Geschäfte und Restaurants im hauptstädtischen Bahnhofsviertel waren bereits vor dem Lockdown angeschlagen. Die Tram-Baustelle ließ den Umsatz einbrechen, die Corona-Krise könnte für viele Unternehmen das Ende bedeuten. Doch die Politik hat wenig Antworten zu bieten.

Ein Hindernislauf zwischen Baustellen, Absperrungen und Baggern: Das war das Bahnhofsviertel vor zwei Monaten. Nun kommt noch das Hindurchschlängeln zwischen den Menschen hinzu – die zwei Meter Abstand wollen gewahrt bleiben. Doch außer vor den Apotheken ist im Viertel nicht viel los.

In den Schaufenstern hängen Botschaften für Kunden, die nicht kommen. Daneben Erklärungen, wie der Lieferdienst Pakete abgeben und abholen kann. Durchs Fenster sieht man in manchen Geschäften, wie die Onlinebestellungen fertig gemacht werden.

An anderen Türen von Läden und Restaurants hängt nichts. Sie haben einfach zu. Vielleicht kam der „Lockdown“ zu unverhofft. Vielleicht wissen die Inhaber, dass ihre Stammkunden sowieso im Home-Office sind und nicht mehr in der Mittagspause vorbeikommen. Und dann gibt es noch jene Geschäftslokale, die seit Monaten leer stehen – mit wenig Aussicht auf einen neuen Mieter.

Katastrophe ohne Licht am Ende des Tunnels

Die Tram-Baustelle war für das Viertel schlimm. Vom sanitären Notstand, der nun schon fünf Wochen andauert, werden sich die Geschäfte, Restaurants und Cafés nur schwerlich erholen können. Denn noch ist völlig offen, wie es weitergeht. Und selbst wenn dieser Ausnahmezustand endet, beginnen vor der Tür wieder die Baustellen.

„Die Geschäftsleute kommen gerade aus einer gefühlten Luxtram-Krise“, sagt der stellvertretende Direktor der Handelskonföderation CLC, Claude Bizjak. Mobilitätsminister François Bausch (Déi Gréng) hatte bereits gehofft, dass die Baustelle schneller als geplant abgeschlossen werden könnte, sagte er dem „Luxemburger Wort“. „Jetzt werden die Arbeiten länger dauern“, seufzt Claude Bizjak.

Die Tram-Baustelle, der Brand im Parkhaus am „Rousegäertchen“, die umgeleiteten Buslinien: Bereits vor dem „Lockdown“ war das Bahnhofsviertel ausgestorben, erzählt Antoine Weber. „Die Lage ist katastrophal“, sagt der Inhaber des Kleiderladens Extrabold an der Avenue de la Liberté. Im Dezember 2019 lag sein Umsatz gerade einmal bei der Hälfte von Dezember 2018. „Es ist eine sehr harte Zeit“, bestätigt auch Gabriel Boisante, LSAP-Gemeinderat und Teilhaber mehrerer Restaurants.

Unternehmer fühlen sich „doppelt bestraft“

Es sind die Unternehmen im Bahnhofsviertel und in der Innenstadt, die eigentlich besonders auf staatliche Hilfe angewiesen wären. Denn sie können nichts dafür, dass die Kunden erst wegen der unzähligen Baustellen und dann aufgrund der Pandemie ausblieben.

Doch im Kleingedruckten des „Stablisierungspakets“ der Regierung verbirgt sich ein perfides Detail: Unternehmen, die bereits vor dem 1. Januar 2020 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren, erhalten weder rückzahlbare Hilfen noch staatlich garantierte Kredite. Die Handelskammer fleht die Regierung und das Parlament regelrecht an, dies zu überdenken: „Die Unternehmen im Stadtzentrum wurden von der Tram-Baustelle voll erwischt und brauchen unbedingt Hilfe“, heißt es in einem Gutachten. Eine weitere Krise würden viele Firmen nicht überleben.

#MakeGareGreatAgain: Zweckoptimismus vor der Corona-Krise. (Foto: Reporter.lu)

„Die Unternehmen des Bahnhofsviertels dürfen nicht doppelt bestraft werden“, warnt auch Serge Wilmes, Erster Schöffe der Stadt und CSV-Abgeordneter. Seine Fraktion hat am Dienstag einen Änderungsantrag eingereicht, damit die von der Tram-Baustelle betroffenen Unternehmen trotzdem staatlich garantierte Kredite erhalten können. Bei der Abstimmung über rückzahlbare Beihilfen war dieses Problem allerdings noch nicht auf dem Radar der Oppositionspartei.

Doch es sieht nicht so aus, als ob der CSV-Antrag Erfolg haben könnte. Wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen darf nicht geholfen werden, so die Vorgabe der Europäischen Kommission. Und die will die Regierung mehr oder weniger strikt einhalten. Offenbar war aber die Botschaft bei den Hilfen von bis zu 500.000 Euro, dass die Firmen trotzdem einen Antrag einreichen sollten – vielleicht könne man doch etwas tun. Aus einem Anspruch wird so ein Almosen.

„Auf dem Papier ist das gerecht“, sagt Gabriel Boisante zu dieser Regel. Doch dann lasse die Regierung die „extremen Faktoren“ außer Acht, mit denen Geschäfte und Restaurants in der Hauptstadt zu kämpfen haben. Die Politik war in den Monaten vor der Corona-Krise vor allem damit beschäftigt, die Probleme kleinzureden. Und das obwohl das langsame Absterben des „tissu économique“ für jeden Beobachter sichtbar war.

Entschädigungen für Tram-Baustelle stehen aus

Selbst da, wo Regierung und Gemeinde die volle Kontrolle haben, passiert bisher nichts. Eigentlich soll Luxtram die Unternehmen entschädigen, die unter der Baustelle leiden. Doch der Frust ist groß: Die Anträge sind kompliziert, das Budget für die Zahlungen völlig offen und die Regeln ändern sich. Im Februar machten die Geschäftsleute des Bahnhofsviertels bei einer Informationsversammlung ihrem Ärger Luft. Der Geschäftsverband ging vergangenen Sommer von einem Einnahmeverlust der Unternehmen von zwischen 20 und 50 Prozent aus.

Anfangs war die Rede davon, dass Ausfälle beim Umsatz ausgeglichen werden sollen. Nun ist die Bedingung, dass ein Unternehmen einen Verlust in seiner Bilanz vorzuweisen hat, um überhaupt entschädigt zu werden. Von diesem Verlust übernimmt Luxtram zwischen einem Viertel und der Hälfte. Entschädigungen erhalten zudem nur jene Firmen in direkter Nachbarschaft zur Baustelle – wer in den Nebenstraßen ansässig ist, hat Pech.

23 Unternehmen haben bisher Anträge eingereicht, heißt es von Luxtram auf Nachfrage von REPORTER. Aktuell müssten die Antragsteller ihre Dossiers zum Geschäftsjahr 2019 ergänzen. Die Prozedur sieht vor, dass in einer nächsten Etappe ein Komitee von Luxtram die Anträge prüft. In letzter Instanz entscheidet der Verwaltungsrat, der Vertreter des Staats und der Stadt Luxemburg umfasst.

Ein Problem wird sich spätestens nächstes Jahr stellen, wenn die Entschädigungen für 2020 berechnet werden sollen. Die Unternehmen werden Schwierigkeiten haben, nachzuweisen, welcher Schaden der sanitären Krise und welcher der „Tram-Krise“ zuzuordnen ist. Und so schwebt die einst so stolze „Avenue“ weiter in einem Zustand zwischen Leben und Tod.

Langsame Hilfen und die strittige Mietenfrage

Fast alle betroffenen Unternehmen befinden sich in dieser Situation: Der Umsatz tendiert aktuell gegen Null, die Kosten laufen dagegen weiter. Die Löhne übernimmt der Staat über die Kurzarbeit, doch Geld ist auch hier in vielen Fällen noch nicht geflossen. Die Stadt Luxemburg erwägt, manche kommunalen Abgaben wie etwa für Terrassen oder die „Taxe de séjour“ auszusetzen, sagt Schöffe Serge Wilmes.

Sorgen machen den Unternehmern dagegen vor allem die exorbitanten Mieten. Dass sich die Regierung in dieser Frage bis auf windelweiche Solidaritätsaufrufe heraushält, kommt nicht besonders gut an. Für viel Aufregung sorgte die Aussage des Anwalts Georges Krieger im Namen der undurchsichtigen „Union des propriétaires“. Ein Verzicht auf Mietzahlungen sei noch nicht auf der Tagesordnung, so Georges Krieger gegenüber dem „Radio 100,7“ am 24. März.

Strenge Vorgaben am Eingang einer Apotheke im Bahnhofsviertel. (Foto: Martine Pinnel)

In der Realität sieht es anders aus. Manche Immobilienbesitzer setzen die Miete für die Dauer der Krise aus, andere senken sie um ein Fünftel oder ein Drittel. Und es gibt auch solche, die die Zahlung des gesamten Betrags zeitnah fordern. Auch wenn sie wenig Mittel haben, das auch durchzusetzen. Die Konkursverfahren sind ausgesetzt, Räumungsklagen wird es für die Dauer des „Etat de crise“ nicht geben können.

„Es entstehen Wettbewerbsverzerrungen“, meint der Unternehmer Gabriel Boisante zu den sehr unterschiedlichen Situationen. Die Stadt hat für ihre Geschäftslokale die Miete ausgesetzt. Doch private Vermieter, die einsichtig sind, haben davon finanziell wenig – außer ein langfristiges Vertrauensverhältnis mit ihrem Mieter. Der LSAP-Politiker bringt die Idee ins Spiel, dass der Staat steuerliche Anreize zum Verzicht auf Mietzahlungen geben könnte.

Versicherungen decken wegbrechende Mieteinkünfte dabei nicht ab. Foyer bietet eine entsprechende Versicherung an, aber nur für Wohnungen und nicht für Geschäftslokale, heißt es auf Nachfrage. Und ein Katastrophenfall wie die Corona-Pandemie ist sowieso von jeder Versicherung ausgeschlossen.

Lokale Unternehmen kämpfen ums Überleben

Das Dilemma: Konkurse aufgrund unbezahlter Mieten sind wirtschaftlich gesehen absurd. Doch ebenso gefährlich ist es, wenn die Geldflüsse zwischen Unternehmen völlig versiegen. Der Mieter zahlt den Vermieter nicht, der Einzelhändler lässt die Rechnungen des Großhändlers liegen. „Das führt zu einem gefährlichen Kaskadeneffekt“, warnt der Generaldirektor der Handelskammer Carlo Thelen. Und das erklärt auch, warum die Regierung so zaghaft in der Mietenfrage agiert.

Doch es gibt auch eine umgedrehte Kettenreaktion: Wenn ein Unternehmen jetzt eine rückzahlbare Hilfe oder einen Kredit beantragt, um Rechnungen, Mieten und anderes zu zahlen, dann wird das Problem auf später verschoben. Die Inhaber kleiner Unternehmen sind sehr skeptisch gegenüber diesen Hilfsmaßnahmen, auf die die Regierung hauptsächlich setzt. Sie wollen keine Schulden mit sich rumschleppen.

Mein Mietvertrag läuft noch ein Jahr. Wenn sich bis dann nichts geändert hat, dann bin ich aus dem Viertel weg.“Antoine Weber, Geschäftsinhaber auf der „Gare“

Denn die Unsicherheit ist enorm: Wie sieht die Stadt aus, nachdem die Tram fährt? Kommen dann wieder die Kunden in das Bahnhofsviertel? Oder haben sie ihre Gewohnheiten endgültig geändert und shoppen dann online?

Die Gefahr ist ganz real, sagt auch Serge Wilmes. „Die Probleme liegen tiefer als nur bei den Baustellen“, betont er. Das habe eine Umfrage der Stadt Luxemburg mit 1.000 Teilnehmern ergeben. Die Studie sollte eigentlich im März vorgestellt werden, doch die Krise kam dazwischen. Jetzt sind die Schlüsse daraus wohl hinfällig.

Die Ergebnisse entsprechen allerdings zum Teil den Ängsten der lokalen Geschäftsleute: Die Hauptstadt wird durchaus als Einkaufs- und Vergnügungsort gesehen. Doch die Konkurrenz von Trier oder Metz, den Shoppingmalls im Speckgürtel und letztlich auch des Internets ist enorm. Die Stadt Luxemburg entdecke das Problem nicht erst jetzt, versichert Serge Wilmes.

Die schwierige Wiederbelebung der Wirtschaft

Doch die Antworten bleiben sowohl von nationaler als auch kommunaler Seite aus. Wenn auch Finanzminister Pierre Gramegna (DP) an eine prompte Wiederbelebung der Wirtschaft glaubt, die Geschäftsleute des Bahnhofsviertels sehen das anders. Der Umsatzverlust lasse sich in ihren Branchen kaum wieder wettmachen, so die einmütige Überzeugung.

„Wir bedienen Gäste in unseren Restaurants mittags und abends. Mehr geht eben nicht“, sagt Gabriel Boisante. Sprich: Die verlorenen Tage des „Lockdown“ kann ein Restaurant nicht wieder einholen. Dazu kommt die höchst wahrscheinliche Prognose: „Es sind die Restaurants, die als letzte wieder öffnen werden.“

In der Modebranche sieht es kaum besser aus. Jetzt hängt die Frühjahrskollektion in den Läden – trotz fehlender Kunden. Die Modegeschäfte seien ein Beispiel, wie jede Branche anders von der Krise betroffen sei, erklärt der CLC-Vertreter Claude Bizjak. Die 2.500 Euro an Hilfe für Selbstständige sei zwar gut, doch die Rechnungen für die jetzt eintreffenden Lieferungen seien deutlich höher. Und selbst wenn der Einkaufsbummel wieder erlaubt ist, glaubt er nicht daran, dass Kleiderläden den verpassten Umsatz kompensieren können.

#MakeGareGreatAgain steht in der Vitrine von Extrabold. Doch Inhaber Antoine Weber zweifelt inzwischen an seinem eigenen Slogan: „Mein Mietvertrag läuft noch ein Jahr. Wenn sich bis dann nichts geändert hat, dann bin ich aus dem Viertel weg.“