Bis zu 20.000 Tests pro Tag hatte die Regierung ab Mitte Mai versprochen. Diese Massentests sind wichtig, um nach dem Ende des Lockdown eine zweite Infektionswelle zu verhindern. Doch bei der praktischen Umsetzung gibt es Probleme, die lange ignoriert wurden.

So viel ist klar: Der Zeitplan für die Massentests auf das Coronavirus ist nicht mehr einzuhalten. Das sagte Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) der zuständigen Parlamentskommission am Dienstag. Ursprünglich sollten ab kommenden Dienstag Zehntausende Einwohner und Grenzgänger auf das Virus Sars-Cov-2 getestet werden. Jetzt peilt die Regierung Ende Mai an, sagte der Direktor der „Santé“, Jean-Claude Schmit im Interview mit „Paperjam“.

Das Projekt werde wie geplant am 19. Mai starten, teilte dagegen die Covid-19-Forschungstaskforce in einer Pressemitteilung mit. Die volle Kapazität von bis zu 20.000 Tests am Tag erreiche man dann in der Woche ab dem 1. Juni.

Bei der Strategie der Regierung gibt es allerdings zwei zentrale Hürden: Es fehlt an Personal, um die Proben bei Hunderttausenden Menschen zu entnehmen. Es gibt aber auch nicht genug Ausrüstung, die für die Tests unerlässlich ist. Diese Probleme waren den Behörden längst bekannt. Die Regierung setzte dennoch in den vergangenen Wochen auf die Ankündigung dieser Massentests, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt waren.

Ende des Lockdown nur dank Massentests

Damit gerät eine zentrale Bedingung für das Ende des Lockdown in Gefahr. Durch die weitläufigen Tests sollen infizierte Personen aufgespürt werden, die keine Symptome zeigen. So könne verhindert werden, dass sie unwissentlich andere anstecken, erklärte Ulf Nehrbass im Interview mit „Radio 100,7“. Die Covid-19-Fälle, die man heute noch übersehe, könne man dann sehr viel leichter in den Griff bekommen. Das seien laut aktuellen Schätzungen bis zu 80 Prozent aller Infizierten, sagte Professor Paul Wilmes dem Portal „Science.lu“.

Das schrittweise Ende des Lockdown, das wir gerade erleben, kann nur sicher sein, wenn systematische Tests gemacht werden, so die Logik der ganzen Strategie. Ohne dieses Element müsste der Lockdown bis Ende Juni andauern, so Ulf Nehrbass anlässlich einer Pressekonferenz vergangene Woche. Massentests sind die einzige Alternative zur Weiterführung des Lockdown, betont der Wissenschaftler.

Doch dieses zentrale Element der Regierungsstrategie wackelt nun. Anstatt sich auf die wissenschaftlichen Ergebnisse dieser Tests zu stützen, handelt die Regierung nach Bauchgefühl, kritisiert der CSV-Abgeordnete Claude Wiseler. Bereits im Fall der Öffnung des Einzelhandels wartete die Regierung das Resultat einer Stichprobe unter den Arbeitnehmern dieser Branche nicht ab, wie REPORTER berichtete.

Bereits am 9. April beschloss die Regierung laut Ministerin Paulette Lenert eine hohe Anzahl an Testkits der Siemens-Tochter „Fast Track Diagnostics“ (FTD-Tests) zu erwerben. Tatsächlich kaufte das „Haut Commissariat de la Protection nationale“ am 15. April laut EU-Amtsblatt über 300.000 Schnelltests dieser Luxemburger Firma für die Summe von 3,7 Millionen Euro. Zu diesem Zeitpunkt war der Test nicht für die Diagnostik zugelassen (REPORTER berichtete).

Testsubstanzen sind extreme Mangelware

Doch der Kauf hat eine empfindliche Schwachstelle: Damit diese sogenannten PCR-Tests durchgeführt werden können, muss die genetische Information des Virus extrahiert werden. Dazu braucht es spezielle Testsubstanzen. „Extraktionsreagenzien sind derzeit ein Engpass und sehr schwer zu beschaffen“, heißt es in der Stellungnahme der Forschungstaskforce.

Was nicht gesagt wurde: Die von der Regierung bestellten FTD-Tests sind nur für eine bestimmte Substanz des Herstellers Biomérieux zugelassen. Grundsätzlich sind Tests mit anderen Substanzen möglich, aber die Siemenstochter FTD führt die entsprechenden Überprüfungen erst nach und nach durch, erklärt ein Sprecher auf Nachfrage von REPORTER.

Der Oppositionsabgeordnete Claude Wiseler nennt es „delikat“, dass die „Laboratoires Réunis“ erst den Test der ehemaligen Tochterfirma FTD überprüfen und nun mit dem 40-Millionen-Euro-Auftrag betraut werden.

Die Produktlinie „Easymag“ von Biomérieux ist allerdings kaum aufzutreiben. Diese Substanz steht etwa auf der Liste von „critical supplies“ der US-Regierung. Und das muss der Regierung vor dem Kauf bekannt gewesen sein. Selbst für die Zulassung von knapp 100 durchgeführten Tests fehlte FTD laut Informationen von REPORTER die nötige Menge an „Easymag“. Die staatliche Agentur Luxinnovation sollte beim Auftreiben des Mittels helfen.

Biomérieux stellt einen eigenen Sars-Cov-2-Test her. Doch in den Zulassungsdokumenten führt die Firma neben dem eigenen Produkt „Easymag“ noch jene der Konkurrenten Roche und Qiagen auf. Diese Ausweichmöglichkeit fehlt bisher aber bei den FTD-Tests, die die Regierung kaufte. Das sei alternativlos gewesen, weil Anfang April kaum andere Tests als jene von FTD verfügbar gewesen seien, so das Argument der Regierung. Außerdem gilt das FTD-Produkt als besonders zuverlässig.

Jobanzeigen in Deutschland und der Schweiz

Die fehlenden Testsubstanzen sind allerdings nicht die einzige Hürde. Bis zu 300 Personen sollen nötig sein, um stichprobenartig ausgewählte Vertreter bestimmter Gesellschaftsgruppen auf das Virus zu testen, erklärte Ulf Nehrbass. Der Auftrag in Höhe von 39,5 Millionen Euro ging an das private Laborunternehmen „Laboratoires Réunis“. Die Logistik der 17 geplanten Drive-In-Testzentren soll das Unternehmen Ecolog übernehmen, ein Dienstleister für humanitäre und militärische Einsätze. Doch bei der Rekrutierung der nötigen Mitarbeiter hapert es offenbar.

„Das Personal ist einfach nicht da“, sagt Claude Wiseler. Der CSV-Politiker kritisierte im Parlament, dass Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) in seinen Augen auf viele Fragen der Oppositionspartei keine Antworten geben konnte. Fragen von REPORTER zum Stand der Rekrutierung ließ das „Luxembourg Institute of Health“, das bei der Umsetzung der Strategie federführend ist, bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Im Hintergrund läuft die Rekrutierung des nötigen Personals jedoch auf Hochtouren. Ecolog, eine Firma mit Sitz in Dubai, hat offenbar mehrere Subunternehmer beauftragt, entsprechende Mitarbeiter zu suchen. Die Würzburger Firma Contime sucht unter anderem über Facebook „Organisationspersonal“ für 17  Covid-Testzentren in Luxemburg. In einer Online-Anzeige wirbt der Personaldienstleister für Ordner für einen Einsatz von drei Monaten. Für kostenlose Unterkunft und Verpflegung sei gesorgt, ein „angemessenes Honorar“ werde gezahlt. Contime sucht ebenfalls Krankenpfleger und Laborpersonal.

Die Schweizer Firma „Artifex Personal“ veröffentlichte eine Anzeige, die ebenfalls die geplanten 17 Luxemburger Testzentren betrifft. Gesucht werden „Gesundheits- und Pflegepersonal, medizinische Fachangestellte, Medizinstudenten, Pflegefachassistenz und Laborpersonal“. Arbeitsbeginn sei der 19. Mai beziehungsweise der 1. Juni. Als Arbeitssprachen werden Deutsch sowie Französisch oder Englisch genannt.

Verhandlungen über Verträge laufen noch

Dabei war der Zeitplan von Beginn an kaum einzuhalten. Ecolog wirbt auf seiner Webseite damit, Testkapazitäten in einer Zeitspanne von zwei bis vier Wochen aufbauen zu können. Dabei geht es aber um 1.000 Tests pro Tag und nicht um 20.000, wie in Luxemburg geplant.

Die Regierung hat die Massentests erst am 24. April formell beschlossen, heißt es in der Antwort auf eine parlamentarische Frage der CSV-Abgeordneten Laurent Mosar und Gilles Roth. Damit blieben genau drei Wochen, um die Logistik bis kommenden Dienstag zu stemmen. Grundlage der Massentests ist ein Vertrag zwischen dem „Luxembourg Institute of Health“ sowie dem Forschungs- und dem Gesundheitsministerium.

Auf Nachfrage von REPORTER, wie diese logistische Herausforderung zu meistern sei, heißt es von Ecolog lakonisch: Man werde sich melden, sobald es etwas anzukündigen gebe. Contime schaltete die ersten Jobanzeigen am 30. April.

Von der Forschungsgruppe „Research Luxembourg“, welche die Massentests koordinieren soll, heißt es auf Nachfrage von REPORTER lediglich: Die Vertragsverhandlungen mit den Dienstleistern würden noch laufen. Deshalb könne man keine Angaben machen, welche Firma welchen Teil des Projekts übernehme und zu welchem Preis.

Er sei „sehr zuversichtlich“, dass die Massentests wie geplant beginnen, erklärte der Generaldirektor des „Luxembourg Institute of Health“ dem Radio 100,7. Allerdings würden gewisse „Restrisiken“ bestehen bleiben. „Von Politikerseite geht man mit diesen Restrisiken anders um“, begründet er die Divergenzen mit der Gesundheitsministerin.


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