Lange Schlangen vor den Tankstellen, horrende Gas- und Ölrechnungen und weiter steigende Preise: Die Energiekrise trifft vor allem Haushalte mit geringem Einkommen. Doch die Maßnahmen der Regierung greifen zu spät und reichen nicht aus. Eine Analyse.
„Frieden hat einen Preis und wir müssen bereit sein, ihn zu zahlen“, sagte Premierminister Xavier Bettel (DP) vergangene Woche. Es ging um die Folgen der russischen Invasion auf die Energiekosten. Wer den Preis zahlen muss, ließ der Premier unausgesprochen.
Die Regierung will die Folgen für die Haushalte mit niedrigem Einkommen abfedern. Doch bereits eine Woche später hat sich die Lage weiter verschärft. Vizepremierministerin Paulette Lenert (LSAP) kündigte am Donnerstag im Parlament an, dass die Regierung kurzfristig die Sozialpartner zu einer Tripartite zusammenrufen wolle. „Wir sind in einer Krise und deshalb wird dieses Kriseninstrument jetzt gebraucht“, sagte sie in Vertretung des Premiers, der auf dem EU-Gipfel in Versailles war. Konkrete Vorschläge zur Bewältigung der Preisspirale legte Blau-Rot-Grün am Donnerstag nicht vor. Dabei sind die Maßnahmen des „Energiedësch“ von letzter Woche größtenteils noch nicht umgesetzt.
Die Versäumnisse der vergangenen Jahre holen die Regierung jetzt ein. Komplizierte Prozeduren, zu geringe finanzielle Hilfen und die verschlafene Energiewende führen dazu, dass der Preis des Friedens von jenen gezahlt werden muss, die sich das am wenigsten leisten können. Es heißt aber auch, dass die Regierung aufgrund der Notlage mehr als 100 Millionen Euro ausgibt, um den Verbrauch fossiler Energien zu fördern.
Zehntausende Haushalte betroffen
Die Regierung verkauft die Teuerungszulage („Allocation de vie chère“) als wichtigste Maßnahme, um Energiearmut zu verhindern oder zumindest zu lindern. Allerdings erreicht die finanzielle Hilfe das Ziel nur zum Teil.
Die Teuerungszulage reiche nicht, um die gestiegenen Ausgaben zu kompensieren, sagte die OGBL-Präsidentin Nora Back im Interview mit „Radio 100,7“. Die Arbeitnehmerkammer rechnete aus, dass ein Haushalt für eine Füllung eines Heizöltanks von 2.800 Litern Mitte Februar 915 Euro mehr zahlen musste als ein Jahr zuvor. Innerhalb der vergangenen drei Wochen ist der Preis des Heizöls nochmals um knapp 90 Prozent gestiegen.
Hinzu kommt, dass nur ein Fünftel der Haushalte, die aufgrund ihres Einkommens ein Recht auf die Teuerungszulage hätten, sie auch beantragt. 2021 erhielten 22.430 Haushalte die Zulage, heißt es vom Familienministerium auf Nachfrage. Damit nahm die Zahl gegenüber dem Pandemiejahr 2020 leicht ab.
Die Teuerung ist in der Mittelschicht angekommen.“Gilles Roth, CSV
Die Steuerdaten des Wirtschaft- und Sozialrats zeigen, dass 2018 ein Drittel aller Luxemburger Haushalte jährliche Einkünfte von weniger als 30.000 Euro hatte. Von diesen 108.000 Haushalten erhielten 2018 nur 19.541 die Teuerungszulage. Obwohl die Grenze für den Anspruch auf die Hilfe 2018 für einen Zweipersonenhaushalt bei 36.000 Euro lag.
Diese Zahlen verdeutlichen auch, warum es für den Staat potenziell extrem teuer wird, die Teuerungszulage auf Haushalte auszudehnen, die mehr als den sozialen Mindestlohn verdienen. Es gibt Zehntausende Arbeitnehmer, die etwas mehr verdienen, aber deren Budget für die extrem gestiegenen Energiepreise trotzdem nicht reicht. 2020 lebten laut Eurostat 3,6 Prozent der Luxemburger Bevölkerung in Wohnungen, die sie nicht angemessen heizen konnten. Das sind über 20.000 Menschen.
15 Millionen Euro für Energieprämie
In der Folge des „Energiedësch“ kündigte die Regierung eine Prämie von 200 bis 400 Euro an – je nach Größe der Familie. Sie wird zusätzlich zur Teuerungszulage ausgezahlt. Haushalte, die bis zu einem Viertel mehr als den sozialen Mindestlohn verdienen, haben ebenfalls Anspruch auf die Prämie. Für eine vierköpfige Familie liegt die Einkommensgrenze bei 5.929 Euro für eine Energieprämie von 350 Euro. Damit werden auch jene erreicht, die den qualifizierten Mindestlohn beziehen.
Für diese Maßnahme rechnet Familienministerin Corinne Cahen (DP) mit Ausgaben in Höhe von 15 Millionen Euro. Geht man von einer durchschnittlichen Auszahlung von 300 Euro aus, kommt man auf 50.000 Haushalte, die die Energieprämie erhalten würden. Das wären doppelt so viele, wie aktuell die „Allocation de vie chère“ beziehen.
Würden diese Haushalte mit leicht höherem Einkommen ebenfalls die Teuerungszulage in vollem Umfang erhalten, wäre das eine zusätzliche Ausgabe von 40 bis 50 Millionen Euro für den Staat. 2021 zahlte der „Fonds national de solidarité“ insgesamt 43,5 Millionen Euro an Teuerungszulagen aus.
„Die Teuerung ist in der Mittelschicht angekommen“, sagte der CSV-Abgeordnete Gilles Roth am Donnerstag im Parlament. Er forderte eine Ausweitung der „Allocation de vie chère“.
Umsetzung dauert
Obwohl die Energiekrise sich von Tag zu Tag verschärft, ist bisher keine der von der Regierung angekündigten Maßnahmen in Kraft. Der Text für die Energieprämie soll noch diesen Monat verabschiedet werden, heißt es auf Nachfrage aus dem Familienministerium. Die Regierung will zudem den Gaspreis senken, indem der Staat bei den Netzkosten einspringt. Doch auch für diese Maßnahme soll der entsprechende Text erst in spätestens zwei Wochen vom Ministerrat angenommen werden. Dann folgt noch der legislative Prozess.

Corinne Cahen sagte vergangene Woche, dass die Energieprämie voraussichtlich in zwei bis drei Monaten ausbezahlt werde. Das entsprechende Formular ist bereits online.
Für Zehntausende Haushalte bedeutet das nun eine Finanzierungslücke, die schwer überbrückbar ist. Bei den Haushalten mit geringem Einkommen sind die Rücklagen gering. Laut den Zahlen der Zentralbank hat die niedrigste Einkommensklasse (Quintil 1) zu 80 Prozent weniger als zwei Monatsgehälter als liquide Rücklage. Und das war vor der Coronakrise.
Die Regierung spielt auf Zeit
Obwohl die Invasion der Ukraine durch Russland kaum vorhersehbar war, waren die Energiepreise bereits vergangenen Herbst hoch. Die EU-Kommission reagierte im Oktober 2021 mit einer „Toolbox“, die Mitgliedstaaten nutzen könnten. Darunter sind die Maßnahmen, die Luxemburg nun knapp fünf Monate später umsetzen wird. Zum 1. Januar 2022 stieg die Teuerungszulage um 200 Euro – eine Maßnahme, die allerdings längst verpufft ist.
Weiter reichende Möglichkeiten, die Energiepreise zu drücken, lässt die Regierung bisher außer Acht. Die EU-Kommission betonte am Mittwoch, dass die Mitgliedstaaten die Strompreise für Haushalte und kleine Betriebe deckeln dürften. Luxemburg lehnt dies bisher ab.
Auffallend ist, dass Heizöl bisher wenig thematisiert wird. Dabei heizt ein Viertel der Haushalte mit „Masutt“. Und oft hatten sie gar nicht die Wahl, auf Erdgas umzusteigen, da manche Regionen des Landes nicht an das Gasnetz angeschlossen sind. Mittelfristig setzt die Regierung darauf, dass die Ölheizungen durch Wärmepumpen ersetzt werden. Doch das nützt niemandem, der jetzt eine Tankfüllung bezahlen muss.
Unwirksame Förderprogramme
Blau-Rot-Grün kämpft nun mit den Versäumnissen der vergangenen Jahre. Im Mai 2021 legte Wohnungsbauminister Henri Kox (Déi Gréng) eine komplette Reform der staatlichen Klimakredite vor. Die damalige Bilanz war vernichtend – die Fördermaßnahme zur Finanzierung energetischer Sanierung wurde kaum genutzt. Zu kompliziert und zu langwierig waren die Prozeduren, so die Selbsterkenntnis des Ministeriums. Doch die Reform ist im gesetzgeberischen Verfahren versandet. Das Gutachten des Staatsrats liegt nicht vor.
Auch das Herzstück der Förderung von erneuerbaren Energien steckt in den Prozeduren fest. Im September legte Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) eine Überarbeitung der Prämie für Dämmungen, Wärmepumpen und die „PrimeHouse“ vor. Mit dem Auslaufen der alten Regelung Ende 2021 gibt es aktuell keine Förderung für die jetzt noch dringendere Energiewende im Wohnbereich.
Das Umweltministerium betont jedoch auf Nachfrage, es sei nicht zu erkennen, dass Privatleute ihre Projekte wegen der fehlenden Texte auf Eis gelegt hätten. Architekten, Berater und Handwerker seien über die Reform informiert. Außerdem würden die Zuschüsse rückwirkend auf den 1. Januar gezahlt. Es bestehe deshalb keine Förderlücke.
Das spezifische Programm gegen Energiearmut ist seit 2017 ein Flopp. 2020 wurden lediglich 500 Euro für energiesparende Maßnahmen bei einkommensschwachen Haushalten ausgegeben. Vorgesehen ist, dass die Sozialämter mit der Beratungsagentur MyEnergy zusammenarbeiten. Das klappt aber nicht. Nun soll jeder Haushalt, der die Teuerungszulage bezieht, einen Gutschein für eine kostenlose Beratung zum Energiesparen erhalten, sagt das Energieministerium auf Nachfrage von Reporter.lu. Doch auch das wird Monate dauern, weil es an Personal fehlt.
Geld für fossile Brennstoffe statt für Klimaschutz
Die Energiekrise führt dazu, dass die Regierung soziale Maßnahmen treffen muss. Das Paket des „Energiedësch“ kostet allein 75 Millionen Euro. Dazu kommt die reguläre Teuerungszulage, die im Budget 2022 mit 48 Millionen Euro veranschlagt ist. Ein Großteil fließt indirekt in die Taschen der Öl- und Gaskonzerne – auch von russischen.
Das Problem der Teuerungszulage ist, dass sie zwar sozial notwendig ist, aber den betroffenen Haushalten nicht langfristig hilft. Ihre Wohnung bleibt schlecht isoliert und schlecht geheizt. Und der Staat wird ihnen nächstes Jahr erneut bei der Gasrechnung helfen müssen, wenn es nicht zu großangelegten Projekten der energetischen Sanierung kommt.
Energieminister Claude Turmes kündigte im Interview mit Reporter.lu ein Modellprojekt der Quartiersanierung in Differdingen an. Der Druck wird steigen: Die EU-Kommission will das Tempo beim Einbau von Wärmepumpen verdoppeln.
Das Paradoxe ist, dass es in Luxemburg nicht am nötigen Geld fehlt. Dieses Jahr fließen über 100 Millionen Euro aus der CO2-Steuer in den mit 675 Millionen Euro sehr gut dotierten Klima- und Energiefonds. Es braucht vor allem den politischen Willen, die Energiearmut wirksam zu bekämpfen. Damit nicht die Schwächsten den Preis des Friedens zahlen müssen.