Eigentum verpflichtet, so will es nicht nur der Volksmund, sondern auch das deutsche Grundgesetz. Auf diesem Prinzip gründen die aktuellen Debatten, um gegen explodierende Mieten und fehlende Wohnungen vorzugehen. Selbst radikale Lösungen werden diskutiert, auch wenn sie nicht unbedingt realistisch sind.

Der Gebrauch von Eigentum soll nicht nur dem Besitzer, sondern auch dem Wohl der Allgemeinheit dienen oder zumindest diesem nicht schaden. So will es das Grundgesetz. Ist dies nicht gewährleistet, stellt der Gesetzgeber eine Maßnahme in Aussicht, die dieser Tage in Berlin heftig diskutiert wird: Enteignung.

Denn für viele Berliner kommen große Immobilienkonzerne dieser Pflicht des Allgemeinwohls nicht mehr nach. Im Gegenteil, sie reißen den verfügbaren Wohnraum an sich und treiben die Preise in die Höhe. Im Fokus steht insbesondere der Konzern „Deutsche Wohnen“, der allein in Berlin um die 111.000 Wohnungen besitzt und gewinnbringend vermietet. Lange galt Berlin als Mietschnäppchen unter den europäischen Großstädten, ein Paradies für Anleger und die sogenannte kreative Klasse, die hier ihren Entfaltungsdrang ausleben konnte.

Enteignung ernsthaft diskutiert

Gentrifizierung, Mietsteigerungen und Wohnungsknappheit waren die Folge, Enteignungen sollen nun die Lösung sein. Konkret fordern etwa Initiativen wie „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, dass private Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, enteignet werden. Dabei sollen sie deutlich unter Marktwert entschädigt werden. Die Legitimierung dieses Vorgehens sehen die Initiativen durch das Grundgesetz gewährleistet, da die Spekulationspraktiken der Immobilienkonzerne für einen prekären Wohnungsmarkt sorgen. Über 77.000 Unterschriften konnte die Petition schon sammeln, 20.000 waren nötig, um das Anliegen vor den Berliner Senat zu bringen. Nun soll es zu einem Volksentscheid kommen – radikal, aber für viele längst nicht mehr utopisch.

Selbst Politiker wie der Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, oder Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher von Die Linke, ziehen die Möglichkeit einer Enteignung in Erwägung.  CDU und FDP tun die Debatte als „linken Populismus“ und „DDR-Idee“ ab. Noch sehen eine Mehrheit der Bürger Enteignungen kritisch, ergab eine Umfrage des Meinungsinstituts Civey.

Dass aber ernsthaft darüber diskutiert wird, zeigt wie drastisch die Wohnungsnot in Berlin und anderen Großstädten geworden ist. Über die letzten zehn Jahre haben sich die Mieten in Berlin nahezu verdoppelt. In einigen Stadtteilen wie beispielsweise dem hippen Neukölln, gab es sogar eine Steigerung um 146 Prozent. Und das in einer Stadt, in der fast jede(r) Fünfte Sozialhilfe bezieht.

Wenig Spielraum für Kompromisse

Der Enteignungsvorschlag soll nun endlich die radikale Wende in der Wohnungspolitik bringen. Realistisch ist dies nicht. Denn neben Rechtswidrigkeiten (Enteignungen könnten gegen die Berliner Landesverfassung verstoßen) und der politischen Opposition, stellen vor allem die anfallenden Entschädigungen in Milliardenhöhe eine enorme Hürde dar. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) warnt davor, dass Enteignungen fatale Folgen für die Stadt haben könnten. Ein solcher Schritt würde falsche Signale an potenzielle Investoren senden.

Auch Kanzlerin Merkel gab beim Deutschen Mietertag Mitte Juni zu verstehen, dass Enteignungen der falsche Lösungsansatz sind. Nur Wohnungsbau komme als Mittel gegen die Knappheit infrage. Doch schon jetzt hat die Forderung nach Enteignungen eine enorme Wirkmacht entfaltet, denn der radikale Vorstoß lässt nur noch wenig Spielraum für Kompromissdenken und eine Weiter-so-Politik.

Mitte Juni einigte sich der Berliner Senat auf einen Mietendeckel, der im Januar 2020 in Kraft treten und die Mieten für die kommenden fünf Jahre einfrieren soll. Die SPD-Spitze fordert sogar schon einen bundesweiten Mietendeckel. Auch hier stellt sich wieder die Frage, wie justiziabel die Praktik ist (der Mietendeckel würde je nach Auslegung gegen Bundesrecht verstoßen). Doch die Entscheidung sendet ein wichtiges Signal: die Politik ist endlich bereit, ihr Versagen beim Wohnungsbau und der Mietregulierung zu korrigieren.

Der problematische Mietendeckel

Kritiker warnen jedoch schon davor, dass der Mietendeckel den Wohnungsmarkt für Investoren weniger attraktiv macht. Sanierungsarbeiten, die normalerweise über übliche Mietanstiege gedeckt werden, drohen auszubleiben – mit negativen Folgen für die Bausubstanz der Stadt und folglich für die Mieter. Im Vorfeld der Senatsentscheidung rief der Berliner Landesverband „Haus und Grund“ Vermieter dazu auf, noch vor dem Beschluss die Mieten zu erhöhen. Senatorin Lompscher bezeichnete diesen Aufruf als „verheerendes Signal“, das die „Mieter zum Faustpfand der Immobilienlobby degradiert“.

Dass nun gerade der Mietendeckel zu einer kollektiven Mieterhöhung führen könnte, zeigt, wie absurd die Wohnungspolitik geworden ist. Und die Stadt ist gefangen zwischen den verschiedenen Interessen beider Seiten. Lompscher hat natürlich recht mit ihrer Warnung vor der Immobilienlobby. Doch lässt sie außer Acht, dass in Berlin 90.000 Wohnungen in der Hand von Genossenschaften sind, die diese unter Marktdurchschnitt und nicht zur Gewinnmaximierung vermieten. Diese Genossenschaften monieren nun, der Mietendeckel käme der „Zerstörung des sozialen Mietengefüges“ gleich. Nur moderate Mieterhöhungen erlauben es den Genossenschaften, ihre Kosten zu decken und ihre Immobilien zu einem fairen Preis anzubieten. Als Allheilmittel dient also auch der Mietendeckel nicht, vielmehr wird offensichtlich, dass die Politik Lösungen jenseits der Dichotomie arme Mieter vs. böse Vermieter braucht.

Wohnungen als Spekulationsobjekt

Schützenhilfe könnte ausgerechnet von der Deutsche Wohnen kommen, deren Vorstandschef Michael Zahn sich jüngst für ein neues Solidarmodell stark machte. Wo es wirtschaftlich möglich ist, sollen Mieten zukünftig auch erhöht werden, um dadurch andere Haushalte zu subventionieren. Zahn erklärte ebenfalls, dass seine Firma einen eigenen, freiwilligen Mietendeckel einführen will, der Mieten auf maximal 30 Prozent des Nettoeinkommens begrenzt. Auch soll zukünftig jede vierte Wohnung an Vermieter mit Anspruch auf Sozialhilfe gehen. Es ist ein Friedensangebot des Immobiliengiganten an die erzürnte Mieterschaft Berlins. Es ist aber auch ein wichtiges Signal an die Politik, die zu lange dem Spekulationsgeschäft in ihrer Stadt tatenlos zuschaute. Denn Wohnungen sind kein normales Wirtschaftsgut, sondern eine Lebensgrundlage.

Erst kürzlich deckten der Berliner „Tagesspiegel“ zusammen mit dem Recherchezentrum Correctiv auf, dass die britische Milliardärsfamilie Pears allein in Berlin um die 3.000 Wohnungen besitzt. Die Gewinne schleust sie mithilfe von luxemburgischen und zypriotischen Briefkastenfirmen am Fiskus vorbei und hält ihre Geschäftspraktiken geheim. Der Berliner Senat reagierte überrascht auf die Anzahl an Wohnungen, die die Familie in der Stadt besitzt. Es ist davon auszugehen, dass es kein Einzelfall ist und sich auch auf andere Städte übertragen ließe.

Vorstöße wie die Enteignungsdebatte oder der Mietendeckel zeigen auf, wo die Grenze zwischen dem Spielraum der Immobilienspekulanten und dem erschwinglichen Wohnraum der Bevölkerung verläuft. Es ist nur schwer vorstellbar, dass beide gemeinsam wachsen können.