Die Gastronomie ist eine der Branchen, die von der andauernden Pandemie am härtesten getroffen sind. Viele Unternehmer sehen für die Zukunft schwarz. Zugleich zeigen sich einige Akteure innovativ und anpassungsfähig. Neue Konzepte entstehen, Entwicklungen werden beschleunigt.
Lockdown, im Frühjahr 2020: Wieder einmal gab es gelieferte Pizza und wieder einmal fragten sich Louis, Maurice, Tom und Francesco, warum sie zu Hause nie so gut schmeckt wie im Restaurant. Und ob das denn so sein muss, dass die Qualität einer Pizza zwangsläufig nachlässt, sobald zwischen Zubereitung und Verzehr eine Fahrt liegt.
Nach stundenlangem Austausch, Marktanalysen sowie fachkundiger Beratung von dem aus einer Pizzaiolo-Familie stammenden Francesco, kommen die vier Unternehmer zu dem Entschluss: Wir optimieren das Geschäft mithilfe einer der ersten Geisterküchen in Luxemburg.
Das heißt: Kein Restaurantbetrieb, kein Service, dafür ein speziell für den Lieferservice entwickeltes, hochwertiges Produkt für den Esstisch zu Hause. Wenn nicht jetzt, dann nie, sagen sich die vier Unternehmer. Und die „Cloud Factory“ war geboren. Am 28. Dezember verkaufen sie ihre erste neapolitanische Pizza, gleich am ersten Abend verzeichnen sie „Sold out“. Das kleine Unternehmen erlebt einen fulminanten Start, in einer Branche, die wie kaum eine andere von der sanitären Krise gebeutelt ist.
„Take away“ erlebt einen Boom
Die Demonstration „Horesca united“ am vergangenen Donnerstag auf der Place d’armes machte die weit verbreitete Verzweiflung der Gastronomiebranche wieder einmal deutlich. „Vergesst uns nicht“ war die eindeutige Botschaft an die Politik. Ungewisse Zukunftsaussichten, ein Gefühl der Benachteiligung gegenüber anderen Branchen, wie etwa dem Einzelhandel, sitzt bei vielen Betroffenen, wie Restaurant- und Hotelbetreibern, Köchen, Kellnern und Eventmanagern, tief.
Der Existenzangst und den harten Schicksalsschlägen vieler stehen die kreativen Ideen, Improvisationen und Experimente anderer gegenüber. Manche Strukturen eignen sich leichter als andere dazu, sich der neuen Krisensituation anzupassen. Neugründungen wie die „Cloud Factory“ bleiben zwar die Ausnahme. Doch viele Restaurantbesitzer haben rasch reagiert, um neue Einkommensquellen zu erschließen.
Wir mussten einfach weiterarbeiten, schon alleine um morgens aus dem Bett zu kommen. Um eine Daseinsberechtigung zu haben.“Aline Bourscheid, Hotel- und Restaurantbetreiberin
So auch Clovis Degrave und Aline Bourscheid, die Betreiber der „Hostellerie du Grünewald“. „Wir haben nicht gezögert und sofort auf Take-Away umgestellt“, erzählt Clovis Degrave, der junge Chefkoch im Interview mit Reporter.lu. Das Paar wirkt weder krisengebeutelt, noch erschöpft. „Es gibt immer eine Lösung“, sagen sie selbstbewusst. Etwa 150 Menüs verkaufen sie mittlerweile an einem Wochenende, an Weihnachten war es sogar gut das Vierfache.
Alle packen mit an, die 22 Angestellten, die die Betreiber des Hotel-Restaurants in Luxemburg-Eich beschäftigen, aber auch Familie und Freunde. „Das letzte Jahr hat unser Team weiter zusammengeschweißt“, sagt Aline Bourscheid. „Es motiviert jeden Einzelnen, wenn wir es gemeinsam schaffen, ohne nennenswerte Verluste durch die Krise zu kommen.“
Umsatzsteigerung trotz Krise
„Wir konnten unseren Umsatz 2020 im Vergleich zu 2019 im Restaurantbereich sogar noch etwas steigern“, so Aline Bourscheid weiter. Dadurch konnten die unvermeidbaren Einbußen im Hotelgewerbe zumindest abgefedert werden. Seit auch Hotels wieder geöffnet haben dürfen, hat die Hostellerie du Grunewald auch hier ihr Konzept angepasst: „Eat and sleep“, eine Art Halbpension, bei der der Kellner sowohl Frühstück als auch Abendmenü im Zimmer serviert.
Trotz Ausgangssperren und Personenbeschränkungen macht die Hostellerie ihren Kunden somit kleine Ausbrüche aus dem Alltag möglich. „Und unsere Kellner arbeiten härter als zuvor“, sagt die Geschäftsführerin Aline Bourscheid.

„Wir mussten einfach weiterarbeiten, schon alleine um morgens aus dem Bett zu kommen. Um eine Daseinsberechtigung zu haben“, sagt die studierte Kommunikationswissenschaftlerin. Den beiden scheint es leicht zu fallen, zu relativieren. Die Krise empfinden sie nicht als existenzbedrohend, sondern eher als eine Herausforderung. Mit ihrer Flexibilität im Umsetzen neuer Konzepte, wollen sie sich und ihren Betrieb für die Zeit nach der Krise rüsten.
Aline Bourscheid und Clovis Degrave sprechen von einer „Luxuskrise“ und können die Revolten im Sektor nicht immer nachvollziehen. „Natürlich gibt es Cafés und Bistrots, denen es viel schwerer fällt, alternative Konzepte zu entwickeln und zu realisieren“, sagt Clovis Degrave. „Doch es gibt großzügige staatliche Hilfen und wenn man seinen Porsche gegen einen Peugeot umtauschen muss, dann ist das noch lange kein Weltuntergang.“
Verband bietet Unterstützung
In den Ohren mancher, mit Kündigungen oder gar Schließungen konfrontierter Gastronomen mögen solche Äußerungen wie blanker Hohn klingen. Doch auch dem Generalsekretär des landesweiten Verbandes der „Fédération Nationale des Hôteliers, Restaurateurs et Cafetiers du Grand-Duché de Luxembourg“ (Horesca) ist im Gespräch mit Reporter.lu anzumerken, dass er viele Beschwerden für unangebracht hält.
„Es gibt gute staatliche Hilfen, die jetzt durch das Aufkommen für die Fixkosten von Seiten des Staates für besonders gebeutelte Unternehmen noch ausgebaut werden“, sagt François Koepp. Er warnt vor übertriebener Panikmache und Untergangsstimmung. „Es sind doch immer dieselben 50 Leute, die auf die Straße gehen und meckern“, sagt er und erzählt von vielen Mitgliedern, denen es gelungen ist, sich anzupassen, Überbrückungsmodelle zu entwickeln und so den Schaden zumindest so gering wie möglich zu halten.
Wir arbeiten heute mehr Stunden für weniger Geld. Aber wir sind noch da, unser Atem ist lang genug.“Michèle Goethals, Foodtruck-Betreiberin
„Zwar kann auch die beste Hilfe kein gut laufendes Geschäft vollständig ersetzen“, so François Koepp. „Doch die meisten unserer Mitglieder werden die Krise meistern“, sagt der Generalsekretär der Horesca.
Den Vorwurf, dass die Prozeduren für staatliche Hilfsgelder zu kompliziert und zu langwierig seien, lässt er nicht gelten. „Jeder hat die Pflicht, sich zumindest zu informieren“, sagt François Koepp. Gleichzeitig weist er auf die vielen Unterstützungsmöglichkeiten hin, die der Verband gemeinsam mit der Handelskammer zur Verfügung stellt, sollte es Probleme beim Ausfüllen der Anträge geben. Er wünscht sich weniger Frust und ein konstruktives Nachdenken über die Zukunft. Eine Krise könne schließlich auch eine Chance sein.
„Aus der Vogelperspektive“
So sieht es auch Michèle Goethals. „Letztes Jahr im März bin ich kurz in eine Schockstarre verfallen“, erzählt die junge Luxemburgerin, während sie nach einer gut verlaufenen Mittagsschicht die Arbeitsplatten ihres Foodtrucks putzt. Doch dann habe sie sich plötzlich ganz frei gefühlt, abgehoben, losgelöst von der Routine. „Ich sah mein kleines Unternehmen plötzlich aus der Vogelperspektive, begann, es zu analysieren und Zukunftspläne zu überdenken.“

Eigentlich wollte die studierte Hotelmanagerin ein Café eröffnen und ihren „T-Wraps“-Foodtruck nur noch bei größeren Events nutzen. Doch mit der Coronavirus-Pandemie fielen sämtliche Veranstaltungen, wie Musikfestivals oder Gemeindefeste, ins Wasser. Wie viele andere auch, verlor Michèle Goethals von heute auf morgen eine wichtige Einnahmequelle. Und die Zukunft von Cafés war vorerst nicht mehr abzusehen.
„Natürlich hat uns das erst einmal ausgebremst“, erzählt die 27-Jährige im Gespräch mit Reporter.lu. Doch innerhalb weniger Wochen hat sie ihre Standorte mit dem Foodtruck verdoppelt und verkauft nun eben mittags und abends ihre Wraps. Die Stammkunden nehmen zu, die Einnahmen decken die Ausgaben. „Wir arbeiten heute mehr Stunden für weniger Geld“, gibt sie zu. „Aber wir sind noch da, unser Atem ist lang genug.“
Ob Cloud Factory, Hostellerie du Grünewald oder der Foodtruck von Michèle Goethals: Es gibt sie durchaus, die Gastronomie-Unternehmen, die sich in der Krise neue Wege suchen. Und die erwähnten Geschäftsleute sind nicht allein. Natürlich hat die Pandemie die ganze Branche hart getroffen. Doch trotz allem hat die Gastronomie eine Zukunft. Gegessen wird schließlich immer. Nur vielleicht etwas anders.