Viele wollen die Pandemie und ihre Auswirkungen vergessen. Aber für zahlreiche Long-Covid-Patienten ist das nicht möglich. Sie müssen gegen ihre körperlichen Symptome und die mentale Belastung kämpfen. Reporter.lu hat mit drei Betroffenen gesprochen.
„Es war schwer zu akzeptieren, dass ich nicht mehr der Mensch bin, der ich war.“ Caroline Thilges leidet unter Long Covid. Nach einem anfangs unauffälligen Verlauf von Covid-19 spürte sie am Ende ihrer Quarantäne plötzlich einen Druck auf der Brust. Da nichts Akutes festgestellt wurde, bekam sie von ihrem Hausarzt Asthmaspray verschrieben. „Er sagte mir: Das kann nach einer Covid-Erkrankung mal vorkommen, geht aber normalerweise weg. Aber bei mir ist es nicht weggegangen“, erzählt die 26-Jährige. „Ich bin in der Zeit nach der ursprünglichen Erkrankung spazieren gegangen und wurde von Omas im Park überholt. Nach zehn Metern war ich schon außer Atem, alles tat weh.“
Heute, über ein Jahr nach ihrer Covid-19-Infektion, ist Caroline Thilges im „Rehazenter“ in Behandlung, um ihre Lungen zu trainieren und ihre Ausdauer zu verbessern. Denn sie hat immer noch Symptome. Ihr Arbeitsalltag als Grundschullehrerin strengt sie extrem an und von ihren ehemals anderthalb Stunden Basketballtraining dreimal wöchentlich schafft sie vielleicht noch 30 Minuten. Zu den körperlichen Symptomen kamen die psychischen: „Ich hatte Angst, arbeiten zu gehen. Ich habe Hilfe gebraucht, weil ich morgens im Auto Panikattacken hatte. Wegen der Covid-Situation. Weil ich nie wusste, ob vielleicht ein Schüler positiv war. Und weil ich nicht wusste, was passiert, wenn ich es nochmal bekomme.“
Caroline Thilges ist eine von über 850 von Long-Covid-Betroffenen in Luxemburg, die sich an das „Centre Hospitalier de Luxembourg“ (CHL) gewandt haben. Die Gesundheitskasse (CNS) finanziert mittlerweile ein nationales Programm zur Betreuung. Es nehmen vier Gesundheitszentren im Land teil: Das CHL übernimmt die erste Diagnose, dann werden Patientinnen und Patienten auch an das Rehazenter, das „Domaine thermal“ in Bad Mondorf oder das „Centre Hospitalier Neuro-Psychiatrique“ (CHNP) in Ettelbrück überwiesen.
Neue Prioritäten im Leben
Wie Caroline Thilges ist auch Valeria Cistulli wegen Long Covid an das Rehazenter überwiesen worden. In der Zeit nach einer unauffälligen Corona-Erkrankung bekam sie diffuse Symptome: Schwindel, Zittern, Konzentrationsschwierigkeiten und schließlich auch gelegentliche Schwächeanfälle. Sie arbeitete trotzdem monatelang weiter in einem Kindergarten. Aber als die „Malaises“ auch auf der Arbeit und beim Autofahren auftraten, kündigte sie ihren Job, um sich vorerst auf ihre Gesundheit konzentrieren zu können.
In zahlreichen Bereichen des Lebens kann man plötzlich nicht mehr oder nur begrenzt teilnehmen.“Charles Benoy, Psychotherapeut
Im November begann Valeria Cistulli mit der Behandlung im Rehazenter, die ihr schon deutlich geholfen habe. Doch als sie dann direkt einen neuen Vollzeitjob in der Kinderbetreuung angefangen hat, wurden die Symptome wieder schlimmer. Sie hatte mehrere Schwächeanfälle. Genau in diesem Zeitraum hat ein Arbeitsarzt sie gesehen und daraufhin ihre aktuelle Arbeitsunfähigkeit für den Posten festgestellt. „Das hat mir geholfen, die Dinge realistisch zu sehen“, sagt Valeria Cistulli.

„Man muss alles ändern. Denn ich weiß nicht, wie lange es dauern wird. Wenn ich mich zu sehr auf meinen ursprünglichen Job fixiere und keine anderen Möglichkeiten betrachte, riskiere ich zu verzweifeln.“ Die 41-Jährige schaut deswegen gezielt nach vorne: „Ich sehe mich nicht lange zu Hause, aber ich kann mir vorstellen, mich beruflich neu zu orientieren. Vielleicht etwas Ruhigeres.“ Jetzt zähle in erster Linie, ihre Gesundheit weiter zu verbessern. „Die persönliche Begleitung während der Behandlung hilft mir sehr“, so Valeria Cistulli. „Und wenn man zur Behandlung geht, sieht man, dass man auch nicht alleine ist. Dass es Leute gibt, die verstehen, was man durchmacht.“
Andauernde Belastung
Viele dieser betroffenen Personen werden durch die Rehaklinik des CHNP psychologisch betreut. Dabei geht es auch darum, den veränderten Zustand durch Long Covid zu akzeptieren. „Man verliert bei chronischen Erkrankungen auf vielen Ebenen. Das ist bei Long Covid nicht anders“, sagt der Psychotherapeut Charles Benoy. „In zahlreichen Bereichen des Lebens kann man plötzlich nicht mehr oder nur begrenzt teilnehmen. Das Leben muss reorganisiert werden.“
Charles Benoy arbeitet im CHNP mit Betroffenen. Dafür wurden bestehende psychotherapeutische Methoden für Long Covid angepasst. Es geht um die Integration der Krankheit in das Leben der Person und um den Umgang mit allen Gefühlen in diesem Kontext. Das ist besonders wichtig, wenn die Symptome sich nicht verbessern: „Bei ungefähr der Hälfte der Patienten bei uns wird es nicht gleich besser, sondern die Rehabilitation dauert viel länger als erwartet“, so die Einschätzung des Psychotherapeuten.
Die Zahlen zu Long Covid
Aktuell sind 774 Patienten über das Long-Covid-Programm in Behandlung, 190 davon haben die Behandlung schon beendet. 91 Personen warten auf einen ersten Termin mit einem „Case Manager“, wobei die Wartezeit laut CHL etwa anderthalb Monate beträgt. Durchschnittlich gebe es etwa 20 neue Anfragen jede Woche und diese Zahl sei im Vergleich zum Vorjahr stabil. 63,4 Prozent der Patienten im Luxemburger Programm sind Frauen und das Durchschnittsalter beträgt 47,3 Jahre.
Das Programm begann im August 2021 mit einer Pilotphase, die verlängert wurde, und läuft seit November 2022 über die Gesundheitskasse. Es laufen zwar viele Studien zu Long bzw. Post Covid, aber das Krankheitsbild ist vergleichsweise noch neu. So kommen unterschiedliche Studien zu abweichenden Einschätzungen der Häufigkeit von Long Covid. Die Schätzungen hängen auch von den unterschiedlichen Virus-Varianten ab.
Es handelt sich dann auch um eine langfristige Begleitung durch das CHNP. Und dazu gehört, die Arbeit der Betroffenen neuen Realitäten anzupassen, zum Beispiel durch ein „Reclassement interne“ auf ihrem Arbeitsplatz. Die Besuche beim Kontrollarzt der CNS sind für die Personen besonders schwierig, wenn die Krankheit nicht ernst genommen wird. Einen entsprechenden Fall schilderte das „Luxemburger Wort“, wo ein Arzt keinen Grund sah, wegen Covid länger als zwei Wochen krankgeschrieben zu sein. Charles Benoy erklärt: „Es ist für Betroffene wichtig, anzuerkennen, dass Long Covid keine psychische Krankheit ist. Wobei chronische oft zu psychischen Erkrankungen führen.“
Risiko durch Reinfektion unklar
Dass es aber noch wenige Erkenntnisse und abgeschlossene Studien zu Long Covid gibt, macht nicht nur die Diagnostik schwierig. Denn auch die Betroffenen wollen Antworten: „Die Menschen suchen Erklärungen, wieso gerade sie betroffen sind. Das soll ein Gefühl von Kontrolle zurückgeben“, so Charles Benoy. „Wir arbeiten an der Akzeptanz, dass es nicht immer Antworten gibt, und dass der aktuelle Zustand so angenommen werden muss.“ Und, dass er möglicherweise so bleibt. Viele der Fragen können nicht beantwortet werden.

Ärzte wissen noch nicht, was sie Patienten bezüglich einer Reinfektion empfehlen sollen. Denn: Die Auswirkungen einer erneuten Covid-Infektion auf bestehende Long-Covid-Erkrankungen sind noch nicht klar. Um der Antwort näherzukommen, leitet die CHNP-Rehaklinik aktuell eine internationale Studie. Die Angst vor einer Reinfektion mit ungewissen Konsequenzen führe laut Studienleiter Charles Benoy oft zu Vermeidungsverhalten, beispielsweise indem man nicht mehr unter Menschen gehe.
So geht es auch Danielle Desorbay. Die 62-jährige ist pensioniert und war vor Covid-19 sehr aktiv. Doch wegen ihrer Long-Covid-Symptome hat sie Angst, sich wieder zu infizieren, und meidet daher unnötige Kontakte. Auch sie stellt sich viele Fragen: „Ich denke nicht, dass die Impfung mir die Sache erleichtert hat.“
Blick nach vorne
Bei Danielle Desorbay gab es bereits während der Covid-Infektion im November 2021 Probleme: Sie hatte unter anderem eine Herzmuskelentzündung. Doch es sind viele Symptome, die sie ein Jahr darauf im Rehazenter bekämpft: „Es ist, als ob ich in zwei Jahren 20 Jahre älter geworden wäre.“ Sie macht unter anderem Kardiotrainung und Muskelaufbau, um ihre Kondition wieder zu verbessern.
Danielle Desorbay unterstreicht: „Ich reiße mich wirklich zusammen.“ Auch die anderen beiden Betroffenen betonen, wie aktiv ihr Leben war und dass sie sich nicht hängen lassen. „Ich bin ein Stehaufmännchen. Ich dachte, du beißt jetzt ein paar Wochen auf die Zähne und dann geht das wieder. Aber irgendwann habe ich gemerkt, das geht nicht so einfach“, so Caroline Thilges.
Doch sie merkt endlich, wie das Training im Rehazenter ihre Grenzen verschiebt: „Ich bin im Alltag nicht mehr so schnell außer Atem. Auch meine Übungen im Rehazenter strengen mich weniger an.“ Mittlerweile geht sie statt zweimal nur noch einmal pro Woche dort trainieren. Vielleicht kann Caroline Thilges an dem freien Nachmittag bald wieder verstärkt am Basketballtraining teilnehmen.

