Neue Regierung, neue Wohnungsbaustrategie: Blau-Rot-Grün will bei der Schaffung von erschwinglichem Wohnraum künftig stärker auf die Gemeinden setzen. Dazu stellt der Staat mehr Zuschüsse in Aussicht, will aber auch mehr Druck auf die Kommunen ausüben. Eine Analyse.

Es soll kein „Weiter so“ mehr geben. Die schlichte Fortführung der bereits eingeleiteten Maßnahmen, wie sie Blau-Rot-Grün in anderen Ministerien plant, kommt für das Wohnungsbauministerium nicht in Frage. Dafür ist das Problem steigender Wohnungspreise zu groß und die bisherige Bilanz der Vorgängerregierungen zu mager.

Es muss deutlich mehr gebaut werden, so die Ansage. Das Koalitionsabkommen gibt die neue Richtung vor: „Die Gemeinden werden bezüglich der Umsetzung, des Baus und der Verwaltung von öffentlichen Wohnungsbauprojekten in die Verantwortung gezogen“. Und: „Ihre Rolle soll im Einklang mit der Regierungspolitik stehen.“

Konkret bedeutet das, dass die Gemeinden  zunehmend selbst Grundstücke erwerben sollen, um dort in Eigenregie Wohnungen zu bauen. Spezifisch ist neben Sozialwohnungen die Rede von erschwinglichen Mietwohnungen. Doch es ist nicht das erste Mal, dass von einer Regierung eine wahre Wohnungsbauoffensive angekündigt wird. Es drängt sich also die Frage auf, wie glaubwürdig und Erfolg versprechend der Kurswechsel ist. Und ob es sich überhaupt um einen solchen handelt.

Nur 80 neue Wohnungen pro Jahr

Auf den ersten Blick erscheint die Strategie, die Gemeinden stärker in die Pflicht zu nehmen, durchaus notwendig. Denn die Bilanz der Kommunen bei der Schaffung von günstigem Wohnraum kann sich nicht wirklich sehen lassen.

Die Zahlen, die das Wohnungsbau- und das Innenministerium veröffentlichten, sprechen Bände: Von 32.837 Wohnungen, die zwischen 2008 und 2017 quer durchs Land gebaut wurden, entstanden lediglich 830 Wohnungen auf Eigeninitiative der Gemeinden. Das sind knapp 2,5 Prozent bzw. lediglich 80 Wohnungen pro Jahr, die unter dem Marktpreis verkauft oder vermietet wurden.

Dabei investiert der Staat bereits heute viel Geld in die kommunale Beteiligung. Seit 1979 übernimmt der Staat einen Teil der Kosten, wenn Wohnungen unter Marktpreis an Bezieher der Wohnungsbauprämien verkauft oder vermietet werden. Mittlerweile beläuft sich der finanzielle Zuschuss auf 50 Prozent der Planungs- und Infrastrukturkosten sowie des Grundstückpreises. Bei Mietwohnungen sind es sogar 75 Prozent der Baukosten. Da diese Hilfen offenbar nicht genügend Anreize zum Bauen schaffen, ist mittlerweile im Koalitionsprogramm von staatlichen Beihilfen von bis zu 100 Prozent die Rede.

Hohe staatliche Zuschüsse, wenig Ertrag

Dank der 102 Gemeinden sollen 104 öffentliche Baugesellschaften entstehen. Die Aussage mancher Politiker, dass 104 Baugesellschaften sicher besser seien als die bisherigen zwei Bauträger, hält einer tiefgründigeren Analyse aber nicht stand. Der Rückstand, den die Gemeinden gegenüber den öffentlichen Bauträgern haben, ist enorm. So überreichten der „Fonds du Logement“ und die „Société des habitations à bon marché“ (SNHBM) zwischen 2010 und 2017 die Schlüssel für insgesamt 1.575 Wohnungen. Die Gemeinden stellten im selben Zeitraum nur 621 Wohnungen fertig.

Hinzu kommt, dass die Gemeinden für ihren Beitrag bereits heute bedeutende finanzielle Mittel beanspruchen. Zwischen 2014 und 2017 erhielten Gemeinden immerhin rund 42 Prozent der Gelder aus dem öffentlichen Topf. Sie bauten jedoch nur 28 Prozent aller staatlich subventionieten Wohnungen der öffentlichen Hand.

Der Staat verteilte in diesem Zeitraum insgesamt 146 Millionen Euro an die Gemeinden und die öffentlichen Bauträger: 57 Millionen Euro entfielen dabei auf den Fonds du Logement, 28 Millionen auf die SNHBM und 61 Millionen auf die Gemeinden, denen pro Wohnung bereits höhere Hilfen zustehen.

Es wird eine Herkulesarbeit, die Gemeinden mit ins Boot zu nehmen. Ich hoffe, dass die Wohnungsbauministerin die richtige Taktik findet.“Henri Kox, Abgeordneter Déi Gréng

Die Effizienzrechnung ist allerdings nur komplett, wenn man berechnet, dass der Staat die Betriebskosten des „Fonds du Logement“ als öffentliche Einrichtung zusätzlich finanziert. Allein 2017 erhielt er 15,6 Millionen Euro an Steuergeldern. Für die mit Wohnungsbau zusammenhängenden Betriebskosten der Gemeinden wurden wiederum im Rahmen des „Pacte Logement“ zwischen 2008 und 2017 insgesamt 40 Millionen Euro investiert. Hinzu kommen Finanzspritzen aus dem „Fonds communal de dotation financière et de dotation globale des communes“.

Die Leidtragenden der Wohnungskrise

Trotz oder gerade wegen dieser schlechten Bilanz will die neue Wohnungsbauministerin Sam Tanson (Déi Gréng) zunehmend auf die Gemeinden setzen. Insbesondere bei der seit geraumer Zeit politisch gewollten Schaffung von bezahlbaren Mietwohnungen kommt den Kommunen eine wichtige Rolle zu. Diese Kategorie decken die beiden öffentlichen Bauträgern bisher nicht ausreichend ab.

In den Fokus rückt damit eine andere Bevölkerungsschicht. Einerseits gibt es Sozialhilfebezieher, die auf eine Sozialwohnung warten. Andererseits jene Menschen, die sich den Kauf einer Wohnung des „Fonds du Logement“ oder der SNHBM von mehreren Hundert Tausend Euro überhaupt leisten können. Übrig bleiben jene, die für ersteres nicht in Frage kommen und die für letzteres nicht genügend Eigenkapital besitzen. Politisch unstrittig ist, dass diese Menschen die wirklichen Leidtragenden der zum Teil verfehlten Wohnungsbaupolitik der vergangenen Jahre sind.

Gemeindeautonomie: ja, aber…

Das Problem des neuen Ansatzes: Ein Wohnungsbauwunder kann kaum allein durch ein größeres Pflichtbewusstsein der Gemeinden vollbracht werden. Angesichts der bisherigen Bilanz sind klare Auflagen als Druckmittel seitens des Staates unabdingbar. Deshalb erwägt die Koalition dem Vernehmen nach auch die Möglichkeit von Zwangsmaßnahmen.

Die Gemeindeautonomie im Wohnungsbau soll zwar weiter bestehen. Diese besagt, dass Gemeinden frei entscheiden, ob gebaut werden darf oder nicht. In der Neuauflage des „Pacte Logement“ könnte der Staat den Gemeinden allerdings bestimmte Zielsetzungen vorschreiben, damit sie weiterhin in den Genuss staatlicher Hilfen kommen. So könnten die Gemeinden indirekt dazu gezwungen werden, eine aktive Rolle in der Bewältigung einer der Hauptherausforderungen des Landes einzunehmen.

Warum die Gemeinden Mitschuld an der aktuellen Wohnungsbaukrise haben, lesen Sie hier: Die Mitverursacher der Wohnungskrise

Die Festlegung genauer Kriterien ist zudem wichtig, um diese zu einem späteren Zeitpunkt als Messlatte für Erfolg oder Misserfolg heranziehen zu können. Unterschiedliche Kriterien sind noch auszuarbeiten. So könnte man beispielsweise festhalten, dass jede Gemeinde proportional zu ihrer Einwohnerzahl Wohnraum schaffen müsste, wie der Präsident der parlamentarischen Wohnungsbaukommission, Henri Kox (Déi Gréng), im Gespräch mit REPORTER erklärt.

Auch eine „Neudefinierung der Aufgaben der Gemeinden“ ist im Koalitionsabkommen ausdrücklich festgehalten. „Der aktive Wohnungsbau fällt gegenwärtig nicht in den Aufgabenbereich der Gemeinden. Dieser soll jetzt aber als solcher definiert werden“, sagt Henri Kox. Dass Gemeinden zusätzliche Finanzspritzen erhalten sollen, sei demnach als Gegenleistung für die strengeren Kriterien zu betrachten.

Potenzielle politische Konflikte

Die neue Strategie der Regierung beantwortet also eine bekannte Problemlage. Dazu gehört auch, dass viele kleine Gemeindeverwaltungen nicht über eine eigene Wohnungsbauabteilung verfügen und demnach nicht über das nötige Personal, das sich ausschließlich mit der Planung, dem Bau und der diesbezüglichen Gesetzgebung befassen kann. Das erklärt die relativ lange Dauer vieler Bauprojekte. Hinzu kommt eine mangelnde Expertise bezüglich der Umsetzung von Wohnungsbauprojekten.

Zu wenige Mitarbeiter und Fachkenntnisse als allgemeine Entschuldigung für das geringe Wohnungsbauaufkommen will die Regierung künftig aber nicht mehr gelten lassen: Sie will den Gemeinden einen Wohnungsbauberater zur Seite stellen und die den Kommunen behilfliche „Cellule de facilitation“ effizienter gestalten. Dies soll insbesondere den Bau in kleinen und ländlichen Gemeinden ankurbeln.

Das Problem beim Wohnungsbau birgt demnach in jedem Fall auch den potenziellen Konflikt zwischen Staat und Gemeinden. Henri Kox macht sich jedenfalls keine Illusionen darüber, welch schwieriges Unterfangen auf die Regierung, seine Partei und die neue Ministerin zukommt: „Es wird eine Herkulesarbeit, die Gemeinden mit ins Boot zu nehmen. Ich hoffe, dass die Wohnungsbauministerin die richtige Taktik findet.“

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