Ein Jahr nach Kriegsbeginn leben noch 3.700 Geflüchtete aus der Ukraine in Luxemburg. Wegen der Situation auf dem Wohnungsmarkt sind viele in staatlichen Strukturen untergekommen. Betroffene sprechen von unwürdigen Zuständen und planlosen Behörden.

Das Großraumbüro ist gefüllt mit Objekten aus dem Krieg: Eine Sammlung von Soldaten-Patches aus verschiedenen Einheiten, Bilder, auf denen ukrainische Ritter russische „Orcs“ verjagen oder eine schusssichere Weste – mit Einschusslöchern. Auf einer Gruppe alter Ledersofas sitzen die Vizepräsidentin von „LUkraine asbl“, Inna Yaremenko, und die Verantwortliche des Vereins für Flüchtlingshilfe, Marianna Pogosova. Beiden ist die Müdigkeit anzusehen – andauernd klingeln Handys im Raum. 

Der Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine steht an und im „Centre sociétaire Jean-François Bloch“ in Rollingergrund geben sich Journalisten die Klinke in die Hand. Dort befinden sich neben der ukrainischen Bibliothek auch die Büros des 2014 gegründeten Interessenvereins von und für Ukrainer in Luxemburg. Seit rund zwölf Monaten setzt sich die Vereinigung nun auch für Landsleute ein, die ins Großherzogtum kommen, um vor dem russischen Bombenhagel und Terror in Sicherheit zu sein.

„Wir führen eigentlich zwei Kriege: Einen in der Ukraine und einen in Luxemburg“, meint Inna Yaremenko. Ihre Hauptsorge gilt momentan den Geflüchteten – zum Großteil Frauen und Kinder -, die vor einem Jahr in privaten Immobilien untergekommen sind und deren Verträge mit den Besitzern nun auslaufen. Den meisten von ihnen bleibt nur noch der Umzug in die Strukturen des staatlichen „Office National de l’Accueil“ (ONA). „Das heißt: Erst geht es ein paar Tage in die SHUK-Notunterkunft in Kirchberg, wo die Leute in Zelten hausen, und dann meistens ins Bâtiment T“, erzählt Marianna Pogosova. 

Private Unterkünfte werden rarer

Ihren Schätzungen zufolge sind bereits über 1.000 Menschen in dem ehemaligen Bürogebäude in Kirchberg untergebracht. Tendenz steigend. Den neuesten Zahlen aus dem Ministerium zufolge befanden sich Ende Dezember 1.146 ukrainische Geflüchtete in den Strukturen des ONA – und belegten damit ungefähr 20 Prozent aller verfügbaren Plätze. Das heißt auch: Von den 3.700 Geflüchteten, die sich im Land aufhalten, sind weit über die Hälfte noch in privaten Wohnungen untergebracht. Und da viele dieser Verträge mit den privaten Besitzern oder den Familien, bei denen sie leben, nun enden – sie waren nur auf ein Jahr begrenzt – werden immer mehr Betroffene in ONA-Strukturen umziehen müssen. Das bestätigen auf Nachfrage mehrere NGOs sowie das Rote Kreuz. Es dürfte also nicht mehr allzu lange dauern, bis die maximale Belegung von 1.500 Betten erreicht sein wird.

Das ist die Perspektive, welche die Verantwortlichen von LUkraine befürchten: „Die Zustände, die dort herrschen, sind bereits jetzt menschenunwürdig. Die Leute dürfen nicht selbst kochen und kein Essen mit in die Zimmer nehmen. Die Regeln sind enorm streng und die Security ist überall.“ Marianna Pogosova erzählt von Müttern mit Neugeborenen, die den gleichen Regeln unterworfen sind. Von dem schlechten Essen, das von außen geliefert wird und von dem manche bereits krank wurden. Und von Teenagern, die mit Depressionen ins Krankenhaus eingeliefert wurden. 

Inna Yaremenko (links) und Marianna Pogosova von LUkraine, werfen den Behörden vor, keinen Plan zu haben, wie das Wohnungsproblem für Geflüchtete angegangen werden soll.  (Foto: Mike Zenari)

„Diese Umstände machen die Menschen immer aggressiver – sie drehen durch“, meint Inna Yaremenko. Was sie noch mehr verärgert, ist, dass sich niemand wirklich verantwortlich fühlt. Zuständigkeiten würden zwischen dem Roten Kreuz, der Caritas und dem ONA dauernd hin und her geschoben. „Dabei funktionieren nicht einmal die Toiletten“, so Marianna Pogosova. 

Auf diese Kritik angesprochen, räumt das Rote Kreuz Unzulänglichkeiten ein: „Ja, die Logistik ist nicht ideal. Wir haben das ONA auch bereits darauf angesprochen. Im Bâtiment T gibt es interne Vorschriften, die in allen Strukturen des ONA gelten“, bestätigt Frédéric Noël im Gespräch mit Reporter.lu. Auch Fälle von Depressionen habe es gegeben. Der Mitarbeiter des Roten Kreuzes führt das aber auch auf die Traumata zurück, die diese Menschen im Kriegsgebiet und auf ihrer Flucht erlitten haben. 

Die Situation im Bâtiment T bestätigt gegenüber Reporter.lu auch ein Familienvater, der im Sommer mit Frau und Kindern aus der Ukraine flüchtete. Aus Angst vor Konsequenzen will der Betroffene anonym bleiben. „Die Probleme mit der von der ONA eingestellten privaten Sicherheitsfirma sind alltäglich. Die Regeln sind unverständlich und nicht an die Realitäten angepasst“, berichtet er. So dürften etwa Schulkinder nicht mit ihren Ranzen in den Speiseraum und müssten sie dann entweder unbeaufsichtigt liegen lassen oder sie nach dem Essen vom Zimmer holen. Das sei wiederum kompliziert, da die Essenszeiten von der Security sehr streng reglementiert sind, und ein unnötiger Stressfaktor für die bereits traumatisierten Kinder. 

Das ONA sieht keine Probleme

Auch das Essen von einer weiteren durch die ONA beauftragten Firma sei teilweise ungenießbar: „Wir hatten bereits Fisch, der stank, faule Tomaten und teilweise noch tiefgefrorenes Fleisch“, so der Vorwurf. Ebenfalls in der Kritik: die Hygienesituation. Nur eine Männertoilette und Dusche pro Stock seien viel zu wenig. Die Wassertemperatur sei auch nicht konstant, sodass Duschen teilweise unmöglich sei, wenn man gerade zu spät kommt. Probleme gibt es auch mit den Heizkörpern: „In den meisten Zimmern kann man die Temperatur nicht regulieren. Wir haben mit dem Roten Kreuz geredet, ein Techniker ist gekommen – der hat uns versichert, das Problem in ein paar Stunden zu lösen. Passiert ist seitdem nichts.“ 

Das ONA selbst will nichts von Problemen mit Toiletten oder Duschen wissen: „Dazu liegen uns keine Informationen vor“, so die Behörde in einer Stellungnahme gegenüber Reporter.lu. Die strengen Regeln, was das Essen in den Zimmern angeht, bestätigt das ONA. Es sei aus „hygienischen, sozialen und administrativen Gründen“ nicht möglich, in ONA-Strukturen in den Zimmern zu essen. Zu Fällen von Depressionen will sich die Behörde aus Datenschutzgründen nicht äußern und sieht sich auch außerstande, Details über die Finanzierung des Bâtiment T weiterzugeben. Das Budget setze sich aus „größeren Verträgen“ mit Partnern des ONA zusammen und könne deshalb nicht aufgeschlüsselt werden. 

Ausziehen oder Luxemburg verlassen ist nicht für alle eine Option. Eine, die den zweiten Weg gewählt hat, ist Alisa S. – über die Reporter.lu bereits im März 2022 berichtet hatte, als sie mit ihrer Tochter aus Kiew zu Freunden nach Luxemburg geflüchtet war.

Über 1.000 Ukrainer haben Luxemburg verlassen

Seit Ende vergangenen Sommers lebt Alisa S. in Berlin: „Ich habe es anfangs selbst nicht geglaubt: Aber die Miete hier in Berlin ist billiger als in Luxemburg, sogar billiger als auf dem Land“, sagt sie im Gespräch mit Reporter.lu. Alisa S. arbeitet nach wie vor für ein Start-Up in der Ukraine, wurde mittlerweile sogar befördert. Über ihren Freundeskreis bekam sie eine Wohnung in der deutschen Hauptstadt vermittelt. In Luxemburg sah sie keine Zukunft für sich und ihre Tochter: „Wir hätten auch in die Strukturen des ONA gemusst und das wollte ich weder meiner Tochter noch mir antun.“ Sie ist damit eine der mehr als 1.000 Ukrainerinnen und Ukrainer, die dem Großherzogtum inzwischen den Rücken gekehrt haben. Das geht aus den Zahlen hervor, die Außenminister Jean Asselborn (LSAP) auf einer Pressekonferenz am Dienstag präsentierte. 

Von Militär-Patches bis zu Bildern, die die Haltung der Ukrainer angesichts der russischen Invasion zeigen: Erinnerungen aus einem Jahr Krieg zieren die Wände der Büros von LUkraine. (Foto: Mike Zenari)

Die hohen Preise auf dem Wohnungsmarkt erschweren die Integration demnach zusehends. Das bezeugt auch Julien Doussot von der NGO „Slava Ukraini“ – die er vergangenes Jahr spontan mit ein paar Freunden ins Leben rief. Auch er kritisiert die Regierung scharf: „Man kann doch keine nationale Flüchtlingsstrategie nur auf Solidarität aufbauen“, meint er im Gespräch mit Reporter.lu

Olivier Dussout und die Verantwortlichen von LUkraine sind sich einig: Es wird von der Regierungsseite nichts unternommen, um das Wohnungsproblem von Geflüchteten zu lösen. Dabei gebe es durchaus Lösungsansätze. Dussout berichtet von provisorischen Wohneinheiten, die in Flandern aus dem Boden gestampft werden. LUkraine hat sogar ein konkretes Projekt vorgelegt, mit Wohncontainern, die in der Ukraine gebaut würden, nach Luxemburg gebracht und nach dem Krieg wieder zurück transportiert werden können – wo sie sicher gebraucht werden. 

Kein Dialog mit den NGOs

„Einige Gemeinden haben uns bereits Zusagen gegeben, um diese Container aufzustellen“, verrät Inna Yaremenko. Welche das sind, will sie aber noch nicht sagen. Das Problem liegt auch in der Kommunikation mit den NGOs: „Obwohl wir immer wieder nachfragen, hatten wir bis jetzt kein richtiges Meeting mit dem ONA“, erzählt Marianna Pogosova. Nur ein kurzer Online-Termin sei in dem einen Jahr Krieg drin gewesen, und auch der sei nicht besonders fruchtbar verlaufen. 

Die Erschließung des Arbeitsmarkts verläuft ebenfalls nicht ohne Hürden. Julien Doussot von „Slava Ukraini“ meint, dass viele Geflüchtete zwar gute Abschlüsse oder Ausbildungen hätten, es aber schwierig sei, die Sprachbarriere zu überwinden: „Auch wenn viele einigermaßen gut Englisch sprechen, so tun sie sich schwer mit der französischen Amtssprache.“ Das bestätigt auch die Arbeitsagentur ADEM gegenüber Reporter.lu. 

Mäßiger Erfolg auf dem Arbeitsmarkt

Bei ihrer Beurteilung über die Arbeit der ADEM mit den Geflüchteten aus der Ukraine sind sich die NGOs einig: Die Arbeitsämter hätten guten Willen gezeigt, ihre Hilfe sei aber nicht immer effizient gewesen. Die von der ADEM auf Nachfrage von Reporter.lu gelieferten Zahlen bestätigen die eher mäßigen Erfolge bei der Arbeitsvermittlung. So haben sich im vergangenen Jahr 1.571 Personen aus der Ukraine eingeschrieben und 661 waren am 1. Februar 2023 noch auf Arbeitssuche. Aber nur 321 konnten über die Agentur vermittelt werden. Die ADEM meint dazu: „Viele Dossiers wurden wieder geschlossen, weil die Menschen zurück in die Ukraine gegangen sind.“

Für die, die bleiben wollen, hatte Jean Asselborn auf seiner Pressekonferenz einen Hoffnungsschimmer parat: Der Ministerrat habe beschlossen, jenen ukrainischen Geflüchteten, die es schaffen, eine feste Arbeitsstelle und einen festen Wohnsitz zu bekommen, einen definitiven Aufenthaltstitel zu gewähren. 


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