mit Ablaufdatum

Deutschland hat wenig Vertrauen in seine europäischen Nachbarn und in die eigene Kraft. Als der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff letztes Jahr warnte, dass eine große Europa-Rechnung auf die Deutschen wartet, nahm ihn die AfD direkt als Kronzeugen für ihren antieuropäischen Kurs in Beschlag.

Die Angst, dass wirtschaftliche Krisen die geliebten Spareinlagen gefährden könnten, sitzt tief bei den Deutschen. Mit Katastrophenszenarien, dass wacklige Wirtschaften im Süden und Osten Europas den Wohlstand Deutschlands zu vernichten drohen, treffen Populisten einen Nerv. Die schwarze Null ist ein finanzpolitischer Reflex gegen diese Angst und ein Festklammern an einer Utopie mit Ablaufdatum.

Denn die schwarze Null wird nicht auf Ewigkeit zu halten sein. Europa wird nicht krisenresistent und Deutschland nicht immun gegen Konjunkturschwankungen. Doch bis dahin, können Abfederungsmechanismen aufgebaut werden, die auch in Zukunft den Wohlstand retten. Ein dogmatisches Predigen der schwarzen Null, kann nur in Selbsttäuschung oder Schwarzmalerei enden. Das sollte Olaf Scholz berücksichtigen, damit das Sparen Tugend statt Tadel bleibt.