Von der Subkultur zum Mainstream: Street Art ist ein Business geworden. Haben die Künstler ihre Werke vor Jahren noch auf Mauern, Züge oder Brücken gesprüht, stellen sie diese heute gerne in Galerien aus. Alleine davon leben können in Luxemburg aber nur wenige.

Früher war mehr Graffiti. Heute steht Sumo mit einer Tasse Tee in seiner Galerie in Luxemburg-Stadt. Er ist einer der bekanntesten Graffiti-Künstler Luxemburgs, sprüht seit den 1990er Jahren, dabei verdient er sein Geld mittlerweile in erster Linie mit Leinwandbildern.

Seine Galerie eröffnete er vor gut einem Jahr und stellt dort neben eigenen Bildern auch Werke von Künstlern aus, die die Anfänge des Graffiti miterlebt und mit geprägt haben. Heute verdient er mit dem Geld, was früher als „Schmiererei“ abgetan wurde. Das lohnt sich heute vor allem deshalb, weil sich der Markt in den vergangenen Jahren sehr gewandelt hat.

Graffiti und sogenanntes Street Art haben den Weg von der Straße in die Galerien und Museen gefunden. Die Kunstrichtung ist mainstream geworden, vielleicht auch ein bisschen erwachsen – und sie verkauft sich gut.

Die Kunden: Jung, hip, machen Karriere

Als im November Street-Art-Künstler Alain Welter in der Valerius Art Gallery in Luxemburg-Stadt ausstellte, kamen junge Kunstbegeisterte in Scharen zur Vernissage. Sie tummelten sich in den Ausstellungsräumen und vor der Eingangstür. Statt einer Vernissage hätte es auch als entspanntes After-Work-Event durchgehen können. Die Gäste waren jung, hip und viele von ihnen kamen im Einheitslook: Mütze oder Cap, Sneaker und Sportsocken, Rucksack und eine Brille, die sicherlich auch Oma und Opa in den 1970er Jahren gut gefallen hätte.

„Meine Kern-Kundschaft ist zwischen 30 und Ende 40“, sagt auch Sumo. „Es sind oft Leute, die entweder schon Karriere gemacht haben oder gerade dabei sind.“ Es seien aber vor allem Kunden, die mit Graffiti großgeworden sind und sich mit der Popkultur der 80er und 90er Jahre identifizieren.

„Ein Auftrag ist eben nur ein Job“

Ein Bild von Sumo im Format 1 x 1 Meter kostet etwa 6.500 Euro. Je nach Größe variiert der Preis. „Es gibt aber auch kleinere Werke ab 200 Euro – es soll für jeden etwas dabei sein“, so der Künstler. Organisiert er eine Ausstellung, werden die meisten Bilder verkauft. „Die, die übrig bleiben, verkaufe ich dann meistens kurze Zeit später hier in der Galerie.“

Eigentlich ist es absurd, dass gerade Street Art und Graffiti Einzug in die Galerien gehalten haben. Die Kunstrichtung war rebellisch und eine Subkultur, es wurde oft im Geheimen und illegal gesprüht. Heute zieht sie aber eben auch ein neues Publikum in die Galerien und Museen und macht Kunst allgemein für eine neue Kundschaft zugänglich.

Früher hat Sumo eher zur Sprühdose gegriffen, heute öfter zum Pinsel. Sein Stil ist dabei aber immer der gleiche geblieben. (Foto: Martine Pinnel)

2012 entschied Sumo sich dazu, sich mit seiner Kunst selbstständig zu machen. Obwohl die Anfänge schwierig waren, kann er heute gut von seiner Kunst leben. Er sagt aber auch: „Wenn ich heute Graffiti male, dann immer noch aus Spaß. Ein Auftrag, der reinkommt, ist etwas anderes – eben nur ein Job.“

Kunst? Ja. Risiko? Nein

Doch nicht alle haben so viel Glück – und nicht alle wollen das Risiko der Selbstständigkeit eingehen. Street Art ist momentan beliebt – der Trend kann aber auch wieder ein schnelles Ende finden. Hinzu kommt, dass ein Künstler oft draufzahlen muss, um überhaupt gesehen zu werden. Galerien oder auch Gemeinden, die Ausstellungen organisieren, verlangen entweder ein Startgeld oder eine Provision – und die kann bei 20 bis 30 Prozent pro Bild liegen.

Um von seiner und für seine Kunst leben zu können, bietet der Künstler Jo Malano in der Gemeinde Düdelingen Kurse für „Art à l’école“ und „Art à la maison relais“ an. Hinzu kommen Auftragsarbeiten. „Nur von der Malerei oder dem Sprayen zu leben, wäre natürlich ein Ziel. Das ist aber nicht machbar“, sagt er. Bis vor gut einem Jahr arbeitete der 24-Jährige in einer Kindertagesstätte, konnte daraufhin die Kunstkurse in Düdelingen übernehmen und mehr Zeit in seine eigenen Projekte stecken.

Auch andere arbeiten Voll- oder Teilzeit, um sich ihre Kunst, das Material und die Ausstellungen leisten zu können. Sich künstlerisch ausleben wollen viele. Auf eine finanzielle Absicherung verzichten jedoch nicht.

Street Art quer durchs Land verteilt

„Es gibt aber ein paar Künstler, die sagen, dass ihnen das egal ist“, sagt Raphael Gindt. Er selbst ist einer davon. Mit 16 als Sprayer angefangen, hat er sich mit 19 selbstständig gemacht. Heute führt er, gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Daniel Lloyd, die Galerie „Kamellebuttek“ in Esch-Alzette. Ein großer Vorteil: Das Haus gehörte früher seiner Oma.

Ähnlich wie in der 1:1 Galerie von Künstler Sumo, sollen auch hier Künstler, die für Graffiti oder Street Art stehen, eine Plattform bekommen. Für jedes verkaufte Werk, geht ein Anteil Provision an den „Kamellebuttek“.

Auch Raphael Gindt ist mittlerweile ein anerkannter Künstler in Luxemburg. Seine Werke sind quer durchs Land verteilt. In der Rue du Saint-Esprit in Luxemburg-Stadt hat er einer Mauer direkt neben dem City Museum einen neuen Look verliehen. Er hat das Gesicht von Radfahrer Ben Gastauer auf der Fassade einer Galerie der Gemeinde Schifflingen verewigt. Und auch für die Privatschule „Fieldgen“ hat Raphael Gindt zwei sogenannte Murals im Rahmen des „Festival des Droits de l’Homme“ gesprüht.

Seit ein paar Tagen sind die beiden Menschenrechtler Nasu Abdulaziz und Yasaman Aryani auf der Fassade der „Ecole Privée Fieldgen“ zu sehen. Gesprayt wurden sie von Raphael Gindt. (Screenshot: Facebook/Ecole Privée Fieldgen)

„Graffiti ist immer noch Graffiti“

Momentan haben die beiden Geschäftspartner den Luxus, dass mehr Aufträge reinkommen, als sie übernehmen können. Auf Ausstellungen in Galerien sind die beiden demnach momentan auch nicht angewiesen. Sie können ihr eigenes Ding machen. Die Bilder, die sie in ihrer Galerie ausstellen, fangen preislich bei etwa 500 Euro an. Die über 3.000 Euro würden schwerer verkauft werden.

Obwohl Raphael Gindt, wie viele in der Szene, sein Hobby zum Beruf gemacht hat, wollte er sich mit dem Kamellebuttek auch für später absichern. „Momentan gibt es einen Hype für Urban und Street Art. Falls sich die Trendwelle aber wieder legt, haben wir einen Plan B und wollen als Galeristen arbeiten.“

Street Art in der Rue du Saint-Esprit in der Hauptstadt. (Screenshot: Instagram)

Sowohl die Künstler als auch die Galerien profitieren demnach vom aktuellen Trend des Street Art. Jeder will Teil der Szene sein und jeder versucht sich so gut wie möglich innerhalb dieser Szene zu profilieren und zu vermarkten. Die Nachfrage ist – zumindest momentan – groß.

„Es sind im Laufe der Zeit viele auf den Zug mit aufgesprungen“, sagt Sumo. Durch den Hype sei aber auch teilweise der Sinn der Sache verloren gegangen: „Früher stand die Kunst noch für sich alleine, nicht für einen Künstler. Man wollte sich mit seinen Graffitis von anderen abheben.“

Das sei heute, da aus der Kunstrichtung ein Business entstanden ist, anders. Die Aufmerksamkeit der Kunstszene sei größer, aber auch die Konkurrenz. „Am Ende ist Graffiti aber immer noch Graffiti. Nur das Drumherum hat sich geändert“, so Sumo.


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