Häusliche Gewalt in Luxemburg nimmt jedes Jahr zu. Frauenhäuser sollen als Zufluchtsort für die Opfer dienen. Seit Jahren stehen Frauen in Not auf langen Wartelisten. Die Wohnungskrise verschärft zudem den Platzmangel in den Notunterkünften. 

Natasha* möchte eigentlich nicht mehr hier wohnen. „Ich bin schon seit zwei Jahren und vier Monaten hier“, erzählt sie. Mit ihrem neunjährigen Sohn und ihrer dreijährigen Tochter lebt sie in einem Frauenhaus. Dort bekommen Frauen mit ihren Kindern Schutz und Unterstützung. Prioritär, um häuslicher Gewalt zu entkommen.

Sie ist dankbar für die Hilfe, die sie im Frauenhaus erhalten hat, doch eigentlich möchte Natasha schon längst einen Schritt weiter sein. Sie zeigt ein Video, in dem ihr Sohn auf dem Boden kniet und Hausaufgaben macht. Er habe keinen richtigen Platz im gemeinsamen Zimmer. Letztens malte er ein Haus und meinte zu seiner Mutter, er wolle dort einziehen. „Ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll“, sagt Natasha, „Es ist nicht einfach, so lange hier zu sein.“

Als sie ihren gewalttätigen Partner und die gemeinsame Wohnung verlassen hat, war ihr zweites Kind erst wenige Monate alt. Nach kurzer Zeit in einer Übergangsunterkunft bekam Natasha vergleichsweise schnell einen Platz im Frauenhaus. Anfangs sei sie noch ängstlich gewesen, das Haus zu verlassen. Mittlerweile arbeitet sie Vollzeit, ihre Kinder gehen in die Schule und in den Kindergarten. Doch eine Wohnung hat sie für ihre Familie noch nicht gefunden.

Zufluchtsort mit Warteliste

Wie Natasha geht es vielen betroffenen Frauen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Frauenhaus liegt aktuell bei zwischen zehn und zwölf Monaten. Vorgesehen sind laut Ministerium für die Gleichstellung von Frauen und Männern (MEGA) sechs Monate, da es sich eigentlich um eine Notfallmaßnahme handele. Doch wie wirksam kann eine Notfallmaßnahme sein, wenn Frauen, die vor häuslicher Gewalt fliehen wollen, auf einen Platz erst warten müssen?

Wenn wir wissen, dass über Jahre hinweg mehr Betten gebraucht werden, wieso machen wir dann nichts?“Jessica Lopes, ASTI

Am vergangenen Freitag standen 74 Frauen mit und ohne Kinder auf der zentralisierten Warteliste für einen Platz im Frauenhaus. Ana Pinto von der Organisation „La voix des survivant(e)s“ war vor Jahren selbst in der Situation: Sie wollte der häuslichen Gewalt entkommen, doch es war kein Zimmer im Frauenhaus frei. Sie kehrte daraufhin für eine Weile zu ihrem gewalttätigen Mann zurück. Als sie ihn das zweite Mal verließ, konnte sie eine Zeit lang bei ihrer Mutter wohnen.

Die Option hat längst nicht jede Person – besonders dann nicht, wenn sie keine Familie hierzulande hat. Jessica Lopes vom „Guichet Info-Migrants“ der „Association de Soutien aux Travailleurs Immigrés“ (ASTI) berät betroffene Frauen, die teils auch administrativ vom Täter abhängig sind, etwa durch ihren Aufenthaltstitel. „Dass überhaupt eine Warteliste existiert, finde ich extrem problematisch“, sagt Jessica Lopes.

Akuter Mangel an Strukturen

Das Problem ist nämlich nicht neu: In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von März dieses Jahres erklärt Gleichstellungsministerin Taina Bofferding (LSAP), dass sonst im Durchschnitt 48 Frauen auf einen Platz in einer Einrichtung der Partner ihres Ministeriums warten. Jessica Lopes fragt sich: „Wenn wir wissen, dass über Jahre hinweg mehr Betten gebraucht werden, wieso machen wir dann nichts?“ Nur 2020 sind ganze 16 Betten in Frauenhäusern hinzugekommen. Seither liegt die Zahl der Betten landesweit bei 166.

Ein Sprecher des Ministeriums stellt fest: „Angesichts der aktuellen Situation sehen wir auch die Notwendigkeit, zusammen mit verschiedenen sozialen Trägern neue Projekte zu lancieren, um mittel- und kurzfristig zusätzliche Betten zu schaffen.“ Geplant sind in nächster Zeit: ein Projekt in Limpertsberg mit neun Betten primär für Opfer von Menschenhandel und ab Anfang 2024 acht Wohnungen in Bartringen, wo mittelfristig etwa 16 Familien, prioritär Opfer von Gewalt, untergebracht werden können. In Mersch sei eine Struktur mit acht bis zehn Wohnungen in Planung, doch dies wird wohl erst langfristig weiterhelfen.

„Jedes Opfer häuslicher Gewalt bekommt Hilfe“, betont ein Sprecher des zuständigen Gleichstellungsministeriums von Taina Bofferding. (Foto: Eric Engel)

Erschwerend hinzu kommt: Die häusliche Gewalt in Luxemburg nimmt zu. Das „Observatoire de l’égalité“ des Gleichstellungsministeriums schätzt auf Basis der gemeldeten Fälle, dass 2017 insgesamt 2.897 Personen von häuslicher Gewalt betroffen waren. Für 2021 liegt die Schätzung schon bei 3.977 Personen. Dabei kann es sich um körperliche, aber auch um psychische, finanzielle oder sexuelle Gewalt handeln.

Die lange Warteliste bringt mit sich, dass nur als dringend eingeschätzte Fälle sofort einen Platz bekommen. Dies bestätigt Sandra Antinori, die ein Frauenhaus von „Femmes en détresse“ leitet. Die jeweiligen Vereinigungen würden Frauen auf der Warteliste daher begleiten und analysieren, welche Fälle aktuell akut sind oder ob die Gewalt schlimmer wurde. Im Klartext bedeutet das, dass Frauen länger mit einem Täter zusammenleben, als sie wollen, und eine Trennung innerhalb eines sicheren Rahmens sich verzögert. „Wenn eine Frau gehen will, ist es immer ein Risiko, sie dann zurückzuschicken“, stellt Jessica Lopes klar.

Ausweichen auf andere Orte

In der Pandemie wurden vermehrt Hotels genutzt, um Frauen in dringenden Fällen unterzubringen. 2020 ist dies laut Ministerium bei 46 Personen der Fall gewesen. Doch wie Sandra Antinori erklärt, kann dies keine dauerhafte Lösung sein. Hier seien nicht die gleichen Sicherheitsmaßnahmen gewährleistet wie in einem Frauenhaus. Daher versuche man, diese Personen dann auch schnellstmöglich aus Hotels in andere Unterbringungen zu bekommen.

Sie sieht das Hauptproblem und dessen Lösung daher auf dem Wohnungsmarkt: „Wenn wir es fertigbringen würden, dass eine Frau, die wieder stabilisiert ist, nach sechs Monaten aus dem Frauenhaus raus und in eine Wohnung könnte, dann hätten wir ja auch wieder mehr Plätze frei.“ In sogenannten Zweit-Phase-Wohnungen soll Frauen nach dem Aufenthalt in einem Frauenhaus ein autonomeres Leben ermöglicht werden.

Aktuell verwalten die Partner des MEGA 95 solcher Wohnungen für Frauen in Not. Dabei arbeiten sie etwa mit der „Wunnengshëllef“ und der „Agence immobilière sociale“ zusammen, um Frauen bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen. Ausgelegt sind die Verträge auf drei Jahre, durchschnittlich bleiben die Betroffenen fünf Jahre. Jil Donven von „Femmes en détresse“ merkt an, dass es auch mal bis zu zehn Jahre gedauert habe, bis die Frauen etwas Dauerhaftes gefunden haben, etwa über den „Fonds de Logement“ oder die „Société Nationale des Habitations à Bon Marché“ (SNHBM).

Lange Wohnungssuche

Auch in diesen Wohnungen für die nächste Etappe wird demnach selten etwas frei. Das merkt auch Natasha: „Wir haben alle Anfragen gestellt, aber noch keine Unterkunft bekommen.“ Sie steht auf sämtlichen Wartelisten. „Das hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Als ich vor sechs Jahren hier begonnen habe, haben wir schneller Sozialwohnungen bekommen. Aber es sind keine da“, so die Beobachtung von Sandra Antinori.

Wir benötigen auf lange Sicht eine hohe Sensibilisierung, damit die Gewalt an sich abnimmt. Damit wir das System nicht mehr so beanspruchen müssen.“Caroline Stella, „Femmes en détresse“

Auf dem privaten Wohnungsmarkt haben betroffene Frauen kaum eine Chance. Das liegt laut Natasha nicht nur an den hohen Preisen. „Viele Personen vermieten nicht an eine Frau mit Kindern“, sagt sie. Sogar Personen mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag finden privat selten eine passende Wohnung, sagt auch Sandra Antinori von „Femmes en détresse“.

Ihre Kollegin Caroline Stella hofft, dass mehr Personen ihre Wohnungen für diese Zwecke zur Verfügung stellen: „Die Besitzer haben auch Vorteile, wenn sie die Wohnungen zur Verfügung stellen. Sie bekommen ihre Mieten, es ist bewohnt und wird sauber gehalten.“ Verschiedene Wohnungen werden von Besitzern über die „Gestion Locative sociale“ vermietet.

2021 waren laut Wohnungsbauministerium insgesamt 1.073 Wohnungen über diese Maßnahme vermietet. Wenn Opfer häuslicher Gewalt in solche Wohnungen kommen, unterstützen Organisationen wie von „Femmes en détresse“ die Frauen weiterhin.

Mehr Sensibilisierung nötig

Die Situation in Luxemburg fasst Caroline Stella, gemeinsam mit Sandra Antinori verantwortlich für das Frauenhaus von „Femmes en détresse“, so zusammen: „Um schnell reagieren zu können, wäre es gut, mehr Betten zu haben und natürlich auch Wohnungen. Zudem benötigen wir auf lange Sicht eine hohe Sensibilisierung, damit die Gewalt an sich abnimmt. Damit wir das System nicht mehr so beanspruchen müssen.“

Die Solidaritätsbekundungen der Politik im Rahmen des „Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ reichen auch Jessica Lopes von der ASTI nicht: „Wir haben ein richtiges Problem und wir machen nichts.“ Die traurige Realität für Frauen, die auf einen Platz im Frauenhaus warten und nicht von zu Hause wegkönnen, resümiert sie anschaulich: „So lange man noch keinen Platz hat, hält man sich klein.“

In der Zwischenzeit bereiten die Verantwortlichen von „Femmes en détresse“ im Frauenhaus ein gemeinsames Weihnachtsfest mit allen Frauen, Kindern und dem Personal vor. Das sei jedes Jahr ein Highlight für alle: „Die Frauen können dann auch einmal richtig loslassen und vergessen“, meint Sandra Antinori. Natasha wird dieses Jahr wohl noch mit dabei sein, hoffentlich kann sie nächstes Jahr mit ihren Kindern in einer eigenen Wohnung feiern.

Anlaufstellen bei häuslicher Gewalt

Opfer von häuslicher Gewalt können sich rund um die Uhr an die Notfallnummer der Polizei (113) wenden. Folgende Adressen bieten zudem Rat und Hilfe an:

  • Helpline zu Gewalt:
    Tel: 2060 1060 (24h/24h)
  • Beratungsservice von Femmes en détresse: VISAVI
    Tel: 49 08 77-1
  • Frauenhaus von FED:
    Tel: 44 81 81 (24h/24h)
  • Beratung bei Info-Mann:
    Tel: 27 49 65

* Name von der Redaktion geändert.


Mehr zum Thema