Die Präsenz der politischen Parteien in den audiovisuellen Medien soll künftig stärker von unabhängiger Stelle überwacht werden. Dies ist Teil einer Wahlgesetzreform, der bisher wenig Beachtung fand – und der nicht ganz durchdacht scheint.
Die kommenden Wahlen sind noch lange hin. Doch formal haben die Vorbereitungen für das Superwahljahr 2023 bereits begonnen. Durch eine Gesetzesänderung soll nämlich die „Autorité luxembourgeoise indépendante de l’audiovisuel“ (ALIA) künftig die audiovisuellen Medien während des Wahlkampfs stärker überwachen. Die unabhängige Behörde soll die Redezeit der Parteien in den Medien kontrollieren und so für eine ausgewogene Berichterstattung sorgen. Im Wahlkampf soll somit eine Chancengleichheit für alle Parteien hergestellt werden.
Diese neue Aufgabe für die ALIA kam unerwartet. Eigentlich sollte das Parlament nur über das Wahlrecht für Nicht-Luxemburger bei den Kommunalwahlen beraten. Der entsprechende Gesetzentwurf liegt seit September dem zuständigen parlamentarischen Ausschuss vor. Doch bevor die Abgeordneten mit der Arbeit am Text begannen, reichte das Medienministerium bereits Änderungsanträge ein. Diese haben jedoch kaum etwas mit dem ursprünglichen Ziel der Reform zu tun.
Aus einer Wahlrechtsreform wurde somit ein ganzes Reformpaket, das auch den medialen Wahlkampf umfassen soll. Jedoch bleibt die neue Mission der ALIA begrenzt. „Unser Hauptanliegen ist es, unsere Kompetenzen klarer zu definieren und eine gesetzliche Basis für unsere Arbeit zu schaffen“, sagt Thierry Hoscheit im Gespräch mit Reporter.lu. In beiden Punkten gebe es Nachholbedarf, kritisiert der Vorsitzende der Behörde.
Vom Pilotprojekt zum Gesetz
Der neue Text soll eigentlich diese gesetzliche Basis schaffen. Bereits für den Wahlkampf zu den Europawahlen 2019 übernahm die ALIA die Rolle der Medienaufsicht. Sie verteilte die Sendezeit für die Wahlwerbespots der Parteien beim TV- und Radiosender „RTL“ sowie bei „Radio 100,7“. Zudem sollte sie die Zeit der medialen Auftritte der Parteien unabhängig von den eigenen Werbespots messen. Demnach fielen auch Debatten oder andere Sendeformate unter die Zuständigkeit der ALIA.
Eine gesetzliche Basis gab es dafür aber nicht. „Das war damals ein Gentleman’s Agreement, diese Aufgabe an uns weiterzugeben. Dadurch hatten wir jedoch auch keinen festgelegten Rahmen für die Ausführung unserer Mission“, so Thierry Hoscheit. Zuvor hatte der vom Staatsministerium abhängige „Service Information et Presse“ (SIP) diese Aufgabe erfüllt.
Allein die Überwachung der Redezeit von politischen Kandidaten in den Medien mit öffentlichem Auftrag ist nicht ausreichend.“Stellungnahme der ALIA
Wie wichtig diese Rolle ist, zeigte sich im letzten Wahlkampf. Zwei Wahlwerbespots von zwei Parteien in französischer Sprache wurden von „RTL“ abgelehnt, da der Sender befürchtete, sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, die Parteien unterschiedlich zu behandeln. Die ALIA musste schnell reagieren. Da sie jedoch für alle Entscheidungen einen Konsens zwischen den Parteien und den Medienvertretern finden muss, konnte ein schnelles Handeln nur bedingt sichergestellt werden. Innerhalb eines Tages gelang es der Behörde dennoch, die verschiedenen Meinungen einzuholen und den Radiosender zu überzeugen, die Wahlwerbespots doch auszustrahlen.
Die Grenzen der Ausgewogenheit
Diese Episode veranschaulicht jedoch die Grenzen der Befugnisse der ALIA. Sie hätte bevorzugt, selbst die Regeln festlegen zu können und Entscheidungen zu treffen, so der Vorsitzende der Behörde. Diese Notwendigkeit „könnte zu Blockaden oder bestenfalls zu einer Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner führen“, schrieb die ALIA auch in ihrer 15-seitigen Stellungnahme zum Gesetzesprojekt.
Doch auch in anderen Bereichen sind der Behörde die Hände gebunden. Bereits 2019 beschränkte sich ihre Rolle nur auf die Aktivitäten von jenen Medien mit einem öffentlichen Auftrag, sprich „RTL“ und „Radio 100,7“. In ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf kritisiert die ALIA nun, dass der Vorschlag der Regierung nicht weitreichend genug sei.
„Allein die Überwachung der Redezeit von politischen Kandidaten in den Medien mit öffentlichem Auftrag ist nicht ausreichend. Das ist nicht aussagekräftig, um zu beurteilen, ob eine ausgewogene Präsenz der politischen Parteien gewährleistet werden konnte“, schreibt die ALIA in ihrer Stellungnahme. Sie fordert, auch lokale Radio- und Fernsehsender mit einzubeziehen. Gerade bei solchen sei das Risiko groß, dass vor allem lokale Politikgrößen zu Wort kommen würden, so die unabhängige Behörde. Dies sei besonders eine Gefahr für den Kommunalwahlkampf, meint Thierry Hoscheit.
Unser Hauptanliegen ist es, unsere Kompetenzen klarer zu definieren und eine gesetzliche Basis für unsere Arbeit zu schaffen.“
Thierry Hoscheit, Präsident der ALIA
Doch damit nicht genug: Die ALIA will auch über die Möglichkeit einer Regulierung der Berichterstattung außerhalb des Wahlkampfs diskutieren. Ein ausgewogenes Vorkommen aller Parteien in der allgemeinen Berichterstattung ist zurzeit aber nicht vorgesehen. Im Lastenheft von „Radio 100,7“ ist lediglich festgehalten, dass der öffentlich-rechtliche Radiosender „den Pluralismus bei der Vorstellung der Aktualität und der Ideen“ gewährleisten muss. In ihrer Stellungnahme wirft die ALIA die Frage auf, ob dies nicht auch sonst gewährleistet werden sollte.
„Es geht uns darum, eine Diskussion anzustoßen. Das gleiche Problem stellt sich auch für eine Referendumskampagne“, so Thierry Hoscheit. Doch wie soll diese ausgewogene Berichterstattung aussehen? Ein Konzept liege nicht vor. Dabei würden sich mehrere Fragen stellen. Während der Wahlkampagne ist es etwa üblich, dass alle Parteien gleich viel Sendezeit erhalten. Außerhalb des Wahlkampfs wäre es jedoch nur schwer vorstellbar, einer Kleinstpartei wie „Déi Konservativ“ genau so viel Sendezeit einzuräumen wie der CSV als größter Partei des Landes.
Zahnloser Tiger mit mehr Kompetenzen
Vor allem geht es der ALIA aber darum, dass die bereits geplante Kompetenzerweiterung den Bedürfnissen der Kontrollinstanz angepasst wird. Dafür müssten der Behörde nämlich mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. In ihrer Stellungnahme kritisiert die ALIA, dass der aktuelle Text ihre Rolle als eine „reine Verwaltungsaufgabe“ definiere. So könne die Behörde ihrer Kontrollfunktion aber nicht gerecht werden. Im Gesetzentwurf ist etwa vorgesehen, dass die Regeln für die Wahlkampagne zusammen mit den Parteien ausgearbeitet werden müssen. Auch hier fehlt der ALIA eine wahre Entscheidungsgewalt.
Die ALIA bliebe somit ein zahnloser Tiger. Bereits vor einem Jahr forderte die Behörde mehr Mittel und Kompetenzen. Bei der Modernisierung des Mediengesetzes von 1991 wollte die Behörde etwa für die Vergabe und Erneuerung von Konzessionsverträgen mit Medien zuständig sein. Der Vorschlag wurde von den politischen Verantwortlichen jedoch abgelehnt. Nun will der Präsident der Kontrollbehörde sich bei der Politik mehr Gehör verschaffen.
Allerdings konnte die ALIA sich zumindest in einem Punkt durchsetzen. Das Team ist innerhalb eines Jahres von sechs auf zehn Mitarbeiter angewachsen. Dennoch reicht diese personelle Aufstockung laut den Verantwortlichen nicht aus.
Mehr als nur „reine Verwaltungsaufgaben“
Die Erweiterung der Kompetenzen würde zudem eine zusätzliche Arbeitslast für die kleine Behörde bedeuten. Bereits für die Betreuung der Wahlkampagnen bei „RTL“ und „Radio 100,7“ müssten laut der ALIA drei Personen beschäftigt werden. Sollten tatsächlich alle audiovisuellen Medien berücksichtigt werden, so müssten viele zusätzliche Mitarbeiter für die National- und die Kommunalwahlen eingestellt werden.
„Das sind zum Teil administrative Tätigkeiten, wie etwa die Zeit stoppen während einer übertragenen Debatte. Damit können wir nicht unsere Mitarbeiter mit einem Masterabschluss beauftragen. Das wäre komplett übertrieben“, sagt Thierry Hoscheit.
In einem weiteren Bereich wurde die Kompetenz der Behörde bereits informell erweitert. Seit September vergangenen Jahres kümmert sich die ALIA um die Vergabe der sogenannten „Tribunes libres“. Bei diesem Format beziehen zwei politische Parteien allwöchentlich montags bei „RTL“ und mittwochs bei „Radio 100,7“ Position zu einem Thema ihrer Wahl. Diese Praxis soll nun auch per Gesetz offiziell der ALIA anvertraut werden.
Die Überwachung der politischen Meinungsvielfalt in den Medien begrenzt sich somit auf diese administrative Aufgabe. Ob die ALIA auch selbst eine politische Bühne findet, um bei den politischen Verantwortlichen für ihre Anliegen zu werben, muss sich hingegen noch zeigen.

