Während der Pandemie stand die Gastronomie besonders unter Druck. Nach einer kurzen Atempause folgt nun die nächste Krise. Die Preise explodieren und die Kundschaft wandelt sich. Nicht alle Restaurants dürften diesen Winter überstehen.
Eigentlich kann François Koepp die Frage nicht mehr hören und gestresst ist er auch. Die „Expogast“ steht kurz bevor und der Generalsekretär des Branchenverbands „Horesca“ steckt mit beiden Beinen in der Planung. Dennoch bemüht er sich um eine Antwort auf die Frage, wie der Gastronomiesektor mit den aufeinanderfolgenden Krisen umgeht. „Nach der Pandemie sagten einige: Jetzt kommen die Wilden Zwanziger, jetzt geht es richtig los“, sagt François Koepp. Doch der erhoffte große Ansturm auf die Restaurants war nicht von langer Dauer. „Es war nur ein Strohfeuer. Dann kam bekanntlich der Krieg und die Inflation. Die Gastronomie ist von einer Krise in die nächste geschlittert“, so François Koepp.
Zudem habe die Pandemie eine Situation verschärft, die bereits zuvor ein Problem in der Gastronomie darstellte: den Personalmangel. „Sie kennen die Zahlen, ich kenne die Zahlen. In der Gastronomie fehlen rund 4.000 Arbeitskräfte und der Konkurrenzkampf um neues Personal wird immer härter. Das ist ein Problem, dass es so auch in anderen Ländern gibt“, betont François Koepp.
Noch keine Pleitewelle
Dabei geht es der Gastronomie auf den ersten Blick nicht schlechter als noch vor der Pandemie. Viele Restaurants sind gut besucht. Neben diesem subjektiven Eindruck liefern auch die offiziellen Statistiken bisher keine Anzeichen für ein Krisenszenario. Beispiel Insolvenzen. Generell sei bisher kein signifikanter Anstieg bei den Unternehmenspleiten zu erkennen, so die Statistikbehörde „Statec“ in einer Mitteilung Ende Oktober.
Für das Gastgewerbe insgesamt sind die Zahlen sogar noch positiver. Während 2019 noch 138 Insolvenzen von den Gerichten ausgesprochen wurden, hat sich dieser Wert 2021 halbiert, auf nunmehr 69. Auch für die ersten neun Monate dieses Jahres sind die Zahlen bisher niedriger als der langjährige Trend. Bei lediglich 67 Firmen aus der Branche wurde dieses Jahr ein Insolvenzverfahren eingeleitet.
Früher war unser Publikum gemischter. Ich glaube, junge Menschen stehen finanziell heute mehr unter Druck, mit steigenden Zinsen und der Inflation generell.“Carole Derichs, Restaurantbetreiberin
Ist demnach alles nur halb so wild? Oder steht die richtige Krise, wegen steigender Preise und eines ungewissen wirtschaftlichen Ausblicks noch aus? Und vor allem: Was sagen die Gastronomen selbst zur aktuellen Situation ihres Gewerbes?
Bereits während der Pandemie hatte Reporter.lu einige Restaurantbesitzer durch die Krise begleitet. Damals zeichneten sie ein Bild voller Ungewissheit und Zukunftsangst. In den Gesprächen im ersten und zweiten Lockdown überwog bei ihnen der Frust über die staatlich verordneten Schließungen und die Scham, zum Bittsteller zu werden. Aber es gab auch die Zuversicht auf die Zeit danach. Heute ist die Pandemie fast schon zur Erinnerung geworden. An ihre Stelle sind mittlerweile neue Herausforderungen getreten.
Speiseöl im Büro, Mehl in der Garage
Carole und Christian Derichs erwischte die Pandemie besonders hart. Das Ehepaar war gerade dabei, ein neues Restaurant zu eröffnen, als mit dem Lockdown plötzlich alles stillstand. Zwei Jahre danach überwiegt bei den Betreibern des „Am Kraeltgen“ in Aspelt dennoch die Zuversicht. „Die staatlichen Hilfen haben uns enorm geholfen, das muss man wirklich sagen. Wir stottern zwar noch immer die Schulden ab, aber wir konnten unser ganzes Personal behalten“, erklärt Christian Derichs.
Bei den Buchungen sei derzeit auch noch kein Rückgang zu erkennen, so Carole Derichs. Allerdings gebe es bei ihnen klare Unterschiede in der Altersverteilung der Gäste. „Die Jungen bleiben weg, das merken wir. Früher war unser Publikum gemischter. Ich glaube, junge Menschen stehen finanziell heute mehr unter Druck, mit steigenden Zinsen und der Inflation generell“, sagt Carole Derichs.

Die Inflation betrifft aber nicht nur die Kunden. Denn das Unternehmerpaar spürt sie auch im täglichen Geschäft. „Die Situation ist verrückt. Die Preise sind unberechenbar geworden. Vor allem bei Grundprodukten wie Mehl oder Zucker hatten wir noch nie eine solche Entwicklung,“ erklärt Carole Derichs. Um der Situation zu trotzen, hat der Betrieb angefangen, so gut es geht zu planen. Dazu gehört auch, dass die Unternehmer Grundprodukte auf Vorrat kaufen, um Preissprünge auszugleichen. Die Garage ist deswegen bereits zu einer Lagerstätte für Mehl geworden und im Büro wurde ein Vorrat an Speiseöl angelegt.
Es ist eine Situation, die auch Auswirkungen auf die Preisgestaltung hat. „Es ist quasi unmöglich geworden, die Preise weit im Vorfeld festzulegen“, erklärt Christian Derichs. „Für Silvester sind wir bereits ausgebucht, aber wenn die Kunden uns nach dem Menü oder den Preisen fragen, müssen wir sie vertrösten. Jetzt bereits einen Preis festzulegen, das ist derzeit einfach unmöglich.“
Personal entwickelt andere Ansprüche
Einen ähnlichen Blick auf die Lage hat auch Tom Brosius rund 17 Kilometer nördlich. Der junge Koch betreibt gemeinsam mit seiner Frau Stéphanie Trauden-Brosius die „Hostellerie Stafelter“ in Walferdingen. Auch ihm bereiten die Preisentwicklungen Sorgen: „Die Großhandelspreise drücken stark auf die Marge. Ich glaube, darunter leiden besonders Betriebe, die versuchen, ein handwerklich und qualitativ ausgezeichnetes Produkt anzubieten. Das wird immer schwieriger und alle haben Angst davor, die Preise anzuheben.“
Der Preisdruck ist einfach zu stark. Wer schon während der Pandemie Probleme hatte, wird es jetzt nicht schaffen.“
Rémy Manso, Unternehmer
Während sein Betrieb vergleichsweise gut und ohne Verluste durch die Pandemie kam, sieht Tom Brosius dennoch eine wesentliche Veränderung nach zwei Jahren Krise. Diese sei vor allem beim Personal sichtbar. Viele hätten der Gastronomie den Rücken gekehrt, so der Koch, auch weil sie während der Schließungen nicht zu Hause herumsitzen wollten. Sie hätten sich mittlerweile umorientiert.
Auch wenn er sein Personal halten konnte, hätten sich mit der Pandemie dennoch die Ansprüche an das Arbeitsumfeld im Gastgewerbe geändert: „Die Mitarbeiter wünschen sich mehr Flexibilität und viele sind nicht mehr bereit, Leerstunden zwischen den Schichten in ihren Arbeitszeiten zu akzeptieren. Da muss man sich als Unternehmer anpassen.“
Unberechenbare Preisentwicklung
Fragt man Rémy Manso nach der Lage in der Gastronomie, fällt das gleiche Wort wie in Aspelt: „unberechenbar“. Der Gastrounternehmer betreibt elf Restaurants in der Hauptstadt, seine „Manso Group“ beschäftigt rund 350 Mitarbeiter. Die Gruppe besitzt mehrere Restaurants in Kirchberg, darunter unter anderem das „El Barrio“ und das „Piri Piri“. Während der Pandemie bekam die Gruppe durch diese zentrale Lage die Auswirkungen des Lockdowns und der Homeoffice-Regelungen besonders deutlich zu spüren.
Auch rund zwei Jahre später sei das Geschäft nicht so wie vorher. „Es ist fast unmöglich zu planen. Die Gästezahlen schwanken sehr stark. An einem Tag hat man lediglich 40 Gäste, nur um tags darauf 120 Reservierungen zu haben. Das war vor der Krise viel konstanter“, sagt Rémy Manso.

Hinzu kämen, wieder einmal, die horrenden Preissteigerungen im Großhandel. „Jeder redet von ein paar Prozent Inflation, aber in der Gastronomie sind die Preissprünge viel extremer. Wir sprechen hier bei verschiedenen Warengruppen von Steigerungen von 30 bis 40 Prozent und oft ändern sich die Preise von einem Tag auf den anderen“, so der Unternehmer.
Die Manso-Gruppe habe deshalb eine weitere Person eingestellt, die sich ausschließlich um die Preisentwicklung kümmert und die Einkäufe dementsprechend plant. Ein Schritt, der laut Rémy Manso bereits deutlich in den Bilanzen zu erkennen sei: „Wir haben festgestellt, dass die Fluktuationen fast zehn Prozent vom monatlichen Umsatz in Höhe von zwei Millionen Euro ausmachen. Diese auszugleichen und sich anzupassen ist essenziell.“
„Dieser Winter wird entscheidend“
Während seine Unternehmensgruppe weiter auf Expansion setzen kann, sieht Rémy Manso für kleinere Restaurants mit weniger stabilen Bilanzen schwarz. „Ich schätze, dass etwa 25 Prozent der Restaurants kurzfristig Probleme bekommen werden. Der Preisdruck ist einfach zu stark. Wer schon während der Pandemie Probleme hatte, wird es jetzt nicht schaffen“, sagt der Unternehmer.
Hinzu kommt, dass auch die Kunden selbst unter stärkerem finanziellen Druck stehen als noch vor der Krise. Jüngste Zahlen aus einer „Ilres“-Umfrage zeigen, dass von jenen Haushalten, die sich finanziell einschränken müssen, immerhin 65 Prozent bei Restaurantbesuchen sparen wollen.
„Die Gastronomiebetriebe sind sehr unterschiedlich durch die Krise gekommen“, bestätigt auch François Koepp. „Einige haben sich angepasst, aber wiederum andere waren schon vor der Pandemie in einer schwierigen Lage. Und für diese Betriebe könnte die jetzige Situation einfach zu viel werden“, so der Horesca-Generalsekretär. Carole Derichs vom Restaurant „Am Kraeltgen“ drückt es direkter aus: „Wer schon vor der Pandemie knapp gewirtschaftet hat, der wird es jetzt schwer haben. Einige Betriebe sind bestimmt auf Sicht gefahren. Für sie wird dieser Winter entscheidend.“


