Bald fährt die Tram bis zum Hauptbahnhof. Besonders der Handel hat jedoch seit 2019 unter den Baustellen im Bahnhofsviertel gelitten. Luxtram versprach unbürokratische Hilfen. Doch einige Kleinunternehmer warten bis heute auf Entschädigungen – manche davon wohl vergeblich.
Zäher Nebel liegt an diesem Dienstagmorgen über der Avenue de la Liberté. Und so trüb wie das Wetter ist auch die wirtschaftliche Lage vieler Geschäfte entlang der rund 850 Meter langen Prachtstraße. Der Grund liegt bei vielen direkt vor dem Ladeneingang. Denn die Trambaustelle bestimmt – neben der Corona-Pandemie – bei vielen Kleinunternehmern immer noch den Alltag. Auch kurz vor der Fertigstellung des Teilstücks B, das die Oberstadt mit dem Bahnhof verbinden soll, warten viele Geschäftsleute weiterhin auf Entschädigungen aufgrund entstandener Verluste.
Auf Nachfrage bestätigt Luxtram, dass bisher 41 Dossiers eingereicht wurden. Sechs Geschäften wurde jeweils ein Teil der Verluste erstattet. Insgesamt hat die Betreibergesellschaft der Tram bisher rund 130.000 Euro ausbezahlt. 17 Anträge wurden abgelehnt und bei 18 weiteren steht eine Entscheidung noch aus.
Das lange Warten auf die Hilfen
„Wir werden immer wieder vertröstet. Uns wird gesagt: Beißt auf die Zähne. Wenn die Tram erst einmal fährt, wird alles besser. Mir fallen vom ‚auf die Zähne beißen‘ gleich die Kronen aus”, ärgert sich Giovanna de Luca über den Umgang von Luxtram mit den Anlieger-Betrieben während der Arbeiten an der neuen Trasse. 2002 hat die Unternehmerin den Frisörsalon an der Avenue de la Liberté übernommen. Davor hat sie bereits ab 1989 für die Vorbesitzerin als Frisörin gearbeitet und dort auch ihre Lehre absolviert.
Das Risiko am Ende auf den Verlusten sitzen zu bleiben, wenn der Antrag abgelehnt wird, ist einfach zu groß.“José Gomes, Geschäftsinhaber
Bereits dreimal hat die Geschäftsinhaberin ihre Unterlagen bei Luxtram vorgelegt – auf eine Entschädigung wartet sie noch immer. Zwei eingereichte Dossiers wurden bereits abgelehnt. Die Begründung: Ausschlaggebend für die Verluste seien nicht die Trambaustelle, sondern schlechte Firmenentscheidungen. Giovanna de Luca sei also selbst für den Schaden verantwortlich, so Luxtram. Zugleich habe man ihr vorgeworfen, nicht genug unternommen zu haben, um neue Kunden anzuwerben. „Ich kann doch keine Rabatte gewähren, wenn ich zeitgleich Verluste mache”, erwidert Giovanna de Luca.
Ähnliches berichtet auch Muriel Arnold, seit 2016 Inhaberin eines Kinderbekleidungsgeschäfts an der Place de Paris. Auch ihr Antrag auf Entschädigung wurde von Luxtram wiederholt abgelehnt. Im Schreiben, das Reporter.lu vorliegt, wird keine Begründung für den negativen Bescheid genannt. Erst auf Nachfrage hin wird der Geschäftsfrau erklärt, dass die Verluste in Höhe einiger Tausend Euro, durch „Managementfehler“ zu erklären seien.
Konkret gehe es darum, dass die Lohnkosten ihres Unternehmens zu hoch seien. Für Arnold grenzt die Begründung an Zynismus: „Seit ich das Geschäft betreibe, sind wir stetig gewachsen. 2018 habe ich deshalb eine weitere Verkäuferin befristet eingestellt. Dadurch sind die Lohnkosten gestiegen. Ich habe versucht, die Frau so lange wie möglich zu halten. Daraus wird mir nun ein Strick gedreht.”
„Zum Teil abstruse Dossiers“
Bei Luxtram selbst ist man indes um Differenzierung bemüht. Der Vorstandsvorsitzende und Präsident von Luxtram S.A., Frank Vansteenkiste, betont zunächst, dass man sich nicht ohne Grund konkrete Regeln für die Auszahlung von Entschädigungen gegeben habe: „Uns wurden zum Teil abstruse Dossiers eingereicht. Etwa von Fitnesstrainern, die für die Belegschaft einer an die Baustelle grenzenden Bank Kurse angeboten haben, ihren eigentlichen Firmensitz jedoch ganz woanders hatten.” Immerhin handele es sich bei den ausbezahlten Beträgen um Steuergeld, fügt der Beamte aus dem Mobilitätsministerium hinzu.

Auf die hohe Anzahl von abgelehnten Anträgen angesprochen, erklärt Vansteenkiste, dass es dafür zwei Hauptgründe gebe. Einerseits hätten viele Betriebe, die nicht direkt an der Baustelle liegen, Dossiers eingereicht. Diese wurden abgelehnt, selbst wenn sie deutliche Umsatzeinbußen oder Verluste zu verzeichnen hatten. Andererseits hätten auch Geschäfte, die schwarze Zahlen schreiben, versucht, Entschädigungen zu beantragen.
Die Modalitäten, unter denen Luxtram Entschädigungsansprüche annimmt, sind dabei ebenso streng wie ausführlich. So werden etwa nur explizit durch die Trambaustelle entstandene Verluste in den Entschädigungen berücksichtigt. Wer lediglich einen Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte, darf nicht auf Entschädigungen hoffen. Doch selbst entstandene Verluste werden nicht gänzlich erstattet. Die Begründung liefert Luxtram in einem für die Prozedur ausgearbeiteten „Règlement interne“. Darin heißt es: „Die finanzielle Entschädigung umfasst nur einen Teil der entstandenen Schäden, da die Anrainer langfristig von der Investition (der Tram Anm. d. Red.) profitieren.“
Unbürokratische Corona-Hilfen
Schadensersatz erhält zudem nur, wer ein vollständiges Dossier beim Trambetreiber einreicht. Dieses beinhaltet die kompletten Bilanzen für die drei Jahre vor Beginn der Baustelle, die ein Buchhalter zusätzlich beglaubigen muss. Hinzu kommen Auskünfte über das Kundenprofil und Fragen danach, was die Geschäftsleute selbst unternommen haben, um den Betrieb trotz Baustelle weiter funktionieren zu lassen. Zudem müssen Nachweise darüber erbracht werden, an welchen Tagen das Geschäft konkret unter der Trambaustelle gelitten hat.
Natürlich kann man das Verfahren kritisieren. Uns war es jedoch wichtig, ein objektives und nachvollziehbares Instrument zu haben.“Frank Vansteenkiste, Luxtram
Im direkten Vergleich erscheinen die Corona-Hilfen des Mittelstandsministeriums unbürokratischer. Kleinunternehmer erhalten einen Pauschalbetrag pro Arbeitnehmer. Im Juli 2020 wurden so 1.000 Euro pro Mitarbeiter, im August 750 Euro und im September 500 Euro ausbezahlt. Einzige Bedingung: Die Arbeitnehmer durften sich nicht im Chômage partiel befinden. Auf diese Hilfen angesprochen bestätigte jeder der befragten Betriebe an der Avenue de la Liberté, diese speziellen Corona-Hilfen angefragt und auch erhalten zu haben.
Auch für den am Donnerstag in Kraft getretenen Teil-Lockdown kündigte das Mittelstandsministerium weitere Hilfen für Betriebe an. Der zuständige Minister Lex Delles (DP) erklärt: „Durch den zweiten Lockdown betroffene Betriebe können Direkthilfe beantragen. Diese beträgt 1.250 Euro pro Arbeitnehmer, der weiter beschäftigt wird, und 250 Euro pro Angestellten, wenn dieser sich im Chômage partiel befindet. Einzige Kondition ist, dass die Betriebe mindestens 25 Prozent ihres Umsatzes eingebüßt haben.”
Vereinfachtes Verfahren in Sicht
Wäre ein vereinfachtes Verfahren – etwa durch einen Kompensationsfonds – im Nachhinein nicht auch bei den Entschädigungen der Betriebe an der Trambaustelle zielführender gewesen? Frank Vansteenkiste verneint: „Natürlich kann man das Verfahren kritisieren. Uns war es jedoch wichtig, ein objektives und nachvollziehbares Instrument bei der Vergabe von Entschädigungszahlungen zu haben.” Zudem habe die Erfahrung gezeigt, dass einige schwarze Schafe versucht hätten, von den Entschädigungszahlungen zu profitieren, etwa durch das Vortäuschen künstlicher Verluste, die sich nicht aus dem laufenden Geschäft ergeben hätten.

Auf die konkreten Fälle von Giovanna de Luca und Muriel Arnold angesprochen, bestätigt Vansteenkiste, dass die Dossiers zunächst aufgrund unternehmerischer Fehlentscheidungen abgelehnt wurden. Was als „Managementfehler“ gilt, beruht dabei allein auf der Einschätzung der zuständigen Kommission. Doch man habe den Betrieben immer die Möglichkeit gegeben, sich zu erklären und Dokumente nachzureichen, so der Luxtram-Präsident. Sei dies der Fall, würde man die Entscheidung im Zweifelsfall revidieren.
Doch selbst bei einer positiven Entscheidung seitens Luxtram, bleibt die Prozedur langwierig. José Gomes, Betreiber eines Tabak- und Zeitschriftenladens berichtet: „Wir haben fast ein Jahr auf eine Entscheidung gewartet, bevor wir eine Zahlung erhalten haben.“ Darauf angesprochen erklärt Frank Vansteenkiste, dass man sich bei Luxtram entschieden habe, für das Geschäftsjahr 2020 ein vereinfachtes Verfahren einzuführen. Auch um der Corona-Pandemie Rechnung zu tragen und unbürokratisch zu helfen.
Hoffen auf den Aufschwung
Für José Gomes spielt aber noch ein anderer Faktor eine wesentliche Rolle bei seiner Entscheidung, für das laufende Geschäftsjahr keinen Antrag einzureichen: „Als Ladenbetreiber versucht man alles, um Verluste zu vermeiden. Meine Frau und ich arbeiten momentan 16 Stunden am Tag, um das Geschäft profitabel zu halten. Denn auch wenn man Hilfen beantragen kann, geht jeder Ladenbesitzer mit seinen Verlusten in Vorleistung.” Das heißt: Die Verluste der Firma bedeuten für viele Betroffene eine private Verschuldung. „Das Risiko am Ende auf den Verlusten sitzen zu bleiben, wenn der Antrag abgelehnt wird, ist einfach zu groß”, betont José Gomes.
Bei Luxtram blickt man indes bereits in die Zukunft. „Wir sind überzeugt davon, dass die Ladenbesitzer an der Avenue de la Liberté von der Tram profitieren werden. Zudem wäre die Baustelle auch ohne Tram gekommen, denn die maroden Versorgungsleitungen hätten ohnehin erneuert werden müssen”, erklärt Vansteenkiste.
Um die Geschäftswelt im Bahnhofsviertel weiter zu unterstützen, setzt man bei Luxtram nun auf Marketing. Zusammen mit dem Geschäftsverband habe man sich ein Budget von 200.000 Euro gegeben, um das Viertel mit einer Werbekampagne zu beleben, so Vansteenkiste abschließend. Das Budget übersteigt die 130.000 Euro an Hilfen, die bisher an einzelne Betriebe ausbezahlt wurden, bei weitem. Die meisten anderen betroffenen Unternehmer warten indes weiter auf eine Entschädigung.
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